Hans Friedrich Blunck

aus dem Märchenbuch ›Sterne und Gelichter‹

Einmal wanderte ein Student mit seinem Pudel der Heimat zu, er wollte Weihnachten bei seinen Eltern feiern. Dabei geriet er aber vom Wege ab in den tiefen Schnee, der Haube neben Haube über jungen Tannen lag, verirrte sich und lief, während das treue Tier noch nach ihm suchte, in eine Höhle zu den kleinen Wittewichten.

Wie man zu denen hineinkommt? Ja, genau weiß ich das selbst nicht. Es geschieht keinesfalls einfach so, daß man in ein Schneeloch einbricht, man würde die Höhle darunter leer finden. Man muß vielmehr durch einen guten Zufall die kleine Pforte finden, die zu den Wittewichten hineinführt. Auf alle Fälle ist jeder, der durch ihre Tür zu ihnen gerät, auf einmal winzig klein gleich den Wittewichten selbst und kann sich vergnügt zu ihnen an den Tisch setzen. Aber ich mahne jedermann achtzugeben, daß er durch eine gleiche Tür nach draußen kommt, um wieder zu wachsen. Sonst hat er bis zum nächsten Besuch seine menschliche Gestalt verloren.

Auch unserm Studenten brachte es viel Spaß, auf einmal so winzig zu sein. Er vergnügte sich mit dem kleinen Volk und wurde von ihm gut bewirtet. Sieben Brüder saßen da unter einer verschneiten Tanne; bald kamen einige Moosweibsen und am Ende sogar drei Kullerpucker zu Gast – die waren aus der Eisenbahn herausgefallen, die drüben durch die Heide fuhr –, kurz, es wurde eine ausgelassene Gesellschaft.

Die Wittewichte haben das Leben ja leicht genug. Weil es so kurz wie der Winterschnee ist und sie nicht viel Zeit haben, gehorchen ihnen alle Dinge; die Töpfe gehen von selbst zum Herd, die Bänke und Tische stellen sich auf, wie sei es nur wünschen, und das Feuer brennt, sie brauchen es ihm nur zu sagen. Wirklich, die Moosweibsen, die Kullerpucker und der Student, der jetzt kaum fingerlang war, hatten ihr Vergnügen daran, wie sich alles nach dem Befehl der Wittewichte richtete.

Auf einmal, als sie gerade lustig beisammensaßen, kam ein fürchterlicher Lärm über sie. Da war eine große, hungrige Krähe des Unterschlupfes gewahr geworden, brach von oben durch den Schnee, hob einen der Wichte nach dem andern an der weißen Nase aus dem Loch und schluckte ihn über. Wer weiß, was mit dem Studenten geschehen wäre, hätte er nicht gerade zur rechten Zeit noch seinen Pudel zu Hilfe gerufen, der draußen nach ihm witterte und natürlich groß wie zuvor geblieben war.

Der Hund konnte denn auch gleich die schlimme Krähe verjagen, er rettete Kullerpucker, Moosweibsen und Wittewichte, die übriggebliebene waren. Aber das Schlimme war: das Haus wurde bei dem Kampf zertreten, der Student konnte nicht mehr zur Tür hinaus, durch die er hereingekommen war. Da stand er nun, klein wie ein Däumling unter seinesgleichen.

Gut war, daß der treue Pudel ihn erkannte und ihm zur Seite blieb; ja, das gute Tier war sogar bereit, alles kleine Volk aus dem zerbrochenen Haus in seinen Pelz zu nehmen, legte sich hin, bis die Leute ihn erstiegen hatten, und suchte dann gutmütig mit ihnen seinen Weg.

Sie kamen indes nicht weit; nach einer Stunde gerieten sie mitten in den Heerhauf eines unteriridischen Volkes, das zum Krieg auszog. Es hatte sich mit einem Nachbarvolk verabredet, ihm da und da eine Schlacht zu liefern, und hatte Eile, weil es zu spät auf die Beine gekommen war. Die Kleinen fragten deshalb den Studenten, den sie für ihresgleichen hielten, ob er ihnen nicht mehr solcher Reittiere verschaffen könnte, sie wollten nicht hören, daß sie etwa aus Angst zu spät zur Schlacht gekommen wären.

Der Student hätte dem kleinen Volk gern geholfen. Er sah sich um, und weil man gerade bei einem alten, im Straßengraben verunglückten Lastwagen war, nahm er den Trommler der Unterirdischen mit, ließ ihn auf den Sitz klettern und so lange vor sich hin Trummen, bis der alte Wagen meinte, er sei wieder jung, und von selbst seine Räder bewegte. Alle Leute krochen schleunigst hinauf, der Hund dazu und hintenauf die Kullerpucker, es war ein großes Heer, das zum Schlachtfeld fuhr.

Aber die Unterirdischen haben wohl von solch hohen Wagen nicht die richtige Übersicht. Auf einmal stellte sich nämlich heraus, daß sie schon viel zu weit gefahren waren – husch, husch, husch sprangen alle ab, um noch zur rechten Zeit zur Stelle zu sein. Nur den Trommler behielt der Student am Kragen, ließ ihn weiter dem Wagen vortrummen und ist wirklich mit seinem Hund und den kleinen Gästen aus der Wittewichtenhöhle zu Hause vorgefahren.

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Es ist jedoch keine schöne Weihnacht gewesen. Die Eltern des Studenten weinten nur immer, wenn sie ihren Sohn ansahen, und alle Mädchen lachten über ihn; das ergrimmte ihn am allermeisten. Es verdroß ihn auch sehr, daß er immer erst drei Wege machen mußte, wenn er beim Studieren die Buchseiten umschlagen wollte. Kurz, er sah ein, daß es so wie bisher nicht mehr weiterging. Er fragte deshalb eindringlich seine kleinen Freunde um Rat, was er wohl beginnen sollte, um seine alte Gestalt wiederzubekommen.

Da empfahlen ihm die Kullerpucker, nachts in den Schnee zu gehen und auszuschauen, wo die Riesen entlang liefen. Wenn er in deren Fußstapfen träte, würde er gewiß so groß wachsen, wie er es wünsche, meinten sie.

Der Student tat danach, er fand wirklich solchen Fußstapfen und lief ihn ab, immer rundum ab. Aber die Kullerpucker sind nicht so klug, wie sie sich ausgeben; er blieb klein wie zuvor.

Wieder verlor er fast allen Mut, und weil die Menschen nichts mit ihm zu tun haben wollten und seine Eltern immer nur weinten, nahm der Bursch sich vor, zum unterirdischen Kuhlenkröger zu gehen und den um Rat zu fragen. Vielleicht, dachte er, sei es überhaupt das beste, gleich bei den Unholden zu bleiben, da brauchte er den Gram der Menschen nicht zu sehen.

Es lag immer noch Schnee, als er mit seinem treuen Pudel aufbrach, und lange, sehr lange wanderten sie. Dabei führte sie der Weg auch durch den verschneiten Tannenwald, in dem das Unglück geschehen war. Aber es ging doch schon zum Frühling, tropfte aller Enden von den Bäumen, und der Schnee brach ein, wo der Hund entlang ging. Nur der Däumling von Student kam noch überall hinüber, er war ja fast federleicht.

Auf einmal nun, wie der dem Hund folgt, sieht der Student just so ein Haus der Wittewichte wie das, in das er einst hineingeraten war. Und er fragt sich, ob die vielleicht Rat wissen. Er sucht also den Eingang zu ihrem Haus, findet ihn nicht und bricht dabei von oben durch das halb geschmolzene Dach zu ihnen ein. Gleich entschuldigt er sich sehr, daß er nicht durch die Tür gekommen sei. Aber die kleinen hören kaum hin, sie sind gar nicht freundlich mit ihm, sie sind viel zu traurig, daß ihr Leben zu Ende geht. Sie haben zudem einige Unterirdische zu Gast, die sind noch bitterböse auf den Studenten; er hat sie nämlich damals mit einem Wagen zu weit gefahren, und sie haben den Krieg verloren. Die Leute fangen also wieder Streit mit dem armen Burschen an, erhitzen sich, packen ihn beim Kragen und schütteln ihn, statt ihn zu Gast zu laden. Und dann – nun paßt auf –, dann sperren sie die Tür der Hütte, die der Student vorher nicht gefunden hatte, auf und werfen ihn im hohen Bogen hinaus.

Was glaubt ihr: Kaum ist er über die Schwelle hinüber, da erfüllt sich der Zauber mit der Tür, der beim erstmal verlorengibt, weil der Pudel das Haus zertreten hatte – da wächst der Bursch, kaum daß er draußen ist, blitzschnell und steht auf einmal leibhaftig und just so groß, wie er früher gewesen war, zwischen den Tannen. Und sein Hund heult vor Freude, und die Unterirdischen und Wittewichte, die ihm aus der Tür nachschauen, entsetzen sich so furchtbar, sie schreien, kullern sich wie Igel zusammen und verkriechen sich, so tief es geht. Aber der Student ist froh, daß er wieder seine wirkliche Gestalt hat. Er ist so vergnügt, daß er erst einmal heimläuft und Vater und Mutter und alles, was er trifft, zu einem großen Fest einlädt. Und alle Mädchen haben ihn jetzt wieder gern, und er kann die Bücher wieder aufschlagen, wie es ihm gefällt, und auch mit seinem Pudel um die Wette laufen. Und er merkt erst jetzt richtig, wie herrlich das Leben der Menschen ist.

Das sagen wenigstens alle, die schon einmal bei den „anderen“ gewesen sind; man wird es ihnen glauben müssen.