In einer Enzyklopädie (Encyclopedia Oosthoeks) heißt es:

Das Familienfest [Nikolaustag] entstammt dem religiösen Fest (einschließlich der Überraschungen für die Kinder), das seinerseits auf vorchristliche Elemente zurückgeht. Sankt Nikolaus, der über die Dächer reitet, ist der heidnische Gott Wotan [Odin]. (…) Sankt Nikolaus war auch der Anführer der wilden Jagd, bei der die Seelen der Toten die Erde besuchen.

Die Teutonen glaubten nämlich, daß Odin oder Wotan, der wichtigste ihrer Götter, die Seelen der Toten während der „zwölf bösen Tage“ zwischen Weihnachten und Epiphanias (6. Januar) auf einem wilden Ritt über die Felder führt. Der starke Wind, den er erzeugte, trug die Samen der Feldfrüchte fort und förderte so die Düngung. Äpfel, Walnüsse, Haselnüsse, Mandeln und andere Herbstfrüchte, die am „Nikolaustag“ verteilt wurden, galten als Fruchtbarkeitssymbole.

Johann Wilhelm Cordes: „Die Wilde Jagd“ – Skizze zum Gemälde 1856/57

Die Altvorderen glaubten, sie könnten den Zorn ihrer Götter besänftigen, indem sie ihnen in den kalten und dunklen Tagen des Winters Geschenke machten. Dadurch würden sie eine größere Fruchtbarkeit für Mensch, Tier und Boden erreichen.

Odin wurde von seinem Diener Eckhard, dem Vorgänger von „Peter dem Schwarzen“, begleitet, der ebenfalls eine Rute trug. Nicht erst im Mittelalter war es üblich anzunehmen, daß bestimmte Bäume und Pflanzen Menschen fruchtbar machen können und daß eine Frau schwanger werden kann, wenn sie nur mit dem „Zweig“ eines bestimmten Baumes geschlagen wird.

Das Buch ›Feest-en Vierdagen in kerk en volksgebruik‹ (Feste und Zeremonien in Kirche und Volksbräuchen) nennt einige weitere Ähnlichkeiten zwischen Odin und dem „heiligen“ Nikolaus:

Auch Wotan füllte Stiefel und Holzschuhe, die neben dem Kamin aufgestellt waren, mit Gold. Für Wotans Reittier wurden außerdem Heu und Stroh in den Schuh gelegt. Zudem war die letzte Garbe auf dem Feld für dieses Pferd reserviert.

Das Buch Sint Nicolaas“ von B. van den Aardweg weist noch auf weitere auffällige Ähnlichkeiten hin:

St. Nikolaus: Eine große und mächtige Figur auf einem weißen Pferd. Er hat einen langen weißen Bart, hält einen Bischofsstab in der Hand, trägt eine Mitra (…) und einen weiten, wehenden Bischofsmantel.

Wotan: Eine hochgewachsene Figur mit einem weißen Bart. Er trägt einen breitkrempigen Hut, der tief über die Augen gezogen ist. In der Hand hält er einen Zauberspeer. Er ist in einen großen Umhang gehüllt und reitet auf seinem treuen grauen Pferd Sleipnir.

Es gibt noch mehr als diese sichtbaren Ähnlichkeiten: Wotan führte seinen Schimmel durch die Lüfte, und die Menschen boten ihm zitternd gefüllte Kuchen, Fleisch und Feldfrüchte an. Der heilige Nikolaus ritt über die Dächer und die Kinder bereiteten Heu, Karotten und Wasser für sein Pferd vor. Ingwerkekse und die Rute waren Fruchtbarkeitssymbole, lange bevor es Nikolausfeste gab.

Bild von W.G. Collingwood von Wiki Creative Commons

Fruchtbarkeitsriten heute

Auch eine Reihe anderer Bräuche, die mit dem „heiligen“ Nikolaus zu tun haben, verraten ihre heidnischen Ursprünge. In den nordischen Ländern zum Beispiel gehen am 4. Dezember Jungen zwischen 12 und 18 Jahren auf die Straße. Maskiert und in grotesken Kostümen, die mit Federn, Muscheln und anderen regionalen Gegenständen geschmückt sind, stellen sie die „kleinen Nikoläuse“, oder „Sunne Klaezjen“, dar. Am nächsten Abend sind die Männer ab 18 Jahren an der Reihe. Am frühen Abend streifen sie durch die Straßen, wo sie mit Besen, Ochsenhörnern und Knüppeln bewaffnet jede Frau, jedes Mädchen und jeden kleinen Jungen, der ihren Weg kreuzt, in die Flucht schlagen. Sie zwingen junge Mädchen, zu tanzen oder über einen Stab zu springen.

Wozu dienen all diese Veranstaltungen? Wieder einmal der Fruchtbarkeit – eine unveränderliche Sorge der antiken Kulturen. Tatsächlich war der Winter eine dunkle und beängstigende Zeit, die oft als eine Zeit des Schlafes oder des Todes für den Fruchtbarkeitsgott angesehen wurde. Man glaubte, daß man diesen Gott oder diese Göttin durch verschiedene Mittel wieder zum Leben erwecken oder ihnen zumindest ein wenig helfen könnte. Geschenke, Tänze, Lärm und Rutenschläge waren, so glaubte man, alles Möglichkeiten, um böse Geister zu vertreiben und Menschen, Tiere und den Boden fruchtbarer zu machen.

Wenn junge Mädchen heute über eine Rute springen, ahmen sie deshalb ihre Vorfahren nach, die glaubten, daß der Flachs umso höher wachsen würde, je höher sie sprangen. Wenn junge Männer Frauen und Kinder verjagen, wiederholen sie den Ritus der Vertreibung böser Geister.

 

Quelle: https://www.terreetpeuple.com/paganisme-memoire-35/164-fetes-paiennes/7092-saint-nicolas-et-odin.html
Originalquelle: Harper’s Weekly
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