Dr. Carlos Dufour

 

Sollen Nationalisten sich „Rechte” nennen oder ist schon der Name verkehrt? Kluge Menschen weichen verbalen Diskussionen aus. Wahr oder falsch sind nur Sätze, schlichte Worte nicht. In der Regel kann sich jeder eine Bezeichnung verpassen oder verabreden, was er mit einem Wort meint. Jedoch innerhalb der Sprache, die nie rein privat ist, drücken Namen einen Sinn aus und rufen eine Atmosphäre hervor; das wirkt sich spürbar im politischen Gefilde aus. Früher sagte man „nomen est omen”, und etwas Wahres ist dran. Ich behaupte, daß man mit der Annahme der Bezeichnung „Rechts“ zugleich ein obsoletes Navigationssystem installiert, das die Praxis ungünstig bedingt und das Denken gewaltig verzerrt.

Von der Alltagsprache zum Tanz der Vampire

Verwendet man die Adjektive „rechts”, konservativ usw. nach dem alltäglichen Sprachgebrauch, also direkt und unverblümt, gibt es da nicht viel zu philosophieren. In jeder Gesellschaft, von Indianerstämmen bis zur BRD, bilden die Menschen Schichten einer Sozialpyramide: viele Individuen stehen unten, wenige oben. Da jeder Mensch über seine Position früh genug Bescheid weiß, nimmt er zugleich die Interessenkonflikte wahr.

Laut Umgangssprache ist ein ›Rechter‹ dasselbe wie ein ›Konservativer‹, nämlich einer, der sich für die Interessen der oberen Hälfte einsetzt. Selbstverständlich gebrauchen manche das Wort in einem anderen Sinn – aber bleiben wir kurz bei der ungehobelten Alltagssprache.

Aristoteles konnte sich in seiner Politik die beißende Bemerkung nicht verkneifen, eine wahre Demokratie sollte die Regierung der Proletarier sein, da diese doch wohl die Mehrheit jedes Staates ausmachen. In einer modernen, nur repräsentativen Demokratie, taucht der politische Vertreter als wesentliche Komponente auf. Und der Vertreter – dies ist trivial, aber wichtig – gehört fatalerweise zu den Privilegierten, allein dadurch, daß er zum Vertreter auserkoren wurde. Es ist, als ob sich ein Vampirjäger, der in die Nähe seines Ziels kommt, in einen Vampir verwandelt müßte. Das Dorf hofft auf van Helsing – der endet tanzend mit Dracula.

Ein Rechtsanwalt erlebt keine Metamorphose, wenn er diesen oder jenen Mandanten vertritt; er hat auch in der Regel keinen Anlaß, die Interessen seines Mandanten zu verraten. Wird jemand aber zum demokratisch legitimierten Vertreter der unteren Hälfte, gehört er nicht mehr zu dieser Schicht; er gibt vor, Interessen zu vertreten, die nicht mehr die eigenen sein können. Er kann aus lauter Idealismus gegen sein eigenes Interesse handeln, aber die Wahrscheinlichkeit ist eher gering; daher das Mißtrauen bezüglich dieser Zeremonien. Dazu kommt noch der schwerwiegende Umstand, daß die unteren Schichten ihre Vertreter weder leicht kontrollieren, noch sie effektiv und geschwind beeinflussen können; anders ist es, wenn man zu einer bedeutenderen Gruppe gehört.

Schroff, wie dies zunächst klingen mag, liegt darin doch die Garantie der Stabilität eines demokratischen Systems, der Ausweg aus Aristoteles‘ Witz und die Erhaltung des sozialen Friedens. Daher jener anonyme Spruch, der demokratische Politik als Kunst definiert, sich zugleich die Gelder der Reichen und die Stimmen der Armen zu besorgen, indem man der einen Gruppe versichert, sie vor der anderen zu schützen.

Niemand sollte sich über die übliche Wahlenthaltung wundern, vielmehr darüber, daß noch so viele Wähler übrigbleiben. Bis hier, wohlgemerkt, sprach die rauhe Stimme der Alltagssprache. Dagegen kann man einwenden, daß „Rechts” nicht auf diese vulgär-ökonomizistische Art verstanden werden darf, sondern eine vielschichtige, politische und weltanschauliche Bedeutung hat. Da ein solcher Herold der ›Rechten‹ die Zone der Alltagsprache verläßt, ohne ins Wissenschaftliche vorzudringen, muß er sich ein paar philosophische Untersuchungen gefallen lassen.

Wie politische Bezeichnungen sein sollen

Eigennamen deuten nur auf etwas hin, allgemeine Namen drücken einen Inhalt aus. Die politische Bezeichnung liegt irgendwo in der Mitte. Im Idealfall sollte sie kurz, anschaulich und orientierend ausfallen, damit jeder den Namensträger findet. Die Kürze leuchtet ein: es gab einmal eine Schill-Partei mit anfänglichen Erfolgen – eine Marie-Agnes-Strack-Zimmermann-Partei klingt unwahrscheinlich.

›Grüne‹ und ›Linke‹ sind kurz und prägnant. Zum Teil geschieht Ähnliches mit „Rechts“: das ist nur eine Silbe, während das Wort „Nationalismus“ ganze fünf Silben benötigt. Ja, der Name „Rechts“ ist kurz, aber hier enden wahrscheinlich seine Vorzüge.

Wer deutsche Texte für politische Zeitschriften übersetzt, muß damit rechnen, daß der aufmerksame Herausgeber beim ersten Vorkommnis des spanischen „derecha“ sofort eine Fußnote setzt und den Leser warnt, daß dieses Wort auf deutsch eine besondere Bedeutung hat, die nicht mit dem „rechts“ der Umgangssprache gleichzusetzen ist. Namen wie Konservativ, Rechts usw. sind wesentlich ergänzungsbedürftig, man erwartet die Angabe von etwas, was man konservieren will oder von etwas, wovon man rechts liegt. Wenn der jeweilige Kontext dies nicht erledigt, gerät man ins Grübeln. Der Übersetzer soll die Wörter ersetzen und die Begriffe erhalten, aber manchmal gerät sein Glaube ins Wanken. Die Mühen beim Übersetzen liefern ein Indiz dafür, daß etwas da nicht stimmt.

Rechtsbegriff: vom CDU-Partner zum Parasiten der Linken

Einen Nachteil des Namens „Rechts” erkennt man schon darin, daß er erst durch ein Gegenteil verstanden wird. Die Vermutung drängt sich also auf, daß der politische Hauptfeind der ›Rechten‹ eben die ›Linken‹ sind. Eine leichtsinnige Taufe und, schwuppdiwupp, ist man zu der undankbaren Rolle verdammt, eine Koalition mit der CDU anzustreben! Die CDU, da nicht „links”, wäre auch „rechts”, bloß nicht „rechts“ genug, aber man sollte sie nicht brüskieren. Die Idee der Politikfähigkeit könnte z. T. aus diesem semantischen Unfall entsprungen sein.

Ein weiterer Nachteil der Bezeichnung kommt von einer inhaltlichen Armut, die sich zusammen mit der Entgegensetzung einschleicht. Während jeder ›Linke‹, gleichgültig wo, einen Bezug auf die Lehren von Karl Marx und die historische Erfahrung des Sozialismus zugibt, fehlt es den ›Rechten‹ an einem gleichgewichteten Bezugspunkt, sei es in puncto Ideen oder Geschichte. Viele Autoren zählen als „rechts” – aber sie sind einfach zu heterogen. Sollte sich der Rechte in erster Linie auf Edmund Burke berufen? Auf den heiligen Thomas von Aquin? Auf alle Autoren, die Armin Mohler unter dem Begriff der ›Konservativen Revolution‹ zusammengepackt hat? Oder denkt er gar an einen Julius Evola?

Will man einen geschichtlichen Bezugspunkt finden, wird die Aufgabe noch brenzliger. Als die ›Rechten‹ ihr Selbstverständnis aus Thron und Altar ableiteten und auf einen Graf Metternich blickten, also auf eine Reaktion gegen die ›Französische Revolution‹, erfolgte zweifellos eine Positionierung, aber dieser Kontext verschwand mit der Restaurationszeit. Die nationalen Bewegungen im Europa der 30er Jahre lassen sich nicht ohne Gewalt in das Schema links/rechts pressen; José Antonio Primo de Rivera verwendete unermüdlich die Losung „Weder Linke noch Rechte!“, da diese Alternativen das Vaterland wie Einäugige betrachteten; folglich fehlt auch ein Bezugspunkt von dieser Seite.

Ein Ersatzkontext ergab sich in Zeiten des Kalten Kriegs, wo sich das „Christliche Abendland”, angeführt von den USA, nach außen gegen die Sowjetunion wehrte und nach innen sozialistische Bewegungen unterdrückte. Da war es für eine Weile klar, was „rechts” bedeutete – aber vermutlich ist es nicht das, was ein Nationalist meint, wenn er sich heute „rechts” nennt. Es wäre schon schiere Sprachakrobatik, derzeit „rechts” durch den Kampf gegen den „internationalen Terrorismus“ auszuzeichnen oder den Islamismus als Bolschewismus des 21. Jahrhunderts zu stempeln.

Angesichts dieser Lage, läßt sich die Folgerung kaum abwenden, daß das Wort „Rechts” auf einer leeren Negation beharrt, die nur als Parasit der linken Positionen weiterleben kann. Etwa: Rechts ist, was nicht Links ist – wobei man „links” als semantischen Joker ausspielt. Als Munier seine Zeitschrift ›Zuerst‹ inaugurierte, definierte er seine Position so: „Eines steht fest, links sind wir nicht“. Ob so eine Orientierung genügt?

Rechtsbegriff: Unvollständig bis Widerspruchsvoll

Prüfen wir weiter, was unter „Rechts“ zu verstehen ist. Es scheint unmöglich, eine kongruente Position zu entwerfen, welche die erwarteten Züge von rechts/links kohärent aufweist. Es gibt etliche inhaltliche Bestimmungen, die eher „rechts” oder eher l„inks” geortet werden, aber eben das ist Teil des Problems: der Term wirkt lokal sinnvoll, global sinnlos. Das heißt, man ist in einem vertretbaren Sinn „links” oder „rechts” bezüglich einer jeweiligen Thematik, aber nicht bezüglich aller. Und es gibt Themen, wo weder „links” noch „rechts” eine Bedeutung ergeben.

Links/Rechts suggeriert eine eindimensionale Skala, ein Lineal mit zwei Extremen und lediglich mehreren Zwischenstufen. Will man navigieren, wäre ein solches Instrument unbrauchbar. Nötig ist hier ein Kompaß mit seinen unendlich vielen Durchmessern – hier die vielen Hinsichten und Themen. Die Skala Links/Rechts ist also zuallererst unvollständig.

Man betrachte die Frage einer zinslosen Wirtschaft, so wie sie Silvio Gesell befürwortet hat. Ist diese Forderung ”links” oder „rechts”? Anscheinend besteht kein Grund, sie „rechts” oder „links” zu plazieren. Und was ist mit der Liberalismuskritik, wie sie Alasdair McIntyre und andere unter der Bezeichnung ›Kommunitarismus‹ geübt haben? Sie läßt sich weder „rechts” noch „links” einsortieren. Es wäre lächerlich zu sagen, daß die philologische Bibelkritik „links” sei, weil sie die Fundamente der Religion erschüttert. Und ist schließlich die Globalisierung „rechts” oder „links”? Unmöglich zu sagen. Somit ist das Schema unvollständig und zwar in weltanschaulich relevanten Hinsichten. Der Nationalismus schneidet da etwas besser ab.

Die Unvollständigkeit ist vielleicht noch zu verkraften, da alle knappen Bestimmungen etwas weglassen müssen, aber wie steht es mit der Kongruenz? Man betrachte die Idee, daß der Mensch hauptsächlich durch die Umwelt bestimmt wird, nicht durch die Herkunft. Hier haben wir es mit einer musterhaft „linken” Idee zu tun. Wenn Kinder unterschiedlich starke Leistungen erbringen, haben demnach ihre Anlagen gar nichts damit zu tun: Entweder ist der Lehrer befangen, das soziale Umfeld dürftig, oder sonst etwas an der Umwelt falsch.

Aber andererseits war der Materialismus für die ›Linke‹ maßgebend, so daß Darwins Lehren, welche die Entstehung der Arten erklärt, auch für die Entstehung der Rassen gelten sollten. Aber wie? Wer von genetischen Unterschieden und Anlagen spricht, darf kein ›Linker‹ sein. Daher waren die Sozialdemokraten im Fall Ernst Haeckels fassungslos und gespalten; es fehlte nicht an kurzweiligen Kontroversen. Umgekehrt war die Rechte traditionell gegen den Materialismus gestimmt, somit sollte sie also gegen Evolutionstheorie und Rassenlehre sein. Aber fällt dann nicht die Grundlage für das Abstammungsprinzip weg? Wir sehen hier Beispiele von Einstellungen, die sowohl „rechts” wie „links” wären, was die ganze Klassifizierung inkongruent macht.

Auch die Treue zum Westen gehörte einmal zum rechten Repertoire. Aber der letzte nennenswerte Vertreter der ›Rechten‹, Alain de Benoist, erklärte zu Zeiten Reagans, daß bei einer bewaffneten Konfrontation zwischen USA und Sowjetunion sich Europa für die Sowjetunion entscheiden sollte. Wie ist dies zu verstehen, wenn die Klassifikation kongruent wäre? Vielleicht war jene französische „Neue Rechte“ von Anfang an ein neues Oxymoron: Im Adjektiv will man neu sein und gleich danach, im Substantiv, fällt man in ein altes Schema zurück.

Guillaume Faye wagte einmal von einem ›Archäofuturismus‹ zu schreiben, der in sich Evola und Marinetti vereinigen sollte. Wir können der Idee beipflichten, sie aber weniger provinziell gestalten: Die große archäofuturistische Aufgabe wäre, eine Synthese von Darwin und Nietzsche zu schmieden, Archäologie der Natur und Archäologie der Kultur. Gleichgültig, wie weit sich das Projekt ausführen ließe, wäre es Unsinn, dieses Vorhaben als „rechts” oder „links” einzuordnen.

Fazit: Es wurde hier belegt, daß die Bezeichnung „Rechts“ irreführend wirkt. In der Alltagsprache besitzt das Wort untragbare Konnotationen. Beim Verlassen der Alltagssprache wird der Rechtsbegriff zum Parasitär seines Gegensatzes – weltanschaulich leer, in relevanten Hinsichten unbestimmt, in globalen Anwendungen inkongruent. Kaufmännisch kurz und für die Marketingabteilung formuliert: „Rechts“ gehört heute zu den Begriffen in Bankrott, warum weiter in ihn investieren?

Oder kurz und vornehm, wie ein Herr Konfuzius einmal sagte: wo die Wörter nicht stimmen, können die Taten nicht gedeihen.

Nietzsche begreifen

Richtlinien zum Kulturkampf

Ein Elementarereignis: Schulers Opus Magnum

Die Systemfrage