Roberto Eusebio

(überarbeitet von Marco Maculotti)

 

 

Im Laufe der Ideengeschichte wurde das Blut immer als Träger einer mächtigen magischen Kraft und einer komplexen und vielfältigen Symbolik betrachtet, angefangen bei den Höhlenmalereien aus der Altsteinzeit bis hin zu den drei Buchreligionen (Christentum, Islam, Judentum), über die kosmogonischen Mythen der alten Traditionen (Babylonier, Hindus, Norweger usw.), nicht zu vergessen die Verwendung des Blutes in der traditionellen orientalischen Medizin und sein Opferwert bei zeremoniellen Praktiken.

 

Ich rieche Blut … und ein Zeitalter von Wahnsinnigen.

(Wystan Hugh Auden)

 

Blut, verborgen und eingeschlossen im Körper eines jeden Tieres, ist Leben, Bewegung und Instinkt. Rot, flüssig, eisenhaltig schmeckend, wenn es fließt, ist es über seine medizinische Erscheinung hinaus etwas, das die Welt auf traumatische Weise befleckt und kennzeichnet. Es wird zu einer fatalen Angelegenheit, wenn es aufhört, ein Grund für das Leben zu sein, um am Ende seines Flusses, mit dem Tod, trocken und dunkel zu werden. Der einleitende Satz des Dichters Wystan Hugh Auden, mit dem diese Studie beginnt, zeigt unserer Meinung nach sehr treffend, was Blut in verheerender und überwältigender Weise repräsentiert und symbolisch bedeutet, wenn es – und das betonen wir – entweiht wird, d. h. wenn es in seinem Wesen als Lebensmatrix nicht respektiert wird.

In der Literatur wird es William Shakespeare sein, der in ›Macbeth‹ den kruden Wahnsinn des Mordes an König Duncan und die anschließende endgültige Rache mit dem Tod von Macbeth und dem halluzinierten Wahnsinn, dem Lady Macbeth zum Opfer fällt, beschreibt [1]:

Warum Blut, ruf Blut!

Wir lassen diesen dramatischen Aspekt für einen Moment beiseite und richten unsere Aufmerksamkeit zunächst auf die Art und Weise, wie das Blut als körperliches Element in der Antike betrachtet wurde, um am Ende des Artikels zu der vertrauten überlieferten Perspektive der symbolischen Bedeutungen und der lehrmäßigen Vorgaben zu gelangen.

Thomas Barker aus Bath, ›Macbeth und die Hexen‹, 1830

Das Blut war schon immer, lange vor jeder physiologischen Erforschung, von besonderem spekulativem Interesse, weil man davon ausging, daß es das menschliche Verhalten beeinflußt, und weil es aufgrund seiner Beschaffenheit immer sowohl eine physische als auch eine symbolische Komponente darstellte. Es ist ›Diokles von Charistos‹ [2], der in seinem Werk ›Pathos aitia therapeia‹ Entsprechungen der psychischen Pathologien findet, die mit dem Blut in Verbindung stehen, insbesondere die Manie, die in seinen Schriften als Verlust der Vernunft aufgrund des kochenden Blutes im Herzen dargestellt wird.

Er war nicht der einzige. Nach der traditionellen chinesischen Medizin ist ein hochgradig ängstlicher oder leicht reizbarer Zustand eines Patienten die äußere Manifestation eines „Blutmangels“. Für die Chinesen ist Blut nicht einfach eine rote Flüssigkeit, die in den Blutgefäßen zirkuliert und Nährstoffe zu den Organen in unserem Körper transportiert, sondern es wird als eins mit dem Chi, dem Lebensatem, betrachtet, der gleichzeitig mit dem Blut im Körper fließt. Das Chi stellt die Antriebskraft dar, die nach der chinesischen Tradition jedem Menschen innewohnt.

In allen bekannten Kulturen und wahrscheinlich auch in denen, deren anthropologische Strukturen wir aufgrund der epochalen Entfernung, die uns von ihnen trennt, nicht kennen, abgesehen von einigen Felsgravuren oder Wandmalereien, hatte Blut schon immer einen symbolischen Wert und eine starke magische Bedeutung, weshalb es in Ritualen verwendet wurde, sowohl in materieller Form als auch in der Mythologie als archetypisches Element, das auf einen Urmythos verweist.

Paläolithische Höhlenmalereien in der Höhle von Altamira, Spanien

Ausgehend von dieser ursprünglichen Auffassung, die im übrigen allgemein anerkannt ist, spielt das Blut in den rituellen Praktiken vieler Kulturen zweifellos eine Rolle als Überträger, an dem oder mittels dessen der magische Akt vollzogen wird, sei es, daß es materiell eingesetzt wird, sei es, daß seine Anwesenheit durch Ersatzelemente angedeutet wird, aber immer in seiner Potentialität auf seine beiden Aspekte Leben und Tod verweisend. Eine Praxis, die, wie Gelehrte berichten, bis in prähistorische Zeiten zurückreicht. Ein Beispiel dafür sind nach den Theorien, die wir zu teilen glauben, die primitiven Höhlenmalereien, deren magisch-symbolischer Zweck mit Ritualen schamanischer Art verbunden wäre, während die Verwendung von Blut in der Malerei eine Art der Bindung des Tiergeistes an die gemalte Figur durch eine Art rituelle Simulation darstellen würde [3].

In den Heldenmythen der griechischen Hochkultur scheint das Blut die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten, zwischen Ordnung und Chaos gewesen zu sein, und sein Todesfluß stellte einen symbolisch unheilvollen Aspekt dar. Allerdings ist das Blut eines jener archetypischen Symbole, bei denen mehrere Deutungsebenen nebeneinander bestehen. In der griechischen Mythologie selbst war das Blut der Unsterblichen, das ›Icore‹ (ἰχώρ, ichór) genannt wurde, nicht rot, sondern ein flüchtiges Weiß, und wenn es aus einer Wunde strömte, wurde es für die Sterblichen tödlich. In der griechischen Mythologie scheint das Blut auch symbolisch die Stufen des Übergangs zu betonen, die der Mensch von seiner Geburt über seine Reifung bis zu seinem Tod durchläuft.

Wachstum und evolutionäre Veränderungen, nicht allein des Körpers, können nur eine kontinuierliche Abfolge von Tod und Wiedergeburt sein, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Im allgemeinen folgt der griechische Mythos in seinem Epos symbolisch einem Naturgesetz, wobei ›Eros‹ und ›Thanatos‹ die beiden sich abwechselnden Kräfte darstellen, in denen sich das menschliche Leben bewegt und in einem kontinuierlichen Prozeß der Evolution manifestiert. Ohne ›Thanatos‹ gibt es keinen ›Eros‹; ohne Tod gibt es kein Leben [4]. Dieser Wechsel in der griechischen Welt scheint sich auf die Zeit der Ursprünge zu beziehen, in der die Götter alle Dinge und den sterblichen Menschen aus dem Urchaos in die Ordnung gebracht haben [5].

Samuel Araya, ›Steinbock und Mars‹

Der Mythos von ›Ymir‹, der von ›Odin‹ in der nordischen Mythologie erschlagen wurde, geht auf die dunkle und komplizierte nordische Tradition zurück und erzählt uns, wie durch sein Blut und die Zerstückelung seines Körpers die Erde und der Himmel geformt werden.

Aus seinem Fleisch wurde die Erde, aus dem Blut das Meer, aus seinen Knochen Felsen und Gebirge, aus seinem Haar die Bäume, aus seinen Augenbrauen Midgard, aus seinem Schädel der Himmel und aus seinem Gehirn die Wolken.

Es wird nicht die einzige Kosmogonie dieser Art sein: Der blutige Opferakt ist ein beherrschendes Motiv verschiedener kosmogonischer Mythen. Die Schöpfung ist fast immer das Ergebnis einer Krise der Gewalt und des Blutvergießens, das die Materie in einem Kampf zu einem positiven und letztlich guten Ergebnis führt. Beispiele dafür sind der Kampf oder der Tod zwischen persönlichen oder unpersönlichen Kräften, wie die Zerstückelung von ›Prajapati‹, die in den hinduistischen Veden erzählt wird, oder wie im babylonischen Mythos, in dem durch den zerschmetterten Körper von ›Tiamat‹ Himmel und Erde und durch das Blut von ›Kingu‹ alle Menschen geschaffen werden.

Die Manifestation der Welt erfolgt also immer durch einen erzwungenen oder freiwilligen Opferakt, der seine Daseinsberechtigung in dem übergeordneten schöpferischen Akt hat. Ein anderes allegorisches Zeichen ist das Blut, das sich außerhalb einer heiligen Ritualität blutig ergießt, in der es gebändigt wäre und seine Daseinsberechtigung fände, während es bei der Projektion in die Welt der sterblichen Menschen auf gefährliche Weise Lücken und unaufhaltsame, schwer zu beherrschende niedere Kräfte freisetzt.

Giovanni Caselli, ›Das Opfer von Ymir‹, 1978

In der Entfaltung des religiösen Geistes in den prähistorischen und später in den historischen Epochen hat das Blut allmählich eine andere und strukturiertere Bedeutung erlangt. Die mit der Muttergöttin verbundenen Kulte, die nach Untersuchungen von Funden auf die Zeit vor etwa 300.000-35.000 Jahren (Mittelpaläolithikum) zurückgehen, scheinen mit dem Zyklus von Leben, Tod und Geburt verbunden zu sein. Ein solcher Kult wäre somit ein wichtiges und umfassendes Zeugnis einer über Jahrtausende andauernden Mysterienströmung, in der das Frauenbild als Hierophanie mit sakralem Wert angenommen wurde. Dieser Aspekt ist mit der Fruchtbarkeit und dem Menstruationszyklus verbunden, was mit dem Uropfer vieler Traditionen übereinstimmt, die allegorisch mit der universellen Schöpfungsmythologie verbunden sind [6]. Es ist der Vermittler selbst, der das katalytische Element zwischen dem Prinzip und der Materie darstellt, der, wie wir gesehen haben, der Kern des Kosmos ist, der sich durch sein symbolisches Opfer manifestieren wird.

In vielen mythischen Erzählungen ist Blut jedoch ein Motiv für Rache, für Prüfungen, für Initiationen, für Veränderungen, und als solches wurde es in der sozialen Kultur, die sich daraus entwickelt hat, durch Gesetze und Vorschriften diszipliniert, die jeder Tradition eigen sind. Das Christentum, wenn wir von der uns nahestehenden Tradition ausgehen, aber auch das Judentum, aus dem das Christentum hervorgegangen ist, sehen im Blut den Sitz des Lebens und ein Mittel der Sühne:

Denn das Leben des Fleisches ist im Blut. Deshalb habe ich dir befohlen, es auf den Altar zu legen, um für dein Volk Sühne zu leisten; denn Blut ist das, was Sühne bringt, durchs Leben. (3. Moses 17,11)

Giulio Aristide Sartorio, ›Diana von Ephesus und ihre Sklaven‹, 1899

In einer Passage aus dem Buch ›Exodus‹ (24,3-8) wird erzählt, wie Moses das Volk mit einem Teil des Blutes der Opfer besprengt, als Zeichen des Bundes mit Gott. Das biblische Gesetz besagt, daß das Blut der Tiere nicht gegessen, sondern vergossen werden soll, während das Blut des Menschen weder gegessen noch vergossen werden soll, weil es der Sitz des Lebens ist [7].

Nur das Opfer Christi wird mit dem Vergießen seines Blutes seine Opferung in ein Symbol verwandeln, das den neuen Pakt mit dem Göttlichen garantiert und damit den ewigen Bund wiederherstellt. Im Mythos wird erzählt, wie dieses Blut, das aus seiner verwundeten Flanke fließt, in dem heiligen Gralsbecher gesammelt wird, der die Grundlage für die Suche der mittelalterlichen Ritter bildet. Dieses Blut wird das Unterpfand des neuen Bundes sein, der in der Eucharistie auf ewig erneuert wird, wo das Verbot, Blut zu „trinken“, nicht für das Blut Jesu Christi gelten wird, denn „wer sein Fleisch ißt und sein Blut trinkt, hat das ewige Leben“ (Johannes 6,54). In gewisser Hinsicht unterscheidet die Absicht die Qualifikation und den Zweck, bis hin zu dem Punkt, daß im Blut ein mächtiger Vermittler als Lehrmotivation enthalten ist, für den nach ›Tertullian‹ das Blut der Märtyrer der Same der Kirche ist, wobei der Tod eindeutig als Träger einer akzeptablen christlichen Vitalität bezeichnet wird [8].

Aus metaphysischer Sicht stellt das Blut eine der Verbindungen des körperlichen Organismus mit dem subtilen Zustand des Individuums dar, der im wesentlichen die Seele repräsentiert, d. h. im etymologischen Sinne das belebende oder lebensspendende Prinzip des Seins. Es ist jedoch eine Tatsache, daß das Blut in jeder kulturellen Form eine doppelte Wertigkeit hat, wie wir bereits erwähnt haben: die des Todes oder die der Verheißung. Nach dieser Auffassung ist das Blut heilig, weil es das Lebensprinzip innerhalb der körperlichen Grenzen darstellt und unantastbar ist, wenn es, grausam verletzt, aus diesen Grenzen entweicht. Wer es entweiht oder sich damit verunreinigt, ist ein unreiner Mensch und begeht ein Sakrileg, und das ist eben die Tötung eines anderen Menschen und das Blutvergießen [9].

Mark Jennings, ›Leib und Blut‹

Der Begriff des Heiligen hat in der spirituellen Entwicklung und der bewußten Reifung des Seins in den verschiedenen historischen Traditionen durch streng technische Aspekte die Voraussetzung und die Qualitäten übertragen, die notwendig sind, damit das im rituellen Moment des Opfers vergossene Blut eine Verbindung zwischen der menschlichen Welt und dem Göttlichen öffnet und bewahrt. In der ›Tora‹ heißt es:

Nur eins müßt ihr auch in diesem Fall beachten: Ihr dürft niemals Fleisch essen, in dem noch Blut ist; denn im Blut ist das Leben. Ihr müßt das Blut wie Wasser auf die Erde fließen lassen. So gefällt es dem Herrn, und wenn ihr das beachtet, wird es euch und euren Nachkommen gut gehen. (Deuteronomium 12: 23-25)

In der Tora wird jedoch weiter ausgeführt, daß das Blut als ›Seele‹ fünf Stufen hat: Nefesh, Ruach, Neshamah, Haya und Yechidah. Das Blut repräsentiert den untersten Teil der spirituellen Ebenen, nämlich Nefesh [10] als den Lebensatem (niedere Seele), der den physischen Körper belebt. Nur durch den Opferritus ist das vergossene Blut, das den Altar tränkt, für die Götter annehmbar und akzeptabel, wodurch das Geopferte gereinigt wird, indem es vom Profanen zum Heiligen erhoben wird. So hat das Wort Opfer von seiner Etymologie her die Bedeutung, etwas Heiliges zu tun, um den Geopferten und den Opfernden mit der Gottheit zu verbinden.

Hippolyte Flandrin, ›Das Opfer Isaaks‹, 1860

Denn das Leben des Fleisches ist im Blut. Deshalb habe ich dir befohlen, es auf den Altar zu legen, um für dein Volk Sühne zu leisten; denn Blut ist das, was durch das Leben Sühne leistet. (Moses 17:11)

Es ist der Priester in Verbindung mit Gott und durch seine Hand, der durch die heilige Handlung der Macht des Blutes genaue Grenzen setzt, indem er sein Potenzial kanalisiert. Welche Handlung wird also vollzogen? Wir glauben nicht, daß wir zu weit gehen, wenn wir sagen, daß solche Praktiken in den Bereich der so genannten „zeremoniellen Magie“ [11] fallen, die die Grundlage der Rituale aller Traditionen bildet, deren Ursprünge sich im Nebel der Zeit verlieren, und die unter anderem Kenntnisse der Wortmagie voraussetzt, insbesondere wenn die Sprache der Rezitation und der rituellen Formeln auf einer heiligen Sprache beruht [12]. Nimmt man den Diskurs vom Anfang dieses Artikels wieder auf und geht von diesen Theorien aus, so sind die verschiedenen traditionellen Vorschriften zur Blutabstinenz an dieser Stelle verständlich und scheinen somit alle legitim zu sein.

Es ist jedoch notwendig, einige andere Prinzipien zu berücksichtigen, die sich aus der Untersuchung von Mythen und Legenden ergeben, auf denen die Wurzeln des Konzepts der Ablehnung des Blutvergießens und seines eventuellen Mißbrauchs beruhen. Im Italienischen bezeichnet die Wurzel ›emo‹ das Wort ›sangue‹, das sich direkt vom griechischen ›Aima‹ ableitet, was Blut bedeutet. Gerade wegen seines Aspekts als beseeltes Vehikel umschließt das Blut also den sensibelsten Aspekt des Menschen, einschließlich seiner positiven oder negativen Emotionen.

Kuraokami, Drachengott und Gottheit des Regens und Schnees im japanischen Shintoismus (auch bekannt als Okami)

In der japanischen Kultur, im Shintoismus, einer autochthonen Tradition, die sich in der ›Jōmon-Periode‹ (10.000-3000 v. Chr.) herausgebildet hat, nimmt das Blut eine bemerkenswert negative Valenz an und wird zu einem Zeichen der Angst [13]. „In den Riten des Shinto ist die Reinheit, mehr noch als der Glaube, die wesentliche Voraussetzung, um mit Gott in Kontakt zu treten, und nur der wirklich reine Mensch, der die heiligen Vorschriften in allen Augenblicken des täglichen Lebens befolgt, ist in Harmonie mit sich selbst und mit der Natur der Götter. Unreinheit hingegen macht ihn für die Götter verhasst. Seine Verunreinigung verbreitet das Böse in der gesamten sozialen Gruppe. Und so umgibt das Blut ein Gefühl des Schreckens, des Abscheus“ [14]. Diese Vorschriften sind jedoch nicht von moralischem Schrecken oder unerlaubten Sünden geprägt.

In Wirklichkeit fließt das Blut in den Adern wie das Wasser im Flußbett. Das Blut, das sich ausbreitet, ist daher wie Wasser, das ungeordnet über die Ufer tritt und zum Chaos wird. Die Unreinheit, die entsteht, wenn man den Leidenschaften nachgibt oder sich selbst durch die Störung der Harmonie des Seins belastet, wird immer von Blut begleitet. In der gleichen Tradition galten all jene als unrein, die mit Blut zu tun hatten: Metzger, Gerber, Henker und dergleichen, eine ähnliche Vorschrift in vielen Traditionen. Diese Aspekte, die sich daraus ergeben, sollten uns, wie bereits erwähnt, zu der Überzeugung bringen, daß Blut in seinen verschiedenen Möglichkeiten ein unbeständiges Element ist und als solches zu behandeln ist.

Traditionelle chinesische Darstellung eines Drachens

Die traditionelle chinesische Medizin geht davon aus, daß ein Patient, der sich in einem sehr ängstlichen oder leicht reizbaren Zustand befindet, die äußere Manifestation eines ›Blutmangels‹ ist, bei dem die Fundamente des ›Shen‹ schwinden und das Blut unfroh und unruhig wird. In der östlichen Welt und in den ostasiatischen Mythen gibt es jedoch den Mythos des Drachens, dessen Blut einen genauen Bezug zur Unsterblichkeit hat und der als Unsterblichkeitstrunk zum Verständnis der Sprache der Vögel oder der „Engelssprache“ emporsteigt, denn Vögel sind oft ein Symbol für Engel oder höhere Bewußtseinszustände.

Aber auch in China, einem an Gegensätzen reichen geografischen Gebiet, war der Verkauf des eigenen Blutes aus wirtschaftlichen Gründen und als medizinisches Heilmittel für die ärmeren Bevölkerungsschichten bekannt, obwohl Blut traditionell ein Synonym für die Identität der Familie war, so daß diejenigen, die ihr Blut verkauften, als nicht mehr würdig angesehen wurden, Teil ihrer Familie zu sein. Im alten Ägypten hatte Rot, die Farbe des Blutes, überwiegend negative Werte, da sie mit ›Seth‹, dem Töter des ›Osiris‹, in Verbindung gebracht wurde, der rote Augen und rotes Haar hatte; und wenn Rot einerseits die Farbe des Gefühls, der Weite, der Lebendigkeit, des als Leben verstandenen Blutes ist, so ist es andererseits die Farbe der Gewalttätigkeit, des Zorns, der Aggression, des Blutvergießens.

Es gibt unzählige Mythen, die sich mit den ambivalenten Fähigkeiten des Blutes befassen: Eine davon ist die griechische Geschichte von ›Medusa‹ und ihrer Tötung durch ›Perseus‹: Nachdem der Kopf des Ungeheuers abgeschlagen war, erwies sich das Blut, das aus der linken Hauptader floß, als magisch fähig, jemanden zu töten, während das Blut, das aus der rechten Hauptader floß, den Toten das Leben zurückgab. In der nordischen Tradition kann man aus der skandinavischen ›Edda‹ die Geschichte von ›Siegfrieds Kampf‹ gegen den Drachen anführen. Abgesehen von den verschiedenen Etappen der Legende interessiert uns hier, daß ›Siegfried‹, nachdem er den Drachen getötet hatte, sich in dessen Blut badete, das ihn unverwundbar machte, während er durch das Bestreichen seiner Lippen mit dem Drachenblut die Fähigkeit erlangte, die Sprache der Vögel zu verstehen und die Geheimnisse des Himmels zu ergründen, ähnlich dem Glauben in der chinesischen Märchentradition. Das Drachenblut wiederum steht dem Mythos zufolge für das Wissen, dessen Hüter der Drache ist. Der Trank der Unsterblichkeit oder des Wissens ist jedoch nur für den prädestinierten Helden bestimmt: Er kann sich auch in Gift verwandeln.

Wassili Alexandrowitsch Kotarbinsky, ›Medusa‹, 1903

Im Islam ist es laut Koran [15] verboten, Tiere zu essen, wenn sie nicht nach dem sogenannten ›Dhabiha‹-Ritus geschlachtet wurden, d.h. von einem Muslim durch einen sauberen Schnitt quer durch die Kehle geschlachtet und dabei die Luftröhre und die Halsvenen mit einem einzigen Schlag durchtrennt wurden, nachdem er den Namen Allahs über das Tier ausgesprochen hatte. Nach dem Schlachten muß das Blut vollständig abgelassen werden. Das Opferfest (Aid al-Adha) wird jedes Jahr im Mondmonat ›Dhu l-Hijja‹ gefeiert, dem letzten Mondmonat des islamischen Kalenders, der an Abrahams Gehorsam gegenüber Gottes Aufforderung erinnert, seinen Sohn zu opfern.

Das Ritual beinhaltet das Rezitieren des ›Takbīr‹ durch einen der Männer und das anschließende Schlachten des Tieres. Daraus muß man ableiten, daß das vergossene Blut als eine Wirkung innerhalb des notwendigen und legitimen Rituals betrachtet wird. Anders und nicht einfach zu interpretieren ist die Regel, die das Sezieren von Leichen und das damit verbundene Verbot festlegt, was die Schriften des Arztes und Juristen ›Ibn al-Nafīs‹ bezeugen. Er schreibt im ›Šarḥ tašrīḥ al-Qānūn‹ (Kommentar zur Anatomie des Kanons) [16], daß er sich in Bezug auf die Praxis des Sezierens an die Vorschriften der religiösen Gesetze hielt.

Andererseits war es der Prophet selbst, der sagte: „Der Muslim ist dem Muslim ein Bruder, er verrät ihn nicht und belügt ihn nicht; jeder Muslim ist dem Muslim heilig (harâm) an seiner Ehre, seinem Geld und seinem Blut“ [17]. Es ist immer noch derselbe Prophet, der das Verbot formuliert, die Körper gefallener Feinde zu entweihen, da man sich damit einer schweren Schuld schuldig machen würde [18]. Den arabischen Ärzten werden jedoch einige eigenständige Entdeckungen auf dem Gebiet der Anatomie zugeschrieben, was darauf schließen läßt, daß diese Ärzte außerhalb der koranischen Vorschriften oder – allgemeiner – außerhalb der ›Sunna‹ operierten.

Edvard Munch, ›Der Vampir‹ (oder ›Liebe und Leid‹), 1894

Ein Aspekt, den wir uns für den Schluß aufgespart haben und der aus der Folklore stammt, aber tief im abergläubischen Substrat vieler Völker verankert ist, sind die Vampire. Der Volksaberglaube betrachtet sie als mythologische Wesen, die sich vom Blut ihrer Opfer ernähren. Der Glaube und die Geschichten über solche Wesen (Vampire, Werwölfe und Hexen) reichen bis in die Antike zurück. In der keltischen Kultur werden der ›deard-dulg‹ und die irische ›lamia‹ erwähnt, während es in der skandinavischen Kultur den ›draugr‹ gibt. Im alten Rom zeugen zahlreiche Grabsteine und noch mehr die Schriften von Ovid, Virgil, Petronius und anderen von der Furcht und dem Schrecken vor solchen  Wesen.

In Griechenland und Mazedonien entwickelte sich ein solcher Glaube, der aus dem slawischen Aberglauben importiert wurde, nicht zu vergessen Deutschland mit seinen drei Arten von Vampiren: der ›Alp‹, der ›Blutsauger‹ und der ›Nachzehrer‹. Rußland mit dem ›Upyr‹. Der traditionelle portugiesische Vampir ist der ›Bruxa‹ mit seinem tierähnlichen Aussehen und seiner besonderen Vorliebe für Kinder. Die Popularität solcher Wesen hat sich immer dadurch erhalten, daß sie sich in die tiefsten Falten des Volksaberglaubens eingeschlichen haben. Es war John Polidoris Roman ›Der Vampir‹ (1819), der diesen Glauben wiederbelebte und eine literarische Strömung in Gang setzte, die nach Ansicht von Historikern eine für das viktorianische Zeitalter charakteristische Angst zum Ausdruck brachte. Aber der Vampirglaube ist das Erbe fast aller Kulturen: China, Malaysia, Indien, Japan bis hin zu den amerikanischen Ureinwohnern haben eine reiche Sammlung von Vampirgeschichten.

In der volkstümlichen Vorstellung ist es wiederum das Blut in seinem doppelten Aspekt – der Tod oder der Fluch des Opfers und das Leben des Vampirs –, das das Blut in seiner geheimnisvollen Substanz charakterisiert. Hier kann das Blut nur mit einem weiteren doppelten Mysterium der Untoten in Verbindung gebracht werden. Der Vampir identifiziert sich auf jeden Fall mit dem Bösen und dem negativen sexuellen Aspekt, indem er sich an der jungfräulichen Vitalität labt. Es handelt sich um eine Art unbewußte Übertragung, bei der man das Böse im Inneren seiner Seele nicht erkennt und es mit dem blutsaugenden Ungeheuer identifiziert, denn es ist die ewige Angst vor dem Tod und dem, was dahinter liegt. Es ist der ewige innere Kampf, sich dem seelischen Tod nicht zu ergeben, der aus Angst, Qualen, Ängsten und Depressionen besteht, und deshalb wird das eigene Blut zum Lebenselixier eines anderen, eines Untoten, der seine Opfer infiziert und in genauso so einen Vampir verwandelt. Blut ist wieder einmal das verbindende Element, das zum Mittel für den Lebenserhalt des Bösen wird.


Anmerkungen:

[1] In diesem Zusammenhang fallen mir die zahlreichen Redewendungen und Redewendungen ein, die sich auf eine veränderte Situation beziehen: das Blut zum Kopf steigen lassen; bitteres Blut werden; in Blutbuchstaben geschrieben; im Blut waschen, usw.

[2] Diokles von Charisto (375 v. Chr. – 295 v. Chr.) war ein antiker griechischer Arzt, der im 4. Jahrhundert v. Chr. lebte.

[3] Die Verwendung von Blut in der Malerei scheint nicht mit seiner Farbeigenschaft zusammenzuhängen, da die natürliche Oxidation es in kurzer Zeit verändert hätte. Die rote Färbung, wenn sie denn notwendig war, stammte von Eisenoxiden, die in ihrem Fixierungsprozeß viel haltbarer waren. Spektrochemische Analysen ergaben die Verwendung von Mischungen aus roten und gelben Erden, tierischem Fett und Blut.

[4] Eines der Symbole, die mit dem ständigen Werden verbunden sind, ist der Uroboros, die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt: die Kraft, die sich selbst verschlingt und erneuert, die universelle Energie, die sich ständig verzehrt und erneuert. Wir sind nicht mehr, was wir gestern waren, während wir werden, was wir morgen sein werden.

[5] Mythos von Kronos, der von Uranus entmannt wurde. Aus seinem ins Meer geworfenen Glied wurde Aphrodite geboren, während die Tropfen ihres Blutes, die auf den Boden fielen, die Erde befruchteten und die Erinyen, die Riesen und die Meli-Nymphen hervorbrachten. Derselbe Mythos von Herkules erzählt uns, wie seine Opferung auf dem Scheiterhaufen des Berges Eta, nach den zwölf Mühen, ihn unsterblich unter den Unsterblichen machen wird.

[6] Die Frau scheint über ihre Rolle hinaus in den prähistorischen Haushalten als eine mystische Figur betrachtet worden zu sein, die nicht nur symbolisch mit der Fortpflanzung verbunden war, sondern auch als kosmologisches Symbol, d. h. mit der Zeugung und Geburt der Welt. Auf dieser Ebene des Denkens und der Hypothese wird auch die Wiedergeburt und das Werden des Menschen durch eine sakral-initiative Übertragung angesprochen.

(7) Genesis 9,4. Nach der Sintflut gab Gott Noah und seiner Familie die Erlaubnis, Tierfleisch in ihre Ernährung aufzunehmen, befahl ihnen aber, kein Blut zu essen. Er sagte zu Noah: „Nur das Fleisch mit seiner Seele, sein Blut, dürft ihr nicht essen“; Moses 17:14: „Ihr dürft nicht das Blut von irgendeinem Fleisch essen, denn die Seele allen Fleisches ist sein Blut. Wer es isst, soll zermalmt werden.“

[8] Diese Idee wird jedoch in verschiedenen Schriften verurteilt, weil das Opfern nicht das ist, was Gott vom Menschen wünscht: Matthäus-Evangelium IX,13; Buch Hosea VI,6; Augustinus von Hippo. Etc.

[9] Die Jagd selbst mußte für den Urmenschen nach bestimmten rituellen Praktiken ablaufen; Handlungen und Rituale, die für den Erfolg der eigentlichen Jagd unerläßlich waren, ohne den Naturgott, aber auch das Tier zu empören und zu verletzen. […]

[10] Im Hebräischen bezeichnet das Wort Nefesh nicht die Seele, sondern, wie es in der Genesis geschrieben steht, „das Lebewesen“ mit all seinen individuellen Eigenschaften, d.h. mit der Gesamtheit dessen, was den Menschen ausmacht.

[11] Die Begriffe, die wir verwendet haben (zeremonielle Magie), befriedigen uns nicht, weil sie eine Reihe von Schlußfolgerungen auslösen, die wir nicht teilen, aber wir haben keine anderen Begriffe gefunden, die solche Handlungen bezeichnen.

[12] Den sakralen Sprachen werden immer noch Tugenden zugeschrieben, die die Volkssprache nicht hat, sie bewahren Eigenschaften, die im allgemeinen mit dem Verlust des Bewußtseins für das Heilige leider aufgegeben worden sind. Im alten Ägypten stellten die Hieroglyphen die heilige Schrift der hieratischen Schrift dar. Die Ägypter selbst nannten sie „medw nether“, „mächtige Worte“ oder „göttliche Worte“. Sie waren davon überzeugt, daß bestimmte Formeln in der Lage waren, selbst unbelebte Bilder zum Leben zu erwecken. Für die jüdische Mystik besteht die israelitische Sprache aus denselben Lauten, mit denen Gott das Universum erschaffen hat, kristallisiert in den entsprechenden grafischen Zeichen. Das kabbalistische Denken erweiterte die biblischen und midraschischen Vorstellungen, daß Gott die Schöpfung durch die hebräische Sprache und die Tora hervorgebracht hat, zu einer vollständigen Sprachmystik. Der hebräische Name der Dinge ist der Kanal ihrer Lebenskraft, parallel zu den Sefirot, so dass Begriffe wie „Heiligkeit“ und „Mitzvot“ die ontologische göttliche Immanenz verkörpern. Das Konzept ist dem des „Strepitus Verborum“ der lateinischen Rhetorik sehr ähnlich. Es ist eine Tatsache, dass die harmonische Beziehung, die harmonische Schwingung, sogar die der Sprache, unseren Körper, insbesondere unsere Psyche, tiefgreifend beeinflußt, sie stellt eine Art Verzauberung dar, bei der die Schwingung zu einer sehr tiefen Konzentration führt. Zwei große griechische Philosophen wie Pythagoras und Plato definierten sie als eine Wissenschaft, die die Seele bereichern sollte. Sie schrieben der Harmonie eine erzieherische Funktion zu, ähnlich wie der Mathematik, da sie der Wissenschaft des Rhythmus unterworfen war.

[13] In der Psychoanalyse wird Not als eine katastrophale Situation angesehen, die die Fähigkeit des Ichs untergräbt, den Druck der Welt um uns herum und in uns selbst zu kontrollieren und zu bewältigen.

[14] Massimo Raveri. „Blut und Reinheit im Shinto“.

[15] Koran, Sure 2-173

[16] „Die praktische Ausübung der Anatomie ist uns durch die Vorschriften des religiösen Gesetzes [al-šarī῾a] und die unserem Charakter innewohnende menschliche Frömmigkeit untersagt. Deshalb werden wir uns bei der Kenntnis der Formen der inneren Organe an die Beobachtungen derjenigen halten, die vor uns praktische Anatomie betrieben haben; wir beziehen uns insbesondere auf Galen, da seine Schriften die besten sind, die uns über diese Kunst überliefert wurden, und da er uns auch Kenntnisse über zahlreiche Teile des Körpers vermittelt, die zuvor der Beobachtung entgangen waren. Folglich werden wir uns bei der Kenntnis der Formen der inneren Organe, ihrer Lage usw. hauptsächlich auf Galens Theorien stützen, mit Ausnahme einiger Punkte, bei denen wir davon ausgehen können, daß es sich um Fehler des Kopisten handelt oder dass Galens Schlussfolgerungen nicht auf einer ausreichend sorgfältigen Beobachtung beruhen. Was aber die Nützlichkeit der einzelnen Organe betrifft, so werden wir uns an das halten, was eine gründliche Untersuchung und ein sorgfältiges Studium erfordern, ohne Rücksicht darauf, ob dies mit der Meinung unserer Vorgänger übereinstimmt oder nicht.“ Šarḥ tašrīḥ al-Qānūn.

[17] Vgl. al-Tirmidhî (gest. 279/892), Jâmiʿ, kitâb al-birr wa-l-sîla, Nr. 1846.

[18] Es stellt sich die Frage: Welchem Gehorsam sind diejenigen verpflichtet, die im so genannten heiligen Krieg die Leichen sowohl ihrer Feinde, die zwar derselben Religion angehören, aber anderer Abstammung sind, als auch der so genannten Ungläubigen entweihen, indem sie ihnen den Kopf abschlagen?

 

Quelle: https://axismundi.blog/de/2020/03/18/metafisica-del-sangue/