Dietrich Schuler

Auszug aus seinem Buch: Zeitenwende total

Ich betrachte es heute als großes Glück, daß mir mit 18 Jahren unmittelbar nach Kriegsende Nietzsches wohl bekanntestes Werk zu Gesicht kam: Also sprach Zarathustra – ein Buch für alle und keinen. Dieses Buch wurde meine große Liebe, ist es doch das schönste philosophische Gedicht, das je geschrieben wurde. So empfand es wohl auch der Franzose Pierre Vial, (Gründer von ›Terre et Peuple‹), der dieses literarische Juwel bereits mit 15 Jahren in die Hand bekam und für den die Bekanntschaft mit dem „Zarathustra“ eine „fulguration“ bedeutet. Eine fulguration, eine blitzartige Erleuchtung war ›Also sprach Zarathustra‹ auch für mich.

Seitdem ließ mich der Gedanke von der „Ewigen Wiederkehr“ nicht mehr los. Nietzsche lebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das durch und durch materialistisch und mechanistisch geprägt war. Daher blieb unserem Philosophen der Zugang zur Wiedergeburt, zur Reinkarnation verschlossen. Die Vorstellung von einem ewigen Tod des Individuums, dem Untergang des Subjekts, war Nietzsche aber so unerträglich, daß er die Ewige Wiederkunft als kosmische Kreisläufigkeit nur als ewige wörtliche Wiederholung des Gleichen fassen konnte, wodurch auch er als Nietzsche-Zarathustra ewige Male wiederkehren würde.

Eine solche Verengung lassen wir Kreatisten weit hinter uns. Sie ist rein mechanistisch und falsch. Eine solche Auffassung wäre auch sinnlos. Ausgehend von der Unzerstörbarkeit des Subjekt/Objektverhältnisses fragen wir uns, wo dieses Subjekt eigentlich seinen Sitz hat. Der Geist, als Bewußtsein gefaßt, ist wiederum unzertrennlich mit Leib und Materie verbunden. Wo befindet sich also dieses Ichbewußtsein? Wir können Glieder verlieren, sogar das Herz, ja Teile des Gehirns können entfernt werden. Die Ärztekunst kann Organe austauschen, aber das Subjektbewußtsein bleibt, auch wenn unser ganzer Zellenapparat mehrfach im Laufe der Zeit erneuert wird mit Ausnahme einiger Teile des Gehirns.

Die landläufige Antwort auf diese Frage nach dem Persönlichkeitszentrum, gestützt auf Vorstellungen der überlieferten Religion, lautet meist: Das ist die Seele. Die Seele sei ewig. Nun ist sie aber gerade dies nicht. Es ist keine Frage mehr, daß die gesamte Welt unserer Gefühle und unseres Bewußtseins mit dem Körper stirbt.

,Alles ist im Fluß“, wußten schon die alten Griechen. Es ist das ›Panta rhei‹ Heraklits. Gibt es nun in diesem ewigen Fließen, dem Werden und Vergehen, der Vereinigung und der Trennung keine Festpunkte? Da jeder Gegenstand des Alls durch den steten Werdefluß in jedem Augenblick ein anderer wird, „ist“ er eigentlich gar nicht. Aber gerade deshalb kann das Sein nicht nur ein Werden sein.

Das Werden erfordert „dialektisch“ ein Sein. Jedem Ding und jedem Wesen muß ein Bleibendes, ein Unverwechselbares zugrundeliegen. Wir nennen dieses Unveränderliche das Urmonergon. Es ist jeweils ein bloßes Sosein, eine unverlierbare Diesheit, eine haecceitas.

Das Urmonergon ist ein kreatistischer Zentralbegriff. Es kann nicht isoliert bestehen als reines Sein, sondern immer nur in notwendiger Dialektik verkörpert als Werdendes, d. h., schon jedes Atom ist die Inkarnation eines Urmonergons. Wir können Letzteres definieren als existentiellen kosmischen Code, als geistigen Abdruck des Seins an der „Nahtstelle“ von Geist und Materie, Geist hier im allerweitesten Sinne als Seinsprinzip verstanden. Das Urmonergon ist daher so unzerstörbar einfach „da“ wie der Kosmos selbst.

Das Sein ist letztlich nicht hinterfragbar und kann nur negativ umschrieben werden als Antinichts. Aber gerade weil unsere Sprache und unsere Erkenntnis noch nicht bis zum Letzthinnigen durchdringen, erfordert die Evolution des Lebens gebieterisch einen Schritt über alles Menschliche hinaus, eine Entwicklung hin zu übermenschlichen Seinsstufen.

Denn der ganze Weltprozeß mit seiner Evolution durch Jahrmilliarden gewinnt seinen Sinn nur dadurch, daß er in jedem Weltjahr das Bestreben und die Gewißheit hat, die Welt in einem höchsten Bewußtsein spiegeln zu können. Selbstbewußtwerdung ist das ganze Wesen des Kosmos und des Weltprozesses. Nur deshalb verspüren wir etwas von dieser Weltvernunft, vom Logos Heraklits.

Ohne dieses Ziel, ewige Male erreicht und noch zu erreichen, wäre das Weltgetriebe seines höchsten Sinnes beraubt. Hier aber berühren wir bereits den eigentlichen Kreatismus. Der Kreatist bejaht die Welt, andere, wie Schopenhauer oder auch weite Teile der buddhistischen Anhängerschaft, zögen Nichtsein vor. Doch ist solcher Pessimismus eigentlich gegenstandslos, weil das Sein eben unerbittlich ist. Parmenides hat es vor 2500 Jahren so ausgedrückt: „Nur das Sein ist; das Nichtsein ist gar nicht, d. h., es kann nicht gedacht werden“.

Jedoch sei hier Folgendes vorweggenommen: Wenn der Kreatist die Welt auch in heroischem Realismus oder auch Idealismus, wie man es nennen mag, bejaht, ist er dennoch nicht blind für alle negativen Erscheinungen des Daseins, die auf weite Strecken den Pessimismus zu rechtfertigen scheinen. Diese rühren von den zersetzenden „teuflischen“ Kräften her, die in jedem Augenblick mit einem schließlichen Hinab zu Nacht, Schlaf, Winter und Chaos beitragen und – wir können dies sehr wohl auch positiv sehen –  gewährleisten.

Denn gerade in dieser Bewußtlosigkeit des Urzustands, wo noch kein höheres Leben und Empfinden vorhanden ist, findet jenes Weltgefühl Genüge, das auch den Tapfersten manchmal ergreift: „Ach, ich bin des Treibens müde, was soll all der Schmerz und Lust?“ Es ist jene Sehnsucht nach Ruhe und Frieden, die in der Winterhälfte des zyklischen Weltlaufs kosmische Erfüllung findet und wohl den eigentlichen Sinn des Nirwanas der südasiatischen Religionen ausmacht. Doch würden wir niemals bei ihm stehen bleiben, und solcher Winterzustand ist kein Ende, sondern nur das Vorspiel für ein neues Aufblühen des Weltfrühlings. So gesehen, ist der Kreatismus die rundeste aller Weltanschauungen.

Im ›Zarathustra‹ ist die Rechtfertigung aller Vergänglichkeit und gleichzeitig die Bejahung des ewigen Seins als Kreislauf klassisch ausgedrückt: „Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!“ Der Lust wird ein höherer Rang zugeordnet als dem Schmerz –wenn hierbei Schopenhauer auch grimmig brummen würde.

Dies berührt indirekt auch den unaufhebbaren Widerspruch in den Wüstenreligionen, deren eitler Stolz es ist, monotheistisch zu sein. Aber auch sie, insbesondere das Christentum, operieren mit dem Teufel oder Satan. Doch bildet dieser in jedem Fall einen Gegengott und widerlegt insofern den Eingottglauben.

Wenn jedoch das Satanische ebenfalls in den Einen Gott integriert wird, um den Monotheismus zu retten, gerät ein solcher Gott zum Monster. Dieselbe Logik gilt für alle philosophischen Systeme, die mit akrobatischen Kunststücken der Vernunft auf einen metaphysischen“ Gott als einzigen Beweger schließen. Meist klammern sie dann das Teuflische verschämt aus ihrem Lehrgebäude aus.

Der Kreatismus dagegen geht mit Selbstverständlichkeit vom tatsächlichen Sein aus, und da begegnen wir dem Teuflischen wie dem Göttlichen jeden Tag aufs Neue. Und es gilt, den Kampf mit dem zersetzenden Mephistogeist aufzunehmen. Das ist alles. Dabei ist aber zu bedenken, daß auch Gut und Böse weitgehend relativ sind.

Das Böse im Sinne reiner Quälsucht ist selten. Die meisten Konflikte entstehen einfach aus Überlegenheit und Anderssein. Daher sagte Nietzsche, über Gut und Böse sei bisher nur gewähnt, aber nicht gewußt worden. In kreatistischer Sicht werden letzte Subjektivität und Objektivität erst im höchsten Bewußtsein identisch, das die Evolution jeweils auf dem Höhepunkt eines Weltjahrs zwecks Selbstspiegelung des Kosmos hervorbringt, also, konkret irdisch gesprochen, im primus inter pares‹ einer zukünftigen Götterrasse, für deren Erscheinen wir eintreten. Dort liegt auch die letzte Entscheidung seitens eines vorstellbaren göttlichen Subjektes über Gut und Böse.

 

Siehe auch:

Ein Elementarereignis: Schulers Opus Magnum

Ragin Allraun: Das kreatistische Projekt nach Dietrich Schuler

Dietrich Schuler, Kreatismus als geistige Revolution

Dietrich Schuler, Bausteine für eine Religion der Zukunft