Konrad Lorenz, 1903 in Wien geboren und 1989 dort verstorben, ist eine der wichtigsten Figuren der Ethologie. Seine Arbeiten über das Verhalten von Tieren in ihrer natürlichen Umgebung haben die moderne Biologie nachhaltig geprägt. Parallel zu seinen wissenschaftlichen Forschungen beschäftigte sich Lorenz auch mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaften und warnte in seinem Werk ›Die acht Todsünden unserer Zivilisation‹ vor den Fehlentwicklungen der heutigen Zivilisation.
Die Prägung: eine revolutionäre Entdeckung
Lorenz machte insbesondere das Konzept der Prägung populär. Dieses instinktive Bindungsphänomen tritt bei vielen Tieren von Geburt an auf. Eines der berühmtesten Beispiele sind die Graugänse, die er aus nächster Nähe beobachtete.
Lorenz wies nach, daß sich die Jungvögel an das erste bewegliche Objekt hefteten, das sie sahen, unabhängig davon, ob es sich dabei um ihre Mutter oder einen Menschen handelte. Dieser Prozeß ist für das Überleben der Arten entscheidend, da er es den Jungtieren ermöglicht, ihrem Beschützer zu folgen.
Diese Entdeckung ebnete den Weg für Studien über angeborenes Verhalten und stellte einige behavioristische Ideen in Frage, die sich ausschließlich auf das Lernen konzentrierten. So zeigte Lorenz‘ Arbeit, dass das Verhalten nicht nur von der Umwelt, sondern auch von instinktiven Mechanismen bestimmt wird.
Instinkt und aggressives Verhalten
Über die Prägung hinaus beschäftigte sich Lorenz mit der Frage der Aggression bei Tieren und Menschen. In seinem Werk ›Aggression: Das sogenannte Böse Zur Naturgeschichte der Aggression‹ argumentierte er, daß Aggression nicht einfach ein pathologisches Verhalten sei, sondern ein Instinkt, der für das Überleben der Arten notwendig sei. Er erklärte, daß dieses Verhalten im Tierreich reguliert werden kann, wo oftmals durch Signale tödliche Auseinandersetzungen eingeschränkt werden können.
Beim Menschen beobachtete Lorenz jedoch, daß diese natürlichen Regulierungsmechanismen häufig fehlen oder durch die Kultur und die moderne Gesellschaft geschwächt werden, was zu zerstörerischerem Gewaltverhalten führt. Seine Ideen waren zwar innovativ, lösten aber auch Debatten über die Bedeutung des Instinkts im Vergleich zum sozialen Einfluß bei der Entwicklung aggressiven Verhaltens aus.
Die acht Todsünden unserer Zivilisation
Über seine wissenschaftlichen Forschungen hinaus widmete Lorenz einen Teil seines Werkes der Analyse der Fehlentwicklungen der modernen Zivilisation. In ›Die acht Todsünden unserer Zivilisation‹ (1973) stellte er alarmierend fest, welche Auswüchse und Gefahren die Menschheit bedrohen. Für ihn haben die Moderne und der technologische Fortschritt zu einer Verschlechterung der menschlichen Werte und der Umwelt geführt.
Hier sind die acht Sünden, die er identifiziert:
♦ Überbevölkerung: Lorenz warnte, dass das unkontrollierte Bevölkerungswachstum einen unhaltbaren Druck auf die natürlichen Ressourcen und die Gesellschaft ausübt und Konflikte und Ungleichheiten verschärft.
♦ Umweltzerstörung: Lorenz zufolge führt die ungebremste Industrialisierung zu einer unumkehrbaren Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, wodurch die Artenvielfalt und letztlich auch das menschliche Überleben gefährdet werden.
♦ Die Beschleunigung des technologischen Fortschritts: Er warnt vor der Geschwindigkeit, mit der die Technologie voranschreitet, oft ohne die sozialen und ökologischen Folgen zu berücksichtigen.
♦ Die Entmenschlichung der sozialen Beziehungen: Lorenz beobachtet einen Verlust der Qualität menschlicher Beziehungen, der auf das Stadtleben und die Technologie zurückzuführen ist, die die Menschen isolieren.
♦ Kulturelle Homogenisierung: Der Globalismus führt laut Lorenz zur Zerstörung lokaler Kulturen, wodurch die Menschheit ihrer Vielfalt und ihres spirituellen Erbes beraubt wird: „Der Globalismus führt zur Zerstörung lokaler Kulturen, wodurch die Menschheit ihrer Vielfalt und ihres spirituellen Erbes beraubt wird.
♦ Der Verlust traditioneller Werte: Lorenz bedauert die Erosion der ethischen Werte, die einst die menschlichen Gesellschaften leiteten und die durch Konsumismus und Individualismus ersetzt wurden.
♦ Der Rückgang des zivilgesellschaftlichen Engagements: Er weist auf die zunehmende Apathie der Bürger gegenüber der Politik und gesellschaftlichen Herausforderungen hin, wodurch die jeweiligen „Demokratien” geschwächt werden.
♦ Die Manipulation der Massen: Die modernen Medien und die Werbung manipulieren die öffentliche Meinung und machen die Menschen zu passiven und beeinflußbaren Konsumenten.
Das Werk von Konrad Lorenz hat sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf philosophischer Ebene einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Seine Beiträge zur Ethologie haben zu einem besseren Verständnis der Verbindung zwischen Instinkt und Lernen im Tierverhalten geführt, und seine Überlegungen zur Entwicklung der menschlichen Zivilisation hallen angesichts der zeitgenössischen Herausforderungen noch heute nach.
Lorenz ist nach wie vor eine herausragende Persönlichkeit, deren Vermächtnis weiterhin die Überlegungen darüber anregt, wie die Menschheit Fortschritt und Respekt vor der Natur miteinander vereinbaren kann. Seine Analyse der „Sünden“ der modernen Zivilisation beleuchtet die Gefahren, die von der Industrialisierung, der Umweltzerstörung und der Entmenschlichung der Beziehungen ausgehen.
Lorenz‘ Aufruf zu einem stärkeren ökologischen und sozialen Bewußtsein bleibt in einer Zeit, in der die ökologischen Herausforderungen und sozialen Spannungen zunehmen, relevanter denn je.