Guillaume Faye

Auszug aus dem Buch

›Mut zur Identität‹

Die historische Regenerierung Europas sowie seine Rückkehr zur Identität werden vielleicht nicht das Werk dieser Generation sein. Selbst wenn wir, als aktive Pessimisten, mit Verbissenheit daran arbeiten müssen, dürfen wir Hölderlins Wort nicht vergessen: der meditierende Gott haßt vorzeitiges Wachstum.

Europa seine Identität und seine Größe wiederzugeben heißt, es auf den schmalen Weg seiner Wieder-Vergeistigung außerhalb eines nunmehr religiös sterilen Judäo-Christentums zu bringen. Es hieße also, einen Rückgriff auf den Paganismus zu „erfinden“; und das setzt voraus, daß man das ganze Volksbewußtsein auf den Fundamenten des ›Surhumanismus‹ neu baut, während es heute noch von der Ernüchterung des egalitären Nihilismus bewohnt ist. Wir können die historische Bedeutung dieses Unternehmens ermessen.

Die Wahl des surhumanistischen Mythos

Diese Unternehmung muß von Eliten geführt werden, die Scharfsinn, unerschütterliche Ausdauer und vor allem unendliche Geduld aufweisen. Der eigentlichen Bekehrung des „Volkes“ muß die Bildung einer Minderheit vorausgehen, die ihre Tradition zurückzugewinnen weiß, die innerlich wagt, die Fesseln des Egalitarismus und der tausendjährigen Ideologie des okzidentalen Humanitarismus zu brechen.

Der Urheber solcher Ideen, der Vorkämpfer dieser Verwandlung des europäischen Bewußtseins, dieser regenerierenden Umkehrung der Geschichte war Nietzsche, der die Ansicht vertrat, daß ein geschichtlicher Wieder-Anfang nur von ihm ausgehen könnte.

Nietzsche hatte vorausgesehen, daß seine Nachfolger den Aufschwung der egalitär-nihilistischen Bewegung nicht aufhalten könnten, und forderte uns auf, als aktive Nihilisten die Fortsetzung dieses Prozesses bis zur Fäulnis zu wünschen. Nietzsche hatte vorausgesehen, daß sich die Europäer in das verwandeln würden, was sie heute geworden sind: in „köstliche Sklaven“.

Nietzsches Aufruf an die Europäer, den tausendjährigen Nihilismus des Judäo-Christentums zu überwinden, den egalitären Zyklus – wenn historisch möglich – aufzugeben und in dem Surhumanismus die Regenerierung ihrer Geschichte sowie die Rückkehr zu ihrer Identität zu erfahren – dieser Aufruf nimmt die Form eines Mythos (des „surhumanistischen Mythos“, den Wagner und Heidegger formulierten) an, das heißt die denkbar realitätschwerste und stärkste Form.

Warum ein Mythos? Weil zu einer Zeit, wo alles Gedachte von jüdischchristlichen und egalitären Werten geprägt ist, die surhumanistische Botschaft der neuen europäischen Identität — will sie die Geister nicht erschrecken – in einer irrationalen und verschlüsselten Form dargelegt werden muß, die mehr die Sensibilität als den Intellekt anspricht.

Eine Regenierung des europäischen Paganismus, eine historische Verwirklichung des Surhumanismus, eine Überwindung des westlichen Egalitarismus setzen nämlich, wie Nietzsche es ausdrücklich betonte, eine Umwertung aller bislang angenommenen Werte voraus.

Die Anhänger einer europäischen Regenierung durch Überwindung und Lossagung vom Judäo-Christentum und Egalitarismus werden also bei ihren metapolitischen und kulturellen Unternehmungen darauf achten müssen, diesen „Anteil des Mythos“, der im Dunkeln den Rückgriff schützt, zu bewahren.

Wir müssen uns sehr davor hüten, für die europäische Identität und Regenerierung gemäß dem Surhumanismus eintreten zu wollen, indem wir die Sprache und die „politischen“ Verpflichtungen einer gewissen Rechten und einer gewissen Linken übernehmen, da alle politischen Diskurse im heutigen Europa, selbst die positivsten, sich innerhalb der egalitären Weltanschauung befinden.

Der Diskurs der „Regeneratoren“ Europas darf ferner nicht darauf abzielen, diejenigen zu überzeugen, die von jeher die Träger und Propheten der egalitären Weltanschauung, also die Totengräber Europas und jedes Reichs sind, auch nicht diejenigen, die das surhumanistische Projekt niemals begreifen und sogar wollen werden, weil sie geistig vom Egalitarismus besetzt sind.

Das surhumanistische Projekt wendet sich an all diejenigen, die die heidnische Weltanschauung — häufig ohne es zu wissen – in sich tragen und die zahlreicher als angenommen sind, da der Schatten der Götter immer noch vorhanden ist, die alten Pantheons immer noch fruchtbar und imstande sind, junge Götter ins Leben zu rufen.

Wie Meister Eckhart es formulierte, ist ein solcher Diskurs für diejenigen gemacht, die ihn bereits in ihrem Herzen als ihre eigene Wahrheit tragen. Zwischen dem Egalitarismus und dem Surhumanismus, zwischen Dostojewski und Nietzsche, einer jüdisch-christlichen Geschichte und einem neopaganischen Schicksal zu wählen heißt für den heutigen Europäer nicht zwischen Falschem und Wahrem, Bösem und Gutem wählen. Es handelt sich um eine freie Wahl, da wir von keiner absoluten Tradition „prädeterminiert“ sind.

Es ist eine Wahl, die auf dem Willen beruht; eine Wahl zwischen Möglichkeiten, die alle gleich authentisch sind; eine Wahl, die letzten Endes eher aufgrund ästhetischer als rationaler Kriterien getroffen wird. Entweder entscheidet man sich – aus durchaus zulässigen Gründen – für ein jüdisch-christliches, humanitaristisches Europa als kosmopolitische Zweigstelle eines weltweiten Okzidents; oder man entscheidet sich aus gefühlsmäßigen und ästhetischen Gründen gegen die jetzige Entwicklung (die von diesem Standpunkt aus „Dekadenz“ ist) für ein identitäres, auf den imperialen und heidnischen Teil seiner Tradition ausgerichtetes Europa; ein Europa nämlich, das B.-H. Levy überall (legitim und subjektiv) als „barbarisch“ hinstellt, das man auch – wird man von einer anderen Weltanschauung beseelt – als einzig „kulturales“ betrachten kann.

Mit der gleichen Wahlentscheidung sind übrigens mehrere außereuropäische Völker, vor allem die Araber, konfrontiert, die ebenfalls an der Wegscheide sich entweder für eine Okzidentalisierung ihrer Gesellschaft aussprechen müssen oder für die Reaktivierung des Großprojekts einer imperialen Einheit des arabisch-islamischen Vaterlands.

Diese Wahl findet also zwischen zwei „Traditionen“ statt, und das Zukommende wird dann nicht von einer in abstracto projizierten „Zukunft“ bedingt, sondern zuvorderst von einer Aneignung der Vergangenheit, einer „möglichen“ Vergangenheit. Der Rückgriff auf Zarathustra ist die Bedingung zum Zutagetreten des Übermenschlichen.

Guillaume Faye: Ein faustisches Leben

Print Friendly, PDF & Email