Thierry Meyssan

Es gibt viele Menschen, die einen Weltkrieg prognostizieren. In der Tat bereiten sich einige Gruppen darauf vor. Aber die Staaten sind besonnen und ziehen in der Praxis eher eine gütliche Trennung in Betracht, eine Aufteilung der Welt in zwei verschiedene Welten, eine unipolare und eine multipolare. Vielleicht sind wir in Wirklichkeit Zeugen eines dritten Szenarios: Das „amerikanische Imperium“ zappelt nicht in der Falle des Thukydides, es bricht zusammen, wie sein ehemaliger sowjetischer Rivale.

Die US-amerikanischen „Straussianer“, die ukrainischen „integralen Nationalisten“, die israelischen „revisionistischen Zionisten“ und die japanischen „Militaristen“ fordern einen allgemeinen Krieg. Sie stehen damit allerdings ziemlich alleine da, und es handelt sich nicht um Massenbewegungen. Kein einziger Staat engagiert sich derzeit auf diesem Weg.

Deutschland mit 100 Milliarden Euro und Polen mit viel weniger Geld rüsten massiv auf. Doch keiner von beiden scheint begierig darauf zu sein, sich mit Rußland zu messen.

Australien und Japan investieren ebenfalls in die Rüstung, aber beide haben keine eigenständige Armee.

Die USA können ihre Armeen nicht mehr personell auffüllen und sind nicht mehr in der Lage, neue Waffen zu entwickeln. Sie begnügen sich damit, die Waffen aus den 1980er Jahren am laufenden Band zu reproduzieren. Allerdings halten sie ihre Atomwaffen weiter funktionsbereit.

Rußland hat seine Armeen bereits modernisiert und organisiert die Neubeschaffung der Munition, die es in der Ukraine verwendet, und die Massenproduktion seiner neuen Waffen, mit denen niemand konkurrieren kann.

China wiederum rüstet auf, um den Fernen Osten zu kontrollieren und letztlich seine Handelsrouten zu schützen.

Indien versteht sich als Seemacht.

Es ist also nicht ersichtlich, wer sowohl einen Weltkrieg anstreben würde als auch einen Weltkrieg auslösen könnte.

Entgegen ihren Reden bereitet sich die französische Führung keineswegs auf einen Krieg mit hoher Intensität vor. Das auf zehn Jahre angelegte Militärprogrammgesetz sieht den Bau eines nuklearen Flugzeugträgers vor, reduziert aber das Heer. Es geht darum, sich mit Projektionsmitteln auszustatten, aber nicht um die Verteidigung des Territoriums. Paris denkt weiterhin als Kolonialmacht, während die Welt multipolar wird. Es ist ein Klassiker: Die Generäle rüsten für den vorangegangenen Krieg und ignorieren die Realität von morgen.

Die Europäische Union implementiert ihren „Strategischen Kompaß“. Die Kommission koordiniert die Militärinvestitionen ihrer Mitgliedsstaaten. In der Praxis spielen alle mit, verfolgen aber unterschiedliche Ziele. Die Kommission versucht ihrerseits, die Entscheidungshoheit über die Finanzierung der Armeen zu erlangen, die bislang von den nationalen Parlamenten abhängt. Dies würde den Aufbau eines Imperiums ermöglichen, aber nicht die Eröffnung eines allgemeinen Krieges.

Offensichtlich spielt jeder sein eigenes Spiel, aber außer Rußland und China bereitet sich keiner auf einen Krieg mit hoher Intensität vor. Vielmehr werden die Karten neu gemischt. Washington schickt in diesem Monat Liz Rosenberg und Brian Nelson, zwei Spezialisten für einseitige Zwangsmaßnahmen, nach Europa mit dem Auftrag, die Alliierten zum Gehorsam zu zwingen. Gemäß der bekannten Formel des ehemaligen Präsidenten George Bush jr. während des Krieges „gegen den Terrorismus“: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“.

Liz Rosenberg ist effizient und skrupellos. Sie war es, die die syrische Wirtschaft in die Knie zwang und Millionen von Menschen zur Armut verurteilte, weil sie es wagten, Widerstand zu leisten und die Handlanger des Imperiums zu besiegen.

Der Hollywood-Western-Diskurs à la George Bush jr. über die Guten und die Bösen hat bei der Türkei versagt, die schon den Putschversuch von 2016 und das Erdbeben von 2023 hinter sich hat. Ankara weiß, daß es von Washington nichts Gutes zu erwarten hat, und wendet sich bereits der ›Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit‹ zu. Doch dieselbe Rede sollte bei den Europäern erfolgreich sein, die nach wie vor von der Macht der USA fasziniert sind. Natürlich ist diese Macht im Niedergang begriffen, aber das gilt auch für die Europäer. Aus der Sabotage der russisch-deutsch-französisch-niederländischen Gaspipeline North Stream hat also niemand etwas gelernt. Die Opfer haben nicht nur stillschweigend die Schuld auf sich genommen, sondern bereiten sich sogar darauf vor, weitere Strafen für Verbrechen zu erhalten, die sie nicht begangen haben.

Die Welt dürfte also in zwei Blöcke geteilt werden, auf der einen Seite die Hypermacht USA und ihre Vasallen, auf der anderen die multipolare Welt. In Bezug auf die Anzahl der Staaten sollte dies Halbe/Halbe sein, aber in Bezug auf die Bevölkerungszahl nur 13 % für den westlichen Block gegenüber 87 % für die multipolare Welt.

Die internationalen Institutionen können schon jetzt nicht mehr funktionieren. Sie müßten entweder in Lethargie versinken oder aufgelöst werden. Die ersten Beispiele, die einem in den Sinn kommen, sind der tatsächliche Austritt Rußlands aus dem ›Europarat‹ und die leeren Sitze der Westeuropäer im ›Arktischen Rat‹ während des einjährigen russischen Vorsitzes. Andere Institutionen haben nicht mehr allzu viel Daseinsberechtigung, wie die ›Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa‹ (OSZE), die den Ost-West-Dialog organisieren sollte. Nur die Verbundenheit Rußlands und Chinas mit den ›Vereinten Nationen‹ dürfte sie noch kurzfristig aufrechterhalten, wobei die USA bereits darüber nachdenken, die Organisation in eine Struktur umzuwandeln, die ausschließlich ihren Bündnispartnern vorbehalten ist.

Auch der westliche Block müßte sich neu organisieren. Bisher wurde der europäische Kontinent wirtschaftlich von Deutschland dominiert. Um sicherzugehen, daß sich Deutschland niemals an Russland annähern würde, wollten die USA, daß Berlin sich mit dem Westen des Kontinents begnügte und das Zentrum Warschau überließ. Deutschland und Polen rüsten also auf, um sich in ihren jeweiligen Einflußbereichen durchzusetzen, doch wenn das US-amerikanische Gestirn verblaßt, werden sie gegeneinander kämpfen.

Bei seinem Zusammenbruch trennte sich das Sowjetimperium von seinen Verbündeten und Vasallen. Nachdem die UdSSR festgestellt hatte, daß sie nicht in der Lage war, die Probleme zu lösen, stellte sie zunächst die wirtschaftliche Unterstützung Kubas ein, ließ dann ihre Vasallen des Warschauer Pakts fallen und brach schließlich in sich zusammen. Der gleiche Prozess hat nun begonnen.

Der erste US-Golfkrieg, die Anschläge vom 11. September und die daraus resultierenden Kriege im erweiterten Nahen Osten, die NATO-Erweiterung und der Ukraine-Konflikt haben dem US-Imperium nur drei Jahrzehnte Überlebenszeit beschert. Es war an seine ehemalige sowjetische Rivalität angelehnt. Mit dessen Auflösung hat es seine Existenzberechtigung verloren. Es ist an der Zeit, daß auch es verschwindet.

Beitragsbild: Alle Imperien sind sterblich. Das „amerikanische Imperium“ auch. Gemälde von Alexandre Granger
Quelle: https://www.voltairenet.org/article219129.html

Thierry Meyssan: 11. September 2001. Der inszenierte Terrorismus. Auftakt zum Weltenbrand

Thierry Meyssan: Pentagate