Hans-Wilhelm Schäfer
Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken
Gar schrecklich ist des Tigers Zahn
Jedoch der schrecklichste der Schrecken
Das ist der Mensch in seinem Wahn.“
(Friedrich Schiller)
Der Mensch ist gut, der Mensch ist gut …
(nach einem sozialistischen Kampflied)
Jedermann weiß, daß die heutigen Strafgesetze von eben dieser These ausgehen: daß nämlich der Mensch gut ist und nur durch seine Gesellschaft zum Bösen geführt wird, sodaß auch die Verantwortlichkeit für alle bösen Taten nicht beim einzelnen Individuum, sondern bei der menschlichen Gesellschaft zu suchen ist. Das hat zu dem geführt, daß das Gesetz nicht mehr bestrafen will, sondern nur auf die Besserung des Täters abzielt. Dahinter steht vielleicht die Erkenntnis, daß jede Strafe die den Beigeschmack von Rache hat auch als böse Tat verstanden werden kann, und somit das Schillerwort zu bedenken ist:
Das ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend Böses muß gebären.
Es gibt sicher nicht viele Kinder und Jugendliche, die nicht beim Tod des Romanhelden Winnetou tiefe Trauer empfunden oder gar bittere Tränen vergossen hätten. Wie konnte es kommen, daß ein für seine Grausamkeit und Wildheit verrufener Apache ein so starkes Mitgefühl erwecken konnte? Es liegt zweifellos am Adel und der Schönheit eines idealisierten Indianers, der dem menschenfreundlichen Geiste eines Karl May und dessen zutiefst christlichen Gesinnung entsprungen ist.
Der realistische Autor der Winnetou-Romane hat um seiner Glaubhaftigkeit Willen dem Romanhelden Winnetou einen deutschen Lehrer gegeben, der den wilden, Marterpfahl und Feindesskalp gewöhnten Indianer, gemäß europäischen Vorstellungen reinigte und veredelte. Damit wird Winnetou äußerlich zum edlen Wilden, innerlich aber zum christlichen Helden.
Der in Deutschland zum Klassiker gewordene Film folgte diesem Entwurf, indem er die Rolle des Winnetou nicht etwa mit einem wirklichen Indianer, sondern mit den edlen Gesichtszügen eines Franzosen darstellte (Pierre Brice als Winnetou).
Diese Umwertung traf auf vorbereiteten Boden durch die Schriften etwa Jean-Jacques Rousseaus, bei denen ähnlich wie bei der Verherrlichung der alten Griechen, der Naturmensch als edler Wilder beschrieben wurde.
Diese scheinbar so menschenfreundliche Verfälschung wurde allgemein akzeptiert, und wird auch heute noch mit der Realität verwechselt, wenn man betrachtet, wie räuberische Mörderbanden wie die der Hereros zu stolzen Stammeskriegern stilisiert werden und man die blutigen Opfer übergeht, die deutsche Siedler und Farmer ebenso erbringen mußten wie jene nordamerikanischen Siedler, die der indianischen Mord– und Raublust zum Opfer fielen.
Das schöne Bild vom edlen Wilden mit Federkrone und Tomahawk scheint geradezu unausrottbar, und gehört mittlerweile zur europäischen Kultur, wie die Voreingenommenheit gegenüber wilden, unzivilisierten Menschen, die man mit der Verklärung und Nachsichtigkeit betrachtet, als wären sie kleine Kinder.
Der in früheren Zeiten übliche Realismus, der wilde oder halbwilde Menschen als fremd und gefährlich distanzierte, wurde einem Idealismus geopfert, der von Gleichheitswahn und Mitgefühl bestimmt wurde. Es wäre gewiß an der Zeit, einmal den Blick abzuwenden von der Welt des schönen Scheins hin zur Wirklichkeit, mit deren Hilfe eine tiefere Menschlichkeit zu gewinnen wäre.
Man betrachte z.B. die historisch wahrhaften Zeugnisse, die wir über die nordamerikanischen Indianer und andere wilde, wenig kultivierte Menschengruppen besitzen. In diesem Zusammenhang sind von Interesse die zeichnerischen Zeugnisse, die der Graphiker des Prinzen zu Wied im 18. Jahrhundert von einer der damals üblichen Bildungsreisen nach Nordamerika mitbrachte. Bei genauer Betrachtung der damals entstandenen Zeichnungen ist es möglich, sich ein Bild zu machen von der Wildheit und primitiven Verkommenheit der Ureinwohner Amerikas. Dort tragen viele der Eingeborenen die schmucken und eindrucksvollen Federkronen, wirken aber in vielen Aspekten wie armes Lumpengesindel, das sich mit Mord und Totschlag hier eines Zylinders und dort eines Sommerkleides bemächtigte und dann schmückte.
Eine vergleichbare Ambivalenz ergibt sich bei dem genaueren Studium der präkolumbianischen Kulturen, die besonders in der Aztekenzeit wegen ihrer prächtigen Bauten und komplizierten Riten als hochkultiviert gepriesen werden. Dabei übersieht man geflissentlich die menschenfeindliche Gepflogenheit des Menschenhandels, des Kannibalismus und der brutalen Grausamkeit, die ein wesentliches Element dieser hochgepriesenen sogenannten Hochkultur darstellten.
Die erwähnten Fehleinschätzungen und Einseitigkeiten führten unter anderem zu einer völligen Verkennung des Rassismus, der sich in Schwarzafrika gegen Weiße richtet, und der Überbewertung indigener Gruppen, die zumeist auf einem sehr niedrigen kulturellen Niveau dahinvegetieren und sich mit mühsamer Erhaltung von Folklore und mit dem Verkauf von Touristensouvenirs am Leben erhalten.
Den meisten so überbewerteten primitiven Kulturen ist gemeinsam, daß ihnen jegliches Mitgefühl mit anderen Lebewesen gänzlich fremd ist. Man muß nicht erst an die grauenhaften Menschenopfer der mittelamerikanischen Stämme denken.
Es genügt die Geste des Steinaufhebens zu machen und zu beobachten was geschieht. Es gibt Länder, in denen bei dieser Geste Hunde und Katzen panisch fliehen, weil sie an Mißhandlung gewöhnt sind. Es gibt hingegen Länder, in denen nicht nur zu anderen Menschen ein Verhältnis herrscht, in dem Mitgefühl und Hilfsbereitschaft die wesentlichen Momente sind.
Die Haltung gegenüber allem Fremden ist dabei ein auffallendes Symptom. Der Naturmensch greift bei der Begegnung mit Fremden sofort zur Waffe, um sich zu schützen, und fremde Einwirkung und alles seine Identität Bedrohende abzuwehren.
Das ist der genaue Gegenpol zu der in Europa und Nordamerika häufigen Tendenz, sich dem Fremden unterzuordnen, es zu bewundern und zu beschönigen. Die Hereros im ehemals deutschen Namibia waren zum großen Teil umherziehende Trupps, die mordeten und raubten auf die natürliche Art und Weise, mit der in der Natur ein Tier dem anderen die Beute entreißt, um sich zu bereichern.
Nach den Gesetzen der kultivierten Welt ist das ein Verbrechen, dessen sich die deutsche Schutztruppe in Namibia mit voller Berechtigung erwehrte.
Ich selbst bin im Jahre 1980/81 mitsamt meiner Familie in der Kalahari in einem sturzflutartigen Regen beinahe untergegangen und kann bezeugen, daß es dort von Gnus und Zebras wimmelte. Das Abdrängen der Hereros in dieses Gebiet als Völkermord zu bezeichnen, zeugt von Dreistigkeit und dem Verlaß auf die Ignoranz des Bundestages. Fehlt nur noch ein Gesetz, das die Leugnung des Völkermords an den Hereros unter Strafe stellt.