Wilhelm Lennemann

 

 

Der junge Bauer Hans Rößler kam von einem Ausgang heim. Er hängte die Mütze an den Haken, zog die Jacke aus und setzte sich zu dem alten Bauern an den Tisch.

Ich bin beim Sägemüller gewesen, hab‘ ihm den Nußbaum vorm Hause verkauft.

Der Alte schrak zusammen. 

Ja, was fiel denn dem Jungen ein? 

Ach so …  er hatte ihm ja Haus und Hof verschrieben, als er die Tochter geheiratet und zu ihm ins Haus gezogen war. 

Nun durfte er das wohl! 

Und er, der alte Brockmann, hatte nichts zu sagen! – aber immerhin, er hätte doch die Sache mit ihm bereden können!

Der Nußbaum! … Der alte schöne Nußbaum! 

stöhnte er.

Er warf einen zu breiten und tiefen Schatten; da konnte keine Sonne mehr ins Haus! Und außerdem: der Müller zahlt 50 Taler dafür!

Also! Da war der Pferdefuß! Der Junge wußte zu rechnen und war nicht wenig stolz auf seine Klugheit und seine Gewitztheit. Der Alte nickte ergeben. Was sollte er dem rechnenden Jungen noch sagen? Der kannte den Baum ja nicht. Der war ihm nur ein Stück Holz, aus dem sich Geld machen ließ.

Der Alte ging die Jahre zurück …

Hundert Jahre und mehr stand der Baum. Sein Großvater hatte ihn gepflanzt, als er das Haus gebaut hatte. Und er war gewachsen in die Höhe und Breite und hatte seine Arme schützend über das Dach gebreitet, wenn die Wetter zackig und glühend darübergeflogen und die Donner umdroht hatten. Und er hatte im Herbst seine Früchte ins nasse Gras geworfen, daß die Kinder ihre Lust hatten, wenn sie in der Frühe danach suchten, und hatte doch noch die Fülle bewahrt für die frohe Weihnachten. Und seine Eltern hatten in seinem Schatten gespielt und waren aufgewachsen und hatten geheiratet und wieder ihre Kinder seinem Schutze anvertraut. Als Junge hatte er in dem Baume herumgeturnt, und mit seinem jungen Weibe hatte er darunter gesessen, wenn die friedliche Ruhe des Abends ihnen eine stille Stunde der Einkehr oder der traulichen Zweisamkeit ließ. Und wieder hatten Kinder darunter gespielt, nun schon im dritten Geschlecht. Der Baum sah sie kommen und gehen. Er wußte um alle Not und Lust, und seine Zweige hatten nur leise dazu gerauscht. Das Bangen seiner Frau hatte in ihm gezittert, als sie ihren einzigen Junge als Freiwilligen ins Feld gesandt; im hüllenden Dunkel seines Schattens hatte sie ihm schamvoll den letzten Kuß gegeben. Und er hatte auch den Schrei gehört, den sie ein halbes Jahr später ausgestoßen. Gegen seinen Stamm war sie gefallen und hatte sich an ihm gehalten, und seine rissige Rinde hatte Tränen und Weh aufgefangen für ein dunkel Lied der Trauer und Tröstung. Seine Frau aber hatte das Herzeleid nicht überwunden, sie siechte hin und starb, und als der Sarg hinausgetragen wurde, da hatte der Baum ihr mit wehenden Armen einen letzten Gruß nachgewinkt…

Der Alte fuhr aus dem Träumen auf.

Er war der letzte, der dem Baum verbunden war; er wolle es auch bleiben bis in den Tod. Der Baum durfte nicht sterben, daß er selbst nicht schamrot würde vor klagenden Holze.

Am Abend saß der Alte in seiner Kammer. Aus der Tiefe des Bettstrohs holte er ein kleines Säcklein. Das schüttelte er leise aus und zählte seine ersparten Groschen und Taler, die er für seine eigene Notstunde zurückgehalten.

Danach wartete der junge Bauer, daß der Sägemüller den Baum fällte, wartete acht Tage, dann bestellte er ihm, der Baum müsse weg, daß da Raum würde.

Das sei beim Verkauf nicht ausbedungen worden, entgegnete der Müller unschuldsvoll; er habe nur den Baum gekauft, weiter nichts und übrigens habe er ihn vor acht Tagen mit einem kleinen Aufgeld wieder verkauft. Den Namen dürfe er nicht nennen, das habe der Käufer sich ausbedungen.

Und ob er ihn denn fällen werde? 

Das sei kaum anzunehmen.

Der Bauer stand vor Rätseln, die sich seiner Gewitztheit hartnäckig verschloßen. Aber der Baum stand; doch war er nicht sein mehr, und er durfte keine Hand daran rühren …

Und er stand noch da, als der alte Bauer etliche Jahre später mit dem Tode abging.

Da fanden sie in seinem Kasten einen Zettel und eine Quittung des Sägemüllers über 55 Taler, und auf dem Papier stand:

Ich hatt‘ den Baum gekauft, weil ich ihn nicht sterben sehen konnte. Nun geb‘ ich ihn in Eure Hände; bewahrt mein Erbe!

Am Abend des Tages dann, an dem das Begräbnis stattgefunden hatte, saß der junge Bauer, dem mit den Jahren langsam eine nachdenkliche Einsicht in die verborgenen Kräfte des Hofes gewachsen war, mit seinem Weibe auf der Bank unter dem Nußbaum. Ihr Kind saß zwischen ihnen und träumte mit runden Augen in die Höhlen und Schluchten über sich.

Da kam der Sägemüller. Der Bauer winkte ab:

Weiß, was ihr wollt; aber ich hab‘ vorhin schon mit meinem Weib überlegt: der Baum bleibt stehen! Der Vater hat schon recht gehabt; er gehört zum Hofe wie Bauer und Pflug, und er soll darauf bleiben, bis es ihm gefällt, sich von der Erde zu lösen.

 

Entnommen: Deutsche Warte, Zeitschrift für deutsche Geschichte und Kultur, Ausgabe Nr. 9

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