Unsere Buchempfehlung für Weihnachten
Hans Fischer
WEISTUM und WISSEN
Unsere eigenständige Religion in den Märchen der Brüder Grimm
Das Wasser des Lebens
(Br. Grimm Nr. 97)
Wenn wir die Bedeutung und die Weisheit dieses Märchens voll erfassen wollen, müssen wir uns zunächst mit den Gestalten und Bildern etwas näher vertraut machen, die dieses Märchen verwendet. Sie entstammen der germanischen Gottesvorstellung und sind ein Hinweis für die religiöse Verinnerlichung und auf die Ethik in vorchristlicher Zeit. Mit dem „Wasser des Lebens” ist der Unsterblichkeitstrank gemeint, von dem in der Edda kurz berichtet wird: „ODIN und SAGA trinken dort alle Tage glücklich aus Goldbechern”.
Die Göttin SAGA galt als Tochter ODINS und hatte ihren Sitz im Bereich der Asengottheiten in Asgard. Nun waren die Gottheiten aber stets als unstoffliche Gedankenkräfte verstanden und daher kann die Göttin SAGA (Asin) auch nur aus dem Gedankenmeer (mittels des Goldbechers) Gedanken spenden, die unsterbliche, d.h. ewige Geltung besitzen.
An anderer Stelle berichtet die Edda, daß ODIN seine Weisheit täglich aus dem Brunnen Mimir am Fuße einer der Wurzeln der Weltenesche schöpfe. Mimir ist aber ein Riese und somit Bild der Naturkraft. Diese dort geschöpfte Weisheit bedeutet danach das Wissen um die Gesetze der zur Materie gewordenen Welt.
Die „kühlen Wellen“ und der Goldbecher der SAGA bedeuten das Wissen um die Gesetze des Lebens. Der als geistige Kraft verstandene Gott ODIN wird dadurch von Erkenntnissen erfüllt, die ewig Gültiges für die Erhaltung des Lebensstromes auf der Erde sichern.
Wer „Wasser des Lebens” zu sich nehmen kann, wird danach von hohen lebenserhaltenden Gedanken erfüllt, und wir werden sehen, welche Voraussetzungen dazu erforderlich sind.
Der König ist stets nicht nur Hüter des Rechts innerhalb der Gemeinschaft seines Volkes, sondern auch Kenner und Wahrer der Lebensgesetze. Noch war ja die Trennung von geistiger und weltlicher Macht undenkbar. Darüber hinaus ist er aber Repräsentant des Volkes, dem er entstammt und das er führt. Wird er als krank bezeichnet, so ist damit gemeint, daß sein ganzes Volk durch eine Krankheit und damit eine Naturwidrigkeit erkrankt ist. Es ist aber auch die Vermutung begründet, daß der König bzw. sein Volk deshalb erkrankt sind, weil durch die Einführung des Christentums die alte Werteordnung, z.B. die Auffassung von Treue, von Achtung, von Liebe u.a. ins Wanken geraten waren.
Die Lehre vom Wasser des Lebens will daher und dagegen auf die Weisheit verweisen, die von den alten Göttern ausging und mit den Naturgesetzen im Einklang stand.
Der König hat nun drei Söhne und sie können hier als Vertreter seiner Aufgaben gedacht werden als Steuereinnehmer, Jäger, priesterliche Berater o.ä.
Sie trauern alle mit dem König und begegnen durch ihre Trauer einem „alten Mann”. Dieser hat nun aber als Berater die Rolle des Gottes Heimdall – wie wir das auch aus den Märchen „Die Bienenkönigin“ oder „Der gläserne Sarg” kennen. Nur deshalb kann er auch den Rat geben, das „Wasser des Lebens” zu holen! Dies bedeutet aber: die richtige lebenserhaltende Erkenntnis zu gewinnen. Unser Märchen berichtet dazu:
Es war einmal ein König, der war krank, und niemand glaubte, daß er mit dem Leben davonkäme. Er hatte aber drei Söhne, die waren darüber betrübt, gingen hinunter in den Schloßgarten und weinten. Da begegnete ihnen ein alter Mann, der fragte sie nach ihrem Kummer. Sie sagten ihm, ihr Vater wäre so krank, daß er wohl sterben würde, denn es wollte ihm nichts helfen.
Da sprach der Alte: „Ich weiß noch ein Mittel, das ist das Wasser des Lebens; wenn er davon trinkt, so wird er wieder gesund: es ist aber schwer zu finden.”
Der älteste sagte: „Ich will es schon finden”, ging zum kranken König und bat ihn, er möchte ihm erlauben, auszuziehen, um das Wasser des Lebens zu suchen, denn das könnte ihn allein heilen.
„Nein”, sprach der König, „die Gefahr dabei ist zu groß, lieber will ich sterben.”
Er bat aber so lange, bis der König ein willigte. Der Prinz dachte in seinem Herzen: Bringe ich das Wasser, so bin ich meinem Vater der liebste und erbe das Reich.
Also machte er sich auf, und als er eine Zeitlang fortgeritten war, stand da ein Zwerg auf dem Wege, der rief ihn an und sprach: „Wo hinaus so geschwind?”
„Dummer Knirps”, sagte der Prinz ganz stolz, „das brauchst du nicht zu wissen”, und ritt weiter.
Das kleine Männchen aber war zornig geworden und hatte einen bösen Wunsch getan. Der Prinz geriet bald hernach in eine Bergschlucht, und je weiter er ritt, je enger taten sich die Berge zusammen, und endlich ward der Weg so eng, daß er keinen Schritt weiter konnte; es war nicht möglich, das Pferd zu wenden oder aus dem Sattel zu steigen, und er saß da wie eingesperrt.
Der kranke König wartete lange Zeit auf ihn, aber er kam nicht. Da sagte der zweite Sohn: „Vater, laßt mich ausziehen und das Wasser suchen”, und dachte bei sich: Ist mein Bruder tot, so fällt das Reich mir zu.
Der König wollte ihn anfangs auch nicht ziehen lassen, endlich gab er nach. Der Prinz zog also auf demselben Weg fort, den sein Bruder eingeschlagen hatte, und begegnete auch dem Zwerg, der ihn anhielt und fragte, wohin er so eilig wollte.
„Kleiner Knirps”, sagte der Prinz, „das brauchst du nicht zu wissen”, und ritt fort, ohne sich weiter umzusehen. Aber der Zwerg verwünschte ihn, und er geriet wie der andere in eine Bergschlucht und konnte nicht vorwärts und rückwärts. So geht’s aber den Hochmütigen.
Wir erfuhren hier nun, daß die älteren beiden Brüder infolge ihres Hochmuts und dadurch infolge ihrer geistigen Enge, sich festrennen. Die Zwerge galten als die wirkenden Kräfte unterhalb der Erdoberfläche. Ihnen stehen daher auch die helfenden Kräfte zur Verfügung, die das Leben auf der Erde zum Blühen und Gedeihen führen. Diese müssenaber auch besonders geachtet und anerkannt werden, wenn der König bzw. sein Volk wieder gesund werden soll. Als Helfer wird hier ein Mensch verlangt, der nicht, wie die beiden älteren Brüder, im Grunde egoistisch denkt und „allein das Reich erben” will, um die Macht zu seinem Nutzen auszuüben, sondern einer, der dem Leben dient und daher auch die Antriebskräfte des Lebens, die der Zwerg vertritt, erkennt und achtet.
Als auch der zweite Sohn ausblieb, so erbot sich der jüngste, auszuziehen und das Wasser zu holen, und der König mußte ihn endlich ziehen lassen. Als er dem Zwerg begegnete und dieser fragte, wohin er so eilig wolle, so hielt er an, gab Rede und Antwort und sagte: „Ich suche das Wasser des Lebens, denn mein Vater ist sterbenskrank.”
„Weißt du auch, wo das zu finden ist?”
„Nein”, sagte der Prinz.
„Weil du dich betragen hast, wie sich’s geziemt, nicht übermütig wie deine falschen Brüder, so will ich dir Auskunft geben und dir sagen, wie du zu dem Wasser des Lebens gelangst. Es quillt aus einem Brunnen in dem Hofe eines verwünschten Schlosses; aber du dringst nicht hinein, wenn ich dir nicht eine eiserne Rute gebe und zwei Laiberchen Brot. Mit der Rute schlag dreimal an das eiserne Tor des Schlosses, so wird es aufspringen; inwendig liegen zwei Löwen, die den Rachen aufsperren; wenn du aber jedem ein Brot hineinwirfst, so werden sie still, und dann eile dich und hol von dem Wasser des Lebens, bevor es zwölf schlägt, sonst schlägt das Tor wieder zu, und du bist eingesperrt.”
Unser Prinz hatte nun durch seine Beachtung und Würdigung der Lebenskräfte, die durch den Zwerg verkörpert zu ihm sprachen, erfahren, was zu tun ist, um zu dem Wasser des Lebens, d.h. zu der erleuchtenden Erkenntnis zu gelangen. Das „verwünschte Schloß” ist ja nun kein irdisches Bauwerk, sondern ein rein gedankliches, zu dem man auchnur durch bestimmte geistige Regeln und Gebote gelangen kann. Die eiserne Rute bedeutet dabei Selbstbeherrschung, bzw. Selbstüberwindung, die darin besteht, daß man auf das Wesen der Dinge, die man verstehen will, achtet statt auf das eigene „Ich”. Wenn man dadurch das Tor in die geistige Welt (das himmlische Schloß) geöffnet hat, so muß man dabei die eigenen Triebkräfte, die Löwen, besänftigen. Man gibt den zwei Löwen daher ihr Brot und diese sind dann beruhigt; das heißt, man läßt das Denken an Körperliches hinter sich und schreitet der höheren Erkenntnis zu. – Dabei warnte ihn der Zwerg, daß er zurückkehre, „ehe es zwölf schlägt”. Das ist wohl der Zeitpunkt zwischen Tag und Nacht, zwischen Rückkehr in das tätige Leben oder in die Abkehr davon. Wie dies alles sich nun ereignete, berichtet das Märchen weiter:
Der Prinz dankte ihm, nahm die Rute und das Brot und machte sich auf den Weg. Und als er anlangte, war alles so, wie der Zwerg gesagt hatte. Das Tor sprang beim dritten Rutenschlag auf, und als er die Löwen mit dem Brot besänftigt hatte, trat er in das Schloß und kam in einen großen schönen Saal, darin saßen verwünschte Prinzen, denen zog er die Ringe vom Finger, dann lag da ein Schwert und ein Brot, das nahm er weg.
Und weiter kam er in ein Zimmer, darin stand eine schöne Jungfrau, die freute sich, als sie ihn sah, küßte ihn und sagte, er hätte sie erlöst und sollte ihr ganzes Reich haben, und wenn er in einem Jahre wieder käme, so sollte ihre Hochzeit gefeiert werden.
Dann sagte sie ihm auch, wo der Brunnen wäre mit dem Lebenswasser, er müßte sich aber eilen und daraus schöpfen, eh es zwölf schlüge.
Da ging er weiter und kam endlich in ein Zimmer, wo ein schönes, frischgedecktes Bett stand, und weil er müde war, wollt‘ er erst ein wenig ausruhen. Also legte er sich und schlief ein: Als er erwachte, schlug es dreiviertel auf zwölf. Da sprang er ganz erschrocken auf, lief zu dem Brunnen und schöpfte daraus mit einem Becher, der daneben stand, und eilte, daß er fortkam. Wie er eben zum eisernen Tor hinausging, da schlug’s zwölf, und das Tor schlug so heftig zu, daß es ihm noch ein Stück von der Ferse wegnahm.
Wir haben nun die Wanderung unseres Prinzen durch dieses „verwünschte Schloß” unserer Gedankenwelt miterlebt. Die verwünschten Prinzen darin hatten Ringe an den Fingern, die sie ihm wohl gaben. Aber jeder Ring ist ja ein Symbol einer Erkenntnis über eine Ganzheit unseres Lebens, in dem Gestaltendes und Erhaltendes Zusammenwirken. Er nimmt damit Erkenntnisse, Einsichten entgegen. Das Schwert, das er noch an sich nimmt, bedeutet Überzeugungskraft und Willen zur Selbstbehauptung, wie sich später noch erweisen wird. Das Brot ist das Wissen um die Nahrungskräfte der Erde, denn unser Zwerg wird erklären, daß es unvergänglich ist. Aber die schöne Jungfrau, die hier wie die Göttin SAGA den Schauenden empfängt und ihm denBrunnen mit dem Lebenswasser zeigt, ist die Idee des ewigen Lebens, des Lebenswillens. Daß er in diesem Traumland beinahe verharrte und erst im letzten Augenblick die Rückkehr zu seiner Aufgabe in der Welt noch bedachte, unterstreicht noch die Bedeutung seiner Erkenntnis. – Diese Rückkehr in die Wirklichkeit der irdischen Welt vollzieht sich aber nun nicht ohne Gefahren und Enttäuschungen. – Wir hören dazu:
Er aber war froh, daß er das Wasser des Lebens erlangt hatte, ging heimwärts und kam wieder an dem Zwerg vorbei. Als dieser das Schwert und das Brot sah, sprach er: „Damit hast du großes Gut gewonnen, mit dem Schwert kannst du ganze Heere schlagen, das Brot aber wird niemals all.”
Der Prinz wollte ohne seine Brüder nicht zu dem Vater nach Haus kommen und sprach: „Lieber Zwerg, kannst du mir nicht sagen, wo meine zwei Brüder sind? Sie sind früher als ich nach dem Wasser des Lebens ausgezogen und sind nicht wiedergekommen.”
„Zwischen zwei Bergen stecken sie eingeschlossen”, sprach der Zwerg, „dahin habe ich sie verwünscht, weil sie so übermütig waren.”
Da bat der Prinz so lange, bis der Zwerg sie wieder losließ; aber er warnte ihn und sprach: „Hüte dich vor ihnen, sie haben ein böses Herz.”
Als seine Brüder kamen, freute er sich und erzählte ihnen, wie es ihm ergangen wäre, daß er das Wasser des Lebens gefunden und einen Becher voll mitgenommen und eine schöne Prinzessin erlöst hätte, die wollte ein Jahr lang auf ihn warten, dann sollte Hochzeit gehalten werden, und er bekäme ein großes Reich.
Danach ritten sie zusammen fort und gerieten in ein Land, wo Hunger und Krieg war, und der König glaubte schon, er müßte verderben, so groß war die Not. Da ging der Prinz zu ihm und gab ihm das Brot, womit er sein ganzes Reich speiste und sättigte; und dann gab ihm der Prinz auch das Schwert, damit schlug er die Heere seiner Feinde und konnte nun in Ruhe und Frieden leben.
Da nahm der Prinz sein Brot und Schwert wieder zurück, und die drei Brüder ritten weiter. Sie kamen aber noch in zwei Länder, wo Hunger und Krieg herrschten, und da gab der Prinz den Königen jedesmal sein Brot und Schwert und hatte nun drei Reiche gerettet.
Und danach setzten sie sich auf ein Schiff und fuhren übers Meer. Während der Fahrt da sprachen die beiden ältesten unter sich: „Der jüngste hat das Wasser des Lebens gefunden und wir nicht, dafür wird ihm unser Vater das Reich geben, das uns gebührt, und er wird unser Glück wegnehmen.”
Da wurden sie rachsüchtig und verabredeten miteinander, daß sie ihn verderben wollten. Sie warteten, bis er einmal fest eingeschlafen war; da gossen sie das Wasser des Lebens aus dem Becher und nahmen es für sich, ihm aber gossen sie bitteres Meerwasser hinein.
Als sie nun daheim ankamen, brachte der jüngste dem kranken König seinen Becher, damit er daraus trinken und gesund werden sollte. Kaum aber hatte er ein wenig von dem bitteren Meerwasser getrunken, so ward er noch kränker als zuvor.
Und wie er darüber jammerte, kamen die beiden ältesten Söhne und klagten den jüngsten an, er hätte ihn vergiften wollen, sie brächten ihm das rechte Wasser des Lebens und reichten es ihm.
Kaum hatte er davon getrunken, so fühlte er seine Krankheit verschwinden und ward stark und gesund wie in seinen jungen Tagen.
Danach gingen die beiden zu dem jüngsten, verspotteten ihn und sagten: „Du hast zwar das Wasser des Lebens gefunden, aber du hast die Mühe gehabt und wir den Lohn; du hättest klüger sein und die Augen aufbehalten sollen; wir haben dir’s genommen, während du auf dem Meere eingeschlafen warst, und übers Jahr da holt sich einer von uns die schöne Königstochter. Aber hüte dich, daß du nichts davon verrätst, der Vater glaubt dir doch nicht, und wenn du ein einziges Wort sagst, so sollst du noch obendrein dein Leben verlieren, schweigst du aber, so soll dir’s geschenkt sein.”
Der alte König war zornig über seinen jüngsten Sohn und glaubte, er hätte ihm nach dem Leben getrachtet. Also ließ er den Hof versammeln und das Urteil über ihn sprechen, daß er heimlich sollte erschossen werden.
Als der Prinz nun einmal auf die Jagd ritt und nichts Böses vermutete, mußte des Königs Jäger mitgehen. Draußen, als sie ganz allein im Wald waren und der Jäger so traurig aussah, sagte der Prinz zu ihm: „Lieber Jäger, was fehlt dir?”
Der Jäger sprach: „Ich kann’s nicht sagen und soll es doch.”
Da sprach der Prinz: „Sage heraus, was es ist, ich will dir’s verzeihen. ”
„Ach”, sagte der Jäger, „ich soll Euch totschießen, der König hat mir’s befohlen.”
Da erschrak der Prinz und sprach: „Lieber Jäger, laß mich leben, da geb ich dir mein königliches Kleid, gib mir dafür dein schlechtes.”
Der Jäger sagte: „Das will ich gerne tun, ich hätte doch nicht nach Euch schießen können.” Da tauschten sie die Kleider, und der Jäger ging heim, der Prinz aber ging weiter in den Wald hinein.
Es gibt bis in unsere Zeit hinein Beispiele, durch die sich zeigt, daß bedeutende Persönlichkeiten wie Widukind, Ulrich v. Hutten, Friedrich der Große sowie auch Reformatoren unserer Zeit, die überragende Erkenntnisse der wesentlichen Gesetze des Lebens gewonnen hatten, dann von dieser Sicht aus das Leben ihres Volkes neu ordnen wollten und konnten. .Ältere Brüder” aber vermochten das Werk dieser Erkennenden dann doch wieder aus Egoismus zu zerstören! Ihr Kampfmittel ist dabei die Lüge. Es scheint dies eine besondere Tragik der Menschen germanischen Blutes und Denkens zu sein. Aber dennoch blieb hier die Hoffnung, daß sich die Wahrheit der Erkenntnis darüber, was blühendes Leben unsterblich macht, schließlich durchsetzt, indem sich Erfolge erwiesen. Es sind die durch „Schwert und Brot” geretteten Könige, die Dankesgaben schicken.
Über eine Zeit, da kamen zu dem alten König drei Wagen mit Gold und Edelsteinen für seinen jüngsten Sohn; sie waren aber von den drei Königen geschickt, die mit des Prinzen Schwert die Feinde geschlagen und mit seinem Brot ihr Land ernährt hatten und die sich dankbar bezeigen wollten.
Da dachte der alte König: Sollte mein Sohn unschuldig gewesen sein? und sprach zu seinen Leuten: „Wäre er noch am Leben, wie tut mir’s so leid, daß ich ihn habe töten lassen.”
„Er lebt noch”, sprach der Jäger, „ich konnte es nicht übers Herz bringen. Euren Befehl auszuführen”, und sagte dem König wie es zugegangen war. Da fiel dem König ein Stein vom Herzen, und er ließ in allen Reichen verkündigen, sein Sohn dürfte wiederkommen und sollte in Gnaden aufgenommen werden.
Die Königstochter aber ließ eine Straße vor ihrem Schloß machen, die war ganz golden und glänzend, und sagte ihren Leuten, wer darauf geradewegs zu ihr geritten käme, das wäre der rechte und den sollten sie einlassen; wer aber daneben käme, der wäre der rechte nicht und den sollten sie auch nicht einlassen.
Als nun die Zeit bald herum war, dachte der älteste, er wollte sich eilen, zur Königstochter gehen und sich für den Erlöser ausgeben, da bekäme er sie zur Gemahlin und das Reich daneben.
Also ritt er fort, und als er vor das Schloß kam und die schöne goldene Straße sah, dachte er: Das wäre jammerschade,wenn du darauf rittest, lenkte ab und ritt rechts nebenher. Wie er aber vor das Tor kam, sagten die Leute zu ihm, er wäre der rechte nicht, er sollte wieder fortgehen.
Bald darauf machte sich der zweite Prinz auf, und wie der zur goldenen Straße kam und das Pferd den einen Fuß darauf gesetzt hatte, dachte er: Es wäre jammerschade, da könnte etwas abtreten, lenkte ab und ritt links nebenher. Wie er aber vor das Tor kam, sagten die Leute, er wäre der rechte nicht, er sollte wieder fortgehen.
Die goldene Straße vor dem Schloß der Königstochter hat ja nun auch ihre besondere Bedeutung. Nehmen wir das Bild als Wirklichkeit, so zeigen die zwei älteren Brüder, daß sie alles Goldene und Glänzende zwar hoch achten, aber daß sie in Wirklichkeit daran vorbeigehn, weil es ihnen nicht gemäß ist. Nehmen wir aber diese Straße zum Schloß als Symbol, so sind es die guten Gedanken, die zu ihm führen! Diese aber haben die zwei älteren Brüder gerade nicht, sondern sie gehen den schmutzigen und zerstörerischen Gedanken neben dieser Straße des Geistes entlang. Dies aber entsprach nicht dem Wesen unseres Prinzen und so kann unser Märchen zum Schluß berichten:
Als nun das ganze Jahr herum war, wollte der dritte aus dem Wald fort zu seiner Liebsten reiten und bei ihr sein Leid vergessen. Also machte er sich auf und dachte immer an sie und wäre gerne schon bei ihr gewesen und sah die goldene Straße gar nicht. Da ritt sein Pferd mitten darüber hin, und als er vor das Tor kam, ward es aufgetan, und die Königstochter empfing ihn mit Freuden und sagte, er wär ihr Erlöser und der Herr des Königreichs, und ward die Hochzeit gehalten mit großer Glückseligkeit.
Und als sie vorbei war, erzählte sie ihm, daß sein Vater ihn zu sich entboten und ihm verziehen hätte. Da ritt er hin und sagte ihm alles, wie seine Brüder ihn betrogen und er doch dazu geschwiegen hätte. Der alte König wollte sie strafen, aber sie hatten sich aufs Meer gesetzt und waren fortgeschifft und kamen ihr Lebtag nicht wieder.
Das Märchen lehrt uns dabei: Betrug und Verrat waren wegen des Sieges des Göttlichen außer Landes gegangen. Die Kraft der Erkenntnis, das Wasser des Lebens, konnte daher alles Kranke wieder in blühendes Leben verwandeln. Der Jäger, d.h. die Kraft des Rechts und der Gerechtigkeit hatte den jüngsten Sohn als Retter und Schauenden der Lebensgesetze am Leben erhalten. Dieser Glaube an den Sieg des Göttlichen als der wahren Kraft des Lebens war für die germanischen Menschen stets tiefster Lebensinhalt. Doch baten sie dazu einen Gott um Hilfe ? – Heidenglaube war eine Besinnung auf die ethischen Werte, die sich aus eigener Kraft im Leben behaupteten und bewährten.
Heidenglaube
Nicht im grausigen Opfer eines Erlösers,
nicht im bettelnden Wort
vor einem fernen Schöpfer der Welt
liegt der gequälten Menschheit
so oft zerbrochene Hoffnung. –
Daß sich das Göttliche immer erneut
der ringenden Menschheit erbarmt,
in Völkern Führer gebiert,
selbstlos, wissend und frei,
nur vom Adel der guten Gesinnung
sichtbar geprägt:
Das ist unsere Hoffnung,
ja eingeborene Gewißheit! –
Immer wieder beweist sich Erhabenes
im selbstlos wirkenden Vorbild
aus Gottesgewißheit,
dem des Volkes Heil Auftrag ist,
des Gewissens nie ermüdender Ansporn! –
Sollte jetzt die Erde fern sein dem Licht
als unserer Taten Sinnziel
und heimatlos irren in den Weiten des Kosmos?
Nein – noch hofft ja alles, was je sich liebte,
und in den Herzen brennt noch
der Glaube an Ewiges als sinngestaltender Macht.
Den Kräften des Werdens, in wacher Gemeinschaft, bleibt auch der Wissenden
tiefe Verehrung.
Den Göttern ein Urbild der Freude!
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Sehr schön, danke für dieses Märchen!
In jedem Märchen steckt Wahrheit, und Antwort auf das, was unser Leben bestimmen sollte?
Sei Dankbar und Bescheiden. Sei Hilfreich und Gut, jedem. Aber, liebe Deinen Nächsten, der von Deinem Blute und von Deiner Art/Volk, Dir am ähnlichsten sieht.