Nicolas Bonnal

Wir lassen einen zu Wort kommen, der sie, die Medien und die „Eliten“ auf die Palme bringt, nämlich Alexis Carrel. Immerhin ein Nobelpreisträger für Medizin und ein großer Star in Amerika zur Zeit von Roosevelt. Der Chirurg hatte seine Handschuhe ausgezogen, um seine vier Wahrheiten zu sagen, denn er wußte vor den Orlovs, Kunstlers und anderen Kollapsologen, daß wir dem Untergang geweiht sind.

Es wird aus der amerikanischen Buchausgabe zitiert, die der angesehene Carrel vor dem Krieg in New York vorgestellt hatte:

Alles in allem begeht die moderne Gesellschaft, diese von Wissenschaft und Technik hervorgebrachte Gesellschaft, denselben Fehler wie alle Zivilisationen des Altertums. Sie schafft Lebensbedingungen, in denen das Leben des Einzelnen und das Leben der Rasse unmöglich wird. Sie rechtfertigt das Bonmot von Dekan Inge: Civilization is a disease which is almost invariably fatal. Obwohl die tatsächliche Bedeutung der Ereignisse in Europa und den Vereinigten Staaten der Öffentlichkeit noch entgeht, wird sie der Minderheit, die Zeit und Neigung zum Denken hat, zunehmend klar. Die gesamte westliche Zivilisation ist in Gefahr. Und diese Gefahr bedroht sowohl die Rasse, die Nationen als auch den Einzelnen. Jeder von uns wird von den Umwälzungen, die ein europäischer Krieg mit sich bringt, betroffen sein. Jeder leidet bereits unter der Unordnung des Lebens und der Institutionen, der allgemeinen Schwächung der Moral, der wirtschaftlichen Unsicherheit und den Belastungen, die durch Fehlbare und Kriminelle auferlegt werden. Die Krise hat ihren Ursprung in der Struktur der Zivilisation selbst. Sie ist eine Krise des Menschen. Der Mensch kann sich nicht an die Welt anpassen, die aus seinem Gehirn und seinen Händen hervorgegangen ist. Er hat keine andere Alternative, als diese Welt nach den Gesetzen des Lebens neu zu gestalten. Er muß seine Umwelt an die Natur seiner organischen und geistigen Aktivitäten anpassen und seine individuellen und sozialen Gewohnheiten erneuern. Andernfalls wird die moderne Gesellschaft bald mit Griechenland und dem römischen Reich im Nichts versinken. Und die Grundlage für diese Erneuerung können wir nur in der Kenntnis unseres Körpers und unserer Seele finden.

Carrel reduziert die Demokratie auf eine Ideologie, und wir sind uns einig:

Keine dauerhafte Zivilisation wird jemals auf philosophischen und sozialen Ideologien beruhen. Die demokratische Ideologie selbst hat, sofern sie nicht auf einer wissenschaftlichen Grundlage neu aufgebaut wird, nicht mehr Überlebenschancen als die marxistische Ideologie. Denn weder das eine noch das andere dieser Systeme umfaßt den Menschen in seiner gesamten Realität.

Die moderne Verehrung des Häßlichen, ja der Häßlichkeit selbst, ist jetzt ein universeller Makel.

Carrel erklärt:

Der ästhetische Sinn existiert sowohl bei den primitivsten als auch bei den zivilisiertesten Menschen. Er überdauert sogar das Verschwinden der Intelligenz, denn auch Idioten und Verrückte sind zu künstlerischen Werken fähig. Es ist ein elementares Bedürfnis unserer Natur, Formen oder Klangfolgen zu schaffen, die bei den Betrachtern oder Zuhörern ästhetische Gefühle hervorrufen. Der Mensch hat schon immer mit Freude Tiere, Blumen, Bäume, den Himmel, das Meer und die Berge betrachtet. Vor der Morgendämmerung der Zivilisation benutzte er seine groben Werkzeuge, um die Profile der Lebewesen auf Holz, Elfenbein und Stein nachzubilden.

Sind wir demnach nicht mehr als Verrückte?

Dann spricht Carrel die Bedrohung der Zivilisation an, die auf den zum Aussterben verurteilten Arbeitern und Handwerkern lastet:

Heute noch, wenn sein ästhetischer Sinn nicht durch seine Erziehung, seine Lebensweise und die Arbeit in der Fabrik zerstört wird, hat er Freude an der Herstellung von Gegenständen, die seiner eigenen Inspiration folgen. Er empfindet eine ästhetische Freude, wenn er in diesem Werk aufgeht. In Europa und vor allem in Frankreich gibt es noch immer Köche, Metzger, Steinmetze, Tischler, Schmiede, Messerschmiede und Mechaniker, die Künstler sind. Wer ein formschönes Gebäck backt, aus Schweineschmalz Häuser, Menschen und Tiere schnitzt, einen schönen Türbeschlag schmiedet, ein schönes Möbelstück baut, eine schlichte Statue erschafft, einen schönen Stoff aus Wolle oder Seide webt, empfindet ein ähnliches Vergnügen wie der Bildhauer, der Maler, der Musiker und der Architekt.

Carrel bemitleidet wie der Chaplin in ›Moderne Zeiten‹ die Arbeiter :

Wenn die ästhetische Aktivität bei den meisten Individuen virtuell bleibt, liegt das daran, daß die industrielle Zivilisation uns mit häßlichen, groben und vulgären Spektakeln umgeben hat. Darüber hinaus wurden wir in Maschinen verwandelt. Der Arbeiter verbringt sein Leben damit, jeden Tag tausendfach die gleiche Geste zu wiederholen. Von einem bestimmten Gegenstand stellt er nur ein einziges Stück her. Er stellt nie den ganzen Gegenstand her. Er kann sich nicht seines Verstandes bedienen. Er ist das blinde Pferd, das den ganzen Tag im Kreis herumläuft, um Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen.

Eine kurze Anklage gegen die Zivilisation – eine Anklage, die jetzt, da sie als fantastisch und perfekt gilt, sehr verpönt ist:

Der Industrialismus verhindert den Gebrauch derjenigen Tätigkeiten des Bewußtseins, die in der Lage sind, dem Menschen jeden Tag ein wenig Freude zu bereiten. Es war ein Fehler, daß die moderne Zivilisation den Geist der Materie geopfert hat. Ein Fehler, der umso gefährlicher ist, als er kein Gefühl der Revolte hervorruft, sondern akzeptiert wird.

Der große Gelehrte bringt es endlich auf den Punkt:

Die Dummheit und die Traurigkeit der gegenwärtigen Zivilisation sind zumindest teilweise auf die Unterdrückung der elementaren Formen des ästhetischen Genusses im täglichen Leben zurückzuführen.

Dann spitzt Dr. Carrel den Sachverhalt zu. Er feiert die handwerkliche Schönheit. Beachten Sie nebenbei seine großen literarischen Qualitäten, die uns von den Stilisten von science et vie; und von den aktuellen Alphabeten, die im Multiple Choice Test ausgewählt wurden, abheben:

Die Schönheit ist eine unerschöpfliche Quelle der Freude für den, der sie zu entdecken weiß. Denn sie ist überall anzutreffen. Sie kommt aus den Händen, die modellieren oder die grobes Steingut bemalen, die Holz schneiden und daraus ein Möbelstück machen, die Seide weben, den Marmor behauen, die menschliches Gewebe schneiden und reparieren. Sie steckt in der blutigen Kunst der großen Chirurgen ebenso wie in der Kunst der Maler, Musiker und Dichter. Sie steckt auch in den Berechnungen Galileos, in den Visionen Dantes, in den Experimenten Pasteurs, im Sonnenaufgang über dem Ozean und in den Winterstürmen auf den hohen Bergen. Sie wird noch ergreifender in der Unermeßlichkeit der siderischen Welt und der Welt der Atome, in der unaussprechlichen Harmonie des menschlichen Gehirns, in der Seele des Menschen, der sich im Verborgenen für die Rettung anderer aufopfert. Und in jeder ihrer Formen bleibt sie der unbekannte Gast der Gehirnsubstanz, die das Gesicht des Universums erschafft….

Ästhetische und somit moralische Verkümmerung kann eintreten:

Der Sinn für Schönheit entwickelt sich nicht von alleine. Er existiert in unserem Bewußtsein nur in einem potenziellen Zustand. Zu bestimmten Zeiten und unter bestimmten Umständen bleibt er virtuell. Er kann sogar bei Völkern verschwinden, die ihn einst in hohem Maße besaßen. Auf diese Weise zerstört Frankreich seine Naturschönheiten und verschmäht die Erinnerungen an seine Vergangenheit.

Wie wir wissen, ist der beste Weg, all dies zu zerstören, der Massentourismus.

ie moralische und intellektuelle Verkümmerung macht uns unfähig, wieder Schönheit zu erschaffen, und gewöhnt uns an entsetzliche Hässlichkeit (erinnern wir uns an Resnais‘ Muriel, in dem die zerbombte Stadt aus ihrer Asche wieder aufersteht, aber aus Beton und großen Wohnsiedlungen):

Die Nachkommen der Männer, die das Kloster von Mont Saint-Michel entworfen und gebaut haben, verstehen seine Pracht nicht mehr. Sie akzeptieren mit Freuden die unbeschreibliche Häßlichkeit der modernen Häuser in der Bretagne und der Normandie und vor allem in der Umgebung von Paris. Ebenso wie Mont Saint-Michel wurden auch Paris selbst und die meisten Städte und Dörfer Frankreichs durch einen häßlichen Kommerz geschändet. Wie der moralische Sinn entwickelt sich auch der Sinn für Schönheit während des Verlaufs einer Zivilisation, erreicht seinen Höhepunkt und verschwindet dann.

Wie sieht es mit der Kultur aus? Fast jeder konsumiert die US-Serie oder den Da Vinci Code; ein Freund von mir, der Kioskbesitzer war, erzählte mir früher, dass er bis zu 300 Autozeitschriften verkaufte… Alexis Carrel:

Die Lust am Lesen ist größer geworden. Es werden viel mehr Zeitschriften und Bücher gekauft als früher. Die Zahl der Menschen, die sich für Wissenschaft, Literatur und Kunst interessieren, ist gestiegen. Aber es sind die niedrigsten Formen der Literatur und die Fälschungen von Wissenschaft und Kunst, die das Publikum im allgemeinen anziehen. Es scheint nicht so, als hätten die hervorragenden hygienischen Bedingungen, unter denen Kinder erzogen werden, und die Fürsorge, die ihnen in den Schulen zuteil wird, ihr intellektuelles und moralisches Niveau angehoben. Man kann sich sogar fragen, ob es nicht oft eine Art Antagonismus zwischen ihrer körperlichen und ihrer geistigen Entwicklung gibt. Schließlich wissen wir nicht, ob die Zunahme an Körpergröße bei einer bestimmten Rasse nicht eine Degeneration statt eines Fortschritts ist, wie wir heute glauben.

Das Individuum von heute? Noch vor der Fettleibigkeit (42% fettleibige Kinder, wo ich lebe), vor der Techno- und Medienverblödung, vor dem Zusammenbruch des IQ schrieb Carrel:

In der modernen Zivilisation zeichnet sich das Individuum vor allem durch eine ziemlich große, ganz auf die praktische Seite des Lebens ausgerichtete Aktivität, durch viel Unwissenheit, durch eine gewisse Schlauheit und durch einen Zustand geistiger Schwäche aus, der es tief unter den Einfluß des Milieus geraten läßt, in dem es sich zuweilen befindet. Es scheint, daß bei einem fehlenden moralischen Gerüst die Intelligenz selbst erschlafft. Vielleicht ist das der Grund, warum diese Fähigkeit, die einst so charakteristisch für Frankreich war, in diesem Land so deutlich zurückgegangen ist. In den Vereinigten Staaten bleibt das intellektuelle Niveau nach wie vor niedriger, obwohl es dort eine Vielzahl von Schulen und Universitäten gibt.

Carrel merkt außerdem an:

Dampfheizung, elektrische Beleuchtung, Fahrstühle, die biologische Moral und die chemische Manipulation von Lebensmitteln wurden nur deshalb akzeptiert, weil diese Neuerungen angenehm und bequem waren. Aber ihre wahrscheinlichen Auswirkungen auf die Menschen wurden nicht berücksichtigt… So kam es zum Bau von Riesenhäusern, die auf engstem Raum viel zu große Menschenmassen anhäufen. Die Menschen wohnen gerne darin, denn sie genießen den Komfort und den Luxus und merken nicht, dass ihnen das Lebensnotwendige fehlt. Die moderne Stadt besteht aus diesen monströsen Häusern und dunklen Straßen mit verschmutzter Luft voller Rauch, Staub, Benzindämpfe und Verbrennungsprodukte, die vom Lärm der Lastwagen und Straßenbahnen durchsetzt und ständig von einer großen Menschenmenge verstopft sind. Es ist offensichtlich, daß sie nicht zum Wohle ihrer Bewohner gebaut wurde.

Seitdem wurden keine Fortschritte mehr gemacht, das hätte uns gerade noch gefehlt. Auch zur Medizin oder zum Weißbrot hatte Carrel bereits alles gesagt:

Unser Leben wird in sehr großem Maße von den Zeitungen beeinflußt. Werbung wird nur im Interesse der Produzenten gemacht, niemals im Interesse der Konsumenten. Beispielsweise wird der Öffentlichkeit vorgegaukelt, daß Weißbrot besser sei als dunkles Brot. Daher sind Unmengen an unnötigen und oft schädlichen Lebensmitteln und Arzneimitteln für zivilisierte Menschen zu einer Notwendigkeit geworden. So spielt die Gier von Individuen, die geschickt genug sind, den Geschmack der Volksmassen auf die Produkte zu lenken, die sie zu verkaufen haben, eine entscheidende Rolle in unserer Zivilisation.

Das klingt wie Frederic Bernays. Kirsche auf der Torte:

Es scheint, als sei die moderne Zivilisation nicht in der Lage, eine Elite hervorzubringen, die gleichzeitig mit Fantasie, Intelligenz und Mut begabt ist. In fast allen Ländern gibt es eine Abnahme des intellektuellen und moralischen Kalibers bei denjenigen, die die Verantwortung für die Führung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten tragen.

Über die Apokalypse des Tourismus, dessen Mission im wesentlichen entweihend und zweitens konsumorientiert ist (man muß abhängen, hanging around machen), schreibt unser Denker::

Das Verhalten der Touristen, die die Kathedralen Europas entweihen, zeigt, wie sehr das moderne Leben den Sinn für Religion ausgeblendet hat. Die mystische Aktivität wurde aus den meisten Religionen verbannt. Ihre eigentliche Bedeutung wurde vergessen. Mit diesem Vergessen ist wahrscheinlich der Verfall der Kirchen verbunden.

In einer Gesellschaft von Dummköpfen werden keine Lösungen angeboten. Man vergißt sie. Carrel wies auch auf den qualitativen und quantitativen Rückgang unserer Bevölkerungen hin:

Frankreich entvölkert sich bereits. England und Skandinavien werden sich auch bald entvölkern. In den Vereinigten Staaten reproduziert sich das obere Drittel der Bevölkerung viel langsamer als das untere Drittel. Europa und die Vereinigten Staaten werden also sowohl qualitativ als auch quantitativ geschwächt… Die westliche Zivilisation war noch nie in so großer Gefahr wie heute. Selbst wenn sie den Selbstmord durch Krieg vermeidet, bewegt sie sich dank der Unfruchtbarkeit der stärksten und intelligentesten Menschengruppen auf die Degeneration zu.

Wir lassen ihn zum Schluß kommen!

Wir müssen aufstehen und uns in Bewegung setzen. Befreien wir uns von der blinden Technologie.

Aus dem Buch von Alexis Carrel: Der Mensch – das unbekannte Wesen

 

Eine Neuauflage in unserem Verlag ist in Vorbereitung.

 

Quelle: https://lecourrierdesstrateges.fr/2022/09/08/alexis-carrel-et-la-fabrication-de-nos-hommes-modernes-par-nicolas-bonnal/