Filipe Carvalho

Am 25. November 1970 beendete Yukio Mishima, einer der prominentesten und umstrittensten japanischen Schriftsteller, sein Leben mit einem akribisch geplanten und äußerst drastischen Seppuku (Harakiri, zumindest in seiner formellsten Ausprägung), dem rituellen Selbstmord der Samurai, nachdem ein Putschversuch im Hauptquartier der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte gescheitert war.

Diese Handlung, die zugleich ideologisch, ästhetisch und viszeral war, ist ein Aufschrei gegen den Verfall, den Mishima im Nachkriegsjapan sah. Es war ein Protest gegen den Austausch von Ehre und Geist gegen bloßen wirtschaftlichen Wohlstand, der den Sieg des Materiellen über das Wesenhafte besiegelte. An diesem Punkt bietet seine letzte Geste eine tragische Perspektive für die Analyse des Niedergangs unseres heutigen Europas.

Mishimas Selbstmord war kein Akt der Verzweiflung, sondern der strenge Schlußpunkt einer Philosophie. Er sah im Tod die einzig mögliche Synthese zwischen Kunst (dem Wort, dem Ideal) und Handlung (dem Leib, der Realität), in einer Linie, die der ›Wagner’schen‹ Tradition und dem ›nietzscheanischen‹ Denken nahekam, die ihn so nachhaltig beeinflußt hatten.

Wie er selbst in seinem Werk ›Sonne und Stahl‹ beschreibt, forderte er eine kraftvolle Verbindung zwischen Körper und Geist. Daher war sein Tod eine kalkulierte Performance, die darauf abzielte, sein physisches Bild auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit zu verewigen und den Verfall des Alters zu vermeiden. Er starb also auch aus stilistischen Gründen.

Das Seppuku als Ritual von äußerster Feierlichkeit und Kontrolle, bei dem der Betreffende den Schmerz beherrscht, um seine Aufrichtigkeit und Reinheit der Absichten zu beweisen, steht in krassem Gegensatz zum Schicksal des modernen Europas.

Europa ist, ebenso wie das von Mishima verabscheute Japan, Gefangener einer Ideologie des Komforts und der Bequemlichkeit. Sicherheit, materieller Wohlstand und spirituelle Ignoranz sind zu höchsten Werten avanciert, was verschiedene Denker im Westen scharf kritisieren. So auch der italienische Philosoph Julius Evola, der zwar nicht direkt zum Seppuku Stellung genommen hat, da er bereits vier Jahre später verstorben war, aber zuvor die Notwendigkeit eines „aufrechten Menschen” angemahnt hatte, der sich über den modernen Verfall und Nihilismus erhebt. Er plädierte für eine „geistige Männlichkeit”, wie sie Mishima in seiner extremen Geste verkörperte.

Während Mishima die Vorrangigkeit des Handelns gegenüber der Untätigkeit forderte, leidet Europa hingegen nach wie vor unter bürokratischer Lähmung und Hyperintellektualisierung. Probleme werden ad nauseam diskutiert, ohne jemals zur entscheidenden Tat überzugehen, und man scheut Risiken und Opfer .

Das Ende Europas wird keine epische Tragödie sein, sondern „vorhersehbar” ein statistisches Ergebnis des demografischen Niedergangs und der kulturellen Gleichgültigkeit.

Diese Abkehr vom Handeln und die Vorliebe für „Konformismus” wird von Vertretern der europäischen sogenannten ›Neuen Rechten‹ wie dem französischen Denker Alain de Benoist als Ergebnis der ›Homogenisierung‹ und des Verlusts der kulturellen Identität angesehen. Diese Autoren kritisieren den abstrakten Universalismus, der die Vielgestaltigkeit und das Wesen der Völker zerstört.

Seppuku-Zeremonie am Ende der Edo-Zeit Aus: die Zeichnung stammt von L. Crépon nach einem japanischen Gemälde, 1867, Bildquelle: Wikipedia

Mishimas Seppuku mit seiner brutalen „Schönheit” ist ein Spiegel, der Europa zwingt, sich mit seiner Endlichkeit auseinanderzusetzen. Er erinnert uns daran, daß die schlimmste Form des Todes die schleichende Selbstauslöschung ist, das Aussterben durch Gleichgültigkeit und das Unvermögen, die eigene Seele zu verteidigen.

Mishimas Lehre ist also kein Aufruf zur Gewalt, sondern ein existentialistischer Schrei nach Würde.

Zivilisation macht nur Sinn, wenn es ein höheres Ideal gibt, für das man bereit ist, seine Bequemlichkeit zu opfern.

Quelle: https://filipecarvalhotextos.blogspot.com/2025/11/yukio-mishima-e-o-suicidio-da-europa.html?m=1

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