Gerhard Hess

Der grundsätzliche Unterschied zwischen heiligem Baum und heiliger Säule soll mit der folgenden Bildzusammenstellung deutlich gemacht werden, mit der Einschränkung, daß sich bereits auf dem frühen hethitischen Relief der königliche Kultsäulencharakter der Dattelpalme festgelegt ist, denn im Fuß der ikonographierten Palme ist das hethitische Zeichen für ›Königsheil‹ eingegeben.

Ein syro-hethitisches Relief vom ›Citadel Lion’s Gate› aus Phase IIIa 2 (Anatolien, späte Bronzezeit, ca. 13. Jh. v.0). Zwei bewaffnete Genien, denn der Heilige Lebensbaum muss vor den Chaosmächten beschützt werden, flankieren die ikonographierte Dattelpalme. Sie tragen die Blitzbündel des Wettergottes Teššub/Teschub in den Händen, geschultert haben sie seine Waffen-Attribute, die Keule und die Doppelaxt.

 

Das Löwentor aus 13. Jh. v.d.Z. ist das Haupttor der Stadt Mykene, zwischen südlicher Peloponnes und dem Istmus von Korinth. Die Mykener waren die aus dem Norden eingewanderten frühen indogermanischen Griechen. Die beiden Löwen flankieren die Weltsäule.

LEBENSBAUM UND WELTSÄULE
Wenn wir uns der Thematik, die ich mit vorstehendem Titel umrissen habe, vorsichtig nähern wollen, müssen wir zunächst streng zu unterscheiden verstehen, zwischen den Begriffen und den mit ihnen verbundenen profankünstlerischen oder sakral-ikonischen Darstellungen zu unterscheiden. Es geht um vier grundsätzlich selbstständige Betrachtungsgebiete, wenn auch im Verlauf der Kunst- und Kulturgeschichte Mischungen und Zusammenschauungen nachweisbar wurden: 1. der geheiligte Baum, 2. der Weltenbaum, 3. der Lebensbaum und 4. die Weltsäule.
DER KULTBAUM

Im Hinblick auf den Baum im altgläubigen Kult beschrieb recht treffend Manfred Lurker des geistigen Sachverhalt, deshalb will ich ihn zitieren: Wenn bei Völkern, die noch ganz in den Rhythmus der Natur eingespannt sind, einzelne Naturgewalten selbst als Götter verehrt werden, so darf das nicht ohne weiteres als Naturgötzendienst abgetan werden. In vielen Fällen wurde nachgewiesen, daß die Verehrung weniger dem sinnlichen Naturobjekt gilt als vielmehr einer hinter ihr stehenden, durch sie nur symbolisierten Gottheit. Die Natur wird von Mircea Eliade als die ›Offenbarung der lebendigen Realitäten betrachtet. Für den mit mit dem Strom des Lebendigen sich verbunden fühlenden Menschen wird die blühende und fruchtragende Natur zur Inkarnation der Offenbarung des Heiligen. Ein Baum oder eine Pflanze ist niemals heilig als Baum oder als Pflanze; sie werden durch ihre Teilhabe an einer transzendierenden Realität, sie werden es, weil sie diese Realität bedeuten. Durch ihre Weihung wird die konkrete, profane Pflanzenart transsubstantiiert nach der Dialektik des Sakralen gilt ein Stück (ein Baum, eine Pflanze) soviel wie das Ganze (der Kosmos, das Leben), wird ein profaner Gegenstand zur Hierophanie. (Manfred Lurker, Der Baum in Glauben und Kunst, 1960, S. 15)

DER WELTENBAUM
Den Germanen galt die Eibe als Weltenbaum. Ein gefälliges, sinnmachendes Gleichnis, sich die Welt als Baum zu denken, mit seinem in den Himmel weisenden Gipfel und seiner aus den irdischen Tiefen geschöpften Nahrung. Auch andere Kulturen kennen dieses Gleichnis. Die altaischen Völker haben einen Mythos, wonach im Nabel der Erde der höchste aller Erdenbäume, eine riesenhohe Tanne wächst, deren Wipfel bis zum Hause des Gottes  Bal-Ülgan reicht. Von einem Weltenbaum redeten auch die Arioinder, wie in Rigveda X 135,1, wo der ›schön belaubte Baum‹ thematisiert wird, wo ›Yama zusammen mit den Göttern trinkt‹. Atharvaveda V. 4,3 gibt an: Im dritten Himmel steht der Ašvattha-Baum, der Sitz der Götter (s. Uno Holmberg, Der Baum des Lebens, 1996, 42.) Sie kannten ebenso die Weltensäule; im Atharvaveda X,7 wird sie (skambha) zum Träger des Alls, im theosophischen Sinne sogar zum Weltgeist idealisiert, wobei der ursprüngliche Charakter des Nordsterns noch stellenweise durchbricht (s. Hermann Brunnhover, Arische Urzeit, 1910, S. 152).
Auch für Altägypten gab es eine himmeltragende Gottheit Šu, ähnlich dem griechischen Titan Atlas. Die Vorstellung, dass der Götterthron, der Weltberg oder die Himmelsstütze im Norden zu suchen sei, glaubte sogar der hebräische Prediger Jesaia (14,13f), der gegen einen der sein Maß verlor, die Warnung aussprach: Er will in den Himmel steigen und sich über die Sterne Gottes erhöhen, er will sich setzen auf den Berg der Götterversammlung im äußersten Norden. Auch den westindogermanischen Hethitern galt – wie den Germanen – vor Jahrtausenden die Eibe, der eya-Baum, als heiliger Baum des Fruchtbarkeitsgottes Telipinu und des Königshauses (Die Hethiter und ihr Reich, 2002, S. 106). Unter Fachleuten ist man sich einig. Beim großen heidnischen ›Heiligen‹ zu Uppsala, so berichtete ›Adam von Bremen‹ in seiner ›Hamburgischen Kirchengeschichte‹ (Scholion 138 aus den Jahren 1075-81): … steht ein sehr großer Baum, der seine Zweige weithin ausbreitet, sommers und winters immer grün; welcher Art er ist, weiß niemand. Dort ist auch ein Quell …
Eine Eibe (Taxus baccata) muß es gewesen sein; der heilige Baum der keltisch-germanischen Mystik hat höchstwahrscheinlich sinngemäß und sprachlich Pate gestanden für den eddischen Weltenbaum Yggdrasill. Da Yggr, von altn. ýgr „grimmig, gereizt, heftig im Umgang“, als Beiname des Gottes Odin/Wodin belegt ist, deutet man landläufig Yggdrasil = ›Odins-Träger‹ in Berücksichtigung des bekannten Mythos, nach dem sich Odin selber speerverwundet in die Zweige der ›Weltesche‹ hängte, um Runenwissen zu erlangen.

Holzplastik an der Fassade des von Ludwig Roselius erbauten ›Atlantishauses‹ in Bremen in den Jahren 1928-44; der gekreuzigten (an der Weltesche hängenden) Odin als runenumgebenen ›arischen Christus‹. Bei einem englischen Bombenangriff 1944 wurde die Holzplastik zerstört und seitdem nicht wieder hergestellt.

Tiefergehende, historische und sprachliche Untersuchungen gelangen jedoch zur Feststellung, daß der germanische Weltenbaum als Eibe und nicht als Esche verstanden wurde. Eine ›immergrüne Esche‹ ist ein Unding –, und da der germanische Eibenbegriff in manchen Formen einen Guttural aufweist (ahd. īgo, schweiz. īge), so konnte aus urgermanischen igwa, igwja ein altn. yggwa, yggia werden. Das zweite Wortglied drasill aus urgermanisch drasilaz hat die Grundbedeutung ›Träger‹ und weiterhin ›Säule‹. Hinzu kommt, daß an bedeutsamer 12. Position des ODING keine Esche, sondern die Eibe erscheint, so daß mit großer Sicherheit gesagt werden darf: Diese immergrüne ›Weltesche Yggdrasil‹ war zur urgermanischen Ära sicher eine Eibe. Es handelt sich bei ihr um eine der ältesten heimischen Baumarten überhaupt; seit 600.000 Jahren siedelt sie in Europa.

Europäische ›1000-jährige Eibe‹ (Nadelbaum) auf dem Kollmitzberg, Ardagger, Niederösterreich

Esche (Laubbaum)

Zu der Vertauschung von Eibe und Esche mag beigetragen haben, daß wohl im Altnordischen, zumindest in einigen seiner Regionen, die Eibe als ›barraskur‹ (Nadelesche) umschrieben wurde, so wie sie noch in Mundarten Skandinaviens ›barrlind‹ (Nadellinde) oder ›barrlönn‹ (Nadelahorn) heißt. Daß aber in spätheidnischen Zeit auch oder ausschließlich wirklich die Esche als Welten-Baum angeschaut wurde, geht aus dem 26. ags. Runenvers hervor: Esche (æsc) ist überhoch, den Menschen wert. Fest im Boden hält sie stetig Stand, wenn auch viele [firas] Lebewesen sie anfallen. Ähnliches klingt im Grimnirslied (Grm. 35) an: Ascr Yggdrasils drygir erfiði, meira, enn menn viti; … d.h. Die Esche Yggdrasil muß Pein erleiden, mehr als die Menschen ahnen;…. Es wird so sein, daß der herkömmliche Welteibenbegriff in späterer isländisch-eddischer Zeit durch den Odinsbeinamen neu ausgedeutet wurde. Für diese Feststellung liefert das eddische Fjölsvinnsmál (20-22) zusätzliche Bestätigung. Hier wird vom Weltenbaum gesagt: Mimameiðr heißt er, Menschen wissen selten aus welcher Wurzel er wächst. Und weiter: Mit seinen Früchten soll man feuern, wenn Weiber nicht wollen gebären. Aus ihnen geht dann was innen bliebe: so wird er der Leute Schicksalsbaum [Maßbaum]. („mjötuðr“ = Baum des Gesetzes, oder des rechten Maßes).
Da Eibenabkochungen bei ungewollten Schwangerschaften als Abtreibemittel Verwendung fanden, was schon der griechische Arzt und Apollopriester Nikandros um 275 v.0 in seinen Versen über die Gifte (Alexipharmaka) beschrieb, erhellt sich die zunächst dunkel erscheinende Eddastelle. Noch eindeutiger wird unsere Vermutung durch Begriffe bestätigt, mit denen Eddatexte den Weltenbaum umschreiben. Im Altn. bedeutet barr, got. barizeins ›Nadeln des Nadelholzes‹; im heutigen Isländisch ist barrtré, schwed. barrträd der ›Nadelbaum‹. Im eddischen Háv. 50 heißt es von einer Föhre, dem Nadelbaum, sie hätte nicht borkr ne barr = Borke noch Nadel. Im eddischen Fjöls. 13 wird nach dem Namen des Baumes gefragt der mit breiten Ästen die weite Welt überwölbt = hvat dat barr heitir, …= wie heißt der Nadel(baum), …? Auch in Gylf. 16 u. 39 wird berichtet, daß des Weltbaums (Yggdrasil/Lärað) Krone vier Hirsche bzw. Ziege Heidrun die Nadeln abäsen (bita barr); oder sind hier die jungen Blättersprossen gemeint? Bekanntlich sorgt zwar das Alkaloid Taxin dafür, daß Eibensamen (außer dem roten Samenmantel), Nadeln, Rinde und Holz für Mensch und Pferd sehr giftig sind, dagegen können Wiederkäuer wie Rotwild und Rehe große Mengen an Eibennadeln ohne Probleme zu sich nehmen. Die Eibe ist zweihäusig, es gibt also Eibenmännlein und -weiblein; auch darin entspricht sie der paarigen, höheren Lebendigkeit unserer Erde.

Die roten Früchte der Eibe (Taxus baccata)

Die germanische Welteneibe Yggdrasil, drei mächtigen Wurzeln entsprossen, war, dem Mythos zufolge, der erste Baum, der gewachsen ist. Seine Äste breiten sich über alle neun Welten aus und erstrecken sich über den Himmel. Ein Adler sitzt im Geäst, zwischen seinen Augen ist ein Habicht, der Vedrfölnir  genannt wird. Eine Wurzel führt ins Götterheim Asgard, eine andere nach Niflheim  zur Quelle Hvergelmir, wo der Drache Nidhöggr (Neidzahn) an ihr nagt, Das Eichhörnchen Ratatöskr (Bohrzahn) klettert immer zwischen Baumkrone und Wurzeln hin und her, um Schmähreden zwischen Adler und Drachen zu verbreiten. Deshalb kann der Streit in der Welt kein Ende finden; immer wird er währen, zwischen Licht und Finsternis.

Yggdrasil und die drei Nornen Skuld, Urd und Verdandi

Am Fuße Yggdrasils liegt auch der Urdbrunnen, an dem die drei Nornen das Schicksal bestimmen. Unter den Zweigen des Baums halten die Götter Gericht. Schon die sumerischen Mythen kannten den Weltenbaum, im Garten an den Ufern des Euphrat, doch der verwendete Begriff ›Huluppa-Baum‹ (sum. halub) bedeutet nur Baum; man ist sich nicht sicher, ob der Dattelbaum oder die Weide gemeint war. Auch die Zeder galt der Göttin Inanna als heilig. Die oft erwähnten Opfergaben scheinen Dattelfrüchte gewesen zu sein, die Inanna heilig waren. Die Wurzeln des ›heiligen Baumes von Eridu‹, wo eine unbezähmbare Schlange hauste, reichten bis in die Unterwelt, die Baumkrone galt als Himmel wo die Sonne wohnt. Der Baumstamm symbolisierte als mittlere Ebene das Leben sowie die Wesen und Gegenstände auf der Erde. Der heilige Baum von Eridu meint den Weltenbaum, er dürfte dem Schriftzeichen für ›e.nun‹ (Haus des nun) entsprochen haben, das zeigt als Abbild eine Palme. Warum Inannas Bruder Gilgamesch den Baum zerstört, ist unverständlich. Es heißt im Mythos: Gilgamesch erschlug die Schlange, die nicht gezähmt werden kann.…löste dann die Wurzeln des Huluppu-Baumes; seine Begleiter, schlugen die Äste ab. Aus dem Stamm des Baumes schnitt er einen Thron für seine heilige Schwester, aus dem Stamm des Baumes schnitt er ein Bett für Inanna. Aus den Wurzeln des Baumes fertigte er ein Pukku für ihren Bruder. Aus der Krone des Baumes fertigte er ein Mikku für Gilgamesh dem Helden von Uruk. Die beiden Dinge, die für Gilgamesch gedacht waren, fallen in die Unterwelt. Im Epos wird nie erklärt, um was es sich bei ›Pukku und Mikku‹ handelt. Enkidu steigt in die Unterwelt hinab, um ›Pukku und Mikku‹ für Gilgamesch zurückzuholen. Da aber Enkidu den Unterweltsregeln nicht Folge leistet, muss er, bis auf eine kurzzeitige Rückkehr, für immer dort bleiben.

DER FRUCHTBAUM 
Äpfel gelten als das älteste Kernobst der Welt. In den jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Pfahlbausiedlungen des Alpenvorlandes werden bei Ausgrabungen immer wieder Jahrtausende alte Wildformen von Äpfel und Birnen gefunden, die meisten davon in verkohltem Zustand. Die damaligen Birnen und Äpfel waren viel kleiner als die heutigen und schmeckten herb-sauer. Diese Apfelfunde belegen, dass einfache Holzäpfel schon damals für die Vitaminversorgung vor allem im Winter getrocknet und als Vorrat eingelagert, einen wichtigen Bestandteil der Nahrung gebildet haben. Ihre Erhaltung verdanken sie ihrer Lagerung unter Luftabschluss im schlammigen Seeboden. Dass die Vitamine des Apfels lebenserhaltend sein können ist eine uralte Erfahrung, anders sind die antiken Mythen nicht erklärbar, wie jene die von den Hesperiden, den lieblichen Nymphen schwärmen, welche einen wunderschönen Garten hüten würden, mit einem Baum der goldenen Äpfel, die den Göttern ewige Jugend verliehen. Die 11. Arbeit des Herakles sollte es sein, die vom Drachen Ladon bewachten Goldäpfel, zu gewinnen. Im germanischen Mythos wirbt der solare Fruchtbarkeitsgott Freyr um die schöne Erdenfrau Gerda. Sein getreuer Freund Skirnir (Reiniger) übernahm die Brautwerbung. Während der er viel versprach, auch bot er ihr elf goldene Äpfel und dann sogar Odins Goldring Draupnir (Tröpfler) an, trotzdem lehnte die stolze Gerda zunächst ab, Freys Gemahlin zu werden. Das nur am Rande, wir müssen darauf nicht weiter eingehen. Der Apfelbaum, mit seiner köstlichen Apfelfrucht, spielte eine mythische Rolle bei Überlegungen der Lebenserhaltung, doch war er als Lebensmittel nie lebensnotwendig für die Erhaltung von menschlichen Lebensgemeinschaften.
DER LEBENSBAUM oder HEILIGER BAUM
Das Fragment aus urdynastischer Periode (Ende 4. Jt. v.0) eines Steatitgefäßes aus Mari zeigt die Anbetung von Mensch und Tieren am Fuß der hl. Palme (Mus. Damaskus). Das große Wandgemälde im Palast des Zimrilim in Mari (Larsa-Periode, um 2.040-1.870) zeigt die Dattelpalme mit fürbittender Göttin (Louvre, Paris). Die mittelsyrische Goldschale von Ugarit, des 14. Jh. v.0 zeigt schon den bekannten Palmetten-Voluten-Palmbaum, von Greifen flankiert (Mus. Aleppo), ebenso wie die gleichalten Rollsiegelabrollungen (Eva Strommenger, Mesopotamien, 1962). Auch Wandmalereien des 13. Jh. v.0 der mittelassyrischen Palast-Terasse in Kar-Tukulti-Ninurta zeigen die Palmettbaum-Säule von Ziegen flankiert (Anton Moortgat, Die Kunst des Alten Mesopotamien, S. 122). Die hethitische Bronzeschale aus der Großreichszeit (ab ca. 1.350 v.0) von Kastamonu besitzt Einprägungen von Greifen rechts und links vom Palmett-Lebensbaum (Die Hethiter und ihr Reich. Das Volk der 1000 Götter, 2002, Objekt 101). Ein ägyptisches Lebensbaummotiv zeigt eine im Baum integrierte Muttergöttin, auf einem Bronzegefäß des 7. Jh. v.0 (Louvre, Paris) aus der 26. Dynastie, also der nachassyrischen Periode. Der dortige Baum ist als Palme nicht eindeutig zu identifizieren.
Die Dattelpalme (phoenix dactylifera) ist im Vorderen Orient als Nutz- und Kulturpflanze mindestens seit dem 3. Jt. v.0 nachgewiesen. Weil sie immergrün ist und in vielseitiger Hinsicht als Lebensgrundlage dortiger Menschen diente, konnte sie als ›Heiliger Baum‹ oder ›Lebensbaum‹ bezeichnet werden. Etwa nach fünf Jahren trägt ein Dattelbaum das erste Mal Früchte. Er kann gute 100 Jahre alt werden. Er wächst an Oasen, aber auch in Städten (vgl. Jericho, die Palmenstadt Num 33,9; Dtn 34,3). Dattelpalmen sind besonders für Menschen in Wüstenregionen lebenswichtige Bäume: Sie spenden Schatten in der Hitze, zeigen Wasservorkommen an, da ihren Pfahlwurzeln an tiefe Grundwasservorkommen reichen. Die süßen, nahrhaften, wegen des hohen Zuckergehaltes dauerhaft haltbaren Früchte können als Reiseproviant Verwendung finden, man stellte aus ihnen sowohl Brot als auch Sirup her.

Dattelpalme

Das Holz dient als Bau- und Brennmaterial, Blätter zum Dachdecken und als Viehfutter und die Blattfasern werden zu Seilen, Körben und Matten verarbeitet. Die Dattelpalme wird zwischen 10 und 30 m hoch. Sie wächst gerade hinauf, so dass sie als Wuchsvorbild galt: Der Gerechte gedeiht wie die Palme, er wächst wie die Zedern des Libanon (Psalm 92,13), oder: Wie eine Palme ist dein Wuchs; deine Brüste sind wie Trauben (Hohelied 7,8). Daher fanden sich auch reichlich Palmbaum-Darstellung im Jerusalemer Tempel (z.B. Ezechiel 41,15-26). Mit dem frohen Schwenken von Palmwedeln drückte man Freude aus und empfing man Ehrengäste (1. Makkabäer 13,51). Gleiches wird auch in Johannes 12,13 ausgedrückt: Da nahmen sie Palmzweige, zogen hinaus, um ihn zu empfangen und riefen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn, der König Israels!
Die Dattelpalmen waren für Altisrael so markant, dass der röm. Kaiser Vespasian, zur Niederschlagung des Jüdischen Aufstandes im Jahr 70 n.0, Münzen schlagen ließ, mit dem Dattelpalmbild unter dem ein trauernder Mensch hockt und dem Schriftzug: ›Iudaea capta‹ (Judäa ergriffen, gefangen). Die Dattelpalme galt den Römern offenbar als ein Symbol für den jüdischen Staat. Schon früh hat sich die hl. Dattelpalme in ihrer Verkleinerungsform, der sog. ›Lilie‹ etabliert; ich gehe darauf später ein. In der biblischen Tradition sei die ›Lilie‹ auch das ›Symbol der Erwählung‹. So sah sich Israel unter den Völkern erwählt, wodurch die ›Lilie‹, als verkleinerter Palmbaum, auch das Judentum versinnbildlichen kann (Gerd Heinz-Mohr, Lexikon der Symbole, 1971, S. 189)
Die Griechen ließen sich vom nahöstlichen Palmidolkult anregen und schufen schon in mykenischer Zeit (ca. 1.400-1.350 v.0), z.B. auf Zypern beispielsweise den ›Zeus Krater‹ von Enkomi (Mus. Nicosia), der das stilisierte Palm-Idol vorführt. Andere Vasen aus Enkomi zeigen den Hl. Palmbaum von Wasservögeln flankiert. In ihrer protoattische Keramik, ein Stil, der um 700 v.0 den geometrischen ablöste, wird – vortrefflich vom Dipylon-Maler – das Palmmotiv des Hl. Baumes in einfallsreichen Variationen ausgeführt. Die Hl. Palme fand Eingang in die griechische Mythologie. Letho soll den Apollon unter der Palme von Delos geboren haben. Mir liegt die Fotografie eines geometrischen Kraters vor (Louvre, Inv. Nr. A 517), auch aus B. Schweizer, Die geometrische Kunst Griechenlands (Taf. 36f, S. 43), welcher kurz darauf eingeht. Hier flankieren zwei Greifen den Hl. Baum, der im ikonographischen Schema aufs Wesentlichste beschränkt ist, wie er bis ins europäische Mittelalter, in noch reduzierterer Form, das Kreuz flankierend, auf dem Siegfried-Sarkophag (aus 3./4. Jh. n. 0) im Kloster Lorch betrachtet werden kann.

Gerhard Heß