Andrea Marcigliano

 

Das mag seltsam klingen. Vor allem für fanatische Verfechter eines lauwarmen und wenig überzeugenden Pazifismus. Aber der Krieg hat Regeln. Oder besser gesagt, er muß sie haben, klar definiert und präzise. Und jeder muß sie einhalten.

Aber ich spreche nicht von diesem blassen Phantom, das die Genfer Konvention ist. Die seit ihrer Unterzeichnung ignoriert wird. Auch nicht von den sogenannten „Einsatzregeln ”. Die nichts anderes sind als die Definition der Besonderheiten eines Kriegseinsatzes oder einer Operation. Moderne Regeln, die von den Amerikanern erfunden wurden.

Nein, die Regeln des Krieges sind so alt wie die Menschheit selbst. Sie finden sich bereits in Homers Ilias.

Regeln, die nicht geschrieben sind. Und die weder Sanktionen noch Embargos vorsahen. Aber sie nicht zu befolgen, führte zu Verachtung. Zu Entehrung und Schande. Und ein Mensch konnte nicht mehr leben, wenn er von einer solchen Schande niedergeschmettert wurde. Sicherlich nicht in der Welt von gestern.

Aber heute ist alles anders. Alles basiert, selbst in Kriegszeiten, auf einer wirtschaftlichen Kalkulation. Von Kosten und Nutzen. Und es gibt keine Regeln, die Bestand haben. Man hat keine Angst vor Schande. Ganz einfach, weil es kein Ehrgefühl mehr gibt.

Ich weiß es. Ehre ist ein veraltetes Wort. Es ruft heute Ironie hervor. Oder sogar Sarkasmus. Und doch war es gerade die Ehre, die dafür sorgte, daß der Krieg „Regeln” hatte. Damit er nicht zu etwas Bestialischem wird. Und ich entschuldige mich bei den Tieren. Daß sie sich nicht so verhalten wie wir. Denn Tiere haben immer und ohnehin ihre eigenen „Regeln”, die in der Natur verankert sind.

Und wie sieht es heute aus? Denken wir darüber nach… Ein Mindestmaß an Ehrgefühl hätte verhindert, daß die Minsker Verträge zerrissen werden. Und der Krieg in der Ukraine hätte vermieden werden können.

Aber wir wissen, daß sie nur dazu dienten, Zeit zu gewinnen. Um Moskau zu täuschen. Und gleichzeitig Kiew zu bewaffnen. Es war nicht Putin, der das gesagt hat. Es waren die westlichen Politiker selbst. Die damit fast schon geprahlt haben. Letztendlich habe ich keinen Grund, hier das Wort „fast” zu verwenden.

Und Selenski heute Langstreckenwaffen zu geben, damit er tief in Rußland zuschlagen kann? Provoziert man damit nicht den Kreml in Richtung eines totalen Krieges? Zu einem Atomkrieg?

Und den Terrorismus und die Terroristen zu benutzen? In Moskau wie im Iran. Dugins Tochter in einer Autobombe ermordet. General Suleymani durch eine Killerdrohne eliminiert. Ohne eine Kriegserklärung. Ohne sich an irgendwelche Regeln zu halten.

Der Terrorist, der „Partisan” – nach der Definition von Carl Schmitt – ist kein Soldat. Und er hält sich nicht an die „Regeln des Krieges”. Ein Staat darf jedoch nicht auf solche Instrumente zurückgreifen. Zunächst einmal geht es um seine Glaubwürdigkeit. Er ist nicht mehr vertrauenswürdig. Und niemand kann sich auf seine Zusagen verlassen. Der Krieg wird keine Regeln mehr haben. Er wird nur noch aus Tod und grenzenloser Zerstörung bestehen.

Wie ich bereits sagte, ist es eine Untertreibung, ihn als „bestialisch” zu bezeichnen.

Denn wenn wir wollen, daß der andere, der „Feind”, Grenzen und Regeln einhält, müssen wir das zuerst selbst tun.

Erst dann wird der Krieg „umstritten”, wie Julien Freund es theoretisch formuliert hat.

Nur dann ist der Krieg mehr als die blinde Vernichtung des anderen.

Und er kann eine politische Lösung haben.

Die bis zum Äußersten gehenden Pazifisten liegen falsch. Krieg ist, ob wir ihn mögen oder nicht (und wir mögen ihn natürlich nicht), Teil der Geschichte und der menschlichen Natur. Frieden und Krieg stehen in einer systolisch-diastolischen Beziehung. Das eine geht nicht ohne das andere.

Aber damit sie nicht zur Vernichtung des Menschlichen wird, sollten wir uns an Clausewitz‚ Warnung erinnern.

Der alte preußische General sagte, daß „der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist”. Er ist notwendig, wenn die Mittel der Politik versagen. Er ist unnötig, wenn die Politik ihren Lauf wieder aufnehmen kann.

Aber zu viele Menschen in diesem kollektiven, auf Omnipotenz getrimmten Westen wissen nicht einmal mehr, wer Clausewitz war.

 

Quelle: https://www.terreetpeuple.com/geopolitique-reflexion-69/8200-la-guerre-sans-regles.html
Originalquelle: https://electomagazine.it/guerra-senza-regole/