Burkhart Weecke

Nicht um die Erfinder von neuem Lärme: um die Erfinder 
von neuen Werten dreht sich die Welt; unhörbar dreht sie sich.

 

Als Friedrich Nietzsche vor nunmehr knapp einhundertfünfzig Jahren sein Hauptwerk ›Also sprach Zarathustra‹ veröffentlichte, da gab er dem deutschen Volk, der ganzen indoeuropäischen Menschheit jenes alte, ureigene Weistum zurück, das uns im Laufe von vielen Jahrhunderten verlorengegangen war — ein Verlust, den neben der Zerstreuung unserer Kräfte auf langen Heerzügen in falsche Richtungen vor allem ein gerissener und blutrünstiger Feind unter dem Zeichen des Kreuzes betrieb.

Mit Nietzsches ›Zarathustra‹ trat die so lange verdrängte Macht der heidnischen Eigenart erneut und verjüngt auf den Plan, dazu von den Schlacken vorchristlichen Niederganges befreit und folglich in ihrer Aussage und Stoßkraft erheblich gesteigert. Ja, es entsteht sogar der Eindruck, als habe die langwährende Unterdrückung eigener Wesensart, eigenen Wissens und Glaubens jene Explosionskraft erzeugt, mit der sich in Friedrich Nietzsche die Erinnerung an unsere hyperboreeischen Wurzeln aus ihren weltanschaulichen Gefängnissen sprengte.

Dieses Bahnbrechen war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder in mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen einzelner tapferer Geister verraucht. Nun erst, eben hundert Jahre nach dem Revolutionstoben illuminatischer Zirkel, sprang der Stern einer willensstarken Zukunft an den gewittrigen Himmel, den das untergehende Christentum und der aufsteigende Internationalismus überzogen.

Erst in Friedrich Nietzsche trat jener Feuergeist in Erscheinung, der sich auf keine Seite stellt im Wetterleuchten der weltanschaulichen Entladungen, dessen Aufgabe es vielmehr ist, im Kampf der geistigen Zerfallswelten den wenigen aufrichtig Suchenden einen verläßlichen Grund für den Bau der Zukunft zu erstellen.

In Nietzsche-Zarathustra trat ein Einzelner vor, dessen erzene Stimme über die Zeiten hallt. Gleichwohl –man muß die Ohren haben, um solch durchdringenden, rücksichtslos fordernden Ruf zu verstehen. Denn, mit Zarathustras Worten gesagt:

Die größten Ereignisse – das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden. 

Nicht um die Erfinder von neuem Lärme : um die Erfinder von neuen Werten dreht sich die Welt; unhörbar dreht sie sich.[1]

Die in äffischem Gezänk verfangenen Tagespolitiker sind dafür natürlich taub, und die eigentlichen Machthaber bauen bislang mit Erfolg auf den die tumben Massen benebelnden Zauber der Glück- und Luststrategie. Dennoch – für eine Elite, die ja im heutigen Niedergang der Völker notwendiger denn je ist, waren Nietzsches Worte (und nicht nur diejenigen seines Zarathustra) von vornherein verständlich, mehr noch: aufrüttelnd, berauschend, gleichsam eine Offenbarung.

Dies eben ist das Ungeheuerliche, das Gewaltige an Nietzsches Werk: die offenbarte Kraft der Erinnerung. Mit unwiderstehlicher Macht erfaßt uns das Ja zu Inhalten, die wir längst als unser Eigenes kannten, tief verborgen zwar in den Winkeln des Gedächtnisses, aber doch erstaunlich jung in der Frische des Erberinnerns.

Dem verständigen Leser (als unbewußt Begreifendem) des Zarathustra ist es daher selbstverständlich, wie eine eigene Erfahrung, was Peter Gast, der langjährige Freund-Schüler-Mitarbeiter Nietzsches, 1883 in einem Briefe an den Philosophen schreibt:

 

Zarathustra wirkt ungeheuer stark ; es wäre aber verwegen, schon darüber mich äußern zu wollen : er hat mich umgeworfen, ich liege noch am Boden.

Über die naturgemäß kleine Anzahl der Bereitwilligen hinaus (die schon deshalb gering sein mußte, weil das Verständnis der Werke Nietzsches die nicht eben verbreitete Tugend der Selbstkritik voraussetzt) war den Zeitgenossen aber gerade der ›Zarathustra‹ noch schwerer zugänglich, als Nietzsches vorangegangene Schriften; das will heißen: Er galt ihnen hauptsächlich als unverständlich, verschlossen, sogar als Ausfluß des Größenwahns und Irrsinns. Sie nahmen damit den Abstand ein, der ihnen zu ihrer eigenen Sicherheit ratsam erschien.

Es mag auch sein, daß der Seher so gewaltiger Veränderungen, wie sie in den verstrichenen einhundert Jahren über unseren Erdteil brausten, in seiner Zeit nicht besser verstanden werden konnte. Damals erschien den meisten noch stark und tragsam, was dreißig Jahre später unwiderruflich im Abgrund der Zeiten verschwand.

Nietzsche mußte folglich selbst auf die Bedeutung seiner Werke weisen, und er tat dies mit jener klaren Selbstsicherheit, die dem Überblick des Genies entspringt, seinen Gegnern aber bis auf den heutigen Tag unverdaulich im Magen liegt. Aber gerade über den Zarathustra, dieses ‘losgebundenste’ seiner Werke, wird ein anderer kaum Besseres sagen können, als von Nietzsche darüber bereits gesagt worden ist. Er schreibt dazu in der Vorrede seiner Schrift ›Ecce Homo‹:

Innerhalb meiner Schriften steht für sich mein Zarathustra. Ich habe mit ihm der Menschheit das größte Geschenk gemacht, das ihr bisher gemacht worden ist. Dies Buch, mit einer Stimme über Jahrtausende hinweg, ist nicht nur das höchste Buch, das es gibt, das eigentliche Höhenluft-Buch — die ganze Tatsache Mensch liegt in ungeheurer Ferne unter ihm – es ist auch das tiefste, das aus dem innersten Reichtum der Wahrheit heraus geborene, ein unerschöpflicher Brunnen, in den kein Eimer hinabsteigt, ohne mit Gold und Güte gefüllt heraufzukommen. Hier redet kein ‘Prophet’, keiner jener schauerlichen Zwitter von Krankheit und Willen zur Macht, die man Religionsstifter nennt. (..) Hier redet kein Fanatiker, hier wird nicht ‘gepredigt’, hier wird nicht Glauben verlangt: aus einer unendlichen Lichtfülle und Glückstiefe fällt Tropfen für Tropfen, Wort für Wort – eine zärtliche Langsamkeit ist das Tempo dieser Reden. [2] Dergleichen gelangt nur zu den Auserwähltesten ; es ist ein Vorrecht ohne gleichen, hier Hörer zu sein; es steht niemandem frei, für Zarathustra Ohren zu haben . . .

Diese Worte beeindrucken durch ihre über alle Fragen hinwegspringende Zuversicht, die eine so große Hoffnung auf die kleine Schar der Erkennenden setzt. Man ist beinahe geneigt, sie für wirklichkeitsfern zu halten, da sie so gar nicht auf die dem Philosophen entgegenschlagende Ablehnung eingehen. Daß sich Nietzsche jedoch keinerlei falsche Vorstellungen von den Lesern seiner Zeit (und nicht nur seiner Zeit) machte, daß er die Unbelehrbarkeit einer hirnlosen Intelligenz und verschworenen Akademikerschaft richtig einschätzte, mögen die folgenden Sätze aus Briefen an Peter Gast belegen:

Zarathustra hat einstweilen nur den ganz persönlichen Sinn, daß es mein ’Erbauungs- und Ermutigungs-Buch’ ist — im übrigen dunkel und verborgen und lächerlich für jedermann. Und weiter: Mit diesem Buche bin ich in einen neuen ‘Ring’ eingetreten – von jetzt ab werde ich wohl in Deutschland unter die Verrückten gerechnet werden.

Nietzsche selbst gibt hier ein Stichwort, das in seiner Lebensgeschichte noch zu tragischer Bedeutung gelangte. Unter Hinweis auf den sogenannten Wahnsinn des Philosophen glaubten seine unzähligen Gegner nach dem Ausbruch der Krankheit, der ‘Fall Nietzsche’ sei nunmehr erledigt. Es spricht aber lediglich von fader Kleinmeisterei und inhaltlicher Kurzatmigkeit, wenn man sich an Stelle von nachvollziehbaren Gründen hinter einer Krankheit versteckt, der nun die längst vor ihrem Ausbruch verfaßten Werke noch zugeschoben werden. So billig und bequem hat eine spießbürgerliche Welt sich ja auch anderer Denker und Dichter, die ihr bedrohlich oder unverständlich waren, abzumachen gesucht. Nietzsche verweist darauf schon sechzehn Jahre vor seinem Zusammenbruch in einem Briefe an seinen Freund Rohde:

Daß ein Irrenarzt in ‘edler Sprache’ nachgewiesen hat, daß Wagner irrsinnig sei, daß dasselbe, durch einen anderen Irrenarzt, für Schopenhauer geleistet wurde, weißt Du wohl schon ? Du siehst, wie sich die Gesunden helfen; sie dekretieren für die unbequemen ingenia[3] zwar kein Schafott ; aber jene schleichende, böswilligste Verdächtigung nutzt ihnen immer noch mehr, als eine plötzliche Beseitigung : sie untergräbt das Vertrauen der kommenden Generation.

Hier hat Nietzsche das Entscheidende gesagt. Denn die ‘schmückenden Beiwörter’, mit denen ihn die Kritik mehr und mehr bedachte, gingen nun ganz in diese Richtung: exzentrisch, pathologisch, psychiatrisch usw. Der Nietzsche-Kenner Alfred Baeumler weist diese Schlagworte zurück ; man darf in seinem Sinne sagen, daß das Pathologische auf Seiten der in Überheblichkeit aufgeblähten Kritiker lag, deren selbstgefällige Besserwisserei noch keinen wirklich großen Geist verschont hat. Baeumler sagt über Nietzsches Krankheit:

Die letzte Ursache des Leidens ist noch nicht festgestellt. Nietzsche war von Jugend auf kurzsichtig, im übrigen aber von starker Gesundheit. Er hatte gute Nerven und einen kräftigen Körperbau. Die Anfälle, die in wechselnder Stärke Kopf und Magen heimsuchten, haben ihre Ursache wohl weder in einem organischen Leiden noch in einem ‘schwachen’ Nervensystem, sondern sind vielleicht psychogen. [4] Nietzsche brauchte die Krankheit, um sich von ihr aus Lebensverhältnissen, die sein Wahrhaftigkeitssinn nicht ertrug, ‘herauslösen’ zu lassen.

Diese Ansicht geht zurück auf Überlegungen von Franz Overbeck, dessen Mitteilungen auf Grund seiner langjährigen Freundschaft zu Friedrich Nietzsche von besonderem Wert vor allem für die Beurteilung des Verhältnisses Krankheit/Werk des Philosophen sind:

Sein Wahnsinn, dessen Ausbruch niemand aus gleicher Nähe wie ich erlebt hat, ist, meiner ursprünglichen Überzeugung nach, eine ihn blitzartig treffende Katastrophe gewesen (..) nie ist er mir durch den Gedanken verdüstert vorgekommen, daß er vom Wahnsinn besonders bedroht sei, Und mir erscheint es auch ganz möglich, daß das gar nicht der Fall, sondern daß sein Wahnsinn ein Erzeugnis seiner Lebensweise ist und von ihm nicht ins Leben mitgebracht gewesen ist, sondern daß er ihn sich selbst zugelebt hat (..) Was läßt sich daraus, daß er in Wahnsinn geendet, gegen einen Menschen schließen, der selbst von sich, seinem Ende nahe, sagte, ‘er habe nichts anderes getan, als sich zu besinnen’ (Wille zur Macht, Vorrede XV, 5). Sich zu ‘hintersinnen’ war das natürliche Ende eines solchen Menschen, und nicht sein Ende wirft sein Licht auf sein Leben zurück, wie in den Augen derjenigen, welche aus Nietzsches Ende schließen, daß er ungefähr überhaupt nur ein Narr war, dessen Leben zu nichts anderem Anlaß biete, als den Anfängen seines Wahnsinns nachzuspüren, sondern sein Leben lehrt sein Ende richtig aburteilen und dessen würdigen Abschluß schätzen.

Den mißgünstigen oder gar haßerfüllten Gegnern aller Seiten waren solche Erwägungen natürlich unwichtig. Sie fühlten sich nach dem herrschenden Gesetz des äußeren Scheins in ihren Verleumdungen nachträglich bestätigt – so gesehen muß ihnen der Zusammenbruch Nietzsches wie eine persönliche Erlösung erschienen sein. Wer aber vermöchte die Einsamkeit dieses überragenden Geistes nachzufühlen, der auch den Freunden und Verwandten immer unbegreiflicher, immer entfernter wurde, der das ganze Zeitalter (und nicht bloß sein Jahrhundert) als Zusammenbruch morscher Ideen voraussah, vorausverkündete, der weit darüber hinaussehend für die Zukunft sprach und folgerichtig ungehört oder doch unverstanden blieb? Von der tiefen Tragik, aber eben auch der Größe dieses Schicksals, sprechen die folgenden Sätze aus einem Briefe des Jahres 1883:

Die Zeit des Schweigens ist vorbei: mein ‘Zarathustra’, der Dir in diesen Wochen übersandt sein wird, möge Dir verraten, wie hoch mein Wille seinen Flug genommen hat. Laß Dich durch die legendenhafte Art dieses Büchleins nicht täuschen: hinter all den schlichten und seltsamen Worten steht mein tiefster Ernst und meine ganze Philosophie. Es ist ein Anfang, mich zu erkennen zu geben – nicht mehr ! Ich weiß ganz gut, daß niemand lebt, der so etwas machen könnte, wie dieser Zarathustra ist.

Erläuternd, vertiefend heißt es in einem anderen Briefe des gleichen Jahres: Es ist eine wunderschöne Geschichte: ich habe alle Religionen herausgefordert und ein neues ‘heiliges’ Buch gemacht ! Und, in allem Ernste gesagt, es ist so ernst als irgendeines, ob es gleich das Lachen mit in die Religion aufnimmt.

Ein ‘heiliges’ Buch! Diese zwei Worte sind von ganz besonderer Bedeutung, denn es geht tatsächlich darum, im Bewußtsein der Deutschen und, darüber hinaus, auch bei allen anderen nordischen Völkern die Erkenntnis zu verankern, daß der ›Zarathustra‹ Friedrich Nietzsches die ›Heilige Schrift‹ des indoeuropäischen Menschen ist! Dies ist um nichts zu hoch gegriffen. Wer den Zarathustra kennt, wird sich der ungeheuren Größe dieses Werkes bewußt geworden sein, vorausgesetzt, daß er dem Höhenflüge eines Künders kommender Zeiten wenigstens mit den Augen zu folgen vermag. Nietzsche weiß, wer zum Verständnis, gar zum Nachvollziehen seiner Werke geeignet ist:

Wer die Luft meiner Schriften zu atmen weiß, weiß, daß es eine Luft der Höhe ist, eine starke Luft. Man muß für sie geschaffen sein, sonst ist die Gefahr keine kleine, sich in ihr zu erkälten. Das Eis ist nahe, die Einsamkeit ist ungeheuer – aber wie ruhig alle Dinge im Lichte liegen! wie frei man atmet! wieviel man unter sich fühlt!

Demnach verlangt und bedingt gerade die im ›Zarathustra‹ aufbrechende Erkenntnis jene geistige Unabhängigkeit, aus der allein eine Rückgewinnung der eigenen Wurzeln möglich ist. Das berührt nicht nur den von Nietzsche unnachgiebig und endgültig vollzogenen Sturz des Christentums. Weil dieses bis dahin die Hauptquelle fremdartiger Einflüsse im europäischen Lebensraum war, schleuderte Friedrich Nietzsche mit seinem ›Antichrist‹ den »Fluch auf das Christentum«, danach jeder weitere Ansturm gegen diesen Glauben dem überflüssigen Schleifen einer zerbröckelnden Ruine gleicht. Den fortschreitenden Zerfall des Christentums werden auch seine ewiggestrigen Propagandisten nicht aufhalten. Es ist folglich sinnvoller, die erwachten Kräfte eigener Verantwortung gegen die Gegner zu richten, die in der Kumpanei der Fremdmächte eine gefährlichere Bedrohung darstellen.

Denn die heute wirkenden Nachfolger des jüdisch-christlichen Totentanzes, seine Verwandlungen in weltliche Kriegszustände gegen jede erkennende Vernunft und alle aus dem Erbe der Geschlechterreihen erwachsenen Bindungen sind die einschläfernden Staatslehren des christlich-demokratischen, liberal-optimistischen Zeitalters der Internationale. Dessen hohler Wahn von Gleichheit und Glück, von Freiheit und Friede läßt uns alle bereits über dem Abgrunde taumeln.

Nietzsche hat das vorausgesehen. Mit unheimlicher Seherkraft hat er gerade im ›Zarathustra‹ die Herauf- kunft des Nihilismus, jener Untergangsfackel der Moderne, gleichnishaft beschrieben. Nietzsche hat, wie keiner vor und nach ihm, über das Menschliche hinaus nach dem rettenden Weg gesucht. Als einsamer Held sprang er den vielzähligen Feinden entgegen, auf seiner Fahne stand der Begriff ›Übermensch‹. Dieser Begriff aber, der so oft mißdeutet, so oft verspottet und also nicht verstanden wurde, ist aus dem höchsten Ernst und der tiefsten Not erwachsen.

In einer Zeit, in der alle wirklichen Ziele vernichtet sind, ist der Übermensch äußerster Gegensatz zu allen bloßen Traum- und Entwicklungsidealen. An ihm zerbrechen die Scheinwerte einer überalterten, einer schon im Entwurf verfehlten Welt. Die Rettung über diesen Niedergang hinaus liegt in der Rückkehr zum eigenen Wesen, in der Überwindung des von den Säuren der Fremdartigkeit verunstalteten Menschen. Zarathustra sagt:

Wer über alte Ursprünge weise wurde, siehe, der wird zuletzt nach Quellen der Zukunft suchen und nach neuen Ursprüngen.[5]

Aus eigener Kraft sollen wir die höhere Ebene erreichen, aus eigenem Willen das Seil wieder verknüpfen zwischen Gestern und Heute, damit wir der Zukunft sicher und ruhig entgegensteigen können.

Nietzsches ›Zarathustra‹, der Übermensch, reicht uns die Hand dazu. Dieser Weise des Abendlandes, ein Wollender und ein Kämpfer, der uns ebenso will, zeigt uns das Bild des Menschen, der sein Leben an den höchsten Gedanken setzt.

Der Gegensatz aber des Übermenschen ist der ‘letzte Mensch’, dem nur das persönliche Glück wichtig ist. Wer wollte bezweifeln, daß wir heute in der Zeit des letzten Menschen leben! Der Sozialstaat, diese Schöpfung des letzten Menschen, ist allerdings bereits im Begriff unterzugehen. Doch das ist nur ein Wetterzeichen, während gewaltige Stürme eine ganze Epoche am Schopfe fassen. Der Persönlichkeitsphilosophie des letzten Menschen wirft ›Zarathustra‹ den Heroismus entgegen:

Heroismus — das ist die Gesinnung eines Menschen, welcher ein Ziel erstrebt, gegen das gerechnet er gar nicht mehr in Betracht kommt. Heroismus ist der gute Wille zum Selbst-Untergang.[6]

Wohlverstanden: Es geht nicht darum, eine verlaufene Zeit oder die ihr angehörenden Viel-zu-Vielen, denen das kleine Glück ihrer schwülen Träume über allem steht, vor dem Sturz zu bewahren. Denn ›Zarathustra‹ gehört ausschließlich denen, die in tapferem Ernst dem großen Mittag, diesem Wendepunkt der Zeiten entgegenschreiten, die sich immer eine Zuversicht bewahren: Aus der Wandlung folgt die Abrechnung mit dem Erkannten, es ersteht die Bereitschaft zum Aufstieg.

Aus dem dunkelnden Schatten, der die entstellte Welt milde verhüllt, wächst klingend und voll strahlender Kraft ein heiliger Sonnentag – das Sinnbild bejahender Wiederkehr, die aus den einsamen Bergen des Erberinnerns zu uns niedersteigt. Denn aus Urzeiten kommt, wer in Urzeiten geht. Und eben dazu ruft uns Nietzsche auf:

Drücken wir das Abbild der Ewigkeit auf unser Leben! Dieser Gedanke enthält mehr als alle Religionen, welche das Leben als flüchtiges verachteten und nach einem unbestimmten anderen Leben hinblicken lehrten.

Und so ist die Wiederkehr des Heiligen in Nietzsches ›Zarathustra‹ ein Ruf zur Mitarbeit, dem wir uns nicht entziehen können, wollen wir nicht zu den Überflüssigen gehören. Dieses Wirken am Sein als dem verpflichtenden Vorhandenen, heißt uns alles Fremdartige, alles Abschweifen vom Sinn der Erde, wie er uns seit Urzeiten im Blute liegt, entschieden zurückzuweisen. Zu lange schon hörten wir auf die Stimme der Fremde, die uns das Leben fremd zu machen sucht, um über uns herrschen zu können.

Friedrich Nietzsches ›Zarathustra‹ führt uns zurück in das eigene innere Reich, gibt uns die ganze große Heimat unserer Seele wieder und verheißt uns damit ein neues Werden, dem wir in der Tat all unsere besten Kräfte widmen sollten. Dann wird die Zukunft uns gehören.

Quellenhinweis
[1] Also sprach Zarathustra, II, Von großen Ereignissen.
[2] Ecce Homo, Vorwort, 4.
[3] Geistreiche Menschen.
[4] Von der Seele ausgehend.
[5] Also sprach Zarathustra, III, Von alten und neuen Tafeln, 25.
[6] Ebd., Die Unschuld des Werdens, II.

 

Quelle: ELEMENTE 4