Guillaume Faye

Auszug aus dem Buch

›Mut zur Identität‹

 

Die drei großen Herausforderungen, die der europäischen Identität heute gestellt sind und ihren historischen Fortbestand in Frage stellen, heißen Vielrassenheit, Zerstörung der eigenen Kulturen und der Traditionen, Schock der technoökonomischen Zivilisation, des ‚Technokosmus’. Keine dieser Herausforderungen, die zugleich eine Drohung interner Auflösung und externer Homogenisierung darstellen, ist unüberwindbar.

Im Gegenteil: erst bei ihrer Überwindung werden die Europäer eine neue Ära ihrer Geschichte eröffnen. Die ,metamorphischen‘ Völker, zu denen wir gehören, müssen nämlich immer den einen Widerspruch leben und ihm entsprechen: sich selbst treu zu bleiben, indem sie eine Mutation ihrer selbst, eine Selbstüberwindung vollziehen. Diese wird erst durch den Verzicht auf den jüdisch-christlichen, humanitaristischen und universalistischen Anteil unseres Erbes erfolgen. Es ist unseres Erachtens die unerläßliche Bedingung, daß wir mit jenem Nihilismus Schluß machen, mit jener Krankheit, die, wie Nietzsche es erkannte, ausschließlich den modernen Europäern eigen ist und aus der jüdisch-christlichen Geistesart hervorging.

Eine solche Selbst-Überwindung umfaßt genau, was derselbe Nietzsche „die Umwertung aller Werte“ nannte. Paradoxerweise sind die Europäer versucht, sich durch den Austritt aus der Geschichte und den anthropologischen bzw. kulturellen Selbstmord abzuschaffen gerade zu dem Zeitpunkt, wo die heutige Techno-Wissenschaft, Produkt ihrer eigenen Kultur, ihnen die Mittel geben würde, einst unvorstellbare Bestrebungen zu verwirklichen.

Der europäische Nihilismus läßt sich mit äußeren und mechanischen Faktoren, mit dem Verallgemeinerungsprozeß, der zum Beispiel der technomodemen Zivilisation eigen wäre, nicht erklären, sondern mit geistigen und ideologischen Faktoren, besonders mit dem Umstand, daß der tausendjährige Egalitarismus des Judäo-Christentums heute sein Höchstmaß an Wirksamkeit erreicht und endlich gefruchtet hat, was nicht der Fall war, solange sich das Christentum nicht verweltlicht hatte: die Europäer dazu zu treiben, sich als Völker zu verleugnen und in einer einheitlichen ‚Menschheit’ unterzugehen.

Wir werden uns eine kulturelle Persönlichkeit wiedergeben und die brandende Welle der amerikanisch-westlichen Infrastruktur stoppen, nicht etwa indem wir uns wehmütig in eine versteinerte Vergangenheit flüchten, sondern wenn wir aus allen Stücken eine neoeuropäische Kultur aufbauen.

Wir haben dargelegt, daß der echte Traditionalismus dem reaktionären Vergangenheitskult entgegensteht. Es sind die Progressisten und die Bestatter der europäischen Spezifität, die uns in harmlose Einfältige verwandeln wollen und sich daher zugleich für die Mumifizierung, den Amerikanismus und die ,Plurikulturalität‘ einsetzen.

Bei dem bejahenden Entwurf einer neoeuropäischen Zivilisation, die in einer ersten Phase lediglich als Überwindung der jetzigen Ordnung, als Loslösung von der gegenwärtigen Kultur, d. h. als Gegen-Kultur erscheinen kann, muß vor allem der Geist der europäischen Tradition beibehalten werden. Dieser in seinem Daseinsgrund heidnische Geist ist ,Sturmlauf, wie es zum Beispiel das feudale Zeitalter, das italienische Quattrocento, der französische Klassizismus, die romantische Bewegung oder die Unternehmung des Futurismus waren.

Dieser Geist wird sich übrigens als Energie (En-ergie, d. h. ,innere Arbeit’, ‚geistige Kraft’, en-ergeion) behaupten können, wenn er an den Futurismus des beginnenden Jahrhunderts wiederanknüpft. Der verborgene Geist der europäischen Kultur, den man im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zu zähmen, zu zensieren, zu neutralisieren versuchte, ist mit dem vollen Bewußtsein der göttlichen Ordnung zu trotzen und dem vollen Vertrauen in die eigenen Kräfte verwandt: das Menschliche vergöttlichen, das ‚Wunder’ vom Bereich des Übernatürlichen in den des menschlichen Willens übertragen. Der faustische Geist der alten europäischen Zivilisation, die den jugendlichen Stempel des Phönix trägt, appelliert an die von Homer besungene Tugend: den Hochmut, den hohen Mut.

Und wenn heute – als Ersatz für die todkranken Religionen – ein ‚zweiter Paganismus’ zu definieren wäre, müßte man ihn sowohl in der Überwindung des ‚Glaubens an das Göttliche’ wie auch in der Zurückweisung des Atheismus suchen, d. h. in der Behauptung einer Transzendenz innerhalb der Immanenz, in der Ersetzung des Göttlichen durch das Übermenschliche. Die Götter können in uns herunterkommen und wir, ihre neuen Herren, werden es sein, die sie rufen werden. Es kann auch sein, daß die hohe Figur des Ingenieurs eigentlich das ist, was den Appell formulieren wird.

Ein zweiter Paganismus, sollte er einmal zutage treten, wird wahrscheinlich über den Göttern das Pantheon der Demiurgen setzen. Der Mensch aus dem Mittelalter hatte es vielleicht geahnt. Seine Kathedralen sind nicht zur größten Ehre ‚Gottes’ gebaut, wie die aus Vatikan II hervorgegangenenen ‚modernistischen’ Christen (die einzigen authentischen) es völlig begriffen haben, sondern wurden zur größten Ehre des Erbauers selbst errichtet, d. h. zur größten Ehre des erbauenden Volkes.

Die Kathedrale rühmt nicht den Christen, der lediglich ein am Ende des Chors befindliches Symbol ist, sondern das Schiff, das souverän auf den leeren Himmel zustürmt, das die Geste des Baumeisters symbolisiert. Die Reformen, beherrscht von den traurigen Figur Luthers, Calvins sowie der ‚normalisierenden’ Päpste, verfinsterten die große Lauterkeit des Mittelalters, so wie im 20. Jahrhundert die westliche Konsumgesellschaft und der technomorphe Ökologismus die große apollinische Sonne des Futurismus verfinstert haben.

Für den Augenblick aber, da wir noch nicht sehen, wie wir aus dieser tiefsten Tiefe der Nacht herauskommen können, da wir noch nicht  wissen, ob wir das erreicht haben, was Nietzsche den ›Grund des Nihilismus‹ nannte, da die Ära des Fisches immer noch mit dem Tod ringt, da wir zwischen Verzweiflung und Traum geschaukelt werden, da wir auf der tastenden Suche nach unserer eigenen Persönlichkeit, unseres Doubles sind – bleibt uns dennoch der neue Anblick von Völkern, die ihren Willen zur Macht zu behaupten und dadurch vielleicht unseren in der Zukunft anzuspornen wagen.

Die Europäer, die gegenüber der mehrrassischen Gesellschaft oder der westlichen Zivilisation ihre Identität wieder aufbauen wollen, sind nämlich mit denen solidarisch, die um ihre Indianität, ihre Negritüde oder ihren Arabismus kämpfen (wollen). Die Zeit ist vorbei, da man als ‚Imperialismus’ und sogar – auf eine noch mehr skandalöse und diffamierende Weise – als ,Rassimus‘ das Gebaren der Europäer bezeichnen konnte, die für ihren Boden, ihre Kultur und ihre Unabhängigkeit predigten.

Heute, da neue Trennungslinien aufkommen, da der Unterschied zwischen der ‚Rechten’ und der ‚Linken’ verschwimmt, ist der echte Krieg der Werte und der Zivilisationsentwürfe eröffnet worden – zwischen den Förderern des Menschheitsuntergangs (Apostel des humanitaristischen, egalitären, sowjetisch-amerikanischen Weltstaats, der vom bürgerlichen Materialismus des Wirtschaftskults und der Zugehörigkeitsauflösung beherrscht wird) und den Verfechtern der Identität, der Verwurzelung, kurzum der polemischen und staudenden Gattungsverschiedenheit, die im Grunde als einzige für die geistige Qualität der Gattung ›Homo‹ bürgt.

Indem wir Zeuge dieser europäischen Identität sind, indem wir in dem und für das Volk, dem wir angehören, Widerstand leisten, werden wir zum Schutz des homo sapiens sapiens und der hohen Werte beitragen, die er behaupten und dem gleichgültigen, blinden Fluß des Lebens aufzwingen konnte.

Allegorie der Hoffnung, Konstantin Dausch

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