Gerhard Hess

naudhiz: Not/
Notwendigkeit
Phonetischer Wert : n
Tierkreis: Krebs
Juli Mitte

Sakralfest: Notfeuerdrehung

Das Niet-/Nutzenfeuer wird gegen die Viehkrankheiten der Hundstage rituell entzündet; vorher wurde der Brand auf allen Herden gelöscht.

Die -Rune ist ein Zeichen der Kreuzung einer Senkrechten mit einer Waagerechten, also der Verbindung von väterlichen mit mütterlichen Kräften (waagerechte Runenlinien wurden wegen des hölzernen Schreibgrundes geschrägt).

In der Quersumme verdichtet sich ihre Zahl zur allwertigen Sechs; die 7. Birkmutter-Rune addiert mit der 8. Himmelsvater-Rune ergibt Fünfzehn. Wohl­weislich besitzt das Tarot insgesamt 78 Karten. Der geglaubte antike Weisheitslehrer Hermes-Trismegistus hatte die Quintessenz seiner Erkenntnis in 15 Punkten auf eine Tafel aus grünem Korund niedergeschrieben, die Tabula Smaragdina.

Der Römer Zosimos, ein heidnischer Historiker des 5. Jh. n. 0, gebrauchte das Gleichnis vom Auf- und Abstieg über die jeweils 15 Stufen von Licht und Fin­sternis. Es handelt sich also wiederum um ein Zeit- und Kreislauf­symbol.

Unser 15. Buchstabe wird landläufig Not-Rune genannt, doch in den mittelalterlichen Runenlisten heißt sie sowohl „Not“ als auch „Notwen­digkeit“. Es ist das Schutz- und Notwende-Zeichen, ein Eddavers (Sigrdrifumál 7) rät sie als Schutzzeichen gegen Vergiftun­gen, mit ihr solle Trinkhorn und Handrücken markiert werden: „oc merkia á nagli Nau∂“.

Postiert ist sie in einer wirklichen Notzeit des altbäuerlichen Jahresverständnisses, in der man unholde Einflüsse der sengendheißen „Hundstage“ wahrnahm. Gerade davor sollte das so oft gerügte heidnische „Notfeuer“, das ein Nut­zenfeuer war, bewahren. Es wurde mittels zweier Balken erdreht, gsimiuisonirlt, gerieben, also genötigt zu erschei­nen, um es dann als jugendfrisches, heilendes Neufeuer auf die Herde zu holen.

Damit erweist sich die Nau∂iz-Chiffre als ein Konzept mit zwei Seiten. Sie steht für den Begriff des Elends, aber auch für die notwendige Erlösung aus der Not.

Die Feuerreibung wurde allezeit mit sexualmagischen Prakti­ken zwischen dem elementaren Weltelternpaar verglichen. Und so wird auch – exakt neun synodische Schwanger­­schafts­mo­nate darauf – die Sowilo-Sonnen-Rune im runi­schen Jahres­kreis geboren.

Die daraus resultierende Lehre lautet, daß aus größter Not das strahlendste Heil erwachsen kann, vorausgesetzt, die Gesetze der Kausalität werden beachtet sowie die Aspekte der rettenden „Tat zur rechten Zeit“.

Entzünden des heiligen Notfeuers in Russland der germanischen Waräger

 

Die Notwende-Rune, was zeigt ihr Gebild‘,
die Senkrechte, Waagerechte führt sie im Schild.
Die Schräge, vom hölzernen Ritzgrund erzwungen;
das Bild ist dem schlichten Kreuze entsprungen.

Die Senkrechte steht als des Mannes Mal,
es weitet sich waagerecht des Weibes Tal.
Aus männlich-weiblichem Kreuzungspunkt
wird das kindhafte Feuer herausgefunkt.

Die Reibehölzer, das harte, das weiche,
der Run‘-Meister meinte wohl Birke und Eiche,
sie stehen als Sinnbild für Weib und Mann,
dem lebenserhaltenden Zweier-Gespann.

Die weibliche Sieben, die männliche Acht,
zur Fünfzehn sind sie zusammengedacht.
Darin geistert die Sechs, der Gesamtheitssinn,
Vereinigungsfreude und Leben-Gewinn.

Die Vierzehn gab Tod, – Fünfzehn gibt Leben;
unendlich die Folge: Versinken – Erheben.
Zerspaltene Einheiten stehen selbander, –
still weigen die Jünglinge „gegeneinander“.

Zwillinge zwingen im Notzwang die Lohe,
die frische, die rische, die rettungsfrohe.
Zwei Hölzer aus einem ureinigen Ganzen,
vereinigte Leiber im twirlenden Tanzen.

Und dann springt der Ton, der Feuer-Pfeil,
gekreuzigten Urleibs erlösendes Heil.
Die Kreuz-Rune, Not-Rune, Heil-Rune ist
die Liebeszwist-Rune der Zauberlist.

Beitragsbild: Jan Fibinger