Anläßlich des 4. Todestages (ᛣ6. März 2019) von Guillaume Faye:
Die Erinnerungen von
Stefano Vaj
Rom, 11. März 2019
Nur radikales Denken ist fruchtbar.
Denn nur es schafft kühne Konzepte, die die hegemoniale ideologische Ordnung durchbrechen und es ermöglichen, dem Teufelskreis eines gescheiterten Zivilisationssystems zu entkommen.
Guillaume Faye repräsentierte die intellektuelle und polemische Deklination und das Beispiel eines höchst praktischen Nietzschanismus, der keinen anderen Sinn in der Welt sieht, als sie zu verstehen, und keinen anderen Sinn im Verstehen derselben, als sie zu verändern. Der museale Respekt vor den Erfahrungen der Vergangenheit, die selbstgefällige Gelehrsamkeit, die philologische Genauigkeit, die Angst vor Veränderungen, das Streben nach persönlicher Popularität, das geschickte Navigieren zwischen den Vorurteilen des Publikums, der düstere Moralismus des strengen Kämpfers haben in diesem panischen Enthusiasmus nie einen Platz gehabt.
Eine weitgehend dialektische Konditionierung, aufgrund einer langjährigen Gemeinschaftsbildung und Sensibilität, hat mich nicht daran gehindert, zu verschiedenen Themen oft unterschiedliche, manchmal gegensätzliche Schlußfolgerungen zu ziehen, jedoch ausgehend von gemeinsamen Annahmen und Sensibilitäten, ausgehend von der Idee, daß Provokationen unabhängig von ihrem Ursprung akzeptiert und ernsthaft angegangen werden müssen, und daß in jedem Problem, in jeder vergangenen oder gegenwärtigen Entwicklung eine Chance neben der Gefahr verborgen ist, die sich sonst nie eröffnet hätte. Aber eine so bedeutsame Konditionierung, daß es keine große Übertreibung wäre, zu sagen, daß ich eigentlich Französisch gelernt habe, um ›Das völkermörderische System‹ zu übersetzen.
Selbst nachdem unsere persönlichen und telefonischen Kontakte sporadischer geworden waren, blieben meine beiden wichtigsten Schriften ›Investigation of Human Rights‹ und ›Biopolitica. Il nuovo Paradigma‹, abgesehen davon, daß sie mit Faye-Zitaten gespickt sind, nichts anderes als parallele Entwicklungen gemeinsamer Anliegen, und ein dritter Text – der mir einige Probleme bereitete, nicht zuletzt wegen der Entscheidung des ursprünglichen Herausgebers, ihn ›Für eine totale ethnische Selbstverteidigung‹ zu betiteln – stellt in Wirklichkeit eine kritische Neuinterpretation der in ›Die Kolonisierung Europas‹ aufgeworfenen Fragen dar, dessen Einschätzungen zur Rolle des Islam ich nach wie vor nicht teile, das aber nach wie vor einer der grundlegenden Texte ist, mit denen wir uns beschäftigen müssen, wenn wir uns mit der Frage der nichteuropäischen Einwanderung auf unseren Kontinent befassen.
Ebenso ist mein jüngeres Engagement in der Welt des Transhumanismus, insbesondere in der AIT und im identitären und föderalistischen Assoziationismus von ›Terra Insubre‹, deren Vertreter heute sehr wichtige institutionelle und akademische Positionen in Italien einnehmen, sind ihrerseits Ausdruck geteilter Interessen, die genau zum Zeitpunkt von Fayes Tod im kollektiven Bewußtsein zumindest signifikanter Minderheiten unserer Gesellschaft gewissermaßen zur Reife gelangen, mit Ergebnissen, die beginnen, über die Soziologie und die Ideenbewegung hinaus in die Geschichte einzugehen.
In diesem Rahmen sind die Positionen und Provokationen, die Faye über vierzig Jahre lang auf vulkanische Weise geäußert und gefördert hat, nicht unwesentlich an dem sich vollziehenden Perspektivenwechsel beteiligt, auch wenn er selbst nicht alles, was er sagt, ernster nimmt als Nietzsche oder Marinetti; das Wesentliche ist, daß er den Leser oder Zuhörer dazu aufruft, „das Denken in Bewegung zu setzen“, und Wege zu erkunden, die ihn dazu bringen, das, was er glaubt, über vergangene und laufende Prozesse zu wissen oder verstanden zu haben, anders zu betrachten, als sich in Details oder dokumentarischen Bedenken zu verlieren, für die unser Autor übrigens seine Verachtung gezeigt hat, indem er es sich zur Gewohnheit gemacht hat, in alle seine Werke regelmäßig eine falsche, frei erfundene Quelle einzufügen!
Daher bin ich wenig überzeugt von denjenigen, die ihm nicht verzeihen, dass er – vor allem in Werken, die direkter mit dem politischen Geschehen verbunden sind – tiefe Einsichten mit unwahrscheinlichen und skurrilen, ja sogar gefährlich zweideutigen Hypothesen oder Vorgehensweisen verbindet, und manchmal widersprüchlich zu Thesen, die gleichzeitig im selben Text vertreten werden – wie es bei einem Großteil des Buches über die ›Nouvelle question juive‹ der Fall ist und das ich zu meiner eigenen Überraschung und etwas verlegen ihm gewidmet habe. Ich betrachte seine Rolle also weiterhin als wertvoll und entscheidend, selbst in seiner fragwürdigsten Produktion, und ich schätze mich glücklich, daß wir uns kennengelernt und eine Freundschaft geschmiedet haben, die vor allem aus einer Verbundenheit mit gemeinsamen Werten besteht.
Werte, die vor allem in den theoretischeren und weniger bekannten, aber nicht weniger provokanten Teilen seines Werks zum Ausdruck kommen, wie ›Per farla finita con il nichilismo‹, eine nicht immer zuverlässige, aber brillante Analyse von Heideggers Denken, die dank Francesco Boco auf Italienisch veröffentlicht wurde, oder ›Futurismo e Modernità‹, das ursprünglich von ›Divenire‹, einer Zeitschrift für interdisziplinäre Studien zu Technologie und Posthumanismus, herausgegeben wurde und sicherlich eine Wiederentdeckung verdient.