Andrea Marcigliano

 

Ich war immer der Meinung und bin es auch heute noch, daß der Peloponnesische Krieg ein Modell, ein Paradigma darstellt, das ewig gültig ist, um die Beziehungen und Konflikte zwischen den Mächten zu verstehen.

Das ist übrigens keine großartige Erkenntnis. Bedeutende Politikwissenschaftler haben sich seit jeher mit besonderem Interesse mit dem Konflikt zwischen Athen und Sparta befaßt, um die Vergleiche und Konfrontationen zwischen zeitgenössischen Mächten besser verstehen zu können. Von Carl Schmitt über Haushofer bis hin zu MacKinder sahen sie darin den ewigen Kampf zwischen Land und Meer. Zwischen eminent merkantilen und thalassokratischen Mächten und anderen, die auf der Erde und der Kraft der Menschen gegründet sind.

Das geht zurück bis zu Donald Kagan, der übrigens der Vater von Robert und Frederick ist, zwei der aktivsten Neocon-Ideologen. Die Biden-Regierung schenkt ihnen viel Gehör. Nicht zuletzt, weil Robert der Ehemann von Victoria Nuland ist.

Nun, Donald Kagan hat in Yale einen Großteil seines akademischen Lebens dem Studium des Peloponnesischen Krieges gewidmet. Eine monumentale Arbeit. Vollständig oder fast vollständig auf einen bestimmten Punkt ausgerichtet. Warum hat Athen, das demokratische Athen, die Handels- und Thalassokratenmacht, am Ende verloren? Warum wurde es von Sparta besiegt?

Die Frage war natürlich nicht nur akademisch. Die Vereinigten Staaten haben sich fast immer als das neue Athen betrachtet. Und in der Tat weisen sie alle Merkmale einer thalassokratischen Macht auf. Diese tendiert dazu, den Handel und die Handelsrouten zu kontrollieren. Und um die Karten neu zu mischen, um zu verhindern, daß andere, eine Macht anderen Stils, ein neues Sparta, die Erde eint und kontrolliert.

Wenn man sich, wie der alte Kagan, fragt, warum Athen gegen Sparta verloren hat, dann fragt man sich, welche Fehler Washington vermeiden mußte, um die UdSSR zu besiegen.

Die Dinge entwickelten sich dann so, wie wir alle wissen. Die wirtschaftliche Macht, die Soft Power der USA, zwang eine erschöpfte Sowjetmacht in die Knie. Mit einer alten und müden Führung. Und die UdSSR implodierte in mehrere Fragmente. Das Spiel wurde als beendet betrachtet.

Der Zusammenbruch der UdSSR bedeutete jedoch nicht das Ende Rußlands. Das der sowjetischen Ideologie sicherlich, die, nebenbei bemerkt, bereits eine Art Leiche war. Aber Rußland ist etwas anderes. Eine geopolitische Realität, mit der man sich früher oder später arrangieren oder auseinandersetzen mußte.

Und heute hat das Große Spiel wieder begonnen. Ohne die ideologische Konfrontation, die es in der jüngsten Vergangenheit überdeckt oder zumindest verschleiert hatte. Denn es ist offensichtlich, daß es keinen Konflikt mehr zwischen der marxistisch-leninistischen Ideologie und der liberalen Demokratie gibt, es sei denn, man ist blind und taub. Und in der Tat läßt die heutige Realität vermuten, daß dieser Gegensatz auch in der Vergangenheit nur dazu diente, die nackte Realität zu verschleiern. Ein Spiel zwischen Mächten. Land und Meer. Wie in den Tagen von Athen und Sparta.

Doch heute gibt es Sparta nicht mehr.

Rußland ist natürlich das neue Sparta. Die Großmacht, die sich zwischen Europa und Asien erstreckt, der ewige Rivale zuerst von London, heute von Washington.

Im Hintergrund zeichnet sich jedoch immer deutlicher die Konfrontation mit China ab. China wird von einer wirtschaftlichen  zu einer auch strategisch immer größeren Bedrohung. Und in naher Zukunft wird diese Konfrontation leicht in eine militärische Dimension abgleiten.

Und dann ist da noch Indien. Ein weiterer wirtschaftlicher und demografischer Riese. Dessen militärische Macht rasant wächst. Und das trotz Modis vorsichtiger Politik die USA immer mehr zu ärgern beginnt. So sehr, daß die Biden-Administration erst diese Woche so weit ging, Delhi mit Sanktionen zu drohen, sollte es seine Zusammenarbeit mit Teheran beim Bau eines großen Hafens und einer Handelsplattform in Chabahar nicht abbrechen. Eine Drohung, auf die Indien mit einem sehr… bezeichnenden Schweigen reagierte.

Zu viele Spartaner für ein Athen, das offensichtlich nicht merkt, daß es zunehmend isoliert ist. Gefährliche Blindheit und in gewisser Weise arroganter Wahnsinn.

Dieselbe Arroganz, die laut Thukydides die Götter dazu brachte, Athen zu verlassen.

 

Büste des Thukydides, Gipsabguss im Puschkin-Museum

 

Quelle: https://www.terreetpeuple.com/guerre-culturelle-reflexion-20/81-decryptage/8094-athenes-et-sparte.html

Originalquelle: https://electomagazine.it/atene-e-sparta/