Dr. Rolf Kosiek

 

Im Grenzbereich von Biologie und Psychologie hat sich in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts die Verhaltensforschung (Ethologie) entwickelt, die 1973 durch den Nobelpreis an Lorenz, Frisch und Tinbergen gewürdigt wurde. Sie hat die Bedeutung instinktiver, damit angeborener Handlungsweisen für den Menschen herausgearbeitet und das Verständnis für menschliches Denken, Fühlen und Handeln so gewaltig erweitert, daß zu Recht von einer kopernikanischen Wende in den Humanwissenschaften gesprochen worden ist.

Besonders die Antriebe und Motive für soziales Handeln des Menschen in Familie, Gruppe oder Volk entstammen danach überwiegend instinktiven Schichten. Die instinktiven Handlungsweisen sind durch Erbkoordinaten festgelegt, die sich im Laufe der stammes-geschichtlichen Entwicklung gebildet haben. Das Verhalten des Menschen ist also in weit höherem Maße, als man es früher ahnte und heute oft wahrhaben will, durch seine Erbfaktoren bestimmt. Auch in der Verhaltensforschung spielt die Evolution eine überragende Rolle.

Im Gegensatz zum instinktmäßig voll programmierten Tier treten beim Menschen Instinktlücken auf, die durch Lernen oder Prägung ausgefüllt werden müssen. Die Bedingungen des Lern- oder Prägungsvorganges sind dann jedoch wieder genetisch festgelegt.

Wenn das Verhalten Elemente enthält, die durch Erfahrung erworben wurden, so sind sie nach einem Programm erworben, das seinerseits angeboren, das heißt genetisch festgelegt ist. Das Lernen wird durch die Struktur des Programms hervorgerufen und gelenkt; damit wird der Lerninhalt in eine feststehende ›Form‹ eingebracht, die durch das Erbgut der Art festgelegt ist. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß es sich mit den Grundkategorien der Erkenntnis beim Menschen nicht genau so verhält und vielleicht ebenfalls mit vielen weiteren weniger grundlegenden, aber für den einzelnen und die Gesellschaft sehr bedeutsamen Elementen des menschlichen Verhaltens.

Da die das Verhalten bestimmenden Faktoren erblich und stammesgeschichtlich entstanden sind, sind sie sicher auch noch ausdifferenziert worden in den langen Zeiten, in denen die einzelnen menschlichen Rassen streng getrennt waren. Räumliche Trennung über lange Zeiten erzeugt stets Unterschiede. Somit ist wieder das Volk als ein ganz bestimmtes Rassengemisch und das über Jahrhunderte ziemlich abgegrenzte genetische Sammelbecken die natürliche Ordnungsgruppe im Hinblick auf das Verhalten der Menschen. Dadurch werden, nun auf andere Weise, die verschiedenen statistisch erfaßbaren Volkscharaktere erklärbar. Die ziemlich fein ausgebildeten und sehr unterschiedlichen Verhaltensweisen können sogar im Grunde noch besser zur Unterscheidung und Kennzeichnung von Völkern dienen als andere, etwa körperliche Merkmale oder die erlernbare Sprache.

Da die Völkerbiologie erst in den Anfängen steckt, sind derartige Untersuchungen über Volkscharakter und Volksverhaltensweisen noch nicht in ausreichendem Maße unternommen worden. Einzelne Bezeichnungen wie ›Wandervolk‹ für die Zigeuner, ›Händlervolk‹ für Levantiner oder ›Bewegungsrassen‹ für Skandinavier und Hochasiaten sind eingeführt und als Einteilungsmaßstäbe wissenschaftlich verwendet worden. Die ihnen zugrunde liegenden Wirklichkeiten werden untersucht. Dabei wurden die Ergebnisse früherer, vor allem deutscher Rassenforscher aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts bestätigt.

Völkerkennzeichnungen nach Verhaltensweisen, wie »Deutsch sein, heißt treu sein« oder »Deutsch sein, heißt eine Sache um ihrer selbst willen tun«, bekommen damit von der Verhaltensforschung her eine grundsätzliche Berechtigung, wobei der jeweilige Inhalt der Aussage statistisch zu prüfen ist. Das Verständnis der Menschen und Völker würde in erheblichem Maße verbessert werden, wenn solche Arbeiten, die nach den bisherigen Erfolgen der Verhaltensforschung in der Luft hängen und nach Bewältigung drängen, durchgeführt würden. Ein großes Gebiet harrt hier noch der Forschung. Bisher sind die Arbeiten meist nur für allgemein menschliche Eigenschaften durchgeführt worden, zum Beispiel von I. Eibl-Eibesfeldt zum Lachen, Weinen, Drohen, Flirten usw.Die noch unbefriedigende Lage auf der Ebene der Begriffe fiel schon Goethe auf, der meinte: »Wir brauchen in unserer Sprache ein Wort, das, wie Kindheit sich zu Kind verhält, so das Verhältnis Volkheit zum Volk ausdrückt. Der Erzieher muß die Kindheit hören, nicht das Kind, der Gesetzgeber und Regent die Volkheit, nicht das Volk.« Da das Verhalten des Menschen so stark erblich bedingt wird, ist die Schaffung eines ›Neuen Menschen‹ durch entsprechende Erziehung in einer Generation oder in wenigen Geschlechtern nicht möglich.

Die Starrheit der Erbfaktoren macht es somit glücklicherweise unmöglich, daß sich die Früchte einer Umerziehung oder Dressur in die nächste Generation hinein vererben. Eine Umerziehung, wenn sie Erfolg haben will, muß daher in jeder Generation von vorn wieder anfangen, da die Menschen immer wieder natürlich geboren werden. Das Ziel von Kommunisten oder anderen Sektierern, den ›neuen sozialistischen Menschen‹ zu schaffen, bleibt also reine Utopie, weil biologisch unmöglich. Das hat sich auch nach dem Umschwung von 1989/90 im Ostblock voll bestätigt: Mehr als zwei Generationen lang unter idealen Bedingungen – weil ohne Widerstand – durchgeführte Maßnahmen zur Erziehung zu Kommunisten erwiesen sich als erfolglos, und ihre Folgen fielen schnell von den Menschen wieder ab.

Die Starrheit der Erbfaktoren hat zur Folge, daß die vorhandenen Instinktlücken von jedem Individuum im Reifungsprozeß neu ausgefüllt werden müssen. Eine Vererbung erworbener Eigenschaften gibt es auf biologischem Gebiet nicht, auch wenn die sowjetische Schule unter Lyssenko das 30 Jahre lang krampfhaft nachzuweisen versuchte. Eine Verbesserung des Genotyps durch Veränderung des Phänotyps, also die Vererbung erworbener Eigenschaften, ist in wenigen Generationen unmöglich.

Pierre-Yves Trémois: Albrecht Dürer

Prägung und Lernen sind weitgehend an die dem Volk wesensgemäße Tradition gebunden. Richtige, das heißt der Menschenart des Heranwachsenden voll entsprechende Erziehung kann daher nur im Rahmen eines Volkes erfolgen: Das Volk ist aus dem Gesichtswinkel der Verhaltensforschung die für die Erziehung allein richtige Gemeinschaft. Das gilt insbesondere für ein Volk hoher Kultur wie das deutsche mit einer sehr reichen Tradition. Deswegen ist umgekehrt die Tradition auch für ein Volk und seine Kultur so wichtig. Besonders Konrad Lorenz hat aus seinen naturwissenschaftlichen Forschungen zu Verhaltensweise die Tradition als die Voraussetzung jeder hohen Kultur erkannt. Er hat das Abreißenlassen der Tradition als eine der ›Todsünden der zivilisierten Menschheit‹ bezeichnet. Die Tradition bedeutet demnach für das geistige Leben einer Kultur dasselbe wie die Erbanlagen für die biologische Substanz.

Ohne Tradition gibt es kein Weitergeben und damit kein Weiterleben des geistigen Erbes früherer Generationen. Ohne sie und ihre entlastende Wirkung für Neuschöpfungen kann sich keine Kultur auf ihrer Höhe halten.

Wenn die äußeren Sicherungen und Stabilisierungen, die in den festen Traditionen liegen, entfallen und mit abgebaut werden, dann wird unser Verhalten entformt, affektbestimmt, triebhaft, unberechenbar, unzuverlässig… Und wenn man die Stützen wegschlägt, primitivisieren wir sehr schnell.

Da allein das Jahrhunderte überdauernde Volk Traditionsgemeinschaft sein kann, ist zur Erhaltung der Überlieferung die Erhaltung des Volksbewußtseins unumgänglich. Erhaltung des Volkes bedeutet Bewahrung seiner Kultur, wie umgekehrt Abbau der Traditionen zur Barbarei, zur Primitivität, zur Unkultur, zur Verunmenschlichung führt. Traditionsverächter sind daher Schrittmacher der Primitivität, Motoren der Barbarei, Vertreter des Inhumanen. Tradition und Volk gehören unverzichtbar zur Würde und Eigenart des Menschen. Die Tradition war, worauf Lorenz hinweist, der große evolutionäre Vorteil und zugleich der große Selektionsdruck, der den Menschen immer mehr von den Tieren trennte.

Die Ergebnisse der Verhaltensforschung bestätigen also die der Biologie wie die der Tiefenpsychologie in eindrucksvoller Weise und zeigen auf, daß das Volk auch in den instinktiven Bereichen vermöge seines gleichartigen genetischen Sammelbeckens die natürliche und damit sinnvolle Gruppierung von Menschen ist. Aus diesen Ergebnissen der modernen Naturwissenschaft findet der allgemein gültige »kategorische Imperativ« von E. G. Kolbenheyer seine innere Begründung:

Handle so, daß du überzeugt sein kannst, mit deinem Handeln auch dein Bestes und Äußerstes dazu getan zu haben, die Menschenart, aus der du hervorgegangen bist, bestand- und entwicklungsfähig zu erhalten.

 

Bibliographie

I. Eibl-Eibesfeldt, Liebe und Haß, 1970; Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung, 1972; Der vorprogrammierte Mensch, 1973.

A. Gehlen, Anthropologische Forschung, 1961, S. 59

J. W. v. Goethe, Maximen und Reflexionen, zit. in Günter Kaufmann, Goethes Botschaft an unsere Zeit, 1991, S. 101

E. G. Kolbenheyer, Die Philosophie der Bauhütte, 11,1952, S. 565.

K. Lorenz, Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, 1972.

K. Lorenz, Vom Weltbild des Verhaltensforschers, 1968, S. 92.

K. Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, 1973, S. 215

E. Mayr, Naturwissenschaftliche Rundschau, Nr. 11,1974, S. 437.

S. A. Medwedjew, Der Fall Lyssenko, 1971.

J. Monod, Zufall und Notwendigkeit, 1971, S. 186.

I. Schwidetzky, Grundzüge der Völkerbiologie, 1950, S. 48.

 

Rolf Kosiek, ᛉ 23. September 1934 in Herford

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