Lorenzo Toro
Andacht:
Die Abkehr von den Götzen und der Weg des Waldgängers
Auf der grauen Welt steigen Schornsteine, Megalopole und Stromleitungen in die Höhe. Über die einstige Fruchtbarkeit, die von den Dichtern vergangener Zeiten gepriesen wurde, hat sich ein düsterer, trauriger Schleier gelegt, ein Symptom der Krankheit. Aus dem düsteren Szenario einer vom Leben entleerten Welt steigt ein grausiger Gestank auf, der die Notwendigkeit ankündigt, neue Fragen zu stellen und neue Lösungen zu suchen. Der zeitgenössische Mensch findet sein „Kreuz“ dort, wo er sich selbst verliert, und er sieht den Weg des Heils und den seiner Bestimmung zusammenfallen und ineinander übergehen: Auf die Illusion folgt die Tragödie, auf die Tragödie das Bewußtsein und auf das Bewußtsein in einer besseren Zeit das Heil.
Das „Anthropozän“ ist eng mit der Verwüstung verbunden, wahrscheinlich mehr als jede frühere geologische Epoche mit ihrer charakteristischen Landschaft, und dieses Phänomen wird uns in aller Deutlichkeit vor Augen geführt, wenn wir die Schnelligkeit der Veränderungen seit der industriellen Revolution oder die verstörende Eintönigkeit der „Kulturlandschaften“ betrachten, die heute fast die gesamte Erdoberfläche bedecken. Wir, die privilegierten Opfer dieses planetarischen Scharfrichters, werden in dem Moment, in dem wir ein angemessenes Bewußtsein für unseren Zustand entwickeln, in die zeitlose Rolle des mittelalterlichen Wanderers, des germanischen Waldgängers zurückversetzt: Das Privileg, das uns die Geschichte zwischen Überleben und Kreuzzug gewährt, besteht darin, daß wir uns in einem Stadium unserer Entwicklung befinden, in dem sich der Nebel für diejenigen, die ihren Blick nach oben richten können, lichtet und das „Böse“, das uns bedrängt, scharf vor uns erscheint und die Züge eines hungrigen und unersättlichen Widersachers annimmt.
Das unschätzbare Verdienst von Krisenzeiten besteht nämlich darin, daß sie dem Gewissen die Möglichkeit einer absoluten Wahl geben, daß sie uns immer klarere Einblicke in eine authentische Welt gewähren, die sich unseren sterblichen Augen als Schlachtfeld zeigt, auf dem die Entscheidung des einzelnen wie auch der Gemeinschaft einen eindeutigen Charakter und entscheidende Auswirkungen hat. Wir leben also in einer Ära der Wahlmöglichkeiten. Am Rande des Abgrunds geht auch der illusorische Glaube verloren, daß man seiner Rolle zum Klang des Kriegshorns entfliehen kann. Wo Krise, Desillusionierung und Angst herrschen, werden wahrscheinlich zunächst auch mehr Mut und Bewußtsein wachsen; dennoch wird es nur wenige geben, die die Gefahr in der Pestilenzluft nicht spüren.
Um eine Antwort auf die entscheidende Frage zu finden, bedarf es jedoch einer geeigneten Methode, die nur durch eine sorgfältige Erforschung der Geschichte des Denkens und damit der Zivilisation, die es hervorgebracht hat, gefunden werden kann. Welches Panorama zeichnet sich vor uns ab? Unsere Wissenschaft hat sich in den letzten Jahrhunderten die Mühe gemacht, einen raffinierten begrifflichen Apparat aufzubauen, der auf Rationalität, Kausalität und Utilitarismus beruht. In einer Welt, in der das Bedürfnis, Waren und Wissen in Umlauf zu bringen, immer größer wurde, erschien die wissenschaftliche Revolution über den Städten wie der helle Strahl einer Sonne der Vorsehung. Die Maschinerie des Fortschritts, die sich aus dem Raum und der Materie speist, wurde in Gang gesetzt und beschleunigte die Entwicklung der menschlichen Singularität hin zu einer strahlenden Zukunft der Innovation und des Wissensvergessens: Von Galilei bis zu den künstlichen Intelligenzen war der Schritt wohl kurz und der Abstand zwischen den beiden Entwicklungsstufen ausschließlich quantitativer Natur.
Im Moment der Krise geben die Zivilisationen unterschiedliche Erzählungen und Darstellungen von sich selbst und der Welt ab, die immer von der Art der vorherrschenden Ideologie geprägt sind: Wie wirkt sich dieses Phänomen, das Verkümmern der menschlichen Kultur zu einem anmaßenden Wirrwarr von Rechenkreisen, auf die allgemeine Wahrnehmung der Krise aus? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Auffassung des Menschen vom Ökosystem und seinen Ungleichgewichten, von der Ökologie und den Ökologismen (die nichts anderes sind als die „Wissenschaften der Krise“)?
Es ist mehr als offensichtlich, daß der theoretische Apparat, mit dem unsere Kultur sich der Ankunft am Abgrund gegenübersah, sich als weitgehend unzureichend erwiesen hat: Während sich immer dunklere Horizonte nähern, offenbart die Menschheit ihre völlige Unfähigkeit, die Grundlagen ihrer Zivilisation in Frage zu stellen, die fest in einem feuchten Boden des Anthropozentrismus und Suprematismus verwurzelt ist. Der Zusammenbruch steht also vor den Toren einer chaotischen, nicht mehr entscheidungsfähigen Stadt, die auf die drohende Vernichtung mit Opulenz und Ressourcenverschwendung reagiert. Um bei der Suche nach einer Schlupflücke, die uns die Möglichkeit gibt, zu entkommen, nicht aufzugeben, ist es daher notwendig, neue Waffen zu schmieden und mit neuem Elan auf die Bedrohung zu reagieren. Die Perspektive, die sich vor uns auftut, erfordert, daß wir neue Wege in Betracht ziehen und neue Ansätze ausprobieren: Jeder Versuch, die Welt zu reformieren, indem er partiellen und optimistischen Wegen folgt und die Zukunft der Spezies und der gesamten Welt in einem Szenario sieht, das dem des zivilisierten und unterjochten Planeten ähnelt, verliert jeden Sinn.
Leider wird jede Ökologie (d.h. in der heutigen Zeit jede „Wissenschaft der Abhilfe“ und der Möglichkeit von Auswegen aus der Krise), die von „menschlichen“, anthropozentrischen und „konservatorischen“ Annahmen ausgeht, ihr Schicksal im Drama eines Schiffbruchs finden: Die jüngsten Ereignisse, die gewiß nichts Gutes verheißen, machen deutlich, daß jede Form der Fürsorge für die Welt und das Ökosystem, die auf dem Ausgleich von Interessen beruht, die sich auf die Begriffe „Bequemlichkeit“ und „Kompromiß“ stützt und die daher in die Gleichung ihrer Beziehung zur schwindenden und sterbenden Natur eine zusätzliche Variable (die der Erhaltung der menschlichen Zivilisation in ihrer heutigen Form) einbezieht, mit der Realität schmerzlich kollidieren muß, da der dünne Schleier des Scheins weggerissen wurde, der sie davor bewahrte, als intelligentes Konstrukt einer bestimmten Kategorie von Menschen zur Wahrung ihrer Interessen erkannt zu werden.
Was erweist sich also in einer Zeit wie dieser, die von Zusammenbruch, Dekadenz und Tragödie geprägt ist, als wesentlich? Es ist leicht zu erkennen, daß an Bord eines Schiffes, das eine selbstmörderische Richtung einschlägt, nur noch ein sofortiger Kurswechsel in Frage kommt; das eigene Gewissen steht nicht vor einer Weggabelung, sondern vor einer Haarnadelkurve in einem dunklen Tunnel: Es geht nicht um die Richtung, die man einschlagen muß, sondern um die Fähigkeit, vor dem Aufprall auf die Tunnelwand auszuweichen.
Wenn sich die Ordnung der menschlichen Zivilisation ändern soll, wenn das Paradigma, das unserer Art zu sein und zu denken zugrunde liegt, verklärt werden soll, müssen jene theoretischen, praktischen, kulturellen und psychologischen Annahmen, die die Menschheit in den Untergang und die anschließende Zerstörung der Welt geführt haben, auf dem Altar der Geschichte geopfert werden. Es ist nicht mehr und nicht weniger als eine Richtungsänderung: Alte Wege werden verlassen, und alte, durch Vernachlässigung verborgene Pfade werden zwischen dem rauschenden Fluß und dem eisigen Wald wiederentdeckt.
Für unser eigenes Überleben und das der anderen schwindet die Möglichkeit, die „Zivilisation des Nützlichen“, der Ware, der Mittel, des Menschen als Herr über alles, worauf er seinen Blick richten kann, zu retten; stattdessen geht hinter den uns vertrauten Horizonten ein geheimnisvoller Silberstern auf, das Versprechen des Endes und der Wiedergeburt: Die neue Welt wird uns in der Tat als Gegenstand einer Prophezeiung, als göttliches Geschenk, als Besiegelung eines Paktes versprochen. An die Stelle der feinen Erwägungen, der Kompromisse und der Eigeninteressen sollte daher vielleicht eine neue Form der Beziehung zur Natur treten, die vom Zusammenbruch bedroht ist und in Flammen steht: Diese neue Beziehung könnte die Form eines Paktes annehmen, und unsere persönliche Haltung in all dem würde Form und Substanz verändern, bis sie sich regeneriert und neu konfiguriert als eine Form der Hingabe, der tiefen und sehr starken Hingabe an eine Idee, an etwas, das unendlich und unbegreiflich größer ist als wir.
Hingabe ist wahrscheinlich der Schlüsselbegriff, um den zuvor angedachten Kurswechsel sowie die neue ethische/kulturelle/spirituelle Konfiguration auszudrücken, die angestrebt wird, um der Flutwelle jenes epochalen Niedergangs zu widerstehen, dessen offensichtlichster Ausdruck die ökologische Katastrophe ist. Es ist eine Gottheit, der wir unbedingten Respekt und heilige Dankbarkeit schulden, und die Natur ist die Gottheit im konkretesten Sinne, denn sie ist der Schauplatz jeder Möglichkeit, jeder Potentialität der Existenz. Vor ihr stehen Berechnungen, Erwägungen, Interessen, all das Gewirr verführerischer Lügen, das die klare Wahrheit verdeckt, die unsere Augen, die immer noch Kinderaugen sind, nicht erkennen können: unser Planet ist in Gefahr, unser Land und alle Länder der Welt sind bedroht.
Die Unzulänglichkeit des heute vorherrschenden Denkens, das uns einredet, daß die Erhaltung unserer Welt und der Ordnung, die sie darstellt, abzuwägende, zu vermittelnde Entscheidungen sind, die in einer umfassenderen Gleichung zu berücksichtigen sind, die andere widersprüchliche Faktoren (Entwicklung, Fortschritt, Wohlergehen) auf den Tisch bringt, wird denjenigen, die in der Lage sind zu verstehen, in allen verschiedenen Facetten des Prismas der menschlichen Gesellschaft kühn vor Augen geführt. Der Weg, der sich auftut (oder besser: der Weg, der sich offenbart), ist also der der bedingungslosen Hingabe, der Eindeutigkeit, der Berufung; jenseits aller politischen Argumente, aller weltlichen Erwägungen (und weit darüber hinaus, in unabsehbarem Abstand zu jedem Denksystem, das unter seinen Werkzeugen die Waage, also die Werkzeuge des Kaufmanns, hat), liegt die absolute Zuversicht, das prärationale Bewußtsein, daß das Gute existiert und daß unsere unbestreitbare Pflicht darin besteht, es zu verteidigen.
Jede Verwüstung bezieht ihre Kraft aus dem Zaudern, aus der Zwietracht, aus dem Bedürfnis nach Schlichtung und äußerer Rechtfertigung, indem sie die gegnerische Front entkräftet und die Grenzen der unversehrten Natur aufgrund der politischen und natürlich auch wirtschaftlichen Macht durchbricht: Wer aber kann eine so entscheidende, radikale und ungerechtfertigte Entscheidung in Frage stellen? Wer wird sich einem „Ja“ ohne „Warum“ widersetzen können, einem „Ja“, das seine Kraft aus uralten Archetypen und aus Kräften schöpft, den „natürlichen“, außergeschichtlichen und ewigen? Wer würde es wagen, die Liebe eines Menschen zu seinen Eltern oder zu seinen Kindern oder die eines einzelnen Menschen zu seinem Land in Frage zu stellen? Es ist eine andere Dimension (die des „Tempels“ und nicht die des „Marktes“, in der wir uns heute befinden), in der die Voraussetzungen für eine neue Ökologie, für eine Andachts- und Hingabe-Ökologie, gesucht werden müssen.
Aufgabe und Hingabe, aber auch Fürsorge und Liebe sind unserer historischen Erfahrung nicht völlig fremd. Auf dem Plateau unseres Gedächtnisses sprießen die zeitlosen Blumen unserer Vergangenheit, die Bilder des Kults derer, die vor uns gegangen sind, und durchbrechen den Frost: Im Moment der Niedergeschlagenheit liegt die Hoffnung in der Möglichkeit, das radikal andere Verhältnis unserer Vorfahren zur Welt um uns herum zu verstehen, ihre angeborene Fähigkeit, sich als Teil einer unwandelbaren Ordnung zu begreifen, ihre respektvolle Haltung gegenüber ihrer Ausgewogenheit.
Täuschen Sie sich nicht, dies ist sicherlich nicht der Ort für eine Legitimierung der bestehenden Ordnung oder der bestehenden Machtverhältnisse (ganz im Gegenteil)! Wir sollten versuchen, die äußeren Symbole der Verehrung unserer Vorfahren (das Kreuz, die Heiligen, die Madonnen, die Herren zum Beispiel) beiseite zu lassen, um unsere ganze Aufmerksamkeit auf das nackte Wesen des Ereignisses zu richten, auf den eigentlichen Akt der Anbetung, der Ehrfurcht, auf das Bild der leuchtenden Augen des ungebildeten Bauern, der von der „stupor mundi“ verstört und gequält wird.
Wofür opfern wir unsere Seelen? Gibt es etwas, für das es sich lohnt und das zugleich ein solches Martyrium erfordert? Die Antwort auf diese Frage sollte alle Menschen, die solche dunklen Zeiten durchleben, umtreiben. Um uns selbst und die Heiligtümer, auf denen die Welt errichtet wurde, zu retten, müssen einige Götzen stürzen, damit die Sonne, die morgen aufgeht, eine wiederhergestellte Welt vor sich hat: Niemand sollte sich davor fürchten, trotz der angekündigten Katastrophen, denn wenn Götzen untergehen, sterben ganze Zivilisationen, aber Berge und Bäume werden jeden Tag neu geboren.
Es ist ein Paradigmenwechsel, den die Zukunft braucht: Der innere Aufruhr der laufenden Geschichte, hervorgerufen durch die Unhaltbarkeit der modernen Zivilisation, manifestiert sich auf allen Ebenen unserer Existenz, von der persönlichen Identitätskrise bis zur Politik. Wir sind selbst in der Abgeschiedenheit unseres intimen Raums bedroht, und es sind unsere Gefühle, unsere Emotionen und unsere Hoffnungen, die gestört und verdorben werden: Das Drama ist aller Wahrscheinlichkeit nach in dem Moment zu finden, in dem die alte Lebensfreude verkümmert und sich in so viele kleine Lebensgenüsse auflöst.
Es ist jedoch gut, sich daran zu erinnern, wie uns die Hoffnung in ihrer unverzichtbaren Einfachheit umgibt: Einem aufmerksamen und bescheidenen Auge, das von der für den Menschen des Fortschritts charakteristischen Arroganz befreit ist, entgehen nicht die Verheißungen der Freude, die zwischen engen Schluchten und gurgelnden Bächen, zwischen riesigen Gipfeln mit kahlen Felsen und frischen Frühlingsknospen geflüstert werden.
Quelle: https://axismundi.blog/2020/04/17/devozione-il-tramonto-degli-idoli-e-il-sentiero-del-waldganger/