Prof. Dr. Fritz Schachermeyr

Aus: Indogermanen und Orient. Ihre kulturelle und machtpolitische Auseinandersetzung im Altertum, Stuttgart 1944, von uns zusammengestellt und -gefaßt

Fritz Schachermeyr, ᛉ 10. Januar 1895 in Urfahr, Österreich-Ungarn; ᛣ 26. Dezember 1987 in Eisenstadt

Italien war ursprünglich von nichtindogermanischen Völkerschaften besiedelt, überwiegend aus der westisch-mediterranen Rasse. Zur Entfaltung höherer Kulturen kam es nicht. Dann kamen die Indogermanen, vor allem als Latiner, Sabeller und illyrische Stämme. Latiner und Sabeller bildeten auf italischem Boden nachher unter dem Machteinfluß Roms gemeinsam das Volk der Italiker. Ihr Blut war vornehmlich nordisch bestimmt mit einem anscheinend stärkeren fälischen Einschlag, als ihn etwa die Hellenen nach Griechenland gebracht. Illyrier kamen (vor allem etwa um 1000 v.d.Z.) vom Ost und Nordufer der Adria, so als Veneter nach Venetien zu Lande, nach Mittel- und Süditalien zur See (vor allem in Apulien). Eine gewisse Einförmigkeit kam auch diesen indogermanischen Kulturen zu. Belebung brachten die Etrusker. Dem Blute nach ein Gemisch von nordischen Adelssippen und beträchtlich überwiegenden anatolischen Elementen westischer, ostischer wie armenoider Herkunft waren sie an ein städtisches Zusammenleben gewöhnt und brachten über Kleinasien vor allem die letzten Endes arische Idee der Ritterschaft, die zeitweise unter den Latinern, Sabellern und Venetern revolutionierend wirkte. Ritterliche Lebensart wurde nachgeahmt, Renn- und Streitwagenfahrt kam sehr in Mode. Als aber die politische Geltung der Etrusker und der Glanz ihres Adelstums nachher dahinschwand obsiegte erneut das bäuerliche Wesen.

Latiner wohnten ursprünglich in weiten Bereichen Italiens, vielleicht bis nach Sizilien. Dann aber wurden sie von Etruskern wie Sabellern bedrängt, unterworfen und überschichtet, so daß als Latinergebiet schließlich allein ein kleines Fleckchen Land rund um die Albanerberge und am Tiber übrigblieb. Dort, wo man den Fluß überschritt, gab es auf dem palatinischen Hügel ein größeres Latinerdorf, dem sich bald auf dem quirinalischen Nachbarhügel eine sabellische Siedlung beigesellte.  Auf dem Palatin stand damals aber die Wiege einer Weltherrschaft. Den Latinern, und damit vielleicht dem kleinsten Völkchen jener Zeit, war es dank der ihnen innewohnenden Kraft bestimmt, durch Palatin und Rom zum gewaltigsten Gestalter aller Geschichte aufzuwachsen. Allerdings hatte auch die Initiative einiger etruskischer Adelsgeschlechter hierbei eine wichtige Rolle zu spielen. Nicht daß diese Ritter schon selber Anteil am großen Geschehen hatten, wohl aber schufen sie hierfür als Stadtgründer eine wichtige Voraussetzung.

Sie sind es ja gewesen, welche die Dörfer am Tiber als Roma zu einer städtischen Siedlung zusammenfaßten, sie haben dahin die städtische Zivilisation gebracht, zugleich allerdings auch das arische Lehngut von Ritterschaft wie Feudalität und eine Reihe von armenoiden Ritualen ― wie Kultgebräuchen. Roms Latiner haben es aber vermocht, unter Beibehaltung der städtischen Siedlungsform die übrigen Fremdeinflüsse weitgehend zu überwinden. Der Platz behielt seinen latinischen Nationalcharakter und assimilierte zum Teil die etruskischen Zuwanderer, stieß sie zum anderen Teile wieder aus. Man zwang die feudalen Geschlechter in den Rahmen einer latinischen Staatsgesinnung und ersetzte Ritterlichkeit durch Bauernkriegertum. Allein der Formelkram der Etrusca Disciplina und des kultischen Ritualismus erhielt sich weiter, vermochte aber die geistige Haltung des nunmehr wieder ganz und gar latinischen und damit indogermanischen Staatswesens in keiner entscheidenden Weise zu beeinflussen.

Das wiederum latinisch gewordene Rom richtete nun sein gesamtes Dasein im Sinne einer zutiefst empfundenen und konsequent durchgebildeten Art von Staatsgesinnung aus. Allein die staatswesentlichen Belange, wie Bauernschaft, Recht, Religion, Familie und Organisation, wurden gepflegt und für werthaft gehalten. Patrizier und Plebeier, Nobilität und breitere Volksmasse stehen sich ja gar nicht als etwas irgendwie Fremdes gegenüber. Sie sind einander rassisch völlig gleichwertig, Latiner- und Sabellerblut, dazu ein Schuß Etruskertum eher noch etwas mehr bei
den Patriziern als bei den Plebeiern.

Es ist auch überall das nämliche Bildungs- und Gesittungsideal, nur daß man an den Patrizier einen noch strengeren Maßstab legt als an den Mann aus dem Volke. Bäuerliche und staatliche Verpflichtung, Familie, Frömmigkeit und Rechtlichkeit, das sind die Werte, welche das Dasein hier und dort beherrschen. Darin liegt ja überhaupt eine der bedeutsamsten Wurzeln der römisch-latinischen Kraft: Es gibt hier keine irgendwie wesentliche vorindogermanische Unterschicht. Latium war vor Einwanderung der Latiner nur dünn, der Bereich Roms aber so gut wie nicht besiedelt.

Die etruskische Störung traf dann eher die höheren als die tieferen und tiefsten Schichten. Das alte Rom krankte daher, ganz im Gegensatz zu Griechenland, zu Anfang an keinem rassischen Blutgefälle, das sich nach unten hin gegen das Indogermanentum ausgewirkt hätte. Erst mit der steigenden Zahl von Zuwanderern und freigelassenen Sklaven hat sich das nachher geändert und ist hierdurch die spätere, so übel beleumundete Plebs als Pfuhl einer Allerweltvermischung entstanden. Die römische Lebenssphäre war dank ihrer Homogenität, ihres inneren Zusammenhalts und ihrer geschlossenen Ausrichtung auf die res publica von einer unnachahmlichen Kraft beseelt. Was Sparta angestrebt, aber infolge einer Vernachlässigung von bäuerlicher Arbeit und familiärer Verpflichtung doch nie erreichte, hier ist es gelungen: den ehernen Block einer bindungsmäßig verhafteten, statisch ruhenden und allen Stürmen trotzenden Gemeinschaft zu schaffen.

Die grandiose Einseitigkeit der allein dem Staatsbürgerlichen geltenden Typisierung des römischen Geisteslebens brachte natürlich auch so manche Nachteile mit sich. Sie bedeutete eine vollkommene Sterilisierung auf zahlreichen staatsferneren Kulturgebieten, für welche die Römer als Indogermanen ja eigentlich in hohem Maße veranlagt gewesen wären, so vor allem auf den Gebieten der Kunst und der Literatur; sie führte zu einer weitgehenden Ausschaltung der über das Bindungsmaß hinausreichenden schöpferischen Persönlichkeit und nahm der römischen Geschichte durch lange Zeit denjenigen genialen Flug, welcher die Griechen so sehr auszeichnet. Das Bekenntnis zum Gemeinschaftsgedanken eines hochgezüchteten bürgerlichen Durchschnitts machte Rom andererseits aber unabhängig von dem zufälligen Vorhandensein oder Nichtvorhandensein großer Persönlichkeiten und verlieh ihm ein völlig stabiles, von Zufälligkeiten unabhängiges, sich immer gleichbleibendes politisches Potential, welches dem aller anderen Mittelmeervölker weit überlegen war.

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