Boris Guennadevitch Karpov
Entwicklung des Rußland/NATO-Konflikts, 3 Szenarien
Hinweis: Dies ist der letzte Artikel einer dreiteiligen Serie, die auf der Analyse von Sergej Karaganow, Ehrenvorsitzender des Präsidiums des russischen Rates für Außen- und Verteidigungspolitik (SVOP), beruht.
Erster Artikel hier. Zweiter Artikel hier.
Der im zweiten Artikel gemachte Vorschlag, mehrere nukleare Warnexplosionen (also ohne Opfer) auszulösen, hat viele Reaktionen hervorgerufen, sowohl positive als auch negative. Letztere sind eigentlich durch das „Tabu“ von Atomwaffen im kollektiven Unterbewußtsein gerechtfertigt.
Nun stellt man fest, daß die Amerikaner seit mehreren Wochen regelmäßig eine „Information“ oder vielmehr ein „Gefühl“ verbreiten, wonach die russischen Atomwaffen größtenteils (man hat die Zahl von 80 % gelesen, die aus unbekannter Quelle stammt) unbrauchbar sind, weil sie „schlecht gewartet“ werden.
Dies wird von den westlichen Führern verbreitet, um die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß, wenn Rußland den Krieg verliert, sie es gefahrlos mit Atomwaffen angreifen können, da es kaum in der Lage ist, zurückzuschlagen, da 80% seiner Waffen „kaputt“ sind.
Eine harte Demonstration, wie ich sie oben beschrieben habe, würde diese schöne Propaganda zerstören.
Die Ukrainer starten eine Offensive nach der anderen und werden von den russischen Streitkräften in Schach gehalten. Es wäre jedoch unverantwortlich zu glauben, daß die Ukrainer am Ende ihrer Vorräte angelangt sind: Die NATO hat ihre Vorräte fast vollständig geleert und die Ukraine ist mit modernem Material überbewaffnet.
Was das Militärpersonal betrifft, so sind noch nicht alle Ukrainer umgekommen, und es gibt sehr viele ausländische Söldner (darunter auch Franzosen, siehe dieses Video von einem Franzosen, der in der Ukraine verletzt und evakuiert wurde). Auch Polen sind in großer Zahl vertreten.
Sobald klar ist, daß Rußland einerseits die Entmilitarisierung der Ukraine bis zum Ende durchziehen wird (d. h. mindestens bis Kiew) und daß andererseits die USA (und damit die NATO) nicht akzeptieren werden, daß Rußland gewinnt, kann man sich mehrere mögliche Entwicklungen der Situation vorstellen.
1. Rußland fährt fort, die ukrainischen Offensiven systematisch zu zerstören, und startet dann seinerseits eine Generaloffensive in Richtung Odessa und Kiew. Die NATO erkennt, daß sie die Situation nicht umkehren kann, es sei denn, sie greift direkt ein, das ukrainische Regime „fällt“ und die Ukraine gerät unter die direkte Kontrolle Rußlands. Die USA bereiten weitere Angriffe auf Rußland vor, wie sie es seit 20 Jahren tun: interne Destabilisierung, Unruhen im Kaukasus etc. Es ist also wie vor zehn Jahren, nur daß die Ukraine als NATO-Stützpunkt fehlt.
2. Rußland zerstört weiterhin systematisch die ukrainischen Offensiven und startet dann seinerseits eine Generaloffensive in Richtung Odessa und Kiew. Die NATO, die von der US-Militärlobby angetrieben wird, setzt dann entweder taktische Atomwaffen auf ukrainischem Gebiet gegen die russischen Streitkräfte ein oder schickt ihre eigenen Truppen dorthin.
In beiden Fällen zieht Rußland gegen die NATO in den Krieg. Wenn die NATO Atomwaffen eingesetzt hat, schlägt Rußland auf die gleiche Weise zurück, indem es zunächst Militärbasen in Polen, Rumänien, Deutschland und Frankreich angreift. Wenn die NATO keine Atomwaffen eingesetzt hat, wird Rußland mit Waffen der nächsten Generation (Kinzhal, Poseidon usw.) die militärischen UND politischen Kommandozentralen in Europa angreifen.
Es ist dann mehr als wahrscheinlich, daß die ukrainisch-polnische Grenze nur noch eine bedeutungslose Linie sein wird und sich die Kämpfe nach Polen und dann nach Westeuropa verlagern werden. Da die europäischen Armeen zum einen wenig motiviert und zum anderen schlecht ausgerüstet sind (die Materiallager sind leer), ist es wahrscheinlich, daß es nur sehr wenig Widerstand geben wird. Es ist auch nicht vorstellbar, daß England oder Frankreich Atomwaffen gegen Rußland einsetzen, da sie genau wissen, was sie in diesem Fall erwarten würde. Der Iran und die Türkei ihrerseits nutzen die Situation aus und dringen nach Südeuropa vor. Rußland „von Brest bis Wladiwostok“ wird wahr…
Die Amerikaner werden nicht eingreifen, selbst Biden und seine Manipulatoren werden ihre Sicherheit nicht für Europa riskieren. Sie werden neue Sanktionen verhängen! Und Biden wird wahrscheinlich nicht mehr an der Macht sein.
3. Obwohl diese Hypothese völlig undenkbar ist, erwähne ich sie dennoch um des Prinzips willen: Rußland wird von den ukrainischen Streitkräften überrannt und die Sicherheit des Landes wird ernsthaft bedroht, die Ukrainer nehmen Kursk und Belgorod ein und rücken nach Moskau vor. Wie in der russischen Militärdoktrin vorgesehen, führen wir einen nuklearen Warnschlag in der Ukraine durch und möglicherweise weitere, falls die Ukrainer nicht aus Rußland abziehen. Auch hier wird die NATO nicht mehr als heute eingreifen, da noch kein Schlag gegen Länder des Atlantischen Bündnisses erfolgt ist. Die Ukraine wird somit zu einer verwüsteten „Pufferzone“ zwischen der NATO und Rußland. Die USA bereiten weitere Angriffe auf Rußland vor, wie sie es seit 20 Jahren tun: innere Destabilisierung, Unruhen im Kaukasus etc.
Die Situation in den USA, wo die Gefahr eines Bürgerkriegs sehr real ist, ist ein weiterer Faktor. Trump ist meiner Meinung nach kein Parameter, der berücksichtigt werden sollte. Während seiner Amtszeit hat er die ukrainische Armee, die bakteriologischen Labore in der Ukraine usw. finanziell unterstützt. Eine mögliche zweite Präsidentschaft Trumps wird nichts ändern, aber man kann immer noch die Wahl eines völlig unabhängigen, systemfremden Kandidaten in Betracht ziehen, der dann beschließen würde, die NATO-Hilfe für die Ukraine einzustellen. Dann wären wir wieder bei Hypothese 1.
Auch die innere Situation in Rußland kann eine Rolle spielen: Obwohl Wladimir Putin, egal was die westlichen Medien behaupten, bei bester Gesundheit ist, kann er sterben. Sein Nachfolger wird höchstwahrscheinlich ein „Hardliner“ des Regimes sein, der den eingeschlagenen Weg noch energischer fortsetzen wird.
Obwohl diese Hypothese völlig absurd ist, erwähne ich sie dennoch um des Prinzips willen: Ein Putsch in Rußland bringt die „Liberalen“ der ›Fünften Kolonne‹ in den Kreml. Sie befehlen den Rückzug der russischen Streitkräfte aus der Ukraine, aber die Armee verweigert den Gehorsam. Bürgerkrieg in Rußland, die NATO nutzt die Gelegenheit, um militärisch in Rußland einzugreifen. Diese Hypothese, die am wenigsten wahrscheinlich ist, wäre die günstigste für die westlichen Länder.
Diese Annahmen sind nur … Annahmen, aber die russische Führung zieht sie ebenso in Betracht wie andere. Die einzige Gewißheit ist heute, daß Rußland seine Ziele nicht aufgeben wird. Sein Überleben steht auf dem Spiel.