Marco Maculotti
Die Verbindung mit der Unterwelt und dem Reich der Toten scheint für die Gottheiten, die wir der „Wintersonne“ zuordnen [Cernunnos, Odin und andere Gottheiten der „Wintersonne“], wiederkehrend zu sein, da sie gleichzeitig Gottheiten der Fruchtbarkeit, aber auch mit der Unterwelt und somit mit den Verstorbenen verbunden sind.
Der keltische Cernunnos gilt nicht nur als der Gott der Natur und der Zeit, sondern auch als Unterweltgottheit, vor allem im Hinblick auf seine psychopompische Funktion, die darin besteht, die Verstorbenen ins Jenseits zu begleiten: ein Aspekt des Merkur, der sich in der nordischen Tradition, auch bei Odin/Wodan wiederfindet, von dem der Wochentag, der im Lateinischen dem Merkur zugeschrieben wird (Mittwoch=“Wodans Tag“), tatsächlich abgeleitet ist. Ebenso finden wir in vielen Überlieferungen aus allen Teilen der Welt numinose Gestalten, die sowohl mit der Fruchtbarkeit als auch mit der Unterwelt verbunden sind, angefangen mit dem mediterranen Herrn des Hades ›Pluto‹, zu dessen Symbolen das Füllhorn gehört, das Überfluß, Fruchtbarkeit und Reichtum vermittelt.
Türkisch-mongolische und sibirische Traditionen: Erlik Khan
Beginnen wir mit der Analyse der schamanischen Kulte der turko-mongolischen und finno-ugrischen Völker Sibiriens und Nordosteuropas, in denen der Schamane nach seinem Abstieg in die Unterwelt eine Begegnung mit der Gottheit erleben kann, an die er die Herrschaft delegiert hat: Erlik Khan, der gehörnte Gott (der auch „Hörner als Waffen benutzt“) und daher mit Cernunnos gleichgesetzt wird.
Man könnte vermuten, daß die Ursprünge dieses mythischen gehörnten Gottes, der sich im finnisch-sibirischen Schamanismus als Erlik Khan und im europäischen Schamanismus als Cernunnos manifestiert, in einer fernen und vergessenen Vergangenheit liegen, in Kulten und Ritualen, die dem gesamten eurasischen Raum gemeinsam sind und deren Ursprünge sogar – wie wir glauben – bis ins Jungpaläolithikum zurückreichen.
Erlik Khan gilt in erster Linie als Stammesältester, als Stammvater der Menschheit und vor allem als Prototyp des ersten Toten, so wie in der indischen Tradition der vedische Yama, der – wie es der Zufall will – ebenfalls mit einem Hirschgeweih dargestellt wurde, ebenso wie sein indo-iranisches Pendant Yima. Erliks funktionale Eigenschaften deuten also auf seine Herrschaft über das unterirdische Totenreich hin (was im übrigen durch die schamanische Tradition dieser Völker hinreichend bestätigt wird), die Erlik zuerst erlangte. Dennoch glaubt man, daß Erlik – neben der Schutzgottheit der Toten – auch ein echter „Gott der aufkeimenden Kraft“ ist: Er wird mythisch als derjenige ausgezeichnet, der die Gerste erschaffen hat und dem – neben dunklen Orten, schlammigen Seen wie dem mit den „neun Strudeln“, dunklen Bezirken voller Klippen und schwarzem Sand – grüne Täler mit jungen Hainen zugehören, die der Schamane auch während der ekstatischen Trance erreichen kann und deren Beschreibung verblüffende Ähnlichkeiten mit der so genannten „Josefs-Wiese“ aufweist, wo die der Hexerei Angeklagten in den mittelalterlichen Inquisitionsprozessen im Geiste ankamen, mit einer Technik also, die den schamanischen Praktiken des sibirischen Raums ähnelt.
Narti-Ossetische Tradition: Barastyr
Auch die Narti und Osseten, die von den Skythen abstammen und in Osteuropa und im Kaukasus ansässig sind, haben solche Traditionen. So glaubt man zum Beispiel, daß die Seele nach dem Tod „an eine Kreuzung von drei Wegen kommt: von den beiden Seitenwegen führt einer in den Himmel, der andere in die Hölle; der mittlere ist zu bevorzugen: der Tote, der diesen Weg einschlägt, kommt an den Ort, an dem unter den dort sitzenden Narti der König der Toten, Barastyr, thront“. Hier finden wir ein wichtiges Thema für unsere Forschung: Traditionell glaubt man, daß die Seele nach dem Tod einen Weg auf Kosten eines anderen einschlagen muß und daß nur derjenige, der den richtigen Weg kennt, in das göttliche Jenseits gelangen kann. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt, den es zu bedenken gilt.
Die Kenntnis der himmlischen Wege, die oft in Form von Flüssen dargestellt werden (z. B. die vier Flüsse der Unterwelt in der griechischen Mythologie), ist unabdingbar, um in die Gegenwart des Gottes zu gelangen, und zwar in einem postmortalen Zustand, der gegenüber der undifferenzierten Masse der Nichteingeweihten bevorzugt wird.
Die dakisch-getische Tradition: Zalmoxis
Die Daker/Geten, die zur ethnischen Familie der Thraker gehören, glauben, daß die Eingeweihten nach dem Tod zu Zalmoxis gelangen, der als Psychopomp-Gott [„Seelenführer“] der Mysterien konfiguriert ist, der mythisch als erster das Jenseits erreicht hat und daher seine Anhänger begrüßt, wenn sie nach dem Tod dort ankommen. Wie der akkadisch-sumerische Enki oder der indische und iranische Yama/Yima könnte man sagen, daß er der erste war, der den Weg beschritt, der das Diesseits mit dem Jenseits, der unsichtbaren Welt, dem Jenseits oder „Totenreich“ verbindet, einer Unterwelt, die in Wirklichkeit – wie wir noch sehen werden – nicht nur als geologisch „unterirdisch“ zu verstehen ist, sondern als abgrundtief im kosmisch-dimensionalen Sinne, als eine andere Dimension, fast eine „umgekehrte Welt“ zur Welt der Lebenden. Aus einer solchen Perspektive könnte man sagen, daß es eine oberflächliche Realität gibt (exoterisch terrestrisch, sublunar: die „Welt der Lebenden“) und eine okkulte, die unter (oder hinter) der oberflächlichen verborgen ist (und daher exoterisch als chthonisch, unterirdisch, höllisch definiert und nicht selten mit dem selenischen Bereich assoziiert wird: die „Welt der Toten“).
Um auf die Figur des Zalmoxis zurückzukommen, vergleichen ihn einige mit Zameluk, dem litauischen Gott der Erde, andere mit dem Namen Zamelo, der in einigen griechisch-griechischen Grabinschriften in Kleinasien vorkommt und wahrscheinlich mit dem thrakischen zemelen („Erde“) zusammenhängt, von dem auch Semele, die lunar-tellurische Göttin, Mutter des Dionysos, abstammt. Es sei darauf hingewiesen, daß sich all diese Begriffe von der indoeuropäischen Wurzel g’hemel („Erde, Boden, zur Erde gehörend“) ableiten, womit wir wieder beim Thema unserer Studie angelangt sind, d. h. bei der Dichotomie Erde/Unterwelt, tellurisch/ktonisch, Generation/Tod, lebendig/tot, Pflanzenwelt/Geisteswesen der Ahnen. Da xais ein skythischer Begriff für „Herr, Häuptling, König“ ist, können wir Zalmo-xis als „Herr der Erde“ [Eliade, Zalmoxis], „König des Bodens“ (und vielleicht auch der Unterwelt, verstanden im esoterischen Sinne der Realität unterhalb der Realität) übersetzen.
Doch auch bei dieser geheimnisvollen Figur gibt es die üblichen Widersprüche, die sich aus der Tatsache ergeben, daß ihr Wirkungskreis nie mit Sicherheit bestimmt wurde. Einige Gelehrte, darunter Clemen, sahen in Zalmoxis eindeutig den „Herrn der Toten“, aber nach Meinung anderer, darunter der renommierte thrakische Historiker Russu, „ist der semantische Wert des Zamol-Themas ›die Erde‹, ›die Macht der Erde‹, und Zalmoxis kann nichts anderes bedeuten als der ›Gott der Erde‹, die Personifizierung allen Lebens und der Schoß, in den alle Menschen zurückkehren“ [Eliade, Zalmoxis]. Die Dichotomie, die wir bereits z.B. bei Cernunno und Dionysos festgestellt haben, zwischen „Gott der Erde und der Vegetation“ und „Gott der Toten“ und der „Unterwelt“, kehrt auch hier wieder.
Zalmoxis als „Einweiher in die Mysterien“
Leider liefern uns die wenigen Fragmente kein optimales Verständnis der Figur des Zalmoxis: Es wird vermutet, daß der göttliche Name, wie es oft der Fall ist, in früheren Zeiten in Bezug auf historisch existierende Figuren verwendet wurde, die in der Sakralkultur der Geten besonders einflußreich waren; mit anderen Worten, zu verschiedenen Zeiten wurde der weiseste Priester des Tempels oder ein besonders geschickter Schamane Zalmoxis genannt.
Herodot zufolge führte ein Thraker namens Zalmoxis die pythagoreische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele bei den Geten ein, und um dies zu beweisen, „ließ er sich eine unterirdische Behausung bauen, in die er nach ihrer Fertigstellung hinabstieg und dort drei Jahre lang lebte. Die Thraker vermissten ihn und trauerten um ihn, als ob er tot wäre, aber im vierten Jahr erschien er ihnen wieder, und so wurde bewiesen, was Zalmoxis predigte“.
Wir befinden uns also im mythischen Topos der Katabasis (Abstieg in die Unterwelt), des Scheintods und der Wiederauferstehung, der Figuren miteinander verbindet, die heute göttlich sind (Adonis/Tammuz, Odinus/Wotan, der an der Yggdrasil hängt, Baldr und Freyr, Osiris, der von Seth, der in den „Amenti“ herrscht, in Stücke gerissen wird, Dionysos, der von den Titanen zerstückelt und dann auf wundersame Weise durch den Blitz des Zeus wiedergeboren wird), die nun menschlich sind, aber irgendwie als übermenschlich gelten (Orpheus, Zalmoxis, bis hin zu dem neueren Motiv in der Mythologie, daß Jesus Christus nach seinem Tod am Kreuz in die Unterwelt hinabsteigt, um nach drei Tagen wieder aufzuerstehen).
Man könnte sagen, daß jeder Eingeweihte und Adept seine eigene Katabasis durchführen muß, indem er persönlich in die Abgründe seines Wesens hinabsteigt, um die Lösung des Geheimnisses zu suchen, das sich hinter der scheinbaren Dualität von Leben und Tod verbirgt: Nur dort kann er den Weg finden, der in illo tempore von dem Gott, dem Prototyp des ersten Toten und Wiedergeborenen, entdeckt wurde. Nach einem rituellen Tod, der dem mythischen Tod der Schutzgottheit entspricht, kehrt der Eingeweihte als eine andere Person ins Leben zurück: Er betrachtet sich als „wiedergeboren“, und da er bereits gestorben ist, wird er im Augenblick des Todes nicht mehr sterben, sondern sich auch im Jenseits dem Gott anschließen. Die folgenden Worte stammen von Walter Friedrich Otto:
Derjenige, der etwas Lebendiges erschaffen will, muß in die ursprünglichen Abgrundtiefen eintauchen, wo die Kräfte des Lebens wohnen. Und wenn er wieder auftaucht, blitzt in seinen Augen der helle „Wahn“ auf, weil dort unten der Tod mit dem Leben zusammenwohnt.
Mit anderen Worten formuliert Emanuela Chiavarelli das gleiche Prinzip der engen Wechselbeziehung zwischen Leben und Tod:
Der Dualismus in der Göttlichkeit ist so unvermeidlich und notwendig wie das Leben, das sich im Wechselspiel von Werden und Vergehen abspielt. Würden die Polaritäten aufhören, sich gegenüberzustehen, wäre die Zirkulation des Lebensstroms selbst blockiert. Doch das eine ergänzt das andere: Im Winterinferno, der Heimat des Hades, des Königs der Toten, ist das Geheimnis des Vegetation verborgen. Das „Kind des Lichts“ aus den Mysterien von Eleusis, Symbol der ewigen Zoé, wird in den abgrundtiefen Höhlen des Hades geboren werden.
Gottheiten der Toten und Gottheiten der Mysterien
In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß Eliade zu Recht betont, daß die Tatsache, daß sich die Adepten im Jenseits Zalmoxis anschließen, nicht zwangsläufig zur Anerkennung von Zalmoxis als „Herrscher der Toten“ führt. In der Tat muß man seiner Ansicht nach zwischen den Gottheiten der Toten und denen der Mysterien unterscheiden, wobei erstere unterschiedslos über alle Toten herrschen, während letztere nur Eingeweihte zu ihnen zulassen.
Dennoch erscheint die Abgrenzung zwischen den beiden Sphären oft unscharf, wie zum Beispiel im Fall von Odin, der in der nordischen Tradition sowohl Gott der Mysterien (als Gott der Prophezeiung und der Magie) als auch Gott der Toten ist, aber nicht über die undifferenzierte Masse der Toten, sondern nur über diejenigen, die auf dem Schlachtfeld gestorben sind und seinen Namen anrufen. Eine solche „Auswahl“ hinderte die Angelsachsen jedoch nicht daran, Odin im Mittelalter als Anführer der bereits erwähnten „wilden Jagd“ darzustellen, d. h. an der Spitze einer Geisterprozession von Totengeistern, Geistertieren und Dämonen: Nachdem er nach der Bekehrung der nordischen Völker zum Christentum seinen Wert als Mysteriengott verloren hat, wird seine Herrschaft nun über eine allgemeine Gruppe von Toten, die manchmal sogar als verdammt angesehen werden, und sogar über Tiere und Dämonen anerkannt, wodurch das Bild des alten „Vaters der Æsir“ in dämonische Bahnen gelenkt wird, die nur wenige Jahrhunderte zuvor undenkbar waren.
Aber hier geht es vor allem um etwas anderes: Alte Zeugnisse und neuere Studien erlauben es uns, eine Gruppe sehr alter Gottheiten zu identifizieren, die als Herren des Jenseits gelten und als erste den Weg in die andere Welt entdeckt haben. Wie wir bei Zalmoxis gesehen haben, erlaubte dieses Wissen dem Eingeweihten oft, den Götterhort post mortem zu erreichen, in einem Reich außerhalb der Zeit, in dem man nicht mehr altert oder stirbt (dies sollte man sich für die Fortsetzung des Diskurses vor Augen halten). Diese Gottheiten (Osiris, Enki, Yama/Yima), die den Weg zuerst entdeckten, bilden einen sehr alten Kern, der den größten archaischen Zivilisationen gemeinsam ist, nämlich den ägyptischen, sumerisch-mesopotamischen und indoarischen, den Autoren der Veden.
Osiris, Enki, Yama: „diejenigen, die den Weg entdeckt haben“
Es ist hier nicht möglich, die gesamte Osiris-Tradition wiederzugeben, die von vielen Autoren ausführlich behandelt wurde und hier nicht von besonderer Bedeutung ist; wir beschränken uns darauf, einige Attribute des Gottes hervorzuheben, angefangen mit der Tatsache, daß er als „König der Ewigkeit“ in den ›Feldern von Yalu‹, im ›Land der heiligen Amenti‹ jenseits der ›Wasser des Todes‹, im ›fernen Westen‹ gelegen“ [Evola], angesehen wurde.
Ähnlich wie Zalmoxis erreichte also auch Osiris zuerst die „Felder von Yalu“ und das „Land des heiligen Amenti“, d.h. das Jenseits, die andere Welt. Osiris kam dort an Bord des „Totenschiffes“ an und ebnete sozusagen den Weg für all jene, die später dorthin reisen sollten. Nach seinem Tod durch Seth hörte Osiris also auf, die göttliche Schöpfungsfunktion zu repräsentieren, und wurde zum ›Gott der Amenti‹, d. h. der Unterwelt, dem Richter über die Seelen der Toten. Während der postmortalen Reise geht die Seele den Weg, den Osiris in illo tempore zurückgelegt hat, und antwortet den göttlichen Mächten, denen sie unterwegs begegnet, mit den im ägyptischen Totenbuch enthaltenen Formeln.
Was für die Ägypter Osiris ist, war für die Arî-Inder Yama, den Charles Malamoud als „Gott des Todes, König der Toten, aber auch Schutzgottheit der Ordnung, die die Beziehungen zwischen den Lebenden und zwischen den Generationen regelt“ definiert. Im Rg-Veda (X, 14, 1-2) wird er beschrieben als „derjenige, der dem Lauf der großen [kosmischen] Flüsse folgte, der als erster den Weg entdeckte (…) der Sammler der Völker“. Im Atharva-Veda (XVIII, I, 50) heißt es:
Yama hat als erster einen Weg für uns gefunden; das ist keine „Weide“, die man uns wegnehmen kann; wohin unsere ersten Väter gingen, dorthin (gehen) die, die (von ihnen) geboren werden, jeder auf seinem eigenen Weg.
Er, fährt Malamoud fort, entschied sich zu sterben, und diese Entscheidung machte ihn „zum ersten Wesen, das starb, zum ersten der Sterblichen“: er „patrouilliert den Weg, der ins Jenseits führt“, daher sein Titel „Herrscher der Ahnen“. Sein Tod in illo tempore „ist kein Verschwinden, sondern eine Einweihung“. Der französische Gelehrte unterscheidet Yama von den anderen vedischen Göttern dadurch, daß er allein „sich spontan, zusammen mit den menschlichen Generationen, in die Unsterblichkeit versetzt hat, was ihn von den (anderen) Göttern unterscheidet. Dennoch ist er ein Gott, der in der vedischen Prosa ständig als solcher bezeichnet wird, und die Menschen streben nach einer Form des Überlebens, die ihnen von Yama zuteil werden muß“. Wir haben diesen letzten Satz als äußerst bedeutsam im Zusammenhang mit dem hervorgehoben, was Herodot über Zalmoxis schrieb: So wie seine Anhänger sich danach sehnten, eine Form der postmortalen Unsterblichkeit zu erlangen, die der Gott als erster erreicht hatte, so verließen sich die Inder der vedischen Periode auf Yama, um dieselbe „Art des Überlebens“ zu erreichen, denn es war Yama, der diesen Weg als erster entdeckt hatte.
Canopus und der himmlische Südpol
Wir haben gesehen, wie Osiris über Amenti herrscht, so wie Yama über das entsprechende Pendant „Sitz von Rta“ herrscht. Diesen beiden Orten im Mythos entspricht ein dritter, in einer anderen archaischen Tradition: das Eridu der Sumerer, in dem Enki/Ea regierte. Wir wissen, daß die Sumero-Mesopotamier den Stern Canopus mit diesem Namen bezeichneten, d. h. den „Himmlischen Südpol“. Nun, diese Tatsache ist besonders kurios, da Plutarch [Isis und Osiris, XXII] uns erzählt, daß Osiris „Steuermann Canopus“ genannt wurde, weil er sich nach dem Tod in den gleichnamigen Stern verwandelt haben soll.
Wir haben bereits gesagt, daß dieser von den alten Sumerern Eridu genannt und als Wohnsitz des Gottes Enki/Ea/Enmešarra angesehen wurde, der auf verschiedene Weise als „Herr der Weltordnung“, „Herr des Universums“, vor allem aber als „Herrscher der Unterwelt“ sowie als „derjenige, der in der Unterwelt von Bedeutung ist“ bezeichnet wurde [Santillana und Dechend, The Mill of Hamlet] (vgl. diese Beinamen mit demjenigen, den die christliche Tradition dem Satan als Princeps huius mundi zuschreibt).
In der Tat ist anzumerken, daß in der alten astrokosmogonischen Weisheit das Reich der Toten immer im Süden lag, im Gegensatz zu den uranischen Regionen, den alttestamentarischen „Höheren Gewässern“. Insbesondere der Stern Canopus galt als der himmlische Südpol, d. h. der unterste Teil des kosmischen Raums: Symbolisch könnte man sagen, daß dieser Teil des Himmels für die Alten den Abgrund darstellte, und zwar so sehr, daß er in Mesopotamien als „Drachenstern des Meeres“ bezeichnet wurde, während der „Drachenstern des Himmels“ Alpha-Drakonis war, der ursprüngliche Polarstern.
Diese Tradition, den himmlischen Südpol als den kosmischen Abgrund oder tiefsten Punkt der Unterwelt zu betrachten, der von einem entthronten Urgott (Enki, Osiris, Luzifer) beherrscht wird, ist weit verbreitet: Selbst in China gibt es zahlreiche Legenden über den „Alten Unsterblichen des himmlischen Südpols“ (d.h. Huang Di, den Gelben Kaiser, der in der chinesischen astrologischen Tradition mit Saturn in Verbindung gebracht wird), sowie über die verschiedenen „schlafenden Kaiser in Berghöhlen“. Mit dieser letzten Erwähnung knüpfen wir an die Legenden an, die behaupten, daß Saturn/Kronos, nachdem er von Zeus verdrängt wurde, von diesem in den Tartaros (den Abgrund der griechischen Mythologie) geworfen oder alternativ in eine Region außerhalb der Zeit (d. h. in eine extratemporale Dimension versetzt wurde, von wo aus er eben über die Patrouillen des Chronos herrscht) im äußersten Norden auf der Insel Ogigia oder im äußersten Westen auf der Insel der Hesperiden oder sogar – nach den Kelten – auf der nördlichen Weißen Insel Avalon, wo er in einem Zustand komatösen Schlafes liegt und auf die Rückkehr des Goldenen Zeitalters wartet.
Der ‚König der Welt‘
Es wäre auch interessant, etwas über die Überlieferungen asiatischen Ursprungs zu sagen, in denen es um ein mythisches unterirdisches und außerirdisches Reich geht, das Shambhala oder Agarttha genannt wird und ebenfalls von einem „König der Welt“ regiert wird, der es mit äußerster Weisheit verwaltet, so wie auch die gesamte Welt der Lebenden seiner Herrschaft unterworfen ist. Da wir vorhaben, diese Fragen in Zukunft zu vertiefen, was jetzt zu weit führen würde, verweisen wir vorerst auf Guénons Werk ›Der König der Welt‹
Der „Abgrund“ des Kosmos
Nachdem wir die Unterwelt verlassen haben, sind wir zu den Himmeln aufgestiegen. Aber nicht in den uranischen Himmel des reinen olympischen Lichts (himmlischer Nordpol; nördliche kosmische Region; Großer Wagen, der traditionell mit den Sieben Rishis in Verbindung gebracht wird), sondern in den abgrundtiefen Himmel, in das Reich, in dem Osiris, Enki und Yama die Seelen der Toten richten und regieren. Man könnte also mit Recht sagen, daß wir weit davon entfernt sind, aufzusteigen, sondern sogar noch tiefer hinabgestiegen sind: hinter einer rein tellurisch-tektonischen Vorstellung von Tiefe scheint sich in der Weisheit von Mythos und Tradition eine viel tiefere Dimension zu verbergen, die entschieden abgründiger ist, und zwar nicht im physisch-materiellen Sinne („Unterwelt“), nicht auf dieser Erde: sondern in den Himmeln, im kosmischen Abgrund. In der hellenischen Mythologie wird dieser Abgrund Tartarus genannt: Im ›Phaidon‹ (111e-112b) spricht Platon von diesem Ort als einer abgrundtiefen Dimension, die nicht unter unserer Welt liegt, sondern sie überlagert, wahrscheinlich in Anspielung auf ihre außerzeitliche Dimension („Avalon“, die Insel der Hesperiden, Ogygia):
Einer der Abgründe der Erde ist besonders groß und durchdringt die ganze Erde von einer Seite zur anderen. Homer spricht von ihm, wenn er sagt: „Weit weg, wo unter der Erde der tiefste Abgrund ist“. Er und viele andere Dichter haben ihn an anderer Stelle Tartarus genannt. In diesen Abgrund fließen alle Flüsse und aus ihm fließen sie wieder heraus: jeder wird zu dem, was er durch die Beschaffenheit der Erde, durch die er fließt, geworden ist. Die Ursache für das Ausströmen und Zusammenfließen aller Ströme ist, daß dieses Wasser weder Grund noch Boden hat.
Platon ist ein Meister darin, geologische Metaphern zu verwenden, um höhere esoterische Wahrheiten zu beschreiben, die nur von Eingeweihten verstanden werden konnten. Es ist in der Tat klar, daß die Flüsse der Unterwelt in der hellenischen Mythologie nicht als physische unterirdische Wasserläufe verstanden werden können, noch kann der Tartarus als eine besonders große Kluft betrachtet werden, die sich physisch unterirdisch öffnet. Vielmehr kann man sagen, daß solche Orte (die Verliese der ägyptischen Pyramiden, die mexikanischen Xenoten, die verschiedenen „Sybillen-Höhlen“ und die unzähligen „Tore der Unterwelt“ der antiken Folklore) von den Mysterienbruderschaften bewußt als ideale Orte gewählt wurden, um chthonisch-initiative Rituale durchzuführen und die Unterweltgottheiten zu verehren. Es bestand sozusagen die Tendenz, im Bild der Unterwelt einen höheren, vormenschlichen kosmischen Archetypus zu sehen: den kosmischen Abgrund, aus dem alle Seelen kamen und zu dem alle zurückzukehren bestimmt waren.
Denken wir noch einmal an die mythischen Bilder des Abstiegs in die Unterwelt von Zalmoxis bis Christus und so weiter; bedenken wir nun, was in Bezug auf jene kosmische Abgrundregion (Amenti, Sitz von Rta, Eridu, Tartarus) gesagt wurde, die einhellig als Sitz des Totengottes angesehen wurde, des Stammesvorfahren, der, nachdem er als erster gestorben war, den Weg entdeckt hatte, ob er nun Osiris oder Yama/Yima oder Enki/Ea hieß. An dieser Stelle besteht kein Zweifel mehr, daß diese Dimension in einem kosmischen, außerirdischen Sinn zu verstehen ist, und wenn wir den Klassikern vertrauen, können wir sicher sein, daß wir auf der sicheren Seite sind, wenn wir die bekannte homerische Formulierung (Ilias, 8.13-16) zitieren, die den Tartarus „so weit unter dem Hades ansiedelt, wie der Himmel von der Erde entfernt ist“.
Mein Kommentar hat nichts mit dem obigen Artikel von Marco Maculotti zu tun. Ich habe nur den Link „Guenons Werk ´Der König der Welt´ “ geöffnet und las eine kurze Biographie Rene Guenons aus dem Vorwort einer Ausgabe des Parzifal Verlages. Um aller Götter Willen! Ich wußte nicht, daß Guenon so ein total verschrobener Sekten- und Logenbruder war. Von Loge zu Loge! Vom Martinismus bis zum Sufismus. Mit diesem Mann können wir keinen Blumentopf gewinnen. Der schreckt nur ab. Der paßt nicht in unsere Ahnenreihe, ein Feigling und Spinner, auch charakterlich sozusagen das komplette Gegenteil von Dominique Venner,
Pierre Krebs hält auch nichts von Guenon, aber sein Name ist eben leider in diesem Artikel erwähnt, aber ich werde den Link löschen, damit keine falsche Fährte gelegt wird.