Guillaume Faye
Wahrscheinlich wird erst nach der Katastrophe, die der Moderne und ihrer globalen Ideologie ein Ende setzen wird, eine alternative Weltanschauung an ihre Stelle treten. Niemand wird die Weitsicht und den Mut haben, sie zu entwickeln, bevor das Chaos ausbricht. Die Verantwortung für die Vorbereitung eines postkatastrophalen Weltkonzepts liegt daher von nun an bei uns, die wir in dem leben, was Giorgio Locchi das Interregnum genannt hat. Doch zunächst müssen wir diesem Konzept einen Inhalt geben.
Zunächst müssen wir notwendigerweise dem Wort „archaisch” seine wahre Bedeutung zurückgeben, das in seiner ursprünglichen griechischen Form „archê” nicht die derzeitige negative und abwertende Konnotation hat und sowohl „Fundament” als auch „Anfang” bedeutet – also „gründender Impuls”. Arché bedeutet auch „schöpferisch und unwandelbar” und verweist damit auf den zentralen Begriff der „Ordnung”.
Das Bekenntnis zum „Archaischen“ bedeutet nicht, nostalgisch zurückzublicken, denn die Vergangenheit hat ja auch eine egalitäre Moderne hervorgebracht, die sich nun erschöpft hat, so daß eine historische Rückkehr absurd erscheinen würde. Die Moderne selbst gehört nun der längst vergessenen Vergangenheit an.
Stellt der „Archaismus” eine Form des Traditionalismus dar? Ja und nein. Der Traditionalismus setzt sich für die Weitergabe von Werten ein und wendet sich zu Recht gegen die Tabula-Rasa-Lehre. Aber es kommt auch darauf an, welche Traditionen weitergegeben werden. Nicht jede Tradition muß übernommen werden – wir lehnen unter anderem universalistische und egalitäre Ideologien ab, ebenso wie solche, die starr, verknöchert und demotivierend geworden sind. Es ist sicherlich angemessen, aus verschiedenen Traditionen (weitergegebenen Werten) die positiven gegenüber den schädlichen zu bevorzugen.
Die Probleme, die die heutige Welt heimsuchen und die egalitäre Moderne katastrophal bedrohen, nehmen bereits archaische Züge an:
♦ die religiöse Herausforderung durch den Islam;
♦ der geopolitische Wettbewerb um knappe Ressourcen, Ackerland, Erdöl, Fischgründe;
♦ die globale Verwerfung zwischen Nord und Süd
♦ und die kolonisierende Einwanderung der nördlichen Hemisphäre durch den Süden;
♦ die weltweite ökologische Verwüstung
♦ und der physische Zusammenstoß der empirischen Realität mit der Ideologie des Fortschritts und der Entwicklung.
All dies bringt uns zurück zu den uralten Fragen und läßt die quasi-theologischen politischen Debatten des 19. und 20. Jahrhunderts – die letztlich nichts anderes waren als leeres Gerede über das Geschlecht von Engelswesen – in wohlverdienter Vergessenheit geraten.
Wie der von der linken Intelligenzija gehaßte Philosoph Raymond Ruyer in seinen beiden Werken ›Les nuisances idéologiques‹ und ›Les cents prochains siècles‹ vorausgesagt hat, werden die Menschen, sobald das Kapitel des historischen „Umwegs” des 19. und 20. Jahrhunderts und die egalitären Halluzinationen in einer Katastrophe enden, zu archaischen Werten zurückkehren – das heißt, einfach ausgedrückt, zu biologischen und menschlichen (anthropologischen) Werten:
♦ differenzierte Geschlechterrollen;
♦ die Weitergabe ethnischer und volkstümlicher Traditionen;
♦ Spiritualität und religiöse Hierarchien;
♦ sichtbare und kontrollierende soziale Hierarchien;
♦ Ahnenkult;
♦ Initiationsprüfungen und -rituale; die Wiederherstellung organischer Gemeinschaften – von der einzelnen Familie bis zur nationalen Gemeinschaft;
♦ die Entindividualisierung der Ehe und eine viel größere Rolle der Gemeinschaft bei ihrer Gestaltung;
♦ ein Ende der Verwechslung von Ehe und erotischer Anziehung;
♦ das Prestige der Kriegerkaste;
♦ soziale Ungleichheit – nicht, wie in den heutigen egalitären Utopien, implizit und daher ungerecht und frustrierend, sondern explizit und ideologisch begründbar;
♦ ein Gleichgewicht von Rechten und Pflichten;
♦ eine strenge Gerechtigkeit, deren Vorschriften nur für Handlungen und nicht für Individuen gelten, die aber das Verantwortungsbewußtsein der Menschen fördert;
♦ die Definition der Nation und jeder vergleichbaren sozialen Einheit als diachrone Schicksalsgemeinschaft – nicht als synchrone Masse einzelner Atome usw.
Kurz gesagt, werden wir uns in den kommenden Jahrhunderten, als Begleiterscheinung des Pendelmechanismus der Geschichte – von Nietzsche als „ewige Wiederkehr des Gleichen“ bezeichnet – auf gewisse Weise zu diesen archaischen Werten zurückkehren. Unser europäisches Problem besteht darin, daß wir nicht zulassen, daß uns der Islam diese Rückkehr infolge unserer Feigheit von außen aufzwingt (was langsam und heimlich geschieht), sondern daß wir diesen Schritt selbst tun und dabei auf unser eigenes historisches Gedächtnis zurückgreifen.
Kürzlich bemerkte ein bedeutender französischer Medienmagnat – dessen Namen ich nicht nennen kann, der aber aus seiner Sympathie für die liberale Linke keinen Hehl macht – während unseres Gesprächs desillusioniert:
Die wirtschaftlichen Werte des freien Marktes verlieren allmählich gegenüber denen des Islams, weil sie allein auf dem wirtschaftlichen Gewinn des Individuums beruhen, der unmenschlich und vergänglich ist.
Wir müssen dafür sorgen, daß die unvermeidliche Rückkehr zur Realität durch unseren Willen geschieht – und nicht durch den Zwang des Islam.
Die derzeitige Ideologie, die heute – aber nicht mehr lange – die absolute Hegemonie innehat, betrachtet diese Werte als teuflisch, so wie ein Wahnsinniger manchmal dämonische Züge in der Person des Psychiaters erkennt, der ihn zu heilen versucht. In Wahrheit aber repräsentiert der Archaismus die Werte der Gerechtigkeit.
Diese archaischen Werte, die der menschlichen Natur stets treu bleiben, lehnen den aufklärerischen Irrtum der Emanzipation des Individuums ab, der nur zu dessen Isolierung und zur sozialen Barbarei geführt hat. Sie sind gerecht im antiken Sinne des Wortes, denn sie verstehen die Natur des Menschen richtig – nämlich als zoon politikon („der Mensch ist ein Lebewesen, das in einer Gemeinschaft lebt”) im Gegensatz zur falschen modernen Auffassung: ein isoliertes und ungeschlechtliches Atom, das mit universellen, aber unveräußerlichen Rechten ausgestattet ist.
In der Praxis ermöglicht der Anti-Individualismus des Archaismus Selbstverwirklichung, aktive Solidarität und sozialen Frieden, im Gegensatz zum egalitären, angeblich befreienden Individualismus, der im Gesetz des Dschungels endet.
Anmerkung:
In ›L’Archéofuturisme‹ sagt Guillaume Faye eine zivilisatorische Krise gigantischen Ausmaßes voraus, die durch das hervorgerufen wird, was er „die Konvergenz der Katastrophen” nennt. Für die Ordnung der Welt nach der Katastrophe schlägt er – in einer Sprache, die manchmal an den italienischen Futurismus des frühen 20. Jahrhunderts erinnert – die Schaffung eines europäischen Imperiums vor, das auf wesentlichen, archaischen Werten und auf dem kühnen und aggressiven Einsatz von Wissenschaft und Technologie beruht: daher der Begriff ›Archäofuturismus‹ – das Wiederauftauchen einer archaischen Gesellschaftsordnung in einem neuen Kontext.