Chōkōdō Shujin

erörtert das komplexe Zusammenspiel von Denken, Klassendynamik und gesellschaftlichem Wandel und zeigt die Dringlichkeit einer dialektischen Einheit von Theorie und Praxis auf, um die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern.

 

Die moderne Gesellschaft befindet sich in einer existenziellen Krise. Überall und bei jeder Gelegenheit reden und klagen die Menschen über diese Krise des Denkens. Aber sie verstehen nicht, wovon sie reden, wonach sie eigentlich rufen. Nein, das Reden und Schimpfen, ohne zu verstehen, und vor allem, ohne verstehen zu wollen, ist selbst ein Merkmal der Krise des Denkens.

Was in den Klagen über die Krise des Denkens zum Ausdruck kommt, ist gerade der Mangel an theoretischem Bewußtsein, die Armut des Denkens selbst. In der Tat ist es nicht das Ziel derjenigen, die danach streben, das Wesen der Dinge zu klären und das Denken zu entwickeln, sondern ihr Ziel ist das genaue Gegenteil. Ihr Ziel ist es, das Denken zu verarmen, einzusperren und auszuhöhlen, und somit nicht für das Denken selbst zu planen, sondern vielmehr im Interesse einer ganz anderen Agenda. In dieser Zeit dürfen jene, die nach der Wahrheit des Denkens suchen, sich nicht von ihren Klagen verlieren, erschrecken oder ängstigen lassen, sondern sollten danach streben, ihr theoretisches Bewußtsein zu schärfen und mutiger zu werden. Zu diesem Zweck muß zuallererst geklärt werden, was mit dem Begriff „Krise des Denkens“ gemeint ist.

Aus rein theoretischer Sicht bedeutet die Krise des Denkens die Umwandlung eines bestimmten Gedankens in dessen Gegenteil. Diese Verwandlung selbst erscheint als eine ideologische Krise. Wenn ein Gedanke sich an ein bestimmtes Ideal als Wahrheit klammert und versucht, es für immer als selbstidentisch aufrechtzuerhalten, entpuppt sich diese festgehaltene und fixierte Selbstidentität als das, was sie ist, nämlich als Einseitigkeit, als Einschränkung. Mit anderen Worten: Der Gedanke entpuppt sich als das Vorurteil des Selbst. Daher sind der Aspekt und die Begrenzung falsch, so als wären sie Einseitigkeit, Begrenzung und Falschheit.

So wird die „erste Wahrheit“ als falsch erkannt. Mit dieser Selbstkritik verkehrt sich eine bestimmte Vorstellung in ihr Gegenteil. Dieser Übergang ist die Krise des Denkens, und deshalb bedeutet „kritisch“ auch kritisch. Eine solche Krise ist für das Denken selbst von großem Wert, denn nur dann kann das Denken zu einer Bewegung werden. Denn nur dann kann sich das Denken bewegen und entwickeln. Der Gedanke wird von seinem Gegner geleugnet, und zugleich tritt er durch dessen Vermittlung aus seiner Einseitigkeit und Begrenztheit heraus und sublimiert sich. Das Abstrakte wird konkret. Durch diesen Prozeß wird der Gegenstand erstmals in seiner Gesamtheit erfaßt. Auf diese Weise ist die Krise der Reichtum und das Leben des Denkens. Wo es keine Krise gibt, gibt es nur Erstarrung und Tod.

Wenn das so ist, dann ist für den Denker auf der Suche nach der Wahrheit die Krise des Denkens tatsächlich willkommen. Er ist nicht unnötig betrübt, verängstigt oder entrüstet, wenn etwas auftaucht, das sein eigenes Denken leugnet oder ihm widerspricht. Ich spreche hier von einem Individuum, von einem Menschen, der in der Tradition verankert ist. Er sieht darin eine Gelegenheit, sein eigenes Denken zu kritisieren, und er ergreift diese Gelegenheit gerne, weil er weiß, daß er damit sein eigenes Denken entwickeln und konkretisieren kann. Seine Tätigkeit als Denker ist in dieser Zeit am aktivsten. Als Denker findet er das Leben in dieser Zeit am lohnendsten. Sein Denken ist nicht mehr starr und tot, sondern in Bewegung und lebendig.

Wer das Leben in Wahrheit leben will, weiß, daß die Krisenerfahrungen des Lebens es bereichern und wahrer machen. In gleicher Weise verstehen diejenigen, die nach der Wahrheit streben, daß die Krise des Denkens das ist, was das Denken konkret macht, was es wahrer macht. Wer also die Unvermeidbarkeit der Krise des Denkens und ihre Bedeutung erkennt, für den wird die Krise nicht mehr als große Krise, sondern als eine Kuriosität erscheinen. Die Einsicht in die Notwendigkeit ist die Freiheit. Der Mensch, der die Unvermeidlichkeit einer Krise des Denkens erkennt, ist ein freier Denker, und vor ihm kann die Krise nicht einfach nur als eine „sogenannte Krise“ bestehen.

Übrigens ist es der Dialektiker, der das Denken als eine Entwicklung sieht, und daß diese Entwicklung durch eine Verwandlung in etwas, das sich selbst widerspricht, d.h. durch eine Krise, vollzogen wird. Das dialektische Denken lehrt uns den Weg zur praktischen Überwindung der ideologischen Krise. Daher können wir sagen, daß, wenn die Krise des Denkens ausgerufen wird, das einzige realistische theoretische Bewußtsein das dialektische Denken ist.

Für das abstrakte Denken hingegen bleibt die Krise des Denkens überall dort eine Krise, wo sie nicht überwunden wird. Ich spreche hier von denen, die sowohl Geschichte als auch Tradition ablehnen. Diejenigen, die für die Allgemeingültigkeit der Wahrheit eintreten, die eine abstrakte Art von Ewigkeit ist, und diejenigen, die auf der Selbstidentität der Wahrheit bestehen, die eine formale Unveränderlichkeit ist – diese Menschen begreifen in der Regel nicht, daß die Wahrheit ein Leben ist, das sich durch Widersprüche entwickelt, und sie stellen sich gegen ihr eigenes Denken, indem sie vergessen, daß, wenn widersprüchliche Gedanken auftauchen, dies nur eine „Gefahr“ für ihre eigenen Gedanken ist. Stattdessen betrachten sie es im allgemeinen so, als sei es eine Krise des Denkens selbst, der Wahrheit selbst, und so schreien sie vergeblich auf.

Für sie ist die Verneinung nur eine Verneinung und der Widerspruch nur ein Widerspruch. Diese Menschen sind besonders vereinfachend und reduktionistisch. In ihrer modernsten Ausprägung bilden diese Menschen das, was ich als die Klasse der professionellen Aktivisten bezeichnen möchte, die ewig Empörten. Sie klammern sich an abstraktes Denken und verkünden, daß Wahrheit Wahrheit ist und Falschheit eben nur Falschheit. Und sie denken, daß nur andere fehlbar sind und sich irren und daß sie im Gegensatz dazu die ultimativen, absoluten und endgültigen Besitzer der Wahrheit sind.

Je mehr solche Menschen über die Krise der Wahrheit lamentieren, wenn sie auf Ideen stoßen, die ihren eigenen widersprechen, desto mehr machen sie die Ideen selbst, die Wahrheiten selbst, abstrakter und unrealisierbarer, was sie des Lebens beraubt und sie sterben läßt.

Diejenigen, die das Denken selbst und damit ihr eigenes Denken in eine Krise stürzen, sind diejenigen, die die Krise des Denkens nur als eine Krise sehen können. Diejenigen, die sich der wesentlichen Relativität des Denkens bewußt sind, sind nicht diejenigen, die die Absolutheit der Entwicklung des Lebens des Denkens bekräftigen. Im Gegenteil, sie sind dogmatisch. Sie verabsolutieren und verewigen ihr eigenes Denken. Sie bedenken nicht, daß sie sich noch an der Peripherie der Menschheitsgeschichte befinden und daß daher die Zahl derer, die ihre Gedanken in der Zukunft korrigieren werden, unvergleichlich größer sein wird als diejenigen, die selbst ihre Gedanken korrigiert haben.

Es sind immer diese Dogmatiker, die mit dem Ruf nach einer Krise des Denkens zu uns kommen. Mit dem Dogmatismus finden wir uns jedoch aus dem rein theoretischen Bereich in andere Sphären versetzt. Wir stellen fest, daß der Dogmatismus im Grunde keine theoretische Position ist. Warum gibt es immer noch Dogmatiker in der Frage der Krise des Denkens, in einer Zeit der Krise, in der jeder reine Denker gezwungen ist, selbstkritisch zu sein?

Bisher habe ich das Denken hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt von Wahrheit und Unwahrheit betrachtet. Wahrheit und Unwahrheit sind nach der philosophischen Terminologie die „Werte“ des Denkens. So wie das Schöne und das Häßliche Werte der Kunst sind und das Gute und das Böse Werte der Moral, so sind Wahrheit und Lüge die Werte des Denkens. Darüber hinaus glauben die Philosophen, daß es sich um einen Wert handelt, der nur diesem Ding innewohnt.

Daher kann ein Gedanke wahr oder falsch sein, aber wir dürfen nicht sagen, daß er ein guter oder ein häßlicher Gedanke ist. Das wäre Aufgabe der Ästhetiker. Ungeachtet dessen, was uns die moderne Erkenntnistheorie sagt, bezeichnen wir im wirklichen Leben ständig bestimmte Gedanken als gut oder schlecht. Das ist die Realität. Anstelle der Begriffe „wahrer Gedanke“ und „falscher Gedanke“ scheinen die Menschen im wirklichen Leben häufiger die Begriffe „guter Gedanke“ oder „schlechter Gedanke“ zu verwenden.

Nehmen wir zum Beispiel den ideologischen Begriff „gedankenorientierte Führung“. Die sogenannte gute Gedankenführung bedeutet nicht, die Menschen zu wahren Gedanken zu führen, sondern sie zu guten Gedanken zu führen. Wenn sie bedeutet, die Menschen zur Wahrheit zu führen, dann kann sie nicht in der Form auftreten, wie sie jetzt in der Realität stattfindet. Da die Wahrheit eines jeden Gedankens nur selten festgestellt werden kann, sollte es in einem solchen Fall nicht möglich sein, daß die Menschen nicht nur das freie Studium des Gedankens im Namen der Anleitung des Gedankens kontrollieren oder verbieten, sondern auch das Interesse am Studium des Gedankens selbst auf verschiedene Weise lenken.

Wenn dies jedoch die eigentliche Form der guten Führung des Denkens ist, dann geht es nicht um die Wahrheit oder Falschheit der Ideologie, sondern um die Güte oder Schlechtigkeit des Denkens. Mit anderen Worten: Der Grund, warum eine Idee kontrolliert und unterdrückt werden muß, liegt darin, daß die Menschen sie für eine schlechte oder gefährliche Idee halten.

Im wirklichen Leben haben Ideen also einen theoretischen Wert von Wahrheit oder Falschheit sowie einen moralischen Wert von gut oder böse. Das ist klar. Ich würde diese Regelung vom „Wert“ einer Idee unterscheiden und sie den „Charakter“ einer Idee nennen. Für den Charakter eines Gedankens gibt es neben gut und böse auch andere Begriffe wie gefährlich, gemäßigt, reaktionär, radikal und so weiter. Alle Ideen werden in der Realität charakterisiert. Nein, in unserem täglichen Leben wird der Wert von Ideen als Wahrheiten und Unwahrheiten verdeckt und versteckt, und alle Ideen werden immer als Charakter erlebt.

Dabei ist zu beachten, daß der Wert und der Charakter von Gedanken nicht unbedingt übereinstimmen. Gute Gedanken sind nicht immer wahre Gedanken, und „gefährliche Gedanken“ sind nicht immer falsche Gedanken. In unserer Zeit wird die Wahrheit in der Tat oft als gefährlicher Gedanke angesehen: zu sagen, daß ein Mann ein Mann und eine Frau eine Frau ist, oder daß ein leichter Atemwegsvirus nicht die Apokalypse ist – solche Gedanken öffentlich zu bekennen, kann in manchen „elitären“ Kreisen einem gesellschaftlichen Selbstmord gleichkommen.

Im praktischen Leben werden jedoch die Wertmaßstäbe der Ideen verschüttet und nicht erkannt, und die Ideen werden nur ihrem Charakter nach verstanden, und gerade deshalb kommen die Menschen oft sehr leicht auf den Gedanken, daß eine gute Idee sofort eine wahre Idee ist. Es wird ständig, wenn auch unbewußt, gefolgert, daß, weil es ein guter Gedanke ist, er auch wahr sein muß. Das gilt sogar für Gelehrte, deren einziges Anliegen die Wahrheit sein sollte. Sie sind sich oft ihres eigenen Gedankens nicht in Bezug auf seinen Wert als wahr, sondern eher in Bezug auf seinen Charakter als gut bewußt.

Aus diesem Grund verteidigt er seine Ideen umso mehr, je mehr sie theoretisch widerlegt werden, je mehr ihre Fehler theoretisch aufgezeigt werden. Bei dieser Verteidigung fühlt er eine Art moralische Verpflichtung und gerät immer mehr in Erregung. Seine Argumente verwandeln sich in selbstgerechte Empörung. Der Gelehrte entpuppt sich nun als Eiferer. Er betrachtet diejenigen, die eine andere Meinung vertreten, als irgendwie gefährlich, widerwärtig oder unmoralisch.

Erfahrungsgemäß treten Dogmatiker am häufigsten in dieser Form auf. Der Aufschrei ist immer eine Krise der Ideen. Der Krisenschrei der Ideen hat also in Wirklichkeit meist mit dem Charakter des Denkens zu tun. Was in dem Schrei der Krise des Denkens zum Ausdruck kommt, ist nicht etwas rein Theoretisches, sondern der Charakter des Denkens.

Der Charakter eines Gedankens ist ein praktischer Begriff. Er gehört nicht zum Gedanken, insofern der Gedanke ein Gedanke ist, sondern ist eine Bestimmung des Verhältnisses, in dem der Gedanke auf die menschliche Gesellschaft wirkt. Das zeigt sich daran, daß der Begriff von Gut und Böse, den ich zu den Namen des Charakters des Gedankens gezählt habe, ein moralischer und praktischer Begriff ist. Wenn das so ist, dann muß sich die Beschaffenheit der Gesellschaft selbst im Charakter des Denkens widerspiegeln.

Wenn diese Gesellschaft eine Klassengesellschaft ist, wie die Linke und die Marxisten behaupten, dann muß der Charakter des Denkens ein Klassenbegriff sein. Die Klassenstruktur der Gesellschaft ist in eine herrschende Klasse und eine zu beherrschende Klasse geteilt. Und dieses Verhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten bestimmt natürlich Gut und Böse als Charakter des Denkens.

Mit anderen Worten: Eine Idee, die die Interessen der herrschenden Klasse zum Ausdruck bringt, ist als Idee eine gute Idee, während eine Idee, die der beherrschten Klasse dient, als Idee eine böse Idee ist. Mit anderen Worten: Die soziale Überlegenheit einer bestimmten Klasse bestimmt die Überlegenheit der Ideologie dieser Klasse in Bezug auf ihren Charakter. Das liegt daran, daß die Ideologie der herrschenden Klasse die vorherrschende Ideologie ist. Solange die soziale Stellung dieser Klasse stabil ist, wird es also keine ideologische Krise geben.

Bevor ich fortfahre, muß eine Sache in Bezug auf die Klasse geklärt werden. Es ist natürlich keine große Leistung, festzustellen, daß die amerikanischen Eliten einer besonders verderblichen Form der marxistischen Ideologie folgen. Es gibt jedoch eine seltsame Umkehrung ihres Denkens, bei der sich ihre Eliten – Feministinnen und insbesondere ihre Eliten mit nicht-europäischem und zunehmend auch nicht-asiatischem Hintergrund – als die Unterdrückten „identifizieren“, obwohl sie den nationalen Diskurs durch ihren Würgegriff über die Medien einseitig kontrollieren. Das ist zwar eine Abschweifung, aber man muß sie zur Kenntnis nehmen, bevor man weitergeht. Wenn ich von der herrschenden Klasse spreche, meine ich natürlich diese wahnhafte und oft hysterische Klasse von Menschen.

Die Krise der Ideen entsteht, wenn der Konflikt und der Widerspruch zwischen den Klassen in der Gesellschaft so akut werden, daß sie nicht mehr verheimlicht werden können. Zu diesem Zeitpunkt weiß die herrschende Klasse, daß ihre soziale Position unsicher und unbeständig ist, und sie ist gezwungen, das Aufkommen von Ideen, die für sie schlecht sind, direkt als Ideenkrise wahrzunehmen.

Die soziale Krise drückt sich in einer Krise der Ideen aus. Nicht die Ideologie an sich befindet sich in der Krise, sondern die Gesellschaft selbst. Was durch die Ablehnung schlechter Ideen erhalten werden soll, sind nicht die Ideen selbst oder die Wahrheit selbst, sondern die herrschende Klasse selbst.

Die Allgemeingültigkeit von Ideen zu predigen, bedeutet daher, die Ewigkeit dieser Klasse zu behaupten. Daher wird die traditionelle Verteidigung der Ideologie zu einer Verteidigung dieser Klasse. Was in dem Schrei der Gedankenkrise zum Ausdruck kommt, ist die Klasse, nicht der Gedanke selbst. Nein, je mehr die Krise des Denkens herausgeschrien wird, desto leerer wird sie. Das ist so, weil es der Schrei des Klassendogmatismus ist. Und das liegt daran, daß der gute Gedanke nicht mit dem wahren Gedanken übereinstimmt, sondern sich ihm entgegenstellt.

Vom Standpunkt der Ideen selbst sind die Ideen der kritischen Klasse in der Gesellschaft, d.h. der aufstrebenden Klasse, in der Tat kritisch und daher wahrer, und daher kann das Auftauchen schlechter Ideen in der Tat willkommen sein. Doch je mehr die herrschende Klasse in dieser Zeit über die Krise des Denkens lametiert, je mehr sie in eine Krise gerät und je mehr sie sich daher mit allen Mitteln erhalten muß, desto mehr werden die Ideen, die diese Klasse vertritt, auch dogmatisch werden.

Der Dogmatismus hat meistens eine Klassenbedeutung. Aber der Dogmatismus ist an und für sich ideologisch impotent. In der Krise des Denkens muß der Dogmatismus notwendigerweise der dogmatischste sein und wird somit ideologisch impotent, und der Dogmatismus verwandelt sich vom Standpunkt des Denkens selbst in etwas anderes.

Der Dogmatismus, der anfangs auf der Notwendigkeit bestand, das Denken gegen das Denken einzusetzen, appelliert nun, da sich die Krise des Denkens verschärft und eskaliert, an alle praktischen Mittel. Im Dogmatismus wird das Theoretische unweigerlich in das Praktische verwandelt. Diese Verwandlung bedeutet jedoch in diesem Fall die Negation der Theorie selbst. Denn die Krise des Denkens ist im Wesentlichen eine Krise der Klasse. Das liegt daran, daß der Dogmatismus im Grunde auf keiner Idee selbst beruht. So wird die Krise des Denkens zu einer Krise des Denkens selbst, wenn die Negation einer Idee von einer bestimmten Klasse vom Klassenstandpunkt aus praktisch vollzogen wird.

In der Krise des Denkens haben wir den Übergang des Theoretischen ins Praktische gesehen. Zugleich haben wir gesehen, daß sich dort die Negation der Theorie selbst vollzieht. In einem solchen Fall kann das theoretische Bewußtsein nicht mehr nur theoretisches Bewußtsein bleiben. Genau das lehrt die Wendung von der Theorie zur Praxis im Dogmatismus.

Die Auffassung, daß die Trennung von Praxis und Theorie der Grund für die Aufrechterhaltung eines rein theoretischen Bewußtseins ist, kann in einer Krise des Denkens in keiner Weise ein realistisches theoretisches Bewußtsein sein. In einer Krise des Denkens ist es diese Auffassung, die das theoretische Bewußtsein selbst abtötet. Sie ist dann für das Denken selbst eher ein „gefährlicher Gedanke“. Ich möchte hier ein oder zwei Dinge erwähnen, die sich als eine solche unrealistische Idee der Krise manifestieren.

Eines davon ist der Formalismus. Dieser findet sich sowohl bei den „Linken“ als auch bei den so genannten „Konservativen“, die von diesen Linken als seriös angesehen werden wollen. Die Formalisten sind der Meinung, daß Theorie als Theorie immer formal ist. Daher kann es keine Hierarchie geben. Sie suchen nach einer Theorie, die über die Klasse hinausgeht. Solange aber die Theorie als realistische Theorie mit der Gesellschaft in Kontakt steht und mit ihr arbeiten kann, wird sie in der gegenwärtigen Gesellschaft immer einen Klassencharakter haben, weshalb sie bewußt eine unrealistische Theorie suchen. Und sie verleihen der Unwirklichkeit ihrer Theorien schöne Etiketten, wie etwa die Allgemeingültigkeit.

Sie behaupten zum Beispiel, logisch beweisen zu können, daß es eine allgemeingültige Wahrheit gibt – der Relativismus ist ein Selbstwiderspruch, denn damit der Relativismus überhaupt einen Sinn hat, muß dieser Anspruch selbst absolut sein. Daher gibt es mindestens eine absolute Wahrheit.

Formal läßt sich also die Allgemeingültigkeit der Wahrheit beweisen. Es gibt eine absolute Wahrheit, aber damit ist es auch schon getan. Wir wollen wissen, was diese Wahrheit inhaltlich ist. Der Formalismus bereichert unsere Erkenntnis nicht, indem er Formalität predigt, sondern er verarmt sie, indem er auf Formalität besteht. Der Formalismus befiehlt uns meist, unsere kognitive Tätigkeit einzustellen. Er befriedigt also nicht unser konkretes theoretisches Bewußtsein, und in Zeiten der Krise der Ideen spielt er eine reaktionäre Rolle, indem er die Logik ist, die unsere Erkenntnis verarmt.

Die andere ist natürlich der „Liberalismus“ oder die „Linke. Die Liberalisten unterscheiden heute zwischen Handlungs- und Forschungsfreiheit und sind der Ansicht, daß die Freiheit des Denkens und der Forschung gewährt werden kann, nicht aber deren Umsetzung in die Praxis. Aber kann ein solcher Liberalismus in der heutigen Gesellschaft wirklich durchgesetzt werden?

Nehmen wir an, dass das Studium „gefährlicher Ideen“ frei ist und daß ein Mann diese Ideen studiert, aber kein Unternehmen und schon gar keine Universität ihn einstellen will, weil er ein Forscher gefährlicher Ideen ist. Die Freiheit der Forschung bedeutet für ihn die Freiheit der Armut. Die Freiheit der Forschung wird ihm durch die Freiheit des Handelns auf Schritt und Tritt verwehrt. Um Handlungsfreiheit zu erlangen, muß er die Freiheit der Forschung verleugnen. Nein, der Liberalismus kann in einer Klassengesellschaft nicht real existieren.

In einer Krise des Denkens kann das theoretische Bewußtsein nur in Verbindung mit der Praxis real sein. Die Praxis ist natürlich nicht die bloße Negation der Theorie; sie ist der Gedanke des Dogmatikers. Die Praxis muß zur Theorie erhoben werden; die Theorie muß zur Praxis vertieft werden, und so muß es eine dialektische Einheit von Theorie und Praxis geben.

Ein theoretisches Bewußtsein, das auf der dialektischen Einheit von Theorie und Praxis beruht, ist das einzig wahre theoretische Bewusstsein in einer Krise des Denkens. Ein solches theoretisches Bewußtsein ist jedoch in einer gesellschaftlich gefährdeten Klasse, nämlich der herrschenden Klasse, nicht mehr zu erlangen. Sie sind nicht in der Lage, dialektisch über die Krise zu denken, weil sie gezwungen sind, sie als absolute Krise zu akzeptieren. Diejenigen, die die Krise dialektisch erfassen und in ihr eine Vision der zukünftigen Entwicklung erkennen können, sind die aufstrebenden Klassen, denen die Zukunft versprochen ist.

Laßt uns siegreich aus der Dekadenz und den Lügen hervorgehen und uns dem „gefährlichen Denken“ zuwenden.

Es bedarf der Unerschrockenheit, um das Herz in den Zeiten der Verschwörungen zu wahren, während die Tapferkeit allein ihm die nötige Kraft in den Gefahren des Krieges geben kann. (François de la Rochefoucauld)

 

Quelle: https://arktos.com/2023/06/28/the-crisis-of-free-thought/

 

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