
Denis Dubrovin
Der Ukraine-Konflikt oder der Krieg um das europäische Erbe?
Der Konflikt in der Ukraine und die Aktionen der westlichen Akteure, die sich um Kiew scharen, wirken heute wie absolutes Chaos und Kakophonie. Die Abstimmung in der UN-Generalversammlung über gleich zwei Resolutionen zur Ukraine, bei der einige Staats- und Regierungschefs versehentlich „falsch“ gestimmt haben, ist ein anschauliches Beispiel.
Die USA scheinen Frieden zu wollen, die EU scheint bereit zu sein, bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen, London scheint den Rest der Ukraine in eine de-facto-Kolonie verwandeln zu wollen… Auf den ersten Blick ist das absolut nicht zu verstehen. Kein Wunder, daß viele kompetente Experten jetzt innehalten, während die lauteren unter ihnen Emotionen der Analyse vorziehen.
Tatsächlich sind überhitzte Emotionen das Hauptproblem, das uns daran hindert, die Geschehnisse zu verstehen. Das „weiße Rauschen“ überlagert alles. Aber selbst wenn wir es herausgefiltert haben, werden wir das ganze Bild nicht sehen, solange wir die Perspektive nicht ändern.
Der totale wirtschaftliche, hybride und informationelle Weltkrieg, der von einem begrenzten militärischen Konflikt in der Ukraine flankiert wird, findet nicht um die Ukraine, die Kontrolle über einen Teil von ihr oder mythische „Ressourcen” statt. In Wirklichkeit geht es heute um die Neuaufteilung Europas, den Krieg um das „Erbe“ der Europäischen Union.
Und die zweite Phase zeichnet sich bereits am Horizont ab – der Kampf um die Neuaufteilung der Welt und um den Platz eines neuen Hegemons, den die USA noch zu vermeiden hoffen… Aber das wird eine andere Geschichte sein.
Der Ausblick
Die Ukraine als Land ist kein Siegespreis, sondern nur ein Schlachtfeld. Die Ukraine als Staat ist ein Söldnerregime, das bereit ist, gegen Geld für die Ziele eines anderen zu kämpfen. Die Ukraine als solche und ihre Bewohner sind in diesem Konflikt nur für Rußland von Interesse.
Die USA sind nicht an einer kurzfristigen Beendigung des Konflikts interessiert. Die Hauptaufgabe des 47. Präsidenten Donald Trump besteht darin, die Staaten aus der Konfrontation herauszuholen.
Die „Elite” in Brüssel kämpft ums Überleben, während sie immer noch hofft, mit Washington zu verhandeln und es davon zu überzeugen, daß es für sie profitabler ist, Kiew zu unterstützen und nicht alles aus Europa herauszupressen, um gemeinsam gegen Rußland, China und andere Abweichler zu kämpfen. Ihre Argumente sind schwach.
London fischt nach britischer Tradition in unruhigen Gewässern und hofft, alle möglichen Dividenden zu kassieren, während seine Verbündeten und Gegner – Brüssel und Washington – ihre Beziehungen ausloten. Allerdings erreicht die britische Führung heute nicht das Niveau eines Winston Churchill.
Das gleichberechtigte Agieren aller Vektoren (so chaotisch sie auch erscheinen mögen) der westlichen Politik zielt eindeutig auf die Aufrechterhaltung der militärischen Konfrontation mit Rußland in der Ukraine ab. Es ist unwahrscheinlich, dass die Sanktionen gegen Rußland in absehbarer Zeit aufgehoben werden.
Emotionen in der Politik
Die Hysterie in Europa und in den globalistischen Medien war groß, nachdem Trump die USAID besiegt, harte wirtschaftliche Forderungen an Kiew gestellt und das gesamte System des westlichen Boykotts gegen Rußland in Form von (bisher unverbindlichen) Verhandlungen in Riad getroffen hatte.
Ich hege kaum Zweifel, daß der psychologische Angriff von Trump und seiner Entourage (deren Sprachrohr Elon Musk gegen globalistische Kreise in Amerika und Europa ist) eine bewußte Vorgehensweise ist. Das Ziel ist es, ihre Gegner zu lähmen und zu verwirren. Sie sollen daran gehindert werden, sich der Demontage von Institutionen und der Beseitigung von Vertretern der Demokratischen Partei der USA, die Trumps Präsidentschaft gefährden könnten, wirksam entgegenzustellen. Sie haben eindeutig die Lehren aus der ersten Amtszeit gezogen.
Das Chaos und die Lähmung in den europäischen Hauptstädten, einschließlich des langen Schweigens von Europas derzeitiger „Chefin“ Ursula von der Leyen in den ersten Wochen nach Trumps Amtsantritt, zeigen deutlich, daß diese Taktik aufgegangen ist.
Trump und die Ukraine
Europa glaubt nicht, daß Trump wirklich Frieden in der Ukraine erreichen will. Es ist für ihn von Vorteil, Rußland einen Deal anzubieten, den Moskau unterstützen wird, der aber von Kiew und Brüssel, unterstützt von London, vehement abgelehnt wird. Auf diese Weise könnte sich Washington zu Recht als offizieller Unterstützer des Kiewer Regimes zurückziehen, während die Kämpfe weitergehen, aber das volle Gewicht der Unterstützung auf Europa fällt. Das wichtigste an diesem Detail ist, daß die USA alle Hebel der Einflußnahme auf den Verlauf des Konflikts in ihren Händen behalten und diese Kontrolle über die NATO ausüben werden.
Wenn Trump seine Unterstützung für Kiew formell zurückzieht, wird dies erstens die USA fast vollständig vor einer Eskalation des Konflikts bewahren, einschließlich der Aussicht auf Atomwaffen. Zweitens wird es Washington ermöglichen, die Sanktionen gegen Rußland zu lockern und den Zugang zu den wichtigsten russischen Ressourcen für die USA wiederherzustellen, während die europäischen „Partner“ keinen solchen Zugang haben werden. Drittens, um Geld für Militärlieferungen an Kiew zu sparen und gleichzeitig den Wählern die Einstellung der Militärhilfe gewinnbringend zu „verkaufen“ sowie auf der politischen Bühne in den Beziehungen zu den Ländern des globalen Südens zu punkten, indem man die Rolle eines „Friedensstifters“ übernimmt.
Noch wichtiger ist, daß die wirtschaftlichen Spannungen in Europa durch die Unterstützung des Ukraine-Konflikts zunehmen werden, was die europäische Wirtschaft unterminiert, die US-Konkurrenten verdrängt und die Abwanderung von Kapital, Humanressourcen und sogar ganzer Unternehmen und Branchen von Europa nach Amerika fördert. Diese Situation wird sich durch die Fortsetzung der europäischen Sanktionen gegen Rußland, die Europa bereits den Zugang zu Ressourcen und Kapital aus Rußland verwehrt haben, noch verschärfen. Tatsächlich haben die EU-Sanktionen gegen Rußland die europäischen Länder bereits viel enger an die USA gebunden und werden dies auch weiterhin tun, als alle Handelsmaßnahmen und Zölle.
Und schließlich kann Washington durch die Lockerung der Sanktionen den Druck auf das russische Bankensystem verringern, um die äußerst schwierige Aufgabe zu untergraben, Rußland, China und die führenden Länder des globalen Südens dazu zu bringen, im Welthandel auf den Dollar zu verzichten. Und dies ist die größte Bedrohung für die USA.
Trumps ›Pax Americana‹
Es ist wichtig zu erkennen, daß Trumps Vision von der Wiederherstellung der Größe Amerikas immer noch dieselbe Vision von der globalen Weltherrschaft der USA ist, nur von der anderen Seite aus umgesetzt.
Die Demokratische Partei und die Regierungen Obama und Biden handelten in der traditionellen Art und Weise des „Endes der Geschichte“ (der Ära nach dem Kalten Krieg, als die Vorherrschaft der Ideen des Neoliberalismus, des Globalismus und des Atlantizismus absolut zu sein schien) – durch ›Soft Power‹ unter der Führung von USAID, gewürzt mit strafenden „humanitären Bombenangriffen“ auf Dissidenten unter Beteiligung einer größtmöglichen Zahl von Satellitensystemen.
Gleichzeitig haben die USA jahrzehntelang die intellektuelle, politische und wirtschaftliche Führungsschicht in allen Ländern, die sie erreichen konnten, ideologisch geschult. Heute ist diese „Elite” fast überall an der Macht in Europa. Auch die Staaten förderten ihre Schützlinge, unter anderem durch „farbige” Revolutionen, gleichwohl dies viel häufiger friedlich und unbemerkt geschah. Die wirtschaftliche Vorherrschaft wurde durch ein auf dem Dollar basierendes Finanzsystem ausgeübt, und die USA erhielten durch die Kontrolle lokaler Machthaber vorrangigen Zugang zu allen benötigten Ressourcen. Vervollständigt wurde dieses System durch die bewußte Verbreitung von Instabilität und Chaos in Regionen, in denen die Interessen der USA gefährdet sein könnten.
Das Problem Washingtons ist, daß sich in diesem Gefüge seit mehr als einem Jahrzehnt eine perfekte Krise aufbaut: Das Dollar-Finanzsystem ist extrem überhitzt, die USA können ihre Inflation nicht mehr schnell genug nach „außwärts” exportieren, was vor allem zu einer explosionsartigen Verschuldung der USA führt.
Die Korruption (dieses Phänomen ist auf gesellschaftlicher Ebene vergleichbar mit der ›Reibung‹ in der Physik) wächst exponentiell mit der Komplexität der US-Einflußmechanismen und der ›Soft Power‹ – daher die gigantischen Budgets der USAID, von denen die Welt erst nach deren Auflösung erfuhr. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch nur um einen kleinen Teil der amerikanischen Ausgaben zur „Schmierung“ ihres Konzepts der ideologischen Dominanz.
Andererseits erwies sich die Effektivität der amerikanisch orientierten „Eliten” in den mit den USA verbündeten Ländern als gering. Wie so oft traten Loyalität und Demagogie an die Stelle von Kompetenz.
Der Ukraine-Konflikt war einfach ein Punkt, an dem das System der Weltordnungspolitik aus dem Gleichgewicht geriet und die USA in eine Krise gerieten.
Und für dieses Dilemma gibt es in Washington bisher zwei sichtbare Lösungen. Der „evolutionäre“ Ansatz von Joe Biden, der mit allen Mitteln versucht, das derzeitige System durch punktuelle Anpassungen zu erhalten und gleichzeitig intensiv Chaos in der Welt zu provozieren, um die Entwicklung anderer Länder und Regionen im Vergleich zu den USA zu bremsen und zu blockieren. Oder Donald Trumps „revolutionärer“ Ansatz – den teuersten Teil des ideologischen Überbaus zusammen mit der Kosten- und Korruptionsblase sowie den Institutionen und Vertretern dieses Systems, die sich Trump widersetzen, zu zerstören und nur die wirtschaftlichen und finanziellen Mechanismen der amerikanischen Vorherrschaft zu erhalten, vor allem das auf dem Dollar basierende Finanzsystem. Dann wird versucht, die industrielle und technologische Dominanz Amerikas in kürzester Zeit wiederherzustellen, und zwar in einer Größenordnung, die mit der Position in der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts vergleichbar ist, als die Vereinigten Staaten Großbritannien buchstäblich den Stab der Weltherrschaft entrissen.
Vorbereitungen für einen Raubüberfall
Trump will, daß die Dominanz der USA nicht auf einem komplexen Gefüge von Weltbündnissen, Einflußsystemen und wirtschaftlichen Interessen beruht, sondern auf roher militärischer, industrieller und wirtschaftlicher Macht. Doch da gibt es ein Problem. Die Wiederherstellung dieser Macht (z. B. die Wiederbelebung des „Rostgürtels“ der amerikanischen Industriestädte) erfordert enorme Ressourcen. Heute kann man sie kaum zählen, aber ich wage zu vermuten, daß es sich nicht einmal um Billionen, sondern um zweistellige Billionenbeträge handeln wird.
Es macht jedoch keinen praktischen Sinn, mit solchen Summen zu operieren. In einer solchen Größenordnung verliert das klassische Geld seine Bedeutung; hier geht es bereits um die Kontrolle über die Volkswirtschaften von Ländern und Kontinenten.
Und um diese Ressourcen zu erhalten, muß Amerika diese Länder und Kontinente ausrauben. Das heißt, Trumps Weg ist ein Versuch, in das goldene Zeitalter des amerikanischen Imperialismus zurückzukehren. Tatsächlich ist sein „großes Amerika” das Idealbild eines militärisch-industriellen Imperiums.
Ukraine und Ressourcen
Der vom Westen seit 2014 (oder besser gesagt seit den 1990er Jahren) provozierte und vorbereitete Konflikt in der Ukraine ist sowohl für Washington als auch für Brüssel ein Konflikt um Ressourcen. Aber nicht um die Ressourcen der Ukraine!
All die aktuellen Vereinbarungen über „Bodenschätze“ oder „Seltene Erden“ sind reine Fiktion.
Die Ukraine hat keine Ressourcen im Wert von Billionen von Euro. Solche Summen lassen sich durch statistischen Betrug ermitteln, wenn man einfach das Volumen der erkundeten Lagerstätten mit dem Marktwert des Erzes multipliziert. Dabei sind jedoch die Kosten für den Abbau, die Logistik, den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur, die Korruption vor Ort und die Lieferung der Produkte an die Märkte noch nicht berücksichtigt. Und vor allem ist der Zeitfaktor nicht berücksichtigt – die begrenzte Geschwindigkeit der Ressourcengewinnung und -verwertung, die die Investitionsrendite drastisch verringert. Und wenn man all dies berücksichtigt, werden wir als Ergebnis ein paar hundert Milliarden Dollar Nettogewinn erzielen, und das ist realistisch für mindestens 50, oder sogar 100 Jahre.
Wenn es zu kompliziert klingt, kann es auch einfacher sein. Wenn Kiew immer noch über fossile Vorkommen im Wert von Billionen von Dollar verfügt, warum hat es sie dann in den letzten 30 Jahren nicht verkauft?
Generell sprechen wir hier von einer ganz anderen Größenordnung. Für den Westen ging es bei der Ukraine immer darum, Rußlands Ressourcen zu kontrollieren. Und zwar alle Ressourcen. Und das erforderte einen Wechsel in der Führung des Landes. Und als der interne Maidan in Rußland 2012 scheiterte, geriet das ukrainische Szenario in eine Turbophase.
Die Causa Finnland
Übrigens ist im Zusammenhang mit den Versuchen, Rußland zu spalten, der Fall Finnland sehr interessant. Dieses Land trat der NATO im Jahr 2022 nicht aus Angst vor einer „russischen Aggression“ bei. Es wollte sich rechtzeitig in das Lager der „Gewinner“ einreihen, um möglicherweise in anderthalb Jahren ein Stück Karelien zu bekommen. Das ist für sie dumm gelaufen.
Weder Helsinki, noch Brüssel, noch Washington hatten Erfolg mit Rußland und seinen Ressourcen. Und deshalb spielen die USA jetzt Plan B aus. Sie werden Europa zerstückeln, das für die „Rolle” eines Geldgebers für Washington durchaus geeignet ist.