Dr. Rolf Kosiek

In den letzten Jahrzehnten haben die modernen Wissenschaften, und unter diesen besonders die Naturwissenschaften, eine Fülle von Erkenntnissen gewonnen, die die alten Ideen von Volk und Nation auf eine andere, oftmals rational einsichtigere, manchmal tiefere Weise begründen, als es früher möglich war. Diese Erkenntnisse sind somit nicht völlig neu in ihren Endaussagen, sondern wissenschaftliche Bestätigungen früherer Anschauungen.

So haben vor allem Biologie, Humangenetik, Verhaltensforschung, aber auch Physik und Kybernetik eine große Zahl von Argumenten für nationales Denken erarbeitet, die bisher von der Öffentlichkeit noch kaum beachtet, von den Politikern übersehen oder beiseite geschoben worden sind. Die Naturwissenschaften haben, von einer ganz andern Seite die komplexe Wirklichkeit des Lebens betrachtend, sehr ähnliche Ergebnisse geliefert, wie volksbewußtes Denken aus sicherem Instinkt und richtiger Intuition sie zu allen Zeiten ableitete.

Jede Zeit muß die Begründung ihrer Anschauung in den Formen, aus dem Geist, der Stimmung, dem Mythos dieser Zeit vornehmen, wenn sie wirklich auf der Höhe ihrer Zeit sein will. Zweifellos wird unsere Gegenwart am stärksten von den Naturwissenschaften und der Technik geprägt, und das muß seine Auswirkungen auch bis zur Philosophie und zur Ethik haben. Daß Philosophie und Ethik den explosionsartigen Fortschritt der Naturwissenschaften nicht folgen konnten, ist mehr als eine bedauernswerte Tatsache.

Wenn weltanschauliche oder ethische Ideen auch sicher aus andern Bereichen entspringen als den technisch naturwissenschaftlichen, so hat eine zeitgerechte Darstellung und Begründung im technischen Zeitalter sich doch der Methoden und Ergebnisse der Naturwissenschaften zu bedienen. Letztere können besonders als Scheidewasser wirken, um falsche Lehren durch ihre Verstöße gegen gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zu entlarven. Wenn manchmal zu Recht darüber geklagt wurde, daß nationales Denken bei der Jugend kein Verständnis finde, dann dürfte das mit daran gelegen haben, daß die Begründung nicht aus unserer Gegenwart und ihren Formen heraus erfolgte.

Unser Grundgesetz geht völlig zu Recht vom Volk aus, nicht von einer pluralistischen Gesellschaft. Es war und ist eine intellektuelle Verirrung, beides zu verwechseln oder gar zu glauben, eine aus irgendwelchen rationalen Gründen oder wegen besonderer Interessen sich zusammenschließende Menge von Menschen könne als pluralistische Gesellschaft Grundlage eines Staates sein.

Volk und Gesellschaft sind Begriffe auf zwei ganz verschiedenen Ebenen. Nur der erhebliche Bildungsverlust und die Bewußtseinsverengung der letzten Jahrzehnte konnten dazu führen, beides undifferenziert zusammenzuwerfen und damit den Wunsch der Umerzieher nach Zerstörung des Volkes zu erfüllen.

Richtig ist, was der schwedische Staatsrechtler Rudolf Kjellén bereits 1917 schrieb:

Die Gesellschaft ist demnach eine reale Vielfalt sich widerstreitender Interessen, während das nationale Volk eine natürliche Einheit gleichartiger Individuen ist. Die Gesellschaft ist ein arbeitendes Glied der Kulturwelt, während die Nation eine physische Art der Menschheit ist. Die Gesellschaft ist die letzte Generation selbst in ihrer lebenden Welt wechselnder Interessen, indes die Nation ein fortlaufender Zusammenhang zwischen den Generationen ist.[1]

Das Volk umfaßt also viele Gleichartige, verschiedene Individuen von gleicher Art, die vielseitige, zum Teil sich widersprechende Interessen haben. Das Entscheidende dabei ist bei aller Verschiedenheit der speziellen Interessen die Gleichartigkeit in der Grundanschauung. Das Volk ist damit mehr als die Summe der Einzelnen, als eine zufällige Gesellschaft.

Es ist eine neue Größe, es ist keine Menge mehr. Es ist eine neue Qualität, statt einer zusammengewürfelten Quantität. Es ist ein Ordnungsgebilde höherer Ordnung, organisch in langen Zeiten gewachsen und aufgebaut mit sowie gekennzeichnet durch arteigene Gesetze und Bedingungen.

Der Philosoph Nicolai Hartmann, durch Konrad Lorenz jetzt als einzig richtiger Deuter eines naturwissenschaftlichen Weltbildes bestätigt[2], schreibt dazu:

Und nicht der Mensch allein umfaßt alle vier Seinsschichten. Auch von der Gemeinschaft und vom Geschichtsprozeß gilt ein gleiches. Die Einheit eines Volkes ist verwurzelt in der organischen Stammeseinheit. Auch die rassisch gemischten Völker entbehren einer solchen nicht ganz. Und stets beruht sie auf der erblichen Erhaltung des Typus im Wechsel der Generationen, wobei durch ständige Vermischung der Anlagen der Ausgleich im ganzen gewährleistet ist.[3]

Zu den gleichen Erkenntnissen kommt die moderne Biologie. Sie hat, von der Physik angeregt, durch die Einführung des Denkens und Beschreibens in Systemen einen ungeheuren Fortschritt erlebt. Der Begriff des Fließgleichgewichtes eines offenen Systems, besonders von dem Österreicher Ludwig von Bertalanffy [4]untersucht und verbreitet, hat sich für alle Bereiche des Lebendigen bewährt und ist zu Recht auch auf die sozialen Gruppierungen des Menschen angewendet worden. Wir erleben hier ein Beispiel dafür, daß nach der überwiegend analytischen, zergliedernden, damit oft Wichtiges zerstörenden Betrachtungsweise der letzten zweihundert Jahre nun auch in der Wissenschaft stärker die synthetische, ganzheitliche, die Teile als Funktionsgrößen oder Organe eines Systems ansehende Methode benutzt wird.

Zwei Beispiele, eines aus dem anorganischen und eines aus dem biologischen Bereich, mögen das veranschaulichen. Die Elemente Wasserstoff und Sauerstoff haben jeweils bestimmte Eigenschaften. Ihre Atome oder Moleküle können sich mischen, ohne ihre individuellen Eigenschaften aufzugeben. Die Mischung hat keine neuen Eigenschaften, sondern ist aus ihren Komponenten verstehbar. Wenn dagegen sich Wasserstoff und Sauerstoff in einem ganz bestimmten Verhältnis (2:1) zu Wasser verbinden, entsteht ein neuer Stoff mit ganz andern Eigenschaften und Bedingungen. Das System Wasser ist keine Mischung mehr. Dennoch verlieren die Wasserstoff- oder Sauerstoffatome in der Verbindung ihren individuellen Charakter nicht ganz; die Verbindung kann wieder in ihre Bestandteile zerlegt werden. Das Molekül Wasser ist ein höheres System als die Mischung beider Atomarten.

Ebenso ist ein Wald nicht die Summe seiner Bäume, Sträucher, Pflanzen, Tiere usw. Der Wald ist eine Lebensgemeinschaft vieler Individuen, die durchaus ihren Einzelcharakter noch haben, jedoch in dem Gleichgewichtssystem des Waldes zu neuen, dem Wald eigenen Eigenschaften und Bedingungen führen, die aus denen der Einzelmitglieder nicht erklärbar sind.

Und genau so ist ein Volk nicht eine Menge unter irgendeinem Interesse oder zu irgendeinem Zweck vereinter Menschen, sondern ein in langen Geschichtsepochen gewachsenes offenes Gleichgewichtssystem, ein offenes Verbundsystem, offen für die Wechselwirkungen mit seinen Nachbarn bei dennoch deutlicher Abgrenzung von diesen. Volk ist damit ein von der modernen Biologie und Anthropologie anerkannter natürlicher Gruppenbegriff. Unter seinem Dache ist für die pluralen Interessen der verschiedenen, aber gleichartigen Bürger genügend Platz.

Und wie die belebte Natur überall offene Systeme aufweist im Gegensatz zu den abgeschlossenen der anorganischen Bereiche in Physik und Chemie, so sind die offenen soziologischen Systeme die lebens- und menschenrichtigen, wohingegen die durch Mauer und Stacheldraht abgeschlossenen die lebensfeindlichen, reaktionären sind.

Ein Weiteres kommt hinzu. Biologische Systeme sind in der Zeit. Der Wald überdauert das Absterben einzelner Tiere und Pflanzen, ist nicht nur Gegenwart, sondern ist und verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Gesellschaft mit ihren augenblicklichen Interessen ist nur Gegenwart, ein Volk dagegen hat Vergangenheit und ist auf die Zukunft ausgerichtet wie ein biologisches System.

Wieder sei Rudolf Kjellén angeführt:

Hier stoßen wir nun auf eine große wichtige Beobachtung. Wenn der Staat mit seinem Volke eines ist, ist er es nicht nur mit den Individuen, die in einem gegebenen Augenblick seinen Raum ausfüllen und an seinen Werken tätig sind. Der aus Menschenstoff bestehende Grund, der ihn trägt, ist beständig im Weggleiten begriffen. Der Staat ist eins mit allen Generationen, den lebendigen sowohl wie den noch ungeborenen und den Toten, gleichwie ein Baum mit seinen Blättern in allen Jahrgängen. Das ist die erste Folge einer organischen Auffassung dieses Punktes.[5]

In diesem Zusammenhang verweist Kjellen auf Adam Müller, den großen Staatsrechtler zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, für den das Volk die „erhabene Gemeinschaft einer langen Reihe vergangener, jetzt lebender und künftiger Generationen“ ist.
Nur der Mangel jedes Geschichtsbewußtseins und naives In-den-Tag-Hineinleben können diese naturgegebene geschichtliche Dimension des Volkes vergessen und die allein gegenwartsbezogene Gesellschaft an die Stelle des in der Folge der Generationen angelegten Volkes setzen.

In Kjelléns Definition des Volkes klingt noch ein Drittes an, die Gleichartigkeit der im Volk natürlich vereinten Individuen. Hier wird die biologische Dimension des Volkes angesprochen als eines zwar offenen, aber doch über viele Generationen durch Sprach- und Sittenbarrieren abgegrenzten genetischen Sammelbeckens oder Erbdepots angesprochen.

Die moderne Biologie und Vererbungslehre haben in den letzten Jahrzehnten die Bedeutung der Erbfaktoren für körperliche, geistige und seelische Eigenschaften und Merkmale des Menschen zweifelsfrei aufgezeigt und damit deutsche Forscher aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts bestätigt[6].

Alle erregten Angriffe der Linken und Liberalen in Ost und West können die gesicherten Erkenntnisse von der erblichen Bedingtheit der meisten menschlichen Merkmale nicht mehr hinwegschaffen. Es gibt statistisch nachweisbar den Volkscharakter, das Volksmerkmal, die Volkseigenschaft, die im einzelnen Individuum natürlich mehr oder weniger stark ausgeprägt angetroffen wird. Von der Tatsache, daß es den typisch Deutschen als lebenden, vorzeigbaren Menschen ebensowenig gibt wie den typischen Franzosen oder Engländer, schließen zu wollen, daß es deswegen keine volklichen Merkmale und Eigenschaften gibt, bedeutet, an dem in der Physik wie in der Biologie gleich bedeutend gewordenen Begriff der Komplementarität[7] vorüberzugehen. Gesicherte Erkenntnis ist dagegen heute:

Alle biologischen Phänomene sind grundsätzlich (nicht nur vorläufig) statistischer Natur.[8]

Es ist geradezu das Wesen derartiger Begriffe, daß die Merkmale des einen umso unschärfer werden, je genauer die des andern betrachtet werden. So ist es auch beim Volk und dem Individuum. Beide haben ihre Merkmale, nur nicht gleichzeitig von einem Standpunkt aus scharf erkennbar.

Es gibt zwar wohl kaum noch reinrassige Völker oder reinrassige Menschen, dennoch können von der Anthropologie klare völkische oder rassische Aussagen auf statistischer Grundlage getroffen werden, auch was das Gehirn und seine Funktionen und damit das typisch menschliche Organ betrifft. Schon lange wissen die Biologen, daß eine Art oder Rasse im Tierbereich oftmals genauer durch ein besonderes Verhalten als durch körperliche Merkmale zu kennzeichnen ist. Nach R. von Wettstein besteht eine Art aus Individuen, die „in allen dem Beobachter wesentlich erscheinenden (!) Merkmalen” übereinstimmen[9]. Daß fließende Grenzen existieren, ist dabei ein allgemeines Merkmal biologischer Phänomene.

Damit drückt die neue Biologie den alten Gedanken Herders, daß die Völker Gedanken Gottes seien, modern aus. Für sie sind die Völker Grundelemente der Evolution, genetische Fließgleichgewichte, natürliche Systeme.

Auch die Gemeinschaftsarten des Menschen sind nur synthetisch begreifbare Überformungen.[10]

Die moderne Naturwissenschaft rechtfertigt somit voll die Aussage der alten französischen Staatslehre, die das Volk als das „heilige Depot der Generationen” auffaßte.

Das, was das Volk über die Menge erhebt, was ihm neue Qualität gibt, was wir Volkstum nennen, was GoetheVolkheit‹ nannte, ist damit biologisch als zur Natur des Menschen gehörend begründet, ist die Triebkraft und der notwendige Nährboden für Kultur und die volle Verwirklichung des Einzelnen.

Die moderne Tiefenpsychologie hat die Existenz des kollektiven Unterbewußtseins oder Unbewußten herausgearbeitet, eines Bereiches neben dem Rationalen, der sich gerade für das Verhalten und Handeln als sehr bedeutsam herausstellte[11]. Die Strukturen und Inhalte dieses Bereiches sind weitgehend erblich bedingt, stammesgeschichtlich in Jahrzehntausenden gewachsen und in vielem volkstypisch. Religiöse Ideen, Kunstvorstellungen, Schönheitsideal und andere seelische Regungen wie die Einstellung zur Natur, zum Wald, zum Garten usw. gehen vielfach darauf zurück. Die in diesem Bereich auftretenden natürlichen Ordnungsgruppen sind wieder die Völker und Rassen.

In Ergänzung zur Tiefenpsychologie hat die noch junge Wissenschaft der Verhaltensforschung, im vorigen Jahre durch den Nobelpreis an Lorenz, Frisch und Tinbergen geehrt, die Bedeutung instinktiver Handlungsweisen für den Menschen herausgearbeitet. Gerade die Antriebe und Motive für soziales Handeln des Menschen in Familie, Gruppe oder Volk stammen überwiegend aus diesen erbbedingten instinktiven Schichten, für die wieder das Volk als ein über Jahrhunderte relativ abgeschlossenes und konstantes genetisches Sammelbecken sowohl den nötigen Austausch wie die nötige Begrenzung nach außen bietet.

Konrad Lorenz

Besonders Konrad Lorenz hat die Ergebnisse dieser Wissenschaft für die sozialen Bereiche des Menschen herausgestellt[12]. So hat er auf die Bedeutung der Traditionen für die Kultur hingewiesen[13] und das Abreißenlassen der Tradition als eine der „Todsünden der zivilisierten Menschheit” bezeichnet. Die Tradition bedeutet danach für das geistige Leben einer Kultur dasselbe wie die Erbanlagen für die biologische Substanz. Ohne Tradition gibt es kein Weitergeben und kein Weiterleben des geistigen Erbes früherer Generationen. Ohne sie kann sich keine Kultur auf ihrer Höhe halten.

Wenn die äußeren Sicherungen und Stabilisierungen, die in den festen Traditionen liegen, entfallen und mitabgebaut werden, dann wird unser Verhalten entformt, affektbestimmt, triebhaft, unberechenbar, unzuverlässig. . .Und wenn man die Stützen wegschlägt, primitivisieren wir sehr schnell.[14]

Und da allein das Volk Traditionsgemeinschaft sein kann, ist zur Erhaltung der Tradition, die wieder für die Kultur Voraussetzung ist, die Erhaltung des Volkes unumgänglich. Erhaltung des Volkes bedeutet daher Bewahrung der Kultur, wie umgekehrt Volkszerstörer durch Abbau der Tradition zur Barbarei, zur Primitivität, zur Unkultur, zur Verunmenschlichung führen. Traditionsverächter sind somit Schrittmacher der Primitivität, Motoren der Barbarei, Vertreter des Inhumanen. Tradition und Volk gehören unverzichtbar zur Würde und Eigenart des Menschen und sind daher zu bewahren gegen alle Irrlehren unserer Zeit.

Daß ein richtiges Geschichtsbild, insbesondere von der eigenen Vergangenheit, ein wesentlicher Bestandteil der Tradition eines Volkes ist, sei am Rande erwähnt, da von der Entstellung der deutschen Geschichte unseres Jahrhunderts die geistige Not unseres Volkes ausging.

Eine der jüngsten Richtungen der Naturwissenschaften, die Informationstheorie oder Kybernetik, etwa durch Karl Steinbuch [17] vertreten, hat auch wesentliche Aussagen zu Volk und Gesellschaft zu machen.

Es ist offensichtlich, daß ganz allgemein das System am besten funktioniert, daß mit der geringsten Beeinflussung die größte Wirkung erzielt, bei dem also mit minimaler Information die optimale Reaktion bewirkt wird.

Fragt man nun, welche Gruppenstruktur der Menschen für eine moderne Industriegesellschaft der Gegenwart und Zukunft unter dieser rationalen Bedingung die optimale ist, so ist es doch die, bei der die einzelnen Mitglieder am besten aufeinander abgestimmt sind, die sich bei minimalem Informationsfluß am besten verstehen und damit ihre Aufgaben am ökonomischsten lösen können.

Die Abstimmung von Menschen ist allgemein erreichbar durch gemeinsame Sprache, gemeinsame Erziehung, gemeinsame Traditions- und Wertvorstellungen und durch gleichartige Erbfaktoren. Und wenn man alle möglichen Gesellschaftsformen daraufhin überprüft, welche in dieser Hinsicht die optimale sei, so ist es wieder das Volk, die biologisch, geschichtlich und sprachlich gleichartige Gemeinschaft. Daher gilt für heute und sicher auch für die Zukunft: Das Volk als natürlich abgestimmte biologische und geistige Resonanzgruppe ist die optimale und damit ideale Gruppierung von Menschen auch für die hochindustrialisierte und technisierte Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts. Die Technik fordert geradezu die Existenz des Volkes und nationaler Staaten.

Inbesondere vom ökonomischen Standpunkt aus sind für eine Industriegesellschaft die Lösungen des Gesellschaftsproblems, die Liberalismus und Marxismus anzubieten haben, deutlich schlechter; die wirtschaftliche Praxis der Kollektivierungen im Osten wie der Generalstreiks im Westen beweist das schlagend. Oft genug ist betont worden, z. B. von dem kürzlich verstorbenen Heidelberger Staatsrechtler Ernst Forsthoff[16], daß Marx das Wesen der Technik gar nicht verstanden habe und schon deswegen seine Theorie für entwickelte Staaten des technischen Zeitalters nicht annehmbar sei.

Der Unterschied und die verschiedene Bedeutung von Volk und Gesellschaft werden auch durch unsere Sprache sehr fein und deutlich angegeben. Gerade die deutsche Sprache, die feinste geistige und seelische Unterschiede ausdrücken kann, trifft das Entscheidende richtig, und jeder verwendet seine Muttersprache bei richtigem Sprachgefühl auch entsprechend. Unsere Sprache unterscheidet zwischen Gesellschaften und Gemeinschaften. So gibt es etwa Gesellschaften zur Pflege der Musik, für Tierzucht, für Segelsport usw. Demgegenüber stehen als Gemeinschaften die Familiengemeinschaft, die Lebensgemeinschaft, die Volksgemeinschaft, die Frontgemeinschaft. Beide Begriffe sind nicht auswechselbar: Familien- oder Volksgesellschaft klingt komisch und ist ebenso unmöglich wie Karnevalsgemeinschaft. Gesellschaften begegnen uns überall, sie bereichern das Leben, verschönern es, machen es angenehm. Ihre Zwecke sind von Menschen gesetzt, man kann als Mitglied nach freiem Willen ein- und austreten. Man kann auf die Gesellschaften verzichten, sie sind nicht unbedingt lebensnotwendig.

Die Gemeinschaften sind dagegen nach ihrer Art und ihrem Zweck nicht von Menschen gemacht. Man tritt nicht freiwillig in sie ein, sondern wird in sie hineingeboren oder von einem Schicksal in sie hineingestellt. Man hat zwar als Mensch die Freiheit, aus ihnen auszutreten; doch dann verstößt man gegen eine natürliche Ordnung, und meist rächt sich das.

Gemeinschaft, Bildquelle: Fine Art Photographic/Contributor/Getty Images

 

Bei der Gemeinschaft geht es um die Grundfragen des Lebens, um Leben und Tod selbst. Ohne die genannten Gemeinschaften, etwa die Familie, kann ein Kind garnicht, ein Erwachsener kaum leben. Die Aufgaben der Gemeinschaften sind nicht materieller Verdienst oder unterhaltsame Abwechslung wie bei den Gesellschaften. Die Familie hat das biologische und geistige Reifen eines Kindes zu ermöglichen, das Volk hat sein Volkstum zu erhalten und zu entwickeln und daraus die Kultur zu schaffen. Ein Einzelner kann ebensowenig Kultur, Sprache oder Kunst schaffen wie allein ins Leben treten. Und viele Einzelne in einer Gesellschaft vermögen das auch nicht!

Das Volk als Gemeinschaft Gleichartiger umfaßt die zu bestimmten Zwecken und Zielen plural gegliederte Gesellschaft, ist das Dach über den verschiedenen Interessen der Einzelnen. Je verzweigter und differenzierter diese Interessen sind, desto reicher ist die Kultur. Volk und Gesellschaft sind daher keine Gegensätze, wie in der Dialektik des Marxismus, sondern sich ergänzende Gruppierungen auf verschiedenen Ebenen. Eine dieser Ebenen leugnen oder abschaffen zu wollen, bedeutet, die Wirklichkeit vergewaltigen, was zu Mißständen führen muß.

Das biologisch wieder entdeckte System Volk ist daher von der Sprache seit eh und je richtig erkannt und beschrieben worden. Wer die Lebensgemeinschaft wie Volk oder Familie durch zeitlich begrenzte Interessengesellschaften ersetzen will, etwa durch die pluralistische Gesellschaft, durch Kommunen oder „Ehe auf Zeit”, verstößt gegen eine biologisch-soziologische Grundstruktur des Menschen. Viele Intellektuelle, die mit großem Scharfsinn heute versuchen, ihre volks- und familienfeindlichen Vorstellungen zu begründen, gleichen dabei einem Computer, der falsch gefüttert wurde: Sie denken zwar scharf und und logisch, kommen aber zu falschen Ergebnissen, da sie von falschen Voraussetzungen und Grundbedingungen, von einem falschen Menschen- und Weltbild ausgehen.

Mensch und Gesellschaft, Bildquelle: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe

 

Hier muß wieder auf die Ergebnisse der Verhaltensforschung und der Kybernetik hingewiesen werden. Beide Wissenschaften erheben die Forderung, gerade in den komplizierten sozialen und politischen Bereichen des Menschen mehr den Gesamteindruck, den gesunden Instinkt, walten zu lassen als den noch so scharf schließenden Intellekt. Der menschliche Verstand allein ist der komplexen Wirklichkeit nicht gewachsen, zu ihrer Bewältigung bedarf es aller Bereiche des Geistigen, auch der unbewußten, unterbewußten, gefühlsmäßigen. Nur einseitiger Verstandesgebrauch führt dann zu den intellektuellen Verirrungen unserer Zeit wie Ablehnung des Volkes, Bau von Wohnhochhäusern, Errichtung von Schulen ohne Fenster, Abwertung der Muttersprache, Gleichsetzung von Mann und Frau usw.

Ein wesentliches Kennzeichen eines Volkes, besonders eines Kulturvolkes, ist seine Sprache. In ihr lebt bereits ein großer Teil der Tradition eines Volkes und einer Kultur. Es ist eine typische intellektuelle Verirrung, die Sprache als reines Verständigungsmittel, als „Kommunikationsmedium”, zu betrachten und dann die Abschaffung der Muttersprachen zugunsten einer Verkehrssprache zu fordern, etwa des Esperanto für ganz Europa, damit in Zukunft keine Kriege mehr entstehen.

Daß die Sprache kein reines Informationsmedium ist, geht schon daraus hervor, daß jede Kultursprache sich bis heute und sicher auch für alle Zeiten mit Erfolg einer computermäßigen Erfassung widersetzt hat. Alle Versuche, mit Robotern nur mäßig anspruchsvolle Sprache oder gar dichterische Erzeugnisse zu übersetzen, sind fehlgeschlagen. Die Sprache und ihr Gebrauch sind nur aus einer ganzheitlichen Auffassung des Menschen zu verstehen. Die moderne Sprachwissenschaft[17] hat aufgezeigt, wie sehr die Sprache, ihre Struktur, ihre Grammatik, ihr Wortschatz, das Denken und Auffassen des Menschen bestimmen. Die Sprache ist ein wesentliches Prägungmittel im Laufe der Erziehung, und wie sehr die Prägung bei der Erziehung beachtet werden sollte, haben wieder die Verhaltensforscher, vor allem Konrad Lorenz und sein Schüler Paul Leyhausen, bewiesen.

Mit der Abschaffung, Zerstörung oder Verhunzung der Muttersprache zerstört man einen wichtigen Teil der Tradition, damit der Kultur, damit des Wesens eines Volkes selbst. Treffend drückte Ernst Moritz Arndt das mit den Worten aus:

Was die Sprache verwirrt und verrückt und auf irgendeine Weise den klaren und lauteren Fluß trübt, das hat auch den Einfluß der Verwirrung und Trübung des ganzen Volkes. Denn ein geistigeres und innigeres Element als Sprache hat ein Volk nicht. Will also ein Volk nicht verlieren, wodurch es Volk ist, will es seine Art mit allen Eigentümlichkeiten bewahren, so hat es auf nichts so sehr zu wachen, als daß ihm seine Sprache nicht verdorben und zerstört werde.

Der alte Satz, „die Seele eines Volkes lebt in seiner Sprache”, von Dichtern und Denkern schon früher ausgesprochen, kann heute als wissenschaftlich bestätigt angesehen werden. Wer die Sprache einer Nation angreift, greift damit ihr Inneres, ihr Herz an.

In andern Völkern wird das noch beachtet. So hat der verstorbene Präsident Pompidou in Frankreich einen Feldzug gegen die Überfremdung der französichen Sprache durch Anglizismen durchgeführt, indem er lange Listen von englisch-amerikanischen Wörtern aufstellen ließ, deren Gebrauch im Behörden- und Schulfranzösisch untersagt wurde. In diesem Zusammenhang erklärte Pompidou:

Wenn wir auf dem Gebiet der Sprache zurückweichen, werden wir ganz einfach weggefegt . . . Unsere Weltgeltung beruht auf unserer Sprache.

Die in Westdeutschland tätigen sogenannten fortschrittlichen Reformer unserer Sprache und Schrift sind daher in Wirklichkeit Volkszerstörer, mit System oder aus Dummheit. Ihnen ist entgegenzuhalten, daß Humboldt die Sprachgemeinschaft „eine durch eine bestimmte Sprache charakterisierte geistige Form der Menschheit” nannte, daß der Philosoph Heidegger die Sprache als das „Haus des Seins”als „die Behausung, in der der Mensch wohnt”, bezeichnete. Wer die Sprache zerstört, schafft den unbehausten, den heimatlosen, den entwurzelten, kulturlosen Menschen, das Manipulationsobjekt von Massenorganisationen.

Daß die Erhaltung sprachlicher Eigenarten dem universellen Naturprinzip möglichst großer Reichhaltigkeit und möglichst ausgeprägter Verschiedenheit entspricht, sei noch erwähnt. Das gilt auch für die Beibehaltung der Großschreibung des Deutschen, die als erhebliche Lesehilfe eine echte Leistungssteigerung gegenüber der sonst üblichen durchgehenden Kleinschreibung darstellt. Die Abschaffung der Großschreibung wäre damit ein bedauernswerter Rückschritt zu einem von un- serm Volk schon einmal überwundenen primitiveren Zustand.

Weil Völker wirkliche geschichtliche und politische Gebilde sind, hat sich ein besonderer Zweig der modernen Anthropologie, die Völkerbiologie, eingehend mit ihnen beschäftigt. Diese Wissenschaft, in Westdeutschland u. a. durch Prof. Dr. Ilse Schwidetzky an der Universität Mainz vertreten, hat Völkergeburt, Völkerleben und Völkertod untersucht[18].

Nur ein Ergebnis sei daraus angeführt. In der Vergangenheit sind einige Völker gestorben, verschwunden, während andere weiterleben. Wenn Völker starben, waren bis auf wenige Ausnahmen die Menschen dieser Völker selbst daran schuld, indem sie ihre Sprache aufgaben, sich einer andern Kultur anpaßten, in Wohlstand mit großem Geburtendefizit lebten oder sich rassisch in ungünstigen Verhältnissen vermischten. Ein Gesetz, nach dem Völker naturnotwendig wie andere Individualorganismen sterben müssen, hat sich nicht auffinden lassen.

Im Gegensatz zu Oswald Spenglers These in seinem Werk ›Untergang des Abendlandes‹ müssen Völker und Kulturen nicht sterben, es gibt kein derartiges Naturgesetz. Völker sind Systeme höherer Ordnung als einzelne Lebewesen und unterliegen nicht wie diese dem ewigen „Stirb und Werde”, dem ehernen Gesetz von Geburt, Leben und Tod. Nur wenn eine Generation oder mehrere Geschlechter ihrer Pflicht gegenüber ihrem Volke nicht nachkommen, für den geistigen und biologischen Fortbestand des Volkes zu sorgen, geht die Geschichte über dieses Volk hinweg.

Andrerseits hat gerade die Geschichte immer wieder die Bedeutung des Volkes aufgezeigt. Selbst typische Marxisten mußten in entscheidenden Phasen die Bedeutung des Volkes und seine Wirksamkeit erkennen und berücksichtigen. Dafür seien zwei Beispiele genannt.

Als 1941 die deutschen Truppen bis kurz vor Moskau rückten und die russischen Fronten zusammenbrachen, rief Stalin zum „Großen Vaterländischen Krieg” auf, appellierte an die Traditionen zaristischer Heerführer und mobilisierte somit die völkischen Reserven im russischen Volk. Nicht von Klassenkampf und internationaler Solidarität versprach er sich in höchster Not die Rettung, sondern vom völkischen Opfergeist der Russen.

Und Mao-Tse-tung schreibt in seiner gerade unter unserer Jugend sehr verbreiteten roten Mao-Bibel: Das Volk und nur das Volk ist die Triebkraft, die die Weltgeschichte macht!”[19] Und damit meint er genau das, was wir unter Volk verstehen, nicht eine Klasse, sondern die biologische, geschichtliche und sprachliche Lebensgemeinschaft, die sich in langen Generationen entwickelt hat.

Wenn nach 1945 über eine Milliarde Menschen aufgrund völkischer und nationaler Gesichtspunkte die Freiheit erhielten, ihre Staaten schafften oder Grenzen neu ordneten, so beweist das nur, daß gerade in der modernen Zeit das nationale Prinzip das wichtigste und sicher richtige Ordnungsprinzip auf der Welt ist. Die Bukarester Weltkonferenz über Bevölkerungspolitik hat deutlich gezeigt, daß die jahrelange Illusion einer Weltregierung oder eines Weltstaates endgültig aufzugeben ist. Wirklichkeit ist allein die Welt der tausend Völker, wirklich sind die Völker als kulturelle und auch zu erstrebende staatliche Grundgebilde. Nationale Solidarität ist das moderne Prinzip, das sozialistischen Internationalismus und marxistischen Klassenkampf überholt hat und überwinden wird.

Das nationale Prinzip, die Anerkennung der Völker als offene Fließgleichgewichte, ist auch allein in der Lage, einen Weg aus der Sackgasse zu zeigen, in der Europa heute noch umherirrt. Europa kann nur aus seinen bei relativer Abgegrenztheit doch für die Nachbarn offenen Völkern gebaut werden. Europa kann nicht durch Zerstörung oder Vernichtung seiner Völker erstellt werden. Wer für sein Volk eintritt und national denkt, braucht kein schlechter Europäer zu sein. Im Gegenteil: nur wer in seinem Volke fest verwurzelt ist, nur ein guter Deutscher, ein guter Franzose oder ein guter Engländer usw. können gute Europäer werden.

Europa als System wieder einer höheren Ordnung kann nur aus seinen Völkern, kann nur unter Beibehaltung der Vielfalt und Eigenart seiner Völker bestehen. Darum kann das zu schaffende Europa auch kein „Volk Europa” und keine „Nation Europa” sein, sondern die Völker in Europa und die Nationen in Europa müssen sich ohne Aufgabe ihres Artwesens zu neuer Einheit formen.

Die Völker Europas haben in Tradition und Kultur wie in biologischem Erbe bei allen Unterschieden doch gegenüber der übrigen Welt vieles gemeinsam. Deswegen können auch nur sie allein einen gemeinsamen Weg zu für sie gemeinsam geltenden Gesetzen und Rechtsgrundsätzen finden. Völlig verschiedene Rassen, Völker und Kulturen sind dazu nun einmal nicht in der Lage, worauf schon G. B. Shaw 1919 hinwies[20]. Die Aufgabe unserer Zeit, unser Volk zu erhalten und nach dem wirtschaftlichen und technisch-wissenschaftlichen Zusammenschluß nun auch den politischen Zusammenschluß Europas folgen zu lassen, ist nur bei Kenntnis der Bedeutung und der Funktion der Völker und Nationen zu lösen. Wer das neue Europa als ein neues Weltzentrum will, muß sich zunächst für Volk und Nation einsetzen.

Somit können wir abschließend festhalten und erfolgreich gegen alle Irrlehren unserer Zeit vertreten: Die Nationalen und Volksbewußten sind keine Fußkranken der Geschichte, keine Ewiggestrigen oder Romantiker, sondern sie sind auf der Höhe unserer technisch-wissenschaftlichen Zeit; sie sind der Vortrupp von morgen; sie sind die Realpolitiker; sie sind das positive Element in der Entwicklung auf eine Zukunft hin; sie sind das Ferment des Aufbaus; sie sind die Spitze des echten Fortschritts.

Zu nationaler Anschauung führt heute zwangsläufig jedes aufrichtige tiefe Nachdenken, weisen alle Folgerungen der modernen Wissenschaften. Und darum gilt auch unverwandt das, was auf einem Grabstein in Dithmarschen eingemeißelt steht:

Eine Sünde gibt’s auf Erden,

uralt schon, doch ewig neu,

untreu seinem Volk zu werden

und sich selber ungetreu.

Schrifttum
1 Rudolf Kjellén, Der Staat als Lebensform, 1917 — 2 Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, 1974 — 3 Nicolai Hartmann, Neue Wege der Ontologie, 1949, 39 — 4 Ludwig von Bertalanffy, General System Theory, 1969 — 5 Rudolf Kjellén, Der Staat als Lebensform, 1917 — 6 Überblick in Rolf Kosiek, Marxismus? Ein Aberglaube! 1972 — 7 S. Vogel, Komplementarität in der Biologie und ihr anthropologischer Hintergrund, in Neue Anthropologie Bd. i, Biologische Anthropologie, 152—194 — 8 S. Vogel, aaO 176 — 9 zit. in S. Vogel, aaO 165 — 10 S. Vogel, aaO 165 — 11 Ernst Anrich, Moderne Physik und Tiefenpsychologie, 1963 — 12 Konrad Lorenz, Gesammelte Abhandlungen I, II 1970/1 — 13 Konrad Lorenz, Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, 1973 — 14 Arnold Gehlen, Anthropologische Forschung, 1961, 59 — 15 Karl Steinbuch, Kurskorrektur, 1973 — 16. Ernst Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, 36 — 17. Übersicht in Richard W. Eichler, Verhexte Muttersprache, 1974 — 18 Ilse Schwidetzky, Grundzüge der Völkerbiologie, 1950, und Das Problem des Völkertodes, 1954 — 19 Mao Tse-tung, Worte des Vorsitzenden, 1967, 140 — 20 Dr. Hans K. Leistritz, priv. Mitteilung

Quelle: Auszug aus ›Deutschland in Geschichte und Gegenwart‹, 23. Jahrgang, 1975, Heft 1