Marco Maculotti

Rätsel des Mittelmeers: die Guanchen, die „Meeresvölker“ und Atlantis

Ein Einordnungsversuch (kulturelle, anthropologische und genetische) über die mysteriöse Bevölkerung der Guanchen, Ureinwohner der Kanaren, und einen Blick auf die hellenischen Mythen um die “Glücksinseln” und den “mythischen” Krieg gegen Atlantis.

 

Als die Spanier im dreizehnten Jahrhundert auf den Kanarischen Inseln landeten und mit ihren Bewohnern, den Guanchen, in Kontakt kamen, waren diese schockiert: Sie waren tatsächlich davon überzeugt, daß sie die einzigen Überlebenden einer uralten Katastrophe waren, die sie unauslöschlich in ihrem mythischen Gedächtnis bewahrten. Sie erzählten den Spaniern, dass die Inseln, die den Archipel bildeten, in Wirklichkeit die Überreste von Berggipfeln waren, die zu einem alten Land gehörten, das nach einem gewaltigen Kataklysmus vom Wasser überflutet wurde. Einige Chronisten behaupten auch, dass sie ursprünglich von einer großen Insel stammten, die im Meer verschwand. Es heißt auch, dass die Araber, als sie den Archipel im Jahr 1016 entdeckten, sie Khaledat (die Insel, die nicht verschwindet) nannten.

Über die Guanchen ist wenig und nichts bekannt. Abgesehen von einigen symbolischen und unentzifferbaren Gravuren in den Höhlen haben sie fast keine schriftlichen Aufzeichnungen über ihre Geschichte hinterlassen. Die einzigen verfügbaren Informationen wurden von spanischen Chronisten, Historikern und Entdeckern nach der Eroberung im 13. Jahrhundert gesammelt. Die Guanchen gingen als erste Opfer des spanisch-katholischen Kolonialismus in die Geschichte ein. Körperlich waren sie im allgemeinen von großer Statur – erwachsene Männer waren im Durchschnitt etwa 1,80 m groß und hatten einen robusten und kräftigen Körperbau. Sie hatten weiße Haut, meist blondes oder rotes Haar und blaue oder graue Augen. Die Männer trugen außerdem lange, dichte Bärte.

Darstellung der Begegnung zwischen den Guanchen und den Spaniern zu Beginn des 13. Jahrhunderts

Kultur und Gesellschaft

Als die Spanier bei den Guanchen ankamen, fanden sie dort eine Kultur vor, die so einzigartig wie selten war. Sie lebten meist in natürlichen oder künstlichen Höhlen, die sie mit abstrakten und geometrischen Figuren, geheimnisvollen Symbolen in Form von Spiralen und Dreiecken verzierten, ähnlich wie die europäischen Cro-Magnons aus der Eiszeit. Sie gruben ihre eigene Architektur in den Tuffstein und schufen quadratische Kolonnaden, die in die Felswände gehauen wurden. Sie waren mehr oder weniger der Steinzeit überlassen: Sie wußten nicht, wie man mit Metallen arbeitet und benutzten Werkzeuge aus Stein, Knochen, Holz, Muscheln und Terrakotta.

Einige Chronisten berichten von selbst zugefügten Schädelbohrungen, um die Sehkraft zu steigern. Der rituelle Selbstmord galt als ehrenvoll, und bei der Einsetzung eines neuen Häuptlings stürzte sich einer seiner Untertanen zu dessen Ehren freiwillig von einer Klippe: Ähnliche Bräuche finden wir bei den Präkolumbianern.

Ritzungen und Höhlenmalereien mit konzentrischen Kreisen und Spiralformen, die an das Symbol des Labyrinths erinnern

Der rätselhafte Aspekt betraf jedoch die Kultur dieses Volkes, die äußerst komplex war und sich vor allem in sozialer Hinsicht entwickelte. Es ist bekannt, dass es in sogenannten “primitiven” Gesellschaften normalerweise keine Klassen oder Hierarchien gibt; bei den Guanchen hingegen gab es Könige, Fürsten, Adlige, Dynastien, eine gut organisierte Priesterklasse und eine Kriegerkaste, als ob es sich um eine städtische Gesellschaft handelte. Die Vererbung des Königtums erfolgte matrilinear, d. h. der König hatte zwar die Macht inne, aber er erbte seine Würde von seiner Mutter (er konnte z. B. der Sohn der Schwester des vorherigen Königs sein).

Sie besaßen auch eine alphabetische Schrift, die dem libyschen Alphabet, das in der Sahara von den Tuareg/Berberi kaukasischer Abstammung gesprochen wird, seltsam ähnelt. Die Spanier stellten auch fest, dass die Frauen die gleichen Rechte wie die Männer hatten, und vermuteten, dass die Gesellschaft der Guanchen in der Vergangenheit vielleicht auf einer matriarchalischen Struktur beruhte, ähnlich wie im archaischen Kreta oder im Sizilien der Muttergöttinnen. So verbot es zum Beispiel ein Brauch, daßs ein Mann zuerst mit einer Frau spricht, und zwang ihn, geduldig zu warten, bis diese sich meldet.

Was den männlichen Teil der guanchischen Gesellschaft betrifft, so sind die Namen der alten Könige und Helden, die vor der Ankunft der Spanier herrschten und sich mehr als ein Jahrhundert lang stolz gegen deren Eroberung wehrten, noch in Erinnerung: Tinerfe, von dem die Insel Teneriffa ihren Namen hat, Pelinor, Bencomo, Achaimo, Doramas. Statuen der Guanchenkönige, Menceyes genannt, können am Kai des Hafens von Teneriffa bewundert werden.

Merkwürdigerweise war das Gebiet der Guanchen zur Zeit der Ankunft der Spanier in 10 Bezirke unterteilt, die jeweils von einem Mencey regiert wurden. Die Parallelen zur Regierung von Atlantis, wie sie uns von Platon erzählt wird, liegen auf der Hand, aber dazu später mehr.

Die Guanchen zeigen den Spaniern die Katakomben (G. T. Wilhelms “Enzyklopädie der Naturgeschichte: Der Mensch”, Augsburg, 1804)

Mumifizierung

Ein weiteres überraschendes Merkmal der Guanchen war ihre Wissenschaft der Einbalsamierung der Toten: In zahlreichen Höhlen oder unter Grabhügeln wurden unzählige völlig dehydrierte Mumien gefunden – und leider meist geplündert, mit einem Gewicht von nicht mehr als 6 oder 7 Kilogramm, manchmal sogar weniger als 4! Die von den Guanchen praktizierte Mumifizierung ähnelt der der alten Ägypter: Der Leichnam wurde von seinen inneren Organen befreit (die oft in separaten Behältern aufbewahrt wurden), in der Sonne getrocknet und in Ziegenfelle eingewickelt. Die Mumifizierung war einer Klasse von Fachleuten vorbehalten, die Frauen für Frauen und Männer für Männer waren.

 

Mumie Guanche

Pyramidenbauwerke

In Guimar, an der Ostküste Teneriffas, kamen bei Ausgrabungen Mitte der 1980er Jahre mehrere Pyramidenbauten zum Vorschein, die jeweils aus fünf rechteckigen Lavasteinstufen bestehen und auf seltsame Weise denen ähneln, die in Mexiko von den Mayas und Azteken und im Nahen Osten von den Babyloniern errichtet wurden. Ursprünglich gab es neun Pyramiden, von denen jedoch nur noch sechs erhalten sind. Entdeckt, erforscht und der Welt bekannt gemacht wurden sie durch die Arbeit des berühmten Forschers und Seefahrers Thor Heyerdahl, der darauf hinwies, dass die Pyramiden eine genaue astronomische Ausrichtung haben.

Alle Pyramiden haben nämlich an ihrer Westseite eine Treppe, auf der man am Tag der Wintersonnenwende den Weg der aufgehenden Sonne verfolgen kann. Am Tag der Sommersonnenwende hingegen kann man von der Spitze der höchsten Pyramide aus einen doppelten Sonnenuntergang erleben: Die Sonne geht zunächst hinter dem Gipfel eines hohen Berges unter, passiert ihn, taucht wieder auf und geht dann hinter dem Berg neben dem ersten unter. Das Vorhandensein von Pyramiden wird jedoch bereits 1632 von dem Franziskanermönch Juan de Abreu berichtet, der auch einige auf der Insel La Palma beschreibt. Der Chronist berichtet auch, dass solche Konstruktionen in Nachahmung einer “Art natürlicher Pyramide” aus einem einzigen Felsblock errichtet wurden, der von den Guanchen “Idafe” genannt wurde, der Name einer geheimnisvollen Gottheit, der er geweiht war.

Pyramidenbau in Guimar, Teneriffa

Religion

Sie glaubten in erster Linie an einen Schöpfergott, der allen anderen übergeordnet ist und auf verschiedene Weise genannt wird: Acoran auf Gran Canaria, Achaman auf Teneriffa, Eraoranhan auf El Hierro, Abora auf La Palma, Orahan auf La Gomera. Einige Gelehrte glauben, daß er mit dem ägyptischen Amun identifiziert werden kann. Sie verehrten auch Magec, den Sonnengott.

Sie glaubten auch, daß die unsterbliche Seele aller Menschen aus dem Licht der Sonne stamme und aus derselben Substanz bestehe. Infolge dieses Glaubens glaubten sie, daß alle Menschen die göttlichen und unsterblichen Kinder von Magec seien und nach dem Tod in sein Reich des Lichts zurückkehren würden. Sonnenkulte dieser Art entwickelten sich kurz vor Beginn unserer Zeitrechnung im gesamten Mittelmeerraum, und auch in den alten präkolumbianischen Zivilisationen, in Mexiko wie in Peru, sowie bei vielen Eingeborenenvölkern Nordamerikas war dieser Glaube lebendig.

Sie verehrten auch eine große Muttergöttin, die sie Chaxiraxi nannten, die “Mutter der Sonne” und “Sie, die die Welt regiert”. Als sie Anfang des 15. Jahrhunderts eine hölzerne Statue der christlichen Madonna aus dem Meer fischten, die wahrscheinlich von einem Schiffswrack eines spanischen Segelschiffs stammte, identifizierten sie sie sofort mit Chaxiraxi und verehrten sie in einer Art synkretistischem Kult als “Mutter des Lichts der Welt”.

Doch damit nicht genug der Überraschungen: Die spanischen Chronisten entdeckten zu ihrem Erstaunen, daß das der Großen Muttergöttin gewidmete Fest (der Benesmer, mit dem der landwirtschaftliche Zyklus der Ernte der Früchte der Erde abgeschlossen wurde und mit dem gleichzeitig das neue Jahr begann) am 15. August gefeiert wurde, einem Datum, das im katholischen Kalender der Himmelfahrt Mariens gewidmet ist!

Illustration zum Fund der hölzernen Statue der Heiligen Jungfrau Maria durch die Guanchen im 15. Jahrhundert und ihre anschließende Verehrung als Chaxiraxi

Die Guanchen erkannten auch die Existenz eines Unterweltgottes an, der dem christlichen Teufel, aber mehr noch dem mediterranen Pluto/Hades ähnelte und den sie Guayote nannten. Sie glaubten, daß dieser Dämon, der in Form eines schwarzen Hundes nach dem Vorbild des ägyptischen Inpu/Anepu (von den Griechen als Anubis identifiziert, der dem Psychopomp Hermes entspricht) dargestellt wurde, am Fuße des Vulkans Teide auf Teneriffa lebte, der in den Legenden der Guanchen als Tor zur Unterwelt galt.

Solche Legenden erinnern stark an die isländische, irische und sogar italienische Folklore, die die Hölle an Vulkanen wie dem Ätna und dem Vesuv ansiedelte, sowie – wiederum – an den Glauben der präkolumbianischen Völker, die die Zugänge zur Unterwelt an Vulkanen oder unterirdischen Seen, den Xenotes, lokalisierten. Man glaubte, daß Guayote von einer Schar von Dämonen aus der Unterwelt begleitet wurde, die das Aussehen von schwarzen, haarigen Hunden hatten und auf Teneriffa Jucanchas und auf Gran Canaria Tibicenas genannt wurden. Einige Autoren verweisen auf die verblüffende Ähnlichkeit zwischen dem Dämon der Guanchen und dem etymologischen Aspekt Kojote, dann Betrüger vieler indianischer Mythologien.

Weitere Götter in ihrem Pantheon waren Achuguayo, der Gott des Mondes, und Achuhucanac, der Gott des Regens. Sie verehrten auch ein göttliches Kind, den Sohn von Chaxiraxi und Achaman – der mit ihnen eine Dreifaltigkeit bildete, wie es in archaischen religiösen Traditionen oft der Fall ist –, das nach der spanischen Eroberung als das Jesuskind identifiziert wurde. Die Guanchen brachten auch zahllosen anderen kleineren Gottheiten und spirituellen Wesenheiten Opfer dar, die mit der Welt der Natur, den Dämonen, den Ahnengeistern und den Maxios, den wohltätigen Genien, den Beschützern bestimmter Orte wie Berge und Quellen (entsprechend dem lateinischen genius loci), in Verbindung standen.

Eine weitere rätselhafte Übereinstimmung mit den italo-hellenischen und präkolumbischen Zivilisationen findet sich in der Einrichtung eines priesterlichen Nonnenkollegiums bei den Guanchen, das in einem Kloster lebte, dem sich kein Mensch nähern durfte. Diese frühgeschichtlichen Vestalinnen galten als “Bräute der Sonne” und hatten die Aufgabe, das heilige Feuer, das das Licht und das ewige Leben des Sonnengottes symbolisierte, stets am Brennen zu halten. Die Ähnlichkeit mit dem lateinischen Vesta-Kult (und dem hellenischen Estia-Kult) sowie mit den Traditionen zahlreicher indianischer Völker (einschließlich der Natchez im Süden von Mississippi) ist unverkennbar.

Herkunft der Guanchen:
 die berberischen und germanischen Hypothesen …

Die Herkunft der Guanchen blieb lange Zeit ein Rätsel. Die Forscher gehen davon aus, daß die ersten Siedler um 3000 v. Chr. aus Afrika auf die Kanaren kamen. Einige Wissenschaftler stellten daher die Hypothese auf, dass die Guanchen die letzten Überlebenden primitiver nordafrikanischer Völker (vielleicht phönizischer oder karthagischer Abstammung) waren, die zuvor auf die Insel vorgedrungen waren und dort ihre Siedlungen errichtet hatten.

Die Tatsache, daß die Guanchen überhaupt keine Schifffahrt betrieben und nicht einmal wußten, wie man ein Floß baut, und daß sie nie mit den Völkern in Kontakt kamen, die die benachbarten Inseln bewohnten, scheint diese Hypothese jedoch stark zu widerlegen, ebenso wie die europäisch geprägten ethnischen Merkmale dieses mysteriösen Volkes dieses Argument endgültig zu entkräften scheinen.

Germanischsprachige Gelehrte hielten die Guanchen für die Nachfahren der Vandalen, die zur Zeit des Untergangs des Römischen Reiches in Nordafrika einfielen. Diese Hypothese hätte zwar ihr Aussehen erklärt, nicht aber ihre Sprache (in der es keine Spur von germanischem Einfluß gibt) und ihre völlige Unkenntnis der Schifffahrt. Ihre Sprache ähnelte vielmehr dem alten Berber-Idiom, das noch heute in bestimmten Regionen des Atlas und Algeriens gesprochen wird, wo man manchmal auf hellhäutige, blauäugige Berbernomaden trifft.

Guanchen-Schädel

… und forensische Analysen

Die Lösung des Rätsels lieferte die forensische Analyse, bei der die Form der Schädel untersucht und die DNA der Mumien analysiert wurde, die in den Katakomben in den Höhlen der Insel gefunden wurden. Zu ihrem Entsetzen stellte sich heraus, daß die Guanchen zur alten Spezies der Cro-Magnon-Menschen gehörten, die vor etwa 35.000 Jahren plötzlich in Europa auftauchten und Europa bis zum Ende der letzten Eiszeit bevölkerten. Anthropologen erkannten genetische Übereinstimmungen mit den Basken, den Langobarden, den sibirischen Togaren und erstaunlicherweise auch mit den Dakota-Indianern in Nordamerika, besser bekannt als Sioux. Als Ergebnis dieser Forschungen wurde festgestellt, daß man sich für die Rekonstruktion des körperlichen Erscheinungsbildes der Guanchen ein Bild machen muß:

einen Vertreter der nordamerikanischen Ureinwohnerstämme mit einer großen Aquilin-Nase und einem kantigen Gesicht, mit archaischen Zügen, aber mit nordischer Pigmentierung.

Symbole der antiken atlantisch-mediterranen Völker

Man entdeckte, daß diese Völker von Frankreich und Spanien in Richtung der Straße von Gibraltar abstammten und das Saharagebiet besiedelten, das zur Zeit der Eiszeit keine Wüste war, sondern eine riesige sumpfige Hochebene, die von den alten griechischen und lateinischen Autoren “Tritonidensee” genannt wurde. Das Mittelmeer war damals viel flacher als heute, und der Kanarische Archipel bildete eine ziemlich große Insel, die von Ägypten durch den undurchdringlichen Schlamm des Tritoniden-Sees getrennt war, an dessen ozeanischem Ende sich der Berg Atlas erhob. Das sumpfige Plateau, das damals in der griechisch-römischen Zeit in der Westsahara existierte, wurde “Tritonidensee” oder “Tritonidensumpf” genannt (griechisch Tritonias limne; lateinisch Tritonis lacus oder T. palus).

Dabei handelt es sich um das heutige Schott el-Jarid, eine salzhaltige Senke in Zentraltunesien, in der Nähe der Stadt Gafsa, die heute wesentlich kleiner und im Gegensatz zu damals viel trockener ist als früher. Es sei darauf hingewiesen, daß in dem Gebiet, in dem heute die Berber leben, am Fuße des Atlasgebirges, geologischen Untersuchungen zufolge in der Vergangenheit ein Binnenmeer bestanden haben muß, das jeweils ausgetrocknet war und wahrscheinlich mit dem Tritonidensee der klassischen Autoren zu identifizieren ist, der von Apollonius Rhodius als Ort des Schiffbruchs der Argonauten genannt wurde.

Ägyptische Darstellung: die ersten vier von links sind kaukasische Berber aus dem Sahara-Gebiet

Die Wanderungen der Cro-Magnons im Laufe der Jahrtausende haben die Rasse der Guanchen auf den Kanarischen Inseln, der Cabile in Algerien und der Tuareg im Atlas und, allgemeiner, die Unterrasse, die als atlantisch-mediterran bekannt ist, hervorgebracht. Mit dieser neuen Hypothese konnte auch die Felskunst der Guanchen und ihre Ähnlichkeit mit der der Cro-Magnons erklärt werden, die mit einer Symbolik ausgestattet ist, die häufig bei den nordeuropäischen Völkern, den archaischen Völkern des Mittelmeerraums und überraschenderweise auch bei den amerikanischen Ureinwohnern zu finden ist.

Was wir über den matriarchalischen Aufbau der Guanchen-Gesellschaft gesagt haben, führt uns dazu, die Verbindungen zu den Berber-Kulturen zu bestätigen, insbesondere zu der der Tuareg, wo es ebenfalls Formen des Matriarchats gab (und manchmal noch heute gibt), sowie zu den proto-indoeuropäischen Völkern der minoischen Zivilisation. Dies würde nach Ansicht der klassischen Historiker auch auf eine tatsächliche Verwandtschaft mit den Amazonen hindeuten, die laut Diodorus Siculus und anderen Autoren in der libyschen Wüste lebten und enge, wenn auch oft kriegerische Beziehungen zu den Atlantern unterhielten.

Manche sehen diese Verbindung auch in dem Namen, mit dem sich die Berber in Marokko und Algerien selbst bezeichnen: Amazigh, was dem Wort “Amazonen” sehr ähnlich ist. Es gibt auch einige Berberstämme in Tunesien, die als “Söhne der Quelle” bezeichnet werden, und “Quelle” heißt in ihrer Sprache Attala; nach Ansicht von Sprachwissenschaftlern ist das Phonem ATL – nicht nur in der Sprache der Sahara-Berber, sondern sogar in der der Azteken mit Wasser verbunden, die den Ort, von dem aus ihre Vorfahren einst zogen, Aztlan nannten.

Das Mittelmeer, wie es vor Tausenden von Jahren ausgesehen haben muß

Die ›Libu‹ und die ›Meeresvölker‹

Die alten Ägypter behaupteten, daß westlich von Ägypten die Libu (daher der moderne Name der Region, Libyen) lebten, ihre Erzfeinde mit blondem oder rotem Haar und blauen Augen, die Federdiademe auf dem Kopf trugen (wie die amerikanischen Ureinwohner, wie wir wissen). In den ägyptischen Annalen sind diese Völker auch unter dem Gattungsnamen “Völker des Meeres” bekannt, zu denen auch die Shardana, die antiken Bewohner Sardiniens, gehört haben sollen, denen die Insel ihren heutigen Namen verdankt. In der Tat ist eine Blutsverwandtschaft zwischen Guanchen und Shardana sehr wahrscheinlich, aber all diese Hinweise auf das Meer und die Schifffahrt stehen im Gegensatz zu der völligen Unkenntnis der überlebenden Guanchen zur Zeit der spanischen Eroberung.

Man könnte spekulieren, daß die “Meeresvölker” und die Guanchen einst zum selben ethnischen Stamm gehörten, aber während die ersteren das Wissen über die Schifffahrt bewahrten, gerieten die letzteren mit der Zeit in die Isolation vom Rest der Welt, degenerierten und gerieten in Vergessenheit.

Ein ägyptisches Flachrelief und eine moderne Darstellung der sogenannten ” Meeresvölker “

Antike Quellen und Mythologie: Die ›Inseln der Glückseligen‹ und die ›Isola dei Beati‹

Unter den klassischen Autoren waren es Plinius der Ältere und später Claudius Ptolemäus, die die mythischen “Inseln der Glückseligen” mit Sicherheit dem Kanarischen Archipel zuordneten. Zuvor wurden sie “Glückliche Inseln” (lateinisch Fortunatae Insulae) oder “Inseln der Seligen” (griechisch makarioi nesoi) genannt. Solche Legenden über eine Insel der Seligen im äußersten Westen finden sich auch in den keltischen Mythen Galliens und der britischen Inseln. Man glaubte, sie lägen jenseits der “Säulen des Herkules”, d. h. der beiden Säulen, die Herkules in der Nähe der heutigen Straße von Gibraltar aufgerichtet hatte, um Seeungeheuer am Eindringen in das Mittelmeer zu hindern.

Diese paradiesischen Inseln wurden zuweilen für die “elysischen Felder” gehalten: Pindar scheint dieser Meinung zu sein, denn in der zweiten der olympischen Oden (V. 61-76), die Theron von Agrigent gewidmet ist, erklärt er, daß diese Inseln für diejenigen bestimmt waren, “die sich dreimal in menschliche Gestalt gekleidet hatten, ohne sich etwas zuschulden kommen zu lassen, und sich der ewigen Seligkeit würdig gemacht hatten”, und fügt hinzu, daß Peleus, der Vater von Achilles, Cadmus, der Gründer von Theben, und andere Helden dort wohnten.

Diodorus Siculus (Bibliotecha Historica, V, 19-20) berichtet, daß auf diesen Inseln stets ein mildes Klima herrschte und keine Arbeit nötig war, da das fruchtbare Land seinen glücklichen Bewohnern reichlich Früchte einbrachte. Kurzum, es scheint sich um eine Wiederbelebung des Mythos vom Goldenen Zeitalter der Lateiner zu handeln, das von Saturn regiert wurde. Auch Hesiod hielt es für einen von der Natur begünstigten Ort voller spontaner und üppiger Früchte, das Reich des Chronos und die verdiente Heimat der Helden. Die gleiche Meinung vertritt auch Lukian von Samosata in seinem Werk ›Wahre Geschichte‹.

Arnold Böcklin, “Rückkehr zur Insel der Seligen”

Griechische Mythologie: Der ›Garten der Hesperiden‹, Atlas und die Plejaden

In der mythischen Geographie der Griechen gab es auch den “Garten der Hesperiden”. Dieser Garten befand sich an den Hängen des Berges Atlas im äußersten Westen, wo der Wagen der Sonne jeden Abend seine Fahrt beendete. Dort wuchs ein Baum mit goldenen Früchten, der nach dem Willen der Hera von einem riesigen Reptil, dem Drachen Ladon, bewacht wurde, der sich um den Stamm schlängelte und jeden daran hinderte, sich ihm zu nähern. (Es ist vielleicht interessant, daß den Guanchen die Dracena draco heilig war, eine Pflanze aus der Gattung der Liliengewächse, die die letzte Eiszeit überlebt hatte und unter der sie den Rat der Adligen versammelten, um Recht zu sprechen).

Eine andere Legende besagt, daß diese Sieben Inseln von den Sieben Töchtern des Atlas, den Plejaden (die wahrscheinlich den Hesperiden anderer Mythen entsprechen), bewohnt wurden, die, nachdem sie eine Rasse von Giganten und Helden hervorgebracht hatten, in Form von Sternen in den Himmel aufgenommen wurden. Atlas wiederum galt als der Lieblingssohn von Poseidon (dem römischen Neptun), dem Gott des Meeres und der Erdbeben, der dem Mythos nach Atlantis regierte, so dass sich laut Platon der Name der Hauptstadt des Reiches (Poseidonis) von ihm ableitet. Das von Apollonius Rhodius in der Nähe des Tritonides-Sees gefundene Schiffswrack der Argonauten wurde von Triton, dem Sohn des Poseidon, gelöst.

Hans von Marées, ›Le Esperidi‹ (Der Esperidi)

Antike historische Berichte: Plinius der Ältere

Plinius der Ältere berichtet, daß die Karthager um 50 v. Chr. unter der Leitung des Entdeckers Annon den Archipel besuchten und ihn verlassen vorfanden, wie Jubia, König von Mauretanien, berichtet. Sie fanden ihn jedoch mit zyklopischen Ruinen einer untergegangenen Zivilisation übersät. Bezüglich des karthagischen Berichts über die völlige Abwesenheit von Menschen in dem Gebiet wird behauptet, daß die Karthager den Archipel nicht im Detail erkundet haben, sondern nur auf einigen Inseln Halt machten.

Andererseits berichtet ein anderer antiker Autor, daß die Griechen bei ihren Erkundungen eine Rasse “roter Satyrn” vorfanden, wahrscheinlich ein Beiname für rothaarige Dorfbewohner. Diese Beschreibung der Bewohner paßt perfekt zu den physischen und körperlichen Merkmalen der letzten Bewohner der Kanaren, der Guanchen, denen die Spanier zu Beginn des 13. Jahrhunderts begegneten.

Das eigentliche Rätsel sind jedoch die zyklopischen Überreste dieser alten städtischen Agglomerationen. Da die Guanchen zur Zeit der spanischen Eroberung nicht wußten, wie man Behausungen aus Stein baut, wurde angenommen, daß die heutigen Bewohner nicht die ersten Bewohner der Insel waren. Es ist jedoch auch anzunehmen, daß die alten Völker nach einer Flutwelle, die die Insel bis auf die höchsten Berggipfel versinken ließ, auf denen vereinzelte und degenerierte Gruppen der alten atlantischen Völker überlebten, plötzlich vom Rest des Gebiets isoliert waren. Das atavistische Trauma des Kataklysmus würde den Rest erledigen, um sie für Jahrtausende vom Meer und der Schifffahrt fernzuhalten.

Mittelalterliche Darstellung der Guanchen

Zwischen Geschichte und Mythos: Platon und der Untergang von Atlantis

Einige Gelehrte datieren die Flutwelle 9.000 Jahre vor Platon (Mitte des 1. Jahrtausends v. d. Ztr.) und beziehen sich dabei auf die Erzählung vom Untergang von Atlantis, die ein ägyptischer Priester aus Sais um 600 v. d. Ztr. Solon erzählte und die im Timaios wiedergegeben ist. Aus der Erzählung geht hervor, daß “Atlantis eine riesige Insel war, die im Ozean vor den Säulen des Herkules lag, und dass die Atlanter eine Rasse von Halbgöttern gewesen sein sollen, die, von ihrem himmlischen Ursprung entartet, sich selbst verdarben, indem sie sich mit den Töchtern der Sterblichen vermischten, so dass Jupiter sie bestrafte, indem er ihre Rasse und ihr Land zerstörte” (De Sanctis/Mangelli, Primitives, Religion, Magie und okkulte Kräfte, 1935, S.339).

Wir werden an den griechischen Mythos von den Plejaden erinnert, die, “nachdem sie ein Volk von Riesen und Helden hervorgebracht hatten, in Form von Sternen in den Himmel aufgenommen wurden”. Es scheint, daß sich das Reich der Atlanter bis nach Nordafrika und Ägypten erstreckte, das eine Kolonie der Atlanter gewesen sein soll, und daß sich in den alten Papyri Aussagen finden, die diese tausendjährige Abstammung bestätigen, und der Name Rutas [aus der brahmanischen Tradition], der rote Menschen bedeutet und mit dem die Ägypter die Bewohner der untergegangenen Kontinente bezeichneten, würde dies bestätigen.

Solon erklärt auch, daß der Untergang von Atlantis während des Krieges zwischen den von Poseidon beherrschten Atlantern und den Griechen stattfand. Cecrope, der erste mythische König von Athen, bat Athene um Hilfe und mit ihrer Hilfe gelang es, die Angriffe abzuwehren. Die Atlanter kamen bei der Katastrophe in einer einzigen Nacht ums Leben, und das Volk von Cecrope ehrte Athene, indem es seine Hauptstadt ihr zu Ehren umbenannte. Könnte dies die wahre Geschichte hinter dem Mythos vom Kampf zwischen Poseidon und Athene um die Herrschaft über Athen sein?

Viele Autoren berichten außerdem, daß Athen die Königin der Amazonen und selbst eine Amazone war. Die alten Völker der Westsahara verehrten eine Göttin namens Athen, die laut Herodot im Sumpfgebiet der Tritoniden lebte. Die Tuareg (die sich selbst als Amazigh bezeichnen), die eine mehr oder weniger matriarchalische Zivilisation aufweisen, könnten daher die Nachkommen jener “Amazonen” sein, die vor über 11 000 Jahren im Mittelmeer an der Seite der Griechen gegen die Atlanter (die ägyptischen “Meeresvölker”) kämpften.

Einigen Autoren, darunter Edgar Cayce, zufolge sind die Azoren die Überreste der antiken Insel Atlantis, auf der sich die Hauptstadt des Reiches Poseidonis befand

Einige Gelehrte behaupten, daß die von Platon erwähnten 9.000 Jahre nicht als Sonnenjahre, sondern als Mondjahre, d.h. Monate, zu betrachten sind. Dieser Theorie folgend behaupten sie, daß der Kataklysmus, der den Untergang von Atlantis und die Aufteilung der Insel in ein Archipel von sieben Inseln sowie das Austrocknen des Tritonidenmeeres und die Entstehung der Westsahara, wie wir sie heute kennen (d. h. Wüste), etwa 725 Jahre vor Platon, also 1.300 Jahre vor unserer Zeitrechnung, stattfand. Es würde also mit dem Vulkanausbruch von Thera (dem heutigen Santorin) zusammenhängen, der unter anderem auch die Überflutung anderer Gebiete im Mittelmeer verursachte, die Insel Kreta (auf der eine Kultur mit vielen Berührungspunkten mit den Guanchen lebte) stark verkleinerte und Malta isolierte.

Die geheimnisvollen “Steinspuren” auf Malta

In diesem Zusammenhang sind die mysteriösen “Steinspuren” auf der Insel zu erwähnen, die oft nirgendwo hinführen, sondern im offenen Meer enden. Ihr Alter und ihr Zweck sind nach wie vor ein Rätsel: Wissenschaftler gehen im allgemeinen davon aus, daß die Spuren aus dem Jahr 2000 v. d. Ztr. stammen, als die ersten Siedler aus Sizilien oder Kreta kamen und die Bronzezeit auf Malta begannen. Es spricht jedoch nichts dafür, daß sie noch älter sind, wobei einige ihr Alter auf über 10 000 Jahre schätzen. In ähnlicher Weise datieren einige Wissenschaftler den Bau der ebenso mysteriösen unterirdischen Hypogäen auf der Insel in eine Zeit, die für die Geschichtswissenschaft unvorstellbar ist.

Das Hypogäum von Hal Saflieni auf Malta

Aber die These, die den Untergang von Atlantis auf 9.500 Jahre vor unserer Zeitrechnung datiert, scheint eher der Tradition zu entsprechen. So berichtet Proklos, daß Atlantis aus sieben Inseln bestand, zu denen die heutigen Kanarischen Inseln (oder besser gesagt, das Land, das einst den gesamten Archipel umfaßte) zu gehören scheinen, und daß die größte von ihnen, die nach dem Herrscher des Reiches Poseidonis genannt wurde, noch elftausend Jahre vor unserer Zeitrechnung existierte. Die indische Überlieferung geht davon aus, daß die Insel elftausend Jahre vor unserer Zeitrechnung untergegangen ist, und stimmt daher mit der griechischen Überlieferung vollkommen überein.

Nach vielen alten Überlieferungen war die Insel, die vor elftausend Jahren teilweise unterging (die heutigen Kanarischen Inseln), nur ein Teil des ursprünglichen Atlantis, während der viel größere Kontinent selbst schon viel früher untergegangen sein soll. Der viel jüngere Ausbruch von Thera (der heutigen Insel Santorin) hätte die letzten von den Nachfahren der Atlanter bewohnten Gebiete, einschließlich derjenigen der minoisch-kretischen Zivilisation, endgültig versenkt.

Die heutigen Berber des Atlasgebirges in Nordafrika sollen zu den letzten Überlebenden jenes uralten Volkes gehören, das die griechischen Geschichtsschreiber als “Amazonen” bezeichneten, die ursprünglich mit den “Meeresvölkern” verwandt waren, sich aber später mit ihnen vermischten. Noch heute tragen die Tuareg blaue Kleidung, und im Laufe der Zeit nimmt ihre Haut in engem Kontakt mit der türkisfarbenen Pigmentierung ihrer Gewänder denselben Farbton an. Ihre Legenden besagen, daß sie Nachfahren der Atlanter sind.

In diesem Rahmen würden die Guanchen der gleichen ursprünglichen ethnischen Linie angehören (der der proto-indoeuropäischen Cro-Magnons, die sich später in “Meeresvölker” oder Atlanter, Minoer, Amazonen und in jüngerer Zeit in Berber und Tuaregs aufteilten), wären aber nach der Katastrophe, die auf 9.500 vor unserer Zeitrechnung datiert wird, von den anderen Völkern isoliert worden. Die einzigen, die den Untergang des ursprünglichen kanarischen Territoriums überlebten, waren die wenigen isolierten Gruppen auf den Berggipfeln. Vielleicht sind die Guanchen aus diesem Grund immer in der Steinzeit geblieben und haben die Schifffahrt nie kennengelernt.

 

Quelle: https://axismundi.blog/2016/02/03/enigmi-del-mediterraneo-i-guanci-i-popoli-del-mare-e-atlantide/
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