In einem Interview mit der Zeitschrift ›Les Amis de Jean Mabire‹ spricht Alain de Benoist über die Ursprünge und die Bedeutung des Begriffs „Metapolitik”, der in den Aktivitäten der ›Nouvelle Droite‹, deren Leitfigur er ist, eine zentrale Rolle spielt. Ein Konzept, das oft erwähnt wird, ohne immer vollständig verstanden zu werden. Daher das große Interesse an einer solchen Klärung, die auch ein „Rückblick” auf einen Denkpfad ist.

 

 

Die Freunde von Jean Mabire: Wann haben Sie die Metapolitik entdeckt? War Ihnen das Thema bereits vertraut? Welche Vorstellung haben Sie heute davon?

Alain de Benoist: Der Begriff ist mir wahrscheinlich in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zum ersten Mal begegnet, aber ich habe vergessen, unter welchen Umständen. Damals kannte ich das – übrigens sehr fragwürdige – Buch nicht, das Peter Viereck 1941 in New York unter dem Titel ›Metapolitics‹ veröffentlichte, um die post-romantische deutsche Kultur aus einer kritischen Perspektive zu bezeichnen.

Auch Anthony James Gregors 1971 erschienenes Buch ›An Introduction to Metapolitics‹ hatte ich noch nicht gelesen. Und natürlich war mir völlig unbekannt, daß das Wort erstmals im 17. Jahrhundert verwendet wurde, und zwar in einem Manuskript mit dem Titel ›Metapolitica, hoc est tractatus de republica philosophice considerata‹, das heute im Historischen Archiv der Diözese Vigevano in der Nähe von Pavia aufbewahrt wird und von dem spanischen Mathematiker und katholischen Philosophen Juan Caramuel y Lobkowitz, der 1606 in Madrid geboren wurde, verfaßt wurde.

Ich befand mich damals am Ende meiner Teenager-Jahre und war aus Gründen, die ich an anderer Stelle erläutert habe, bestrebt, mit dem politischen und militanten Engagement, das ich in den Jahren zuvor an den Tag gelegt hatte, zu brechen. Der Begriff „Metapolitik” schien mir am ehesten geeignet, eine Reihe meiner Freunde davon zu überzeugen, daß theoretische, kulturelle oder intellektuelle Arbeit mindestens genauso wichtig ist wie das tägliche politische Handeln.

Ich wollte eine Denkschule gründen, die sich von aktuellen Ereignissen fernhielt und gemeinsam an der Gründung oder Neugründung eines theoretischen Korpus arbeitete, der alle Bereiche des Wissens und der Erkenntnis umfaßte. Das Projekt war weitreichend und nicht ohne eine gewisse Blauäugigkeit, aber ich war mir bereits bewußt, daß es sehr schwierig ist, eine Denkarbeit und ein Engagement politischer Art gleichzeitig durchzuführen. Mir war klar, daß Politiker in erster Linie alle vereinheitlichen wollen, während Ideen in ihren Augen spalten. Ich sah auch, daß die Umsetzung eines ideologischen Programms in ein politisches mit ständigen Zugeständnissen verbunden war, zu denen ich nicht bereit war: Man beginnt, die Ideen seiner Strategie verteidigen zu wollen, und hat am Ende nur noch die Ideen dieser Strategie.

Kurzum, anfangs bedeutete Metapolitik für mich einfach nur kollektive geistige Arbeit. Das wurde nicht immer richtig verstanden – und auch nicht immer akzeptiert. Es war falsch, daß ich mich manchmal darüber geärgert habe: Machtmenschen können sich nicht durch einen Zauberstab in Wissende verwandeln! In diesem Bereich wie auch in vielen anderen Bereichen kann man nicht beliebig die „Mütze“ wechseln.

Die Freunde von Jean Mabire: Hat Sie die Beschäftigung mit den Schriften von Antonio Gramsci dazu veranlaßt, in die Metapolitik zu investieren, oder hat dieser Autor Ihre Neigung zu diesem Themenfeld nur bestätigt?

Alain de Benoist: Die Bezugnahme auf Gramsci ging meinem Interesse an der Metapolitik nicht voraus, sondern ergab sich im Gegenteil daraus. Mein erster Artikel über Gramsci, der in ›Valeurs actuelles‹ erschien, datiert vom Oktober 1974! Was jedoch stimmt, ist, daß ich in den 1970er Jahren zahlreiche Artikel über die Verbindung von Kultur und Politik geschrieben habe. Darin versuchte ich, den Begriff der „kulturellen Macht” zu definieren. Ich betonte die Rolle der Kultur als entscheidendes Element für politische Veränderungen: Eine starke politische Veränderung ist die Verankerung einer bereits eingetretenen Entwicklung in den Sitten und Köpfen.

Die intellektuelle und kulturelle Arbeit trägt zu diesem Wandel in den Köpfen der Menschen bei, indem sie Werte, Bilder und Themen popularisiert, die mit der bestehenden Ordnung oder den Werten der herrschenden Klasse brechen. In einer solchen Perspektive ist die Eroberung einer redaktionellen Position oder sogar die Ausstrahlung einer Fernsehserie wichtiger als die Parolen einer Partei. Meiner Argumentation lag der Gedanke zugrunde, daß es ohne eine gut strukturierte Theorie keine wirksame Aktion gibt („Man darf den Pflug nicht vor die Ochsen spannen”). Die Französische Revolution hätte nicht den Charakter gehabt, den sie hatte, wenn ihr nicht die Philosophen der Aufklärung den Weg geebnet hätten, man kann keinen Lenin haben, bevor man nicht einen Marx hatte, selbst ein kleiner Katechismus setzt die Existenz einer Theologie voraus usw.

Vor diesem Hintergrund habe ich mich wiederholt auf das bezogen, was Antonio Gramsci über die „organischen Intellektuellen” geschrieben hat, denen er die Aufgabe zuwies, eine kulturelle Macht auszuüben, die einen neuen „hegemonialen Blog” schaffen könnte. Zweifellos lag hier ein Mißverständnis vor. So sehr Gramsci auch die Arbeit der Intellektuellen schätzte, so war er doch auch ein führendes Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens. Wenn ich mich auf ihn bezog, bestand dann nicht die Gefahr, daß ich die kritische Meinung bestätigte, Ideen wären für mich nur ein Mittel zum Zweck, und das zu einem Zeitpunkt, an dem ich sagte, daß ich mich von allen politischen Belangen fernhalten wollte?

Tatsache ist jedenfalls, daß die ›Nouvelle Droite‹ schnell als Trägerin eines „rechten Gramsciismus”  charakterisiert wurde, den einige Beobachter, vor allem im Ausland, ohne zu zögern zum Kern ihrer Doktrin machten, was mich wirklich verblüffte. Was die Mitglieder der politischen Klasse betrifft, die sich heute auf diesen „rechten Gramsciismus” berufen, so sind sie 50 Jahre zu spät dran – und ich kann Ihnen versichern, daß sie Gramsci immer noch nicht gelesen haben!

Die Freunde von Jean Mabire: Betrifft die Metapolitik Ihrer Meinung nach nur die Reflexion oder hat sie auch andere mögliche, vor allem politische, Ausprägungen?

Alain de Benoist: Einige meiner Weggefährten haben vielleicht geglaubt, daß die „Metapolitik” lediglich eine andere Art ist, Politik zu machen. Meiner Meinung nach war das ein Irrtum, aber ein Irrtum, der ihnen ein gutes Gewissen verschaffte, um den Dämonen der Politik nachzugeben, die nie aufgehört hatten, sie zu beschäftigen. So wie die Metaphysik wenig mit der Physik zu tun hat, liegt für mich die Metapolitik unmißverständlich jenseits der Politik.

Joseph de Maistre definierte sie 1814 als „Metaphysik der Politik”, was ich auch nicht als zufriedenstellender empfinde. Abgesehen davon sind in dem Moment, in dem wir von „Metapolitik” und nicht nur von intellektueller Arbeit sprechen, einige zusätzliche Erklärungen erforderlich. Das Verhältnis ist nicht das zwischen Theorie und Praxis. Wenn es eine Beziehung zwischen Metapolitik und Politik gibt, dann eine indirekte, die in dem bereits erwähnten kausalen Effekt besteht: Kulturelle Macht kann, wenn sie ideologisch gut strukturiert ist und es ihr gelingt, den Zeitgeist einer bestimmten Epoche zu beeinflussen, eine Hebelwirkung in Bezug auf bestimmte politische Entwicklungen oder Situationen haben.

Denken wir noch einmal an die Beziehung zwischen der Philosophie der Aufklärung und der Französischen Revolution. Es wäre jedoch ein Fehler zu glauben, daß diejenigen, die Revolutionen durchführen, dieselben sind wie diejenigen, die sie herbeiführen. In Wirklichkeit ist dies nur sehr selten der Fall. Und wenn dies der Fall ist, ist es eine Ironie der Geschichte, daß diejenigen, die sich an den Revolutionen beteiligen, die sie mit ermöglicht haben, in der Regel die ersten Opfer dieser Revolutionen sind. Im November 1793, während des Prozesses gegen Lavoisier, verkündete Jean-Baptiste Coffinhal, der Vorsitzende des Revolutionstribunals, vollmundig, daß „die Republik keine Gelehrten braucht”. Revolutionen haben die unangenehme Tendenz, ihre Väter ebenso wie ihre Kinder zu verschlingen (auch Coffinhal wurde guillotiniert).

Ich glaube daher, daß Politik und Metapolitik voneinander getrennt werden müssen. Das bedeutet natürlich nicht, daß die Metapolitik eine Überlegenheit besitzt, die sie zu einem absoluten Modell machen würde, oder daß die Beschäftigung mit Metapolitik verhindert, daß man sich für Politik interessiert und sich ihr gegenüber – nicht als Akteur – als Beobachter positioniert. Ich selbst habe ständig über Politik geschrieben, sei es über aktuelle politische Ereignisse oder über Arbeiten zur politischen Philosophie, zu politischen Doktrinen oder Staatstheorien. Es ist gut, daß es Menschen gibt, die Politik machen, weil sie das am besten können.

Eine Welt, die nur aus Intellektuellen besteht, wäre genauso unlebbar wie eine Welt, die nur aus Floristen oder Elektronikern besteht! Wie Dominique Venner am Ende seines Lebens sagte: „Wenn Sie den Wunsch verspüren, politisch zu handeln, engagieren Sie sich, aber seien Sie sich bewußt, daß die Politik ihre eigenen Regeln hat, die nicht die der Ethik sind“ (Ein Samurai aus Europa).

Die Freunde von Jean Mabire: Die Entstehung von GRECE war zweifellos ein wichtiges Ereignis sowie ein entscheidendes Instrument dieses Denkens. Durch welchen Willen kam sie zustande und was war die treibende Kraft hinter ihrer Fortentwicklung?

Alain de Benoist: Die GRECE wurde Ende 1967 von etwa dreißig Freunden, meist Studenten, gegründet, die sich im Rahmen der ›Fédération des étudiants nationalistes‹ (FEN) kennengelernt hatten. Sie trafen sich auf meine Initiative hin, etwa zur gleichen Zeit, als ich die erste Ausgabe von ›Nouvelle École‹ herausbrachte. Eine Reihe von ihnen schloß sich dem Projekt letztlich doch nicht an, aber andere wiederum so sehr, daß sie ein halbes Jahrhundert später immer noch dabei waren! Die Bedeutung des Akronyms war klar: Abgesehen von einer symbolischen Anspielung auf Griechenland ging es darum, eine Denkschule zu gründen, die eine „Forschungs- und Studiengruppe” sein sollte. Dieser Denkschule gaben die Medien im Sommer 1979 den Namen „Nouvelle Droite”, eine Bezeichnung, die mir nie gefiel, die aber durch den Gebrauch verankert wurde.

Die Freunde von Jean Mabire: War Jean Mabire Ihrer Meinung nach für den metapolitischen Ansatz empfänglich und welche Rolle spielte er innerhalb der GRECE?

Alain de Benoist: Ja, natürlich. Jean Mabire, der mit uns ein freundschaftliches Verhältnis pflegte und damals in Paris lebte (wo er einige Zeit bei mir wohnte), war mehr als empfänglich für den metapolitischen Ansatz, der einer der Facetten seines Temperaments entsprach. Ich weiß nicht mehr, ob er formell Mitglied der GRECE war, aber er nahm viele Jahre lang an den Aktivitäten der Bewegung teil, die schon früh über den Rahmen der Vereinsstruktur hinausging. Ich denke dabei insbesondere an seine Rolle beim ›Copernicus-Verlag‹, wo er Ende der 1970er Jahre zwei Reihen leitete: ›Maîtres à penser‹ und ›Réalisme fantastique‹. Natürlich hat er auch an den Publikationen mitgewirkt, die am Rande der GRECE entstanden sind, angefangen mit der Zeitschrift ›Éléments‹, die noch immer erscheint.

Die Freunde von Jean Mabire: Hat Jean Mabire in seinen Essays, Artikeln, historischen Werken und Literaturkritiken Metapolitik betrieben, auf welcher Ebene und zu welchen Themen?

Alain de Benoist: Ich würde nicht zögern zu sagen, daß alle Bücher von Jean Mabire eine metapolitische Tragweite hatten, aber das gilt meiner Meinung nach vor allem für seine Arbeiten über die Normandie und den „Nordismus”, für seine Werke über das Meer, für ›Les dieux maudits‹ und Thule, für Romane wie ›La Mâove‹ oder Biografien wie die des „verrückten Barons” von Ungern-Sternberg und natürlich für das gewaltige Unternehmen, das seine Reihe ›Que lire‹ (Was lesen?) ab 1994 darstellte.

Die Freunde von Jean Mabire: Hat die Metapolitik in einer Zeit der sozialen Netzwerke und des Zusammenbruchs der schulischen Vermittlung eine Zukunft?

Alain de Benoist: Sie hat sicherlich eine Zukunft, aus dem einfachen Grund, daß es immer Dichter, Schriftsteller, Maler, Musiker und Theoretiker geben wird, die ihre Zeit verstehen und Einfluß auf sie ausüben wollen. Aber sie wird sich an neue Ausdrucks- und Verbreitungsmedien anpassen müssen. Der rasche Aufstieg der „Videosphäre” (Régis Debray), die heute von der Welt der Bildschirme abgelöst wird, der Niedergang des Schulniveaus und der Kultur im allgemeinen, das Auftreten der künstlichen Intelligenz und die Rolle, die nunmehr die „Influencer” in einer „archipelisierten” Welt spielen, die mehr von Emotionen als von Ideen gesteuert wird und zudem von Nihilismus und Chaos bedroht ist, stellen in dieser Hinsicht Herausforderungen dar, die es zu bewältigen gilt.

Quelle: Das Interview erschien ursprünglich in der Zeitschrift ›Les Amis de Jean Mabire‹

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