Thule-Seminar e.V.

Antonio Gramsci, 1851 auf Sardinien geboren, wurde 1911 Mitglied der Sozialistischen Partei, wechselte wenig später zur KP über, erhielt 1922 die Mitgliedschaft im Exekutiv-Komitee der Komintern, war 1924 Abgeordneter und 1926 Generalsekretär der KPI. Das Verbot der Partei bewirkte Gramscis Internierung auf der Insel Utica, wo er die 33 Ausgaben der sogenannten Gefängnishefte verfaßte, deren allmähliche Verbreitung nach seinem Tod (25. April 1937) erfolgen konnte. Sie erlangten aber erst nach 1945 größeren Einfluß auf die Strategie der linken und linksextremistischen Gruppen in Italien und darüber hinaus. Die Gefängnishefte sind ein Ergebnis jener Gedanken, die sich Gramsci über die Ursachen des Mißerfolges der linken Parteien im Italien der 20er Jahre machte. Er stellte darin zwei grundsätzliche Fragen:

1. Warum entspricht das Bewußtsein der Menschen nicht ihrem Klassenbewußtsein?
2. Warum können die oberen Klassen (die Minderheit) über die unteren Klassen (die Mehrheit) herrschen?

Aus diesen Fragen gewinnt Gramsci eine neue Bestimmung des Ideologiebegriffes, die den Ausgangspunkt jenes Unterschiedes darstellt, den er zwischen politischen und zivilen Gesellschaften macht Mit dem Begriff ›zivile Gesellschaft‹, umfaßt Gramsci sowohl die Kultur, die Religion und die Moral, als auch ihre juristische, korporative und institutionelle Umsetzung. Für ihn ist der Staat nicht auf den politischen Apparat beschränkt. Der Staat regiert zwar dank seines autoritären politischen Kraftfeldes, gleichzeitig stützt er sich aber auf intellektuelle, ethische, traditionelle Werte, die die Mehrheit der Bürger bejaht Dies bezeichnet Gramsci als die kulturelle Macht des Staates. Im Gegensatz zu Marx, der die zivile Gesellschaft auf eine rein wirtschaftliche Basis beschränkt, innerhalb welcher Besitzer und Arbeiter gegeneinander kämpfen, sieht Gramsci in der zivilen Gesellschaft die kulturellen, geistigen und seelischen Grundlagen vereint, auf denen das allgemeine Einverständnis (consensus social) beruht.

Die große Wandlung der Kommunisten in Italien besteht in der richtigen Feststellung, daß die Eroberung der politischen Macht nie gelingen kann, ohne zuvor die kulturellen Grundlagen eingenommen zu haben. Eine politische Revolution bereitet sich immer im Geist vor, durch eine langwierige ideologische Entwicklung innerhalb der zivilen Gesellschaft Um zu ermöglichen, daß die neue politische Botschaft Fuß faßt (Tätigkeit der Partei), muß man zuerst Einfluß auf die Denk- und Verhaltensweisen innerhalb der zivilen Gesellschaft nehmen (metapolitische oder kulturelle Tätigkeit). Die politische Mehrheit stützt sich also zuerst auf eine kulturelle, d. h. auf eine ideologische Mehrheit.

Die Rolle der „organischen“ Intellektuellen besteht (im Gegensatz zu den erstarrten Intellektuellen des Systems) für Gramsci in dem hartnäckigen Bemühen, jene ideologische Mehrheit zu gewinnen, die eine Eroberung der politischen Mehrheit durchführen kann. Gramsci schlägt die Bildung einer sogenannten ›Avantgarde des Geistes‹ vor, als Grundlage für die künftige ›Avantgarde der politischen Partei‹. Die organischen Intellektuellen verfolgen das Ziel, eine Umwälzung der herrschenden Werte herbeizuführen, um ihre eigenen Anschauungen durchsetzen zu können.

Diese Bemühung muß folglich umfassenden Einfluß gewinnen, also auf allen kulturellen Ebenen zur Wirkung kommen, in Dichtung, Theater, Volksmusik, Film, Bildender Kunst, Presse und anderen Bereichen.

Was das Thule-Seminar mit den Auffassungen Gramscis verbindet, sind die theoretischen Grundlagen einer metapolitischen Strategie. Es sollte keiner Erwähnung bedürfen, daß wir den internationalistischen Zielsetzungen des Kommunisten Gramsci ablehnend gegenüberstehen. Im Gegensatz zur One-World-Ideologie der Systeme diesseits und jenseits des ›Eisernen Vorhanges‹ verlangt unsere Metapolitik die Freiheit und Selbstbestimmung der in klarer Eigenart und ungebrochener Überlieferung wieder verwurzelten Völker.

 

Beitragsbild:  Antonio Gramsci, 22. Januar 1891 in Ales auf Sardinien;27. April 1937 in Rom
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