
Jean-Patrick Arteault
Versuch einer positiven Definition
Alain de Benoist schreibt:
Der Mensch hat keine andere spezifische Essenz als seine sozial-historische Existenz.
Hier kommt ein Standpunkt zum Ausdruck, der in der berühmten Debatte über das Verhältnis zwischen Veranlagung und Erworbenem immer wiederkehrt und dem letzteren die gesamte Verantwortung für die Besonderheit einer Person oder einer Bevölkerungsgruppe zuschreibt.
Diese Position wird sowohl von Liberalen als auch von Marxisten vertreten. Dies ist ein sehr charakteristischer Aspekt der ideologischen Entwicklung von Alain de Benoist (was sein gutes Recht ist, aber klar zum Ausdruck gebracht werden muß): Nachdem er dem Faktor Rasse – gelinde gesagt – große Bedeutung beigemessen hatte, ist er seit einigen Jahren zu einer rein kulturellen Sichtweise gelangt. Dies scheint den Vorteil zu haben, daß es mit der vorherrschenden ideologischen Korrektheit übereinstimmt.
Vor diesem Hintergrund und als Antwort auf die Kritik von Alain de Benoist, wonach Identitäre dazu neigen, sich eher gegen (negative Definition) als für (positive Definition) zu definieren, werden wir zunächst einen Versuch einer positiven Definition der europäischen ethnischen Identität vornehmen, ohne dabei die negative Definition außer Acht zu lassen.
Lassen Sie uns zunächst einmal klären, was wir unter „ethnischer Identität” verstehen. Es handelt sich nicht nur um eine kulturelle Identität. Der Begriff der kulturellen Identität allein ist mehrdeutig: Er läßt vermuten, daß der Bereich des menschlichen Geistes im weiteren Sinne (Weltanschauung, philosophische Konzepte, Mythen und Symbole, kulturelle Produktionen und soziopolitische Organisationen usw.) unabhängig von jeglicher biologischen Grundlage funktionieren kann.
Analog dazu wäre Kultur wie eine Computersoftware, die man leicht von einem Computer auf einen anderen übertragen könnte, ohne ihre Eigenschaften zu beeinträchtigen oder zu verändern. Diese Festlegung ist nicht zufällig, denn allein die Vorstellung, daß es eine Wechselwirkung zwischen dem Biologischen und dem Kulturellen geben könnte, löst bei den Gutmenschen panische Angst vor Rassismus aus.
Das Festhalten an der reinen kulturellen Identität ermöglicht es dann, zu versuchen, „die Möbel zu retten”, indem man die Rettung einer kollektiven Identität sicherstellt, die trotz allem als Tatsache erscheint, indem man behauptet, daß durch die kulturelle Identität die kollektive Identität trotz Einwanderung und Vermischung erhalten bleiben könnte (dies ist die Fehlentwicklung, zu der die ideologische Entwicklung der „Neuen Rechten” oder zumindest von Alain de Benoist geführt hat).
Das ist jedoch falsch: Wenn ein Volk durch Vermischung seine biologische Substanz verliert oder seine relative Homogenität durch massive Einwanderung fremder Bevölkerungsgruppen zerstört wird, verändert dies zwangsläufig radikal seine Selbstwahrnehmung und damit auch seine Vorstellungswelt. Ganz zu schweigen von den historischen und ästhetischen Bezügen, die dann völlig aus dem Ruder laufen, weil es unmöglich ist, sich mit ihnen zu identifizieren oder sich in ihnen wiederzufinden.

Zeichnung von Leonardo da Vinci
Wir sind viel kohärenter mit der Realität, wenn wir den Begriff der ethnischen Identität einführen. Konzeptionell kann man ihn als die wesensgleiche und dialektische Interaktion zwischen einem Volk aus Fleisch und Blut und seiner Kultur definieren, wobei dieser Begriff sowohl im weitesten Sinne als Weltanschauung und hierarchische Werteordnung als auch im engeren Sinne als ästhetische, spirituelle und intellektuelle Ausdrucksformen verstanden wird.
Von der Wesensgleichheit zwischen einer Ethnie und ihrer Kultur auszugehen bedeutet, daß es keine Kultur ohne eine sie tragende Ethnie und keine Ethnie ohne Kultur gibt. Von einer Wechselwirkung zwischen beiden auszugehen bedeutet zu betonen, daß die Ethnie die Kultur hervorbringt und gleichzeitig von ihr geprägt wird, in einem untrennbaren Verhältnis, das dem von Henne und Ei ähnelt.
Um unnötige Kontroversen zu vermeiden, sei hinzugefügt, daß die Behauptung einer kulturellen Ethnie oder einer ethnischen Kultur nicht bedeutet, eine „unveränderliche Essenz” zu postulieren, wie die Kritik von Alain de Benoist vermuten lassen könnte. Unsere Welt entwickelt sich, wie die Menschheit, in einem heraklitischen Kontinuum: Nichts, was existiert, ist endgültig festgelegt, alles wandelt sich und verändert sich.
Wenn Heraklit jedoch sagt, daß man nie zweimal im selben Fluß baden kann, kann man dies so verstehen, daß er sowohl die Vergänglichkeit konkreter Ereignisse und Menschen (das Wasser des Flusses) als auch die relative Beständigkeit eines Rahmens betont, der nicht derselben Zeitlichkeit unterliegt (der Fluß selbst).
Wir wissen sehr wohl, daß eine Ethnie aus einem historischen Prozeß im Laufe einer Ethnogenese entsteht, in der von Anfang an biologische und kulturelle Elemente zusammenkommen. Folglich wissen wir auch, daß eine Ethnie verschwinden kann. Wir wissen also, daß unsere eigene Ethnie nicht von Ewigkeit her existiert und daß sie, wie alles, was existiert, einmal ein Ende haben wird.
Es liegt auf der Hand, daß man weit in die menschliche Evolution zurückgehen kann, um sich darüber zu wundern, daß man dort nicht den Typus des heutigen Europäers findet. Aber im Extremfall könnte man auch bis zu den Amöben der Ursuppe zurückgehen.
Eine solche Vorgehensweise, deren Ziel im wesentlichen ideologischer Natur ist, um die Globalisierung und die zukünftige Vermischung der Völker zu rechtfertigen, indem man sich auf eine vermeintliche ursprüngliche Ununterscheidbarkeit stützt, als ginge es darum, ein verlorenes Paradies wiederzufinden, interessiert uns nicht.
Was uns interessiert, ist, unseren heraklitischen Fluß zu identifizieren, seine Quellen zu erkennen, die Art und Weise und die Ursachen zu verstehen, die dazu geführt haben, daß er sein Bett und seine Windungen, wie sie uns erscheinen, gegraben hat, und seinem Lauf so weit und so lange wie möglich zu folgen.
Außerdem wissen wir auch, daß eine Ethnie im Laufe ihrer Geschichte niemals identisch mit sich selbst bleibt, weder in ihrer Kultur und ihren Lebensweisen noch in ihrer biologischen Struktur: Alles entwickelt sich im Laufe der Zeit und unter dem Einfluß der Umstände weiter.
Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied zwischen einer endogenen, progressiven Entwicklung, die sowohl natürlich als auch historisch langfristig ist, und einer exogenen, brutalen Revolution, die kurzfristig im Laufe der letzten sechzig Jahre herbeigeführt und gewollt wurde und auf deren Verantwortlichkeiten wir bald zurückkommen werden.
Es sei jedoch bereits angemerkt, daß es ein gewisses Paradoxon ist, die Beibehaltung oder Rückkehr ethnischer Identitäten anzuerkennen und zu billigen, wenn es sich um indianische, afrikanische oder asiatische Identitäten handelt, während die europäische ethnische Identität als unzulässig angesehen wird.
Hier wird mit zweierlei Maß gemessen, was auf eine bestimmte globale kosmopolitische Ideologie zurückzuführen ist, deren verschiedene Vertreter seit 1945 vorrangig gegen das Europäertum kämpfen. Diese Tatsache wird natürlich von denen verschleiert, die sich der ideologischen Korrektheit unterwerfen.
Die europäische ethnische Identität ist für uns daher die sich entwickelnde, aber umfassende Struktur unserer besonderen individuellen, regionalen oder nationalen Identitäten. Diese ethnische Identität zu bekräftigen bedeutet, sowohl ihre Legitimität zu bekräftigen, sich in ihrer zeitlichen Entwicklung so lange wie möglich fortzusetzen, als auch ihre Legitimität, in dem geografischen Raum fortzubestehen, in dem ihre Präsenz durch die Geschichte sanktioniert ist.

Statue von Kaiser Augustus
Die Bekräftigung einer ethnischen Identität und des Rechts einer ethnischen Gruppe, Herrin über ihr Land zu sein, ist keineswegs – das sei angesichts der zahlreichen freiwilligen „Autisten” ausdrücklich gesagt – gleichbedeutend mit einer Abwertung anderer ethnischer Identitäten oder einer Anfechtung des Rechts anderer ethnischer Gruppen auf die Herrschaft über ihr eigenes Land.
Der Wunsch, sein historisches und kulturelles Wesen, einschließlich seines biologischen Aspekts, innerhalb seiner traditionellen geografischen Umgebung zu bewahren und weiterzuentwickeln, kann letztlich mit einem Anliegen der ethnischen Ökologie gleichgesetzt werden.
Es ist nicht ersichtlich, warum es im Namen einer objektiven Wahrheit verwerflicher und katastrophaler sein sollte, wenn die amerikanische Schildkröte die europäische Schildkröte nach und nach aus ihrem angestammten Lebensraum verdrängt und damit das Überleben dieser Art gefährdet, als für die europäische Ethnie in ihrem Lebensraum unter dem dreifachen Einfluß kosmopolitischer kultureller Prägung, der massenhaften Einwanderung und der organisierten Vermischung.
Die Wurzeln der europäischen ethnischen Identität sind also sowohl historischer als auch kultureller Natur und basieren auf einem biologischen Menschentyp, der mindestens 30.000 Jahre alt ist, wenn man den Cro-Magnon-Menschen als Ausgangspunkt nimmt. Diese erste Besiedlung Europas ist grundlegend, da sie die Basis bildet, auf der sich die verschiedenen indoeuropäischen Wellen, die übrigens von einem ähnlichen biologischen Menschentyp getragen wurden, verwurzelt haben.
Es ist übrigens eine unangebrachte Scheu oder eine freiwillige Blindheit, nicht zu sehen oder zuzugeben, was offensichtlich ist, nämlich daß Europa seit der Vorgeschichte ein von Weißen bevölkerter Kontinent ist. Das schafft zumindest ein Anrecht auf Vorrang, für das wir uns nicht zu schämen brauchen.
Aber erst mit den indoeuropäischen Einwanderungswellen, deren ursprüngliche Bevölkerung sich irgendwo zwischen Nordeuropa und Sibirien herausbildete, trat der gesamte europäische Kontinent in die Kulturgeschichte und die Geschichte der Zivilisationen ein.
Mit Ausnahme einiger weniger Völker (Baskische, Finnen, Ungarn mit spezifischen Geschichten, die jedoch trotz allem stark von ihrer Nähe zu allen anderen beeinflußt wurden) hat uns die Verschmelzung der ersten Bewohner Europas mit den Indoeuropäern unsere Sprachen, unsere symbolischen und kulturellen Systeme, unsere Weltanschauungen und unsere eigenen Werte beschert. Wir verwenden den Plural, weil wir keine Homogenität schaffen, wo es keine gibt.
Bleiben wir bei der musikalischen Metapher: Von Anfang an hat jede indoeuropäische Ansiedlung ausgehend von einer gemeinsamen Tonleiter ihre eigene spezifische Melodielinie geschaffen. Es gibt in der Tat eine große Vielfalt, eine große kulturelle Vielfalt der Völker, die aus der Verschmelzung prähistorischer Bevölkerungsgruppen und Indoeuropäer in Europa hervorgegangen sind.
Diese Vielfalt ist das Fundament all unserer Heimatländer mit ihren identischen und doch unterschiedlichen Identitäten. Dies ist in Europa der einzige legitime Multikulturalismus. Man kann auch hinzufügen, daß dieser Multikulturalismus der einzige ist, der zu einer bereichernden Vermischung führen kann, wenn beispielsweise die geometrische Strenge der Lateiner die spiralförmige Fülle der Kelten mildert und diese umgekehrt der ersten eine spirituelle und imaginative Spannung einhauchen, die ihr fehlt.
Das Gleiche könnte man über die glückliche Verbindung zwischen der germanischen Disziplin und den enthusiastischen Ausbrüchen der slawischen Seele sagen, die sich historisch sowohl in den Reihen der zaristischen Armee als auch in der Landadeligen der baltischen Länder gezeigt hat.

Krieger, Gemälde von Konstantin Wassiljew
Wir haben keine idyllische Vorstellung von diesen europäischen Verwandtschaftsbeziehungen. Wir kennen die Geschichte unseres großen Kontinents gut genug, um zu wissen, daß viele Streitigkeiten mit Waffen und oft unter großem Blutvergießen ausgetragen wurden.
Aber was diese Kriege betrifft, insbesondere diejenigen, die seit der Christianisierung Europas und seiner Überflutung durch die darauf folgenden Ideologien stattfanden, bleibt die Frage offen (die nur von Fall zu Fall beantwortet werden kann), ob die Heftigkeit bestimmter Konflikte auf Feindseligkeiten zwischen Völkern oder auf die allgemeine Intoleranz religiöser oder weltlicher Ideologien zurückzuführen ist, die aus dem christlichen Monotheismus hervorgegangen sind.
Böswillige Ideologen weisen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auch gerne auf die Fremdenfeindlichkeit europäischer Bevölkerungen gegenüber europäischen Migranten hin, um zu beweisen, daß es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Einwanderern europäischer und außereuropäischer Herkunft gebe.
Wir wissen, daß dies eine trügerische Argumentation ist, aber man muß die Fakten erkennen und erklären können. Seit jeher ist derjenige ein Fremder, der nicht zur lokalen Gemeinschaft gehört, selbst wenn er aus der benachbarten Provinz kommt. Und der Fremde birgt immer eine potenzielle Gefahr, weil er als Störfaktor in ein soziales Gefüge eintritt, das sich im Laufe der Zeit ohne ihn entwickelt hat. Und so erscheint er plötzlich als Konkurrent und Rivale um Arbeit und Frauen.
Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es tatsächlich objektive Gründe zur Sorge: Die Arbeitsmigration läßt sich nur durch den Ruf der Arbeitgeber erklären, die entschlossen waren, die Arbeitskosten zu senken, um ihre Gewinne zu steigern. Und im Falle Frankreichs gab es tatsächlich fremdenfeindliche Demonstrationen gegen italienische oder polnische Einwanderer, denen vorgeworfen wurde, den Franzosen die Arbeit wegzunehmen. Auf den ersten Blick war dies richtig, aber es wäre viel sinnvoller gewesen, gegen diejenigen zu demonstrieren, die diese Arbeitskräfte heranzogen, um die Löhne der Einheimischen zu drücken.
Ohne die Zusammenstöße und Konflikte der Vergangenheit herunterspielen zu wollen, sind jedoch zwei Anmerkungen wichtig. Die erste betrifft die Einwanderung aus Europa: Es stimmt zwar, daß die Eingewöhnung nicht ohne Schwierigkeiten verlief, aber es ist ebenso richtig, daß die ethnische und kulturelle Nähe dieser Neuankömmlinge zur Aufnahmegesellschaft es ihnen ermöglichte, sich innerhalb von zwei oder drei Generationen in ihre neue Umgebung zu integrieren, was bei Nicht-Europäern niemals der Fall sein wird.
Die zweite Bemerkung betrifft die Konflikte zwischen Europäern: Die beiden großen Bürgerkriege zwischen Europäern im 20. Jahrhundert, die durch außereuropäische Interessen verschärft wurden und unsere Völker in die Vasallenschaft und an den Rand der ethnischen Auslöschung gebracht haben, haben uns endgültig gegen die Versuchung immun gemacht, unsere möglichen Differenzen mit Waffen zu lösen, und deshalb entscheiden wir uns nun dafür, das, was uns verbindet, gegenüber dem, was uns trennen könnte, zu bevorzugen.
Dies ist einer der Gründe, warum wir auf dem gemeinsamen Kern der indoeuropäischen Weltanschauung bestehen, um sie zur geistigen und kulturellen Grundlage einer föderalen und imperialen euro-russischen politischen Union zu machen.