Paul Krannhals

 

In der Schöpfung wahrer Volksgemeinschaft, einer festgegründeten Volksseele, die in ihrer reichen organischen Gliederung doch die einheitliche Richtung des Charakters offenbart, sehen wir so unsere erste große gemeinsame Aufgabe. Gleich wie sich nun das Volk als Seele des Staates in der organischen Verbundenheit mit seinem Lebensraum den Heimatboden zum Staatskörper gestaltet, wird es selbst von ihm bestimmt, erhält es in der Bestimmung durch den Charakter der Heimat, seiner seelischen Unwelt, eine besondere Prägung. Je inniger sich nun diese Wechselwirkung, diese organische Verbundenheit von Körper und Seele im Laufe der Zeiten gestaltet, um so ausgeprägter kündet auch der hierin zum Ausdruck kommende Staat seinen Charakter als Lebensform.

Die nordische Landschaft mit ihren weiten schweigenden Ebenen, den zerklüfteten Bergen und Tälern, den trutzigen Wolkenburgen, den dunklen Wäldern, in deren Erlebnis die Gotik schon in der Kunst der alten Germanen erwachte — sie ist unsere ›stilbestimmte seelische Umwelt‹. Ihr Lebensstil, ihr Charakter ist auch unser Lebensstil, unser Charakter, die wir mit ihr verwurzelt sind. „Der Leib ist die Erscheinungsform der Seele, die Seele der Sinn des Leibes“, sagt Ludwig Klages. So soll auch die gestaltete nordisch-deutsche Landschaft, der deutsche Staatskörper, die Erscheinungsform der deutschen Seele sein, soll in der Offenbarung der deutschen Seele seinen Lebenssinn erhalten. Vom Erlebnis dieser organischen Verbundenheit zwischen der deutschen Volksseele und ihrer Heimat müssen wir ausgehen, um das lebendige Werden und Wachsen des Staatswesens als Ausdruck dieser wachsenden, sich organisch gliedernden und differenzierenden Einheit zu begreifen.

Der einheitliche Stil der deutschen Landschaft, die einen Bestandteil der nordischen Landschaft überhaupt bildet, wird uns besonders eindringlich bewußt, wenn wir uns — von Rußland abgesehen — den Wesensunterschied zwischen dem „Abendlande“ nördlich der Alpen und Pyrenäen und den europäischen Mittelmeergebieten verdeutlichen. Die geologische wie klimatische Zweiteilung Europas tritt uns hierbei plastisch vor Augen.

Hier das nördliche Schollenland, die Herbheit und Raumtiefe des Abendlandes, das geheimnisvoll individualisierende Helldunkel der rauhen Heimat der nordischen Rasse, das die feuchten, vom Golfstrom erwärmten Westwinde beherrschen, die ostwärts bis zum Peipussee und zum Dnjester hin wirken und hier das Abendland vom asiatischen Rußland natürlich abgrenzen.

Dort das mittägliche Faltenland, die Heimat des brünetten westichen Menschen, eine milde, heitere, licht- und sonndurchglühte Landschaft, immer greifbar nah, gleichsam nackt daliegend, immer öffentliches Schaustück voll prangender Pracht, ein einziges großes ›forum romanum‹. Nordisches Abendland und westisches Mittagland sind einander durch die Jahrtausende fremd geblieben, körperlich wie seelisch. Teutoburger Wald, Canossa, die deutsche Glaubensspaltung, die gallische Erbfeindschaft, die sich im Weltkrieg nicht das letzte Mal entlud, sind allbekannte Zeichen ihres inneren Widerstreits bis auf den heutigen Tag. Gerade im Bewußtsein dieses ewigen Widerstreits wird uns der einheitliche Lebensstil unserer Heimat immer wieder zum Erlebnis.

Diese Einheitlichkeit hindert aber nicht die reiche organische Ausgliederung unseres Heimatbodens in unterschiedliche Gaue, deren natürliches wie kulturelles Gepräge wiederum die Individualität der in ihnen wurzelnden Stämme widerspiegelt: der Friesen und Sachsen, der Franken und Thüringer, der Alemannen und Bayern und schließlich auch der Neustämme im deutschen Osten. Ja, der abwechslungsreiche Charakter der Bodengestaltung unserer Heimat durchbricht auch die einzelnen Gaue und offenbart sich auch hierin als die Erscheinungsform der deutschen Volksseele, als das landschaftliche Gegenbild des stark ausgeprägten Individualitätsbewußtsein des einzelnen Deutschen.

Wohl wird diese lebensvolle Mannigfaltigkeit der Sonderprägungen in Volk und Land immer erneut ein schweres Hemmnis der staatlichen Einmütigkeit sein. Ist diese aber hergestellt, erscheint sie gerade wegen ihrer reichen organischen Ausgliederung zum Größten und Höchsten berufen. Deshalb ist es auch grundfalsch und ein Armutszeugnis der mechanischen Staatsauffassung, wenn wir die Einmütigkeit auf Kosten der freien Entfaltung der Sondercharaktere der einzelnen Stämme in einem mechanisch konstruierten Einheitsstaat zu erreichen suchen. Dieses ist im Gegenteil der beste Weg, die deutsche Volksseele zu entwurzeln, durch fremde Einflüsse, die nicht in ihr Erleben eingehen, zu zerstören.

Der deutsche Einheitsstaat, zu dem Bismarck den lebendigen Keim pflanzte, kann nur dadurch verwirklicht werden, daß sich die in diesem Keim befindlichen Anlagen zum organisch Ganzen des deutschen Staates wachsend weiter fortentwickeln. Die Bürgschaft aber für die Entwicklungsfähigkeit dieser lebendigen Grundlage deutscher Einheit ist der deutsche Gemeinschaftsgeist, ist die Treue als Kern deutscher Wesenheit. (Wundt). Mag diese auch zeitweise in den Hintergrund treten, das Unglück des Vaterlandes, die Notzeiten tiefster Erniedrigung lassen sie immer wieder erstarken, führen uns immer wieder zu jenem trotzigen ›Und dennoch‹ (Nietzsche), das gerade deutsche Wesensart auszeichnet.

Beitragsbild: Gemälde von Konstantin Wassiljew