Ludwig Ferdinand Clauß
Auszug aus seinem Buch: Semiten der Wüste unter sich, Kap. 19
Der beduinsche Vollmensch fühlt sich als Herr und arbeitet nicht. Leistung – in der Welt des nordischen Menschen der höchste aller Werte – bedeutet ihm keinen Wert. Arbeit, soweit sie nun eben durchaus nicht zu vermeiden ist – Haushalt, Abbau und Wiederaufbau des Lagers, Wasserholen von den stets weit entfernten Wasserstellen –, wird also nur von solchen besorgt, die nach beduinischen Begriffen nicht Vollmenschen sind: von Sklaven und von Frauen.
Beide gelten nach arabischer Anschauung als „Besitz“. Die Töchter freier Araber werden zwar „Freie“ genannt, aber – nun, davon in unserem nächsten Kapitel. Vom Leben der Sklaven und Frauen aus gesehen, ist also das beduinische Dasein doch nicht arbeitsfremd. In den „Niederungen“ des Lebens gibt es einen Arbeitstag mit festem Arbeitsgange. Es ist wichtig, uns den Verlauf eines Arbeitsmorgens einmal aus der Nähe anzusehen.
Vor Morgengrauen schon hört man die schläfrige Stimme der Zeltmutter. Sie wittert den kommenden Morgen und ruft ihre Tochter, die noch ein kleines Mädchen von vielleicht sechs Jahren ist. Tonlos, aber unaufhörlich spricht sie den Namen: „jā Hmejde! jā Hmejde! jā Hmejde! …!“ bis schließlich die Kleine erwacht. Diese torkelt auf, wankt hinaus und schleift ihr langes, dunkelblaues Hemd nach. Schlaftrunken ordnet sie es, rafft es hoch, um sich zu gürten, und läßt den Bausch über den Gürtel bis unter die Knie fallen. Der Saum fällt dann noch immer bis auf die Knöchel.
Die Kleine bringt getrockneten Kamelsmist und dürres Gestrüpp, beides als Brennstoff. Inzwischen räkelt sich eine Sklavin hoch und facht das Wirtschaftsfeuer an im Frauenzelte. Wenn möglich, bleibt sie hocken an der Stelle,wo sie vorher lag: aufstehen wäre schon ein Übermaß an Arbeit. Zu ihrer Zeit kommt auch die Zeltmutter hoch, prüft und festigt die Pflöcke des Zeltes und streckt die Seile.
Allmählich wird es heller. Durch den weiten Eingang des Zeltes sieht man wie Nebelballen die Leiber der lagernden Kamele. Nach einer Weile hört man von der Männerseite des Zeltes her die Stimme des Zeltherrn. Er ruft Zeif-Allah, einen seiner Söhne: jā Zeif-Allah! jā Zeif-Allah! jā Zeif-Allah!…! – tonlos, aber unaufhörlich.
Der Zeltherr bleibt liegen, der gerufene Junge kommt allmählich hoch, faßt die große kupferne Bratpfanne an ihrem langen Stiel und geht hinaus zu den Kamelen. Von diesen hat sich eines und das andere erhoben und steht auf drei Beinen (ein Vorderbein ist nachts über in der Kniebeuge gefesselt).
Der junge Zeif-Allah tritt an eine Kamelstute, die sich soeben erhoben hat, heran und fängt in der Bratpfanne ihren frischen Harn auf. Dann geht er zum nächsten weiter, bis er die Pfanne nur noch mühsam mit zwei Händen zu halten vermag.
Nun bringt er sie ins Frauengemach und setzt sie behutsam auf die Erde. Die Frauen werfen ihre hölzernen Kämme in den Harn, lösen ihre Zöpfe – erst nur einen –, neigen die gescheitelten Köpfe über die Pfanne, schöpfen mit den hohlen Händen den bitter duftenden Harn und übergießen damit das offene Haar. Dann wird das Haar auf der einen Seite wieder sorgsam geflochten und danach der andere Zopf gelöst und mit Kamelsharn getränkt. Dieses Haarwaschen soll auch die Läuse töten, doch habe ich Gründe, an dem Erfolg zu zweifeln.
Inzwischen regt sich’s im Männerraume. Einer hat Feuer gemacht und röstet darauf grüne Kaffeebohnen, eine vorzügliche Sorte semitischen Kaffees. (Der beste Kaffee kommt aus dem Lande Jemen. Dort liegt auch ›Mokha‹, das dem „Mokka“ seinen Namen gab.) Dann wirft er sie auf eine Kühlplatte und von da in den Mörser. Darin stampft er sie zu Pulver und braut dann umständlich das Getränk in drei verschiedenen Messingkannen von verschiedener Größe, von denen jede einen anderen Zweck und Inhalt hat.
Diese drei Kaffeekannen sind das Herz und Heiligtum des beduinischen Haushalts. Das Rösten, Stampfen, Brauen, Würzen, Mixen und Verteilen des Kaffees wird für die Männer stets von Männern besorgt, und zwar, wenn Gäste da sind, in deren Gegenwart und meist vom Zeltherrn selbst. Sonst auch von einem seiner Söhne oder von einem bevorzugten Sklaven. Er ist ein Ehrenamt, dessen Ausübung nicht als Arbeit empfunden wird, sondern als ein feierliches Spiel und Anlaß zum Austausch von Ehrenerweisungen: vergleichbar dem „Präsidium“ an den früheren Kneiptischen deutscher Studenten.
Dieser Frühkaffee wird noch in der Körperlage genossen, in der die Schlafenden erwacht sind. Sie sind an dieses Reizmittel so sehr gewöhnt, daß manche vom ihnen nicht munter werden können vor dem Genuß einiger Täßchen dieses sehr starken, ungesüßten Getränks. Oft kamen Männer zu mir und baten mich um ein Stärkungsmittel: ihre Kraft sei „wie zerbrochen“.Das ist die nervenzerstörende Wirkung dieses dauernden Genusses stärksten Kaffeeabsuds: ohne Koffein kein Antrieb mehr zu irgendwelcher Handlung. Der Kaffee wird stets ohne Zukost genossen.
Schließlich erhebt sich doch einer der Kaffeetrinker und schaut über die Teppichwand, die den Männerraum vom Frauenraum trennt, hinüber, ob es schon bald etwas zu knabbern gibt. Ihm ist der Duft des frischen Brotes in die Nase gestiegen. In Frauenraume nämlich bäckt jetzt über dem Wirtschaftsfeuer eine der jungen Frauen frisches Brot, indem sie dünnen Teil auf eine nach außen gewölbte heiße Eisenplatte aufgießt: so geschickt und so behende, daß kaum je ein Tropfen über den Rand hinabfließt. So entstehen runde, meinst papierdünne Fladen. Sie werden hinüber in den Männerraum gebracht, dazu frische schaumige Kamelsmilch. Sie geht in hölzerner Schale reihum.
Die dünnen Brotfladen legt man sich gerne wie Mundtücher über den Arm oder aufs Knie, und gelegentlich wischt man sich auch den Mund und die Hände damit ab. Sie sind noch heiß und am Rande knusprig. Dies alles aber genießt vorläufig nur der Mann, Die jungen Frauen und die kleinen Mädchen aber bekommen noch lange nichts. Sie haben immerfort auf die Feuerung zu achten.
Währenddessen haben die Kamele alle sich erhoben. Man sieht sie in Gruppen stehen: hier weiße, dort braune, hier Hengste, dort Jungstuten und dort Mütter mit ihren Füllen. Und in Gruppen ziehen sie dann gemächlich fort aus dem Lager, ihrer Weide zu, während die Sonne aufgeht und den Umriß der Tiere – alle dieser hohen Höcker und langen geschwungenen Hälse – in seltsam verzerrten Schatten auf den Feuersteinboden hinmalt. Zwischen den Schatten glitzert Kies und blendet. Gedehnte Rufe der Hirten schwingen noch eine Weile über der Landschaft, entfernen sich und verklingen. Die Sonne steigt und das Lager wird still und leblos.