Rolf Kosiek

aus seinem Buch

Der Große Wendig

 

Ungefähr seit dem Jahrhundertwechsel hat, von der Brüsseler Zentrale der Europäischen Union kräftig unterstützt, das sogenannte Gender-Mainstreaming auch in Deutschland große Wirkung ausgelöst und wird von der Regierung gefördert, nachdem es auf der 4. Weltfrauen-Konferenz in Peking 1995 weltweit bekannt geworden war. Es wird als moderne Anschauung im Rahmen der Emanzipation der Frau in der Öffentlichkeit angepriesen, hat jedoch eine andere Auswirkung. Zur erforderlichen Richtigstellung erscheint eine Vorbemerkung notwendig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Milieutheorie als Mitsieger gegen den angeblichen deutschen „Rassismus” großen Einfluß gewonnen. Unter ihr versteht man die bereits zwischen den Kriegen wissenschaftlich überzeugend widerlegte Anschauung, daß für Körper, Geist und Seele des Menschen vorrangig die Umwelt, das Milieu, verantwortlich sei und nur weniger bedeutsam die Erbanlagen beitrügen. Mit der Diffamierung Andersdenkender wurde diese falsche Lehre verteidigt, die dann auch von der Umerziehung in Deutschland zur Zerstörung des deutschen Bildungswesens benutzt wurde.

Bereits im Jahre 1972 erschien ein von 50 international anerkannten Anthropologen, darunter vier Nobelpreisträgern, unterzeichneter Aufruf [1] in den USA, der sich gegen diese damals von der Linken in den Vereinigten Staaten wie in Deutschland vertretene Milieutheorie wandte, der die vorrangige Bedeutung der Erbeinflüsse hervorhob und der gegen die ideologisch begründete Bekämpfung der Erblehre in der Öffentlichkeit protestierte. Seitdem ist die vielfach von marxistischen Ideologen, etwa den Vertretern der ›Frankfurter Schule‹, als »Rassismus« unberechtigt angeprangerte Vererbungslehre weiter durch neuere Forschungen untermauert worden[2], so daß daran eigentlich kein moderner Wissenschaftler mehr zweifeln kann.

In unseren Tagen versuchen aber gewisse Kreise bewußt oder unbewußt, der Milieutheorie erneut und diesmal über das sogenannte ›Gender Mainstreaming‹ Bedeutung zu verschaffen. Darunter versteht man die in dem letzten Jahrzehnt verbreitete Anschauung, daß die Geschlechterrollen beim Menschen im Gegensatz zum offensichtlichen biologischen Geschlecht in der Jugend erlernt seien und damit von der jeweiligen Umwelt abhingen. Die Unterschiede zwischen Mann und Frau seien nur erlernte Rollen.

Zur erwünschten Gleichstellung von Junge und Mädchen müßten diese Unterschiede abgeschafft werden. An Stelle des Begriffs ›Geschlecht‹ habe ›Gender‹ zu treten, das jeder beliebig auswechseln kann. Ziel sei die »Entnaturalisierung von Geschlecht« — offenbar vom Begriff her schon etwas Naturwidriges und Unnatürliches.

Linke Politiker, liberale Gutmenschen, Feministinnen und allgemein als modern gelten wollende Unbedarfte haben sich hinter dieser Fahne vereinigt. Sie haben bei der Europäischen Union wie bei der Bundesregierung bereits große Erfolge erzielen können, indem ihre Richtung entgegen den Warnungen von Fachleuten zur offiziellen Politik auf diesem Gebiet erklärt wurde: Die Bundesregierung hat sich schon im Jahre 2000 auf »Gender-Mainstreaming als durchgängiges Leitprinzip aller politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen« bis auf örtliche Ebene verpflichtet.

Eine auch für den Laien verständliche Beschreibung dieses ›Gender Mainstreaming‹ brachte der auch durch andere politisch nicht immer korrekte Beiträge hervorgetretene FAZ-Mitarbeiter Volker Zastrow[3] in einem ganzseitigen Artikel seiner Zeitung. Darin ging er insbesondere auf das jahrelang als Beweis für diese Hypothese angesehene und behauptete experimentum crucis ein und hob hervor, daß dieses sich dann jedoch eindeutig als Gegenbeweis für diese Gender-Anschauung (gender = ›Geschlecht‹) herausstellte.

Vor allem der Begründer und Namengeber (›gender identity‹, ›gender role‹) dieser unbiologischen These, der 1921 in Neuseeland geborene und in den USA lebende Psychiater John Money vom Johns-Hopkins-Krankenhaus in Baltimore, bediente sich jahrelang zu Unrecht dieses Vorgangs, dessen Ablauf im nachhinein nur als ein Verbrechen an einem jungen Menschen bewertet werden kann.

John Money

Dabei handelte es sich um folgenden Vorgang. Am 22. August 1965 wurden im kanadischen Winnipeg der Familie Reimer zwei eineiige männliche Zwillinge Bruce und Brian geboren. Bei der Beschneidung sieben Monate nach der Geburt wurde das männliche Glied von Bruce so stark verbrannt, daß es schwarz wurde und abfiel. Mediziner wußten keinen Rat.

Die Eltern sahen dann im Fernsehen Money, der sich mit Inter- und Transsexuellen sowie Geschlechtsumwandlungen beschäftigte und behauptete, daß man aus Männern ohne weiteres Frauen und umgekehrt machen könne. Ihm schrieben die Eltern, und er erkannte, daß hier ein dankbarer Fall und endlich der Beweis für seine Theorie vorliege. Denn ihm war 1965 in der ›Quarterly Review of Biology‹ mit Recht vorgehalten worden: Wir kennen kein Beispiel für ein normales Individuum, das als eindeutig männlich geboren wurde und erfolgreich als weibliches Wesen aufwuchs.”

Die Eltern ließen auf Moneys Drängen Bruce im Alter von 22 Monaten im Juli 1967 von einem plastischen Chirurgen kastrieren, der dazu aus dem Hodensack weibliche Schamlippen zu formen versuchte. Das Kind bekam den weiblichen Namen Brenda. Money schärfte den Eltern ein, das Kind konsequent als Mädchen zu erziehen und ihm die Operation zu verheimlichen, was diese auch streng befolgten. Dazu kamen Behandlungen des Kindes mit weiblichen Hormonen.

 

 

In seinem Hauptwerk ›Gender Identity von 1973[4] beschrieb John Money ausführlich das Experiment an Bruce-Brenda als Bestätigung seiner Theorie der umwelt-bedingten Geschlechterrolle und erregte damit großes Aufsehen.

Bruce Reimer las 2-jährige Brenda

Bruce als 34-jähriger David

Doch schon um diese Zeit zeigte sich, daß das Experiment das Gegenteil von dem ergab, was der Psychiater sich von ihm erhofft hatte. Denn Brenda, die nie Hosen tragen durfte, verhielt sich trotz Mädchenkleidern sehr jungenhaft, wollte mit Jungenspielzeug spielen, raufte gern, verhielt sich ruppig und kratzbürstig, interessierte sich für Autos und Waffen statt für Puppen oder Schmuck.

Mit seiner Mädchenrolle war das Kind nicht zufrieden, wandte sich gegen die regelmäßigen Besuche bei Money, der es in seinem Mädchensein auch durch grobe Methoden bestärken wollte, und trug sich schon mit elf Jahren mit Selbstmordgedanken. In der Pubertätszeit fühlte sich Brenda von Mädchen angezogen und bekam trotz weiblicher Hormone den Stimmbruch. Mit 13 Jahren wehrte sich das Kind, das Besuche bei Money nun strikt ablehnte, erfolgreich gegen weitere Operationen an seinen Geschlechtsteilen und antwortete auf die Frage eines damit befaßten Endokrinologen, ›Willst du ein Mädchen sein oder nicht?‹ entschieden mit ›Nein‹.

Daraufhin klärten die Eltern das manipulierte Kind über seine Vergangenheit auf, daß es als Junge geboren sei, was es zunächst sehr erleichterte. Es wählte den Namen David, lebte als Junge und ließ sein männliches Glied soweit wie möglich operativ wiederherstellen. Doch der junge Mann kam mit seinem Leben nicht mehr zurecht: Im Jahre 2004 erschoß er sich mit einer Schrotflinte. Sein Zwillingsbruder hatte bereits im Vorjahr mit Tabletten Selbstmord begangen.

Obwohl das Experiment eigentich schon um 1973 bei Moneys erster Veröffentiichung darüber als gescheitert anzusehen gewesen war, hat Money erst 1980 begonnen, es bei seinen Schriften und Büchern wegzulassen, in denen er aber weiter seine falsche Theorie der umweltbedingten Geschlechterrolle vertrat. Doch nun sank sein wissenschaftiiches Ansehen. 1979 wurde MoneysGender Identity Clinic‹ geschlossen, die Praxis der Geschlechtsneuzuweisungen am Johns-Hopkins-Krankenhaus wurde eingestellt.

Money versuchte in bezeichnender Weise, die berechtigten Vorwürfe gegen seine unnatürliche Hypothese als ›Bestandteil der antifeministischen Bewegung‹ herabzusetzen und abzulehnen. Der Zeitgeist war auf seiner Seite und sah in den wissenschaftiich begründeten und sachlich vorgetragenen Vorbehalten gegen die vor allem ideologisch erwünschte These des Psychiaters nur den Versuch, die Frauen „zu ihrer angestammten Rolle im Bett und in der Küche” zurückzuzwingen. Das gilt leider auch noch für die Gegenwart.

So wirkt Moneys verderblicher Einfluß in der Öffentiichkeit weiter. Insbesondere die Frauenpolitik nahm sich weltweit seiner These an, verbreitete sie und sieht trotz des Scheiterns des ›Money-Experiments‹ in diesem nach wie vor einen wissenschaftlichen Beleg für die Thesen des Gleichheitsfeminismus.. In Deutschland vertrat vor allem Alice Schwarzer das ›Gender Mainstreaming‹, indem sie Money und seine Irrlehre in höchsten Tönen lobte und ausgerechnet von ihm sowie von seiner Mitautorin Anke Ehrhardt als Ausnahmewissenschaftlern sprach, die „nicht manipulieren, sondern dem aufklärenden Auftrag der Forschung gerecht werden”[5]. Daß das Gegenteil richtig ist, erwies sich damals schon deutlich. Aber wie auch auf anderen Gebieten hat die Wirklichkeit für linke Ideologen eben hinter den Theorie zurückzutreten.

Die Natur läßt sich aber nicht ins Handwerk pfuschen. Wer das versucht und schlauer als die Natur sein will, muß auf die Dauer scheitern. Die ›Pisa-Studien‹ haben offenbart, wohin die seit dem linken siebziger Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts unter dem Einfluß der neomarxistischen ›Frankfurter Schule‹ und ihrer von der Kritischen Theorie vertretenen Milieutheorie stehende Bildungspolitik Deutschland geführt hat: Diese Schulexperimente mit antiautoritärer Pädagogik, früher Sexualisierung, Verharmlosung von Drogen, Vernachlässigung von Disziplin, Kult des Häßlichen sind wie der individuelle Versuch an Bruce Reimer Verbrechen am jungen Menschen.

Der erfahrene Kinderarzt Prof. Dr. Theodor Hellbrügge aus München klagte zu Recht an:[6] ›Die biologischen Grundtatsachen der kindlichen Entwicklung werden bisher nicht erörtert, obwohl sie die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen natürlicherweise begründen.‹ Das sei vor allem für die Schule wichtig: ›Sie muß erkennen, daß zwischen Mädchen und Jungen fundamentale Unterschiede bestehen.‹ Weil zum Beispiel die Entwicklung der Mädchen schneller ablaufe, sei die Koedukation Gleichaltriger nicht sinnvoll.

Doch gegen den Rat erfahrener Pädagogen wird linke Ideologie im bundesdeutschen Bildungswesen immer noch durchgeführt. Die Wiener Stadtverwaltung plant anhand von Piktogrammen in den Straßen der österreichischen Hauptstadt eine großangelegte Werbung für ›Gender Mainstreaming‹. Und die Vertreter der dafür mit verantwortlichen ›Frankfurter Schule‹ wie Jürgen Habermas werden — auch von der bürgerlichen CDU — mit Preisen und Orden geehrt.

[1] In: American Psychologist, Juli 1972, S. 660; deutsch zuerst übersetzt von Hermann Kissel, in: Rolf Kosiek, Marxismus? Ein Aberglaube!, Vowinckel-Verlag, Neckargemünd 1972, S. 107 ff.; ebenso in: Neue Anthropologie, Februar 1973; erweitert um die Unterschriften von 27 deutschen Humanwissenschaftlern, darunter die Professoren Arnold Gehlen, Paul Leyhausen, Heinrich Schade, Ilse Schwidetzky, übersetzt von Paul Leyhausen in: Homo, Bd. 24, 1973, Nr. 1, S. 52; ebenso in: Neue Anthropologie, 2. Jg., Nr. 2, April 1974, S. 29 f.
[2] Insbesondere von Francis H. Crick, C. D. Darlington, Hans-Jürgen Eysenck,
Arthur R. Jensen, Konrad Lorenz, Jacqües Monod. So: Hans-Jürgen Eysenck,
Vererbung, Intelligenz und Erziehung. Zur Kritik der pädagogischen Milieutheorie, Seewald,
Stuttgart 1975; ders.. Die Ungleichheit der Menschen, List, München 1975; Konrad
Lorenz u. Franz M. Wuketits, Die Evolution des Denkens, Piper, München 1983.
[3]Volker Zastrow, »Der kleine Unterschied«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.9. 2006, S. 8.
[4] Deutsch als Männlich Weiblich. Die Entstehung der Geschlechtsunterschiede, 1975, mit der Mitautorin und Übersetzerin Anke Ehrhardt.
[5] Zit. in Zastrow, aaO., (Anm. 3). Siehe auch Alice Schwarzer, Der kleine Unterschied, 1975, S. 192 f. Nach Schwarzer sei die Gebärfähigkeit auch der einzige Unterschied, der zwischen Mann und Frau bleibe. Alles andere sei künstlich aufgesetzt.
[6] Prof. Dr. Theodor Hellbrügge, »Geschlechterunterschiede von Anfang an«, Leserbrief in: Frankfurter A-llgemeine Zeitung, 1. 11. 2003.

Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Gender-Paradoxon