Constantin  von Hoffmeister

erforscht das facettenreiche Leben von Zakhar Prilepin, einem renommierten russischen Autor, ehemaligen Mitglied der Nationalbolschewistischen Partei, Soldaten, Journalisten und politischen Experten, der Ziel eines Autobombenanschlags wurde.

 

Zakhar Prilepin, ein 47-jähriger gefeierter Autor und ehemaliger nationalistischer Kämpfer, der seit vielen Jahren eine herausragende Stellung in der russischen Politik innehat, war das Ziel eines Autobombenanschlags, bei dem er verwundet und sein Fahrer getötet wurde. Prilepin ist ein eifriger Befürworter des Vorgehens von Präsident Wladimir Putin in der Ukraine. Der Bombenanschlag ereignete sich am 6. Mai, als Prilepin in der östlich von Moskau gelegenen Region Nischni Nowgorod unterwegs war. Zahlreiche russische Nachrichtenagenturen berichteten unter Berufung auf örtliche Beamte, daß eine Bombe an Prilepins Auto angebracht und gezündet worden sei.

Der Pressedienst Prilepins berichtete zunächst über den Vorfall, wobei der Zustand des Autors als „okay“ bezeichnet wurde. Es scheint jedoch, daß es bei den Details seiner Verletzungen eine gewisse Diskrepanz gibt. Nach Angaben des Gouverneurs der Region, Gleb Nikitin, hatte Prilepin leichte Frakturen erlitten, die nicht als lebensbedrohlich eingestuft wurden. Dies steht im Gegensatz zu dem früheren Bericht der Rettungskräfte, die Prilepin als schwer verletzt bezeichnet hatten. Die Situation ist nach wie vor unklar, und das Ausmaß der Verletzungen Prilepins ist weiterhin ungewiß.

Wenige Stunden nach dem Anschlag verhafteten die russischen Behörden einen 28-jährigen Mann, der zuvor in kriminelle Aktivitäten verwickelt war, unter dem Verdacht, den Terroranschlag verübt zu haben. Das Innenministerium hat weder die Identität des Verdächtigen bekannt gegeben noch weitere Informationen geliefert.

Der Ort, an dem das Auto von Zakhar Prilepin in der Region Nischni Nowgorod in die Luft gesprengt wurde. Fotoquelle: t.me/bbbreaking

Besorgniserregend ist, daß eine ukrainische Gruppe, die sich ›Atesh‹ nennt, die Verantwortung für den Anschlag übernommen hat. ›Atesh‹ ist eine Partisanenbewegung, die sich aus ethnischen Ukrainern und Krimtataren zusammensetzt und sich bereits für mehrere Anschläge in den von Rußland besetzten ukrainischen Gebieten verantwortlich gezeigt hat. ›Atesh‹ teilte in den sozialen Medien mit, daß sie Prilepin seit Anfang des Jahres verfolgten und „spürten, daß er früher oder später in die Luft gesprengt werden würde“.

Maria Zakharova, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, behauptete, die USA und das Vereinigte Königreich steckten mit ukrainischen Terroristen unter einer Decke und hätten eine weitere internationale Terrorzelle gebildet – nämlich das Kiewer Regime. Prilepin, ein entschiedener Befürworter der militärischen Sonderoperation in der Ukraine, ist Ziel eines Anschlags geworden, der viele schockiert hat, obwohl es nicht der erste seiner Art ist. Im August des vergangenen Jahres kam Daria Dugina, die Tochter des Eurasien-Theoretikers Alexander Dugin, bei einer Autoexplosion vor den Toren Moskaus ums Leben. Im April dieses Jahres explodierte eine Bombe in einem St. Petersburger Café und kostete den bekannten Militärblogger und Donbass-Bewohner Vladlen Tatarsky das Leben. Moskau hat die Schuld für beide Vorfälle eindeutig den ukrainischen Sonderdiensten zugeschoben.

Obwohl er in der Ukraine wegen des Vorwurfs des „Terrorismus“ angeklagt und vom ukrainischen Kultusministerium auf die Liste der Sicherheitsbedrohungen gesetzt wurde, blieb Prilepin unbeirrt bei seinen Überzeugungen. Als wichtiger Verfechter der imperialen Außenpolitik Rußlands wurde Prilepin 2021 ins russische Parlament gewählt, lehnte das Amt jedoch aufgrund von Gerüchten über seine Ambitionen als Präsident ab. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, Rußlands militärische Sonderoperationen auf der Plattform ›Telegram‹ bekannt zu machen, wo er über 300.000 Follower hat.

Nach dem tragischen Autobombenanschlag, bei dem Daria Dugina ums Leben kam, wurde Prilepin mit den Worten zitiert, daß solche Taten aufgrund des westlichen Einflusses auf die Ukraine alltäglich geworden seien. Wie Putin beklagt auch er die Entfremdung vieler Russen von ihrem eigenen Land nach dem Zerfall der Sowjetunion. Prilepins Romane wurden für ihre Voraussicht gelobt, mit der er die Entwicklung radikaler politischer Gruppen und die Strategie der Regierung zu deren Bekämpfung voraussah.

In Prilepins Roman ›Sankya‹ tauchen wir in eine dunkle Welt des gesellschaftlichen Chaos und des moralischen Verfalls ein. Der gleichnamige Protagonist, Sankya, muß sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in einer labyrinthischen Landschaft aus Gewalt und Korruption zurechtfinden. Während er mit der autoritären Bereitschaftspolizei zusammenstößt, werden wir Zeuge des erbitterten Kampfes einer verlorenen Generation, die in einer Welt zappelt, in der die traditionellen Werte ausgehöhlt wurden und neue noch nicht entstanden sind. Prilepins eindringliche Erzählung zeichnet ein düsteres Porträt Rußlands in den frühen 1990er Jahren, in denen die jungen Menschen mit einer unerbittlichen Realität konfrontiert werden und herzzerreißende Entscheidungen treffen müssen, nur um zu überleben.

Der vielseitige Prilepin, dessen Geburtsort das ländliche Dorf Iljinka im Westen Rußlands ist, kann auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken, die von zahlreichen Erfahrungen geprägt ist. Nachdem er pflichtbewußt in den Streitkräften gedient hatte, schlug er in den 1990er Jahren eine Laufbahn als Polizeibeamter ein und war anschließend während der stürmischen separatistischen und islamistischen Aufstände in Tschetschenien stationiert. Schließlich führte Prilepins wechselvoller Werdegang dazu, daß er sowohl als Journalist als auch als Romanautor erfolgreich war und als eine der wichtigsten literarischen Koryphäen Rußlands Anerkennung fand. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts ›VCIOM‹ wurde Prilepin zum beliebtesten Autor des Jahres 2022 gewählt. Sein Krimi ›Break Loose‹ wurde verfilmt und sein historischer Roman ›Abode‹ als Fernsehserie verfilmt.

In ›Abode‹ taucht Prilepin tief in das Herz eines abgelegenen sowjetischen Gefangenenlagers in den 1920er Jahren ein, wo das Leben für die unglücklichen Bewohner alles andere als einfach ist. Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht eine Gruppe politischer Gefangener, die mit allen Mitteln darum kämpfen, die brutalen Bedingungen ihrer Gefangenschaft zu überleben. Zu ihrem täglichen Überlebenskampf gehören harte Arbeit, Unterernährung und unsägliche Mißhandlungen durch ihre Wärter. Der Roman fängt die harte Realität des Lebens in den Arbeitslagern ein und spart nicht mit Beschreibungen, die die Grausamkeit und Ungerechtigkeit des sowjetischen Systems deutlich machen.

Prilepin begnügt sich nicht mit dem Schreiben, sondern hat sich auch als politischer Experte einen Namen gemacht. Er tritt häufig in Fernseh- und Radiosendungen auf und moderierte sogar seine eigene Sendung im russischen Fernsehsender ›NTV‹. Im Jahr 2019 gründete er seine eigene konservative Partei ›Für die Wahrheit‹, nachdem er zuvor mit dem berühmten Schriftsteller und politischen Aktivisten Eduard Limonow und dessen Nationalbolschewistischer Partei zusammengearbeitet hatte.

Limonow gründete die ›Nationalbolschewistische Partei‹ in dem turbulenten Jahr 1994. Diese politische Organisation, die rechtsextreme und marxistisch-leninistische Überzeugungen vertrat, leitete ihre ideologische Grundlage aus einer Verschmelzung von Kommunismus, Faschismus und Nationalismus ab. Ihre Anhänger setzten sich größtenteils aus desillusionierten Jugendlichen zusammen, die die postsowjetische Regierung als korrupt und die etablierten politischen Parteien als verräterisch ansahen. Die radikale Ideologie der Partei lehnte die Werte der liberalen Demokratie und des Kapitalismus zugunsten eines starken Staates mit zentraler Verwaltung ab. Die Partei wurde 2007 verboten, aber ihr Einfluß ist in Rußland, insbesondere in der von Dugin dominierten Multipolaritätsbewegung, und in anderen Ländern noch immer spürbar.

Prilepins unnachgiebige Haltung in der Außenpolitik hat ihm den Ruf eines Hardliners eingebracht, insbesondere wegen seines leidenschaftlichen Eintretens für die Integration der gesamten Ukraine in Rußland. Er unterstützte 2014 den Aufstand im Donbass, der sich gegen den vom Westen unterstützten Putsch in Kiew wandte und die Unabhängigkeit von der Ukraine als Donezker Volksrepublik (DVR) erklärte. Prilepin stieg als stellvertretender Befehlshaber einer militärischen Einheit der DVR bis zum Rang eines Majors auf, bevor er 2018 zurücktrat, um sich auf seine schriftstellerische Tätigkeit zu konzentrieren. Im September 2022 traten beide Donbass-Republiken (die DVR und die Volksrepublik Lugansk) nach einem Referendum offiziell Rußland bei.

Anfang dieses Jahres trat Prilepin in die russische Nationalgarde ein und kehrte an die Front zurück. Er behauptete, er sei auf das gleiche Schlachtfeld zurückgekehrt, auf dem er 2014 zum ersten Mal gelandet war. Seine kontroversen Ansichten kamen jedoch bei der ukrainischen Regierung nicht gut an, die seine Bücher 2018 verbot. Auch die EU setzte ihn im vergangenen Jahr im Rahmen der Sanktionen, die gegen Rußland wegen seiner militärischen Operationen in der Ukraine verhängt wurden, auf die „Schwarze Liste“.

Mit dem Schlachtruf des archetypischen Kriegers und der Feder eines Schriftstellers webt Zakhar Prilepin Geschichten von Individuen, die gegen die gewaltigen, bedrückenden Kräfte der Welt antreten. Seine Figuren sind verletzlich, nur allzumenschlich, aber sie kämpfen gegen die gewaltigen Gezeiten, die sie zu zermalmen drohen. Prilepins Werk ist durchdrungen von unbändiger Schönheit und dem Versprechen auf „Erlösung“, und seine Geschichten sind voll von furchtlosen Helden, die ums Überleben kämpfen. Er hat die Schrecken des Krieges am eigenen Leib erfahren, da er in Tschetschenien und im Donbass gekämpft hat, und hat sein eigenes Leben als Grundlage für sein Werk verwendet. Prilepin schwelgt in den Ritualen und Bindungen der Männerkameradschaft und betrachtet den Krieg als ultimative Prüfung der Männlichkeit. Er hat sich den Widrigkeiten gestellt und ist gestärkt aus ihnen hervorgegangen, indem er seine Erfahrungen zu Meisterwerken des geschriebenen Wortes verarbeitet hat.

Nachtrag:

Das russische Ermittlungskomitee hat ein Video veröffentlicht, das angeblich den Verdächtigen im Fall des Bombenanschlags auf Prilepin zeigt. Der Mann stellt sich als Alexander Permjakow vor und behauptet, 2018 von ukrainischen Sicherheitsdiensten rekrutiert worden zu sein. Er sei 1993 in der Ukraine geboren und 2022 nach Rußland gekommen, „mit dem Ziel, Zakhar Prilepin zu töten.“ Russische Ermittler behaupten, Permyakov habe einen Sprengsatz auf der Straße platziert, den er aus der Ferne zündete. Das Video endet damit, daß der Mann seine Taten bedauert.

Quelle: https://arktos.com/2023/05/06/russian-nationalist-zakhar-prilepin-targeted-in-terrorist-attack/

 

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