Heinrich Brauner

Die mikrobiologische Revolution in der Agrarwirtschaft und Heilkunde

 

Der Mathematiker Heinrich Brauner (1928-1990) aus Wien hat sich ausführlich mit dem bio­logischen Landbau auseinan­dergesetzt.

Sein Buch erschien posthum: ›Die Grundlagen des organisch-biologischen Land­baus‹, (2010 in Leonding).

Nach­folgend ein bereits zu seinen Lebzeiten verbreiteter Appell.

 

Nietzsche prägte einmal das Wort, daß große Ideen, welche die Welt bewegen, zuerst ganz leise, „mit Tau­benfüßen“ in die Welt einträten. Das gilt auch für große wissenschaftliche Neuerungen, z. B. für die Mikro­biologie. Sie hat in den letzten Jahr­zehnten eine ungeahnte Entwicklung durchgemacht, die unser bisheriges Weltbild verändert hat und unsere kommenden landwirtschaftlichen und medizinischen Verfahren noch grundlegend ändern wird. Ohne An­spruch auf Vollständigkeit sei dar­ über ein kurzer Überblick gegeben.

1. Die Einheit der biochemischen Vor­gänge in allen Zellen

Gleich, ob es sich um primitive Ein­zeller oder um die Zellen der kom­pliziertesten menschlichen Ogane handelt, die biochemischen Vorgän­ge sind überall dieselben. Die Träger des Lebens, die Eiweißstoffe, setzen sich aus 20 Grundformen von Ami­nosäuren in unzähligen Variationen und Kombinationen zusammen. Die in den Aminosäuren, Vitaminen, Wirk-, Geschmack-, Farb- und an­ deren Stoffen enthaltenen Mine­ralstoffe, Spurenelemente, wie z. B. Schwefel, Magnesium, Eisen, Kobalt usw. werden schon von den Einzel­lern des Bodens aus den Tonminera­ ien herausgelöst und in die hochor­ganischen Verbindungen eingebaut.

Manche  Mikroorganismen wie z. B. die Knöllchenbakterien der Le­guminosen, aber auch andere, schei­den den Über­schuß der den Eigenbedarf übersteigenden Mengen an diesen hochor­ganischen Ver­bindungen in den Boden aus und stellen sie als Bausteine für die höherm organisierten Pflanzen zur Verfügung. Deshalb wird z. B. im orga­nisch-biologi­schen Landbau als Mineral­
dünger fein ge­mahlenes Ur­gesteinsmehl verwendet und die Lebens­- und Erzeu­gungskraft der Bakterien für die Ernährung der Pflanzen ausgenützt.

Die herkömmliche Landwirtschaft hingegen düngt mit wasserlöslichen Sulfaten der seltenen Spurenelemente und schaltet derart die Bakterien aus dem Erzeugungs­prozeß aus. Jedes Lebewesen besitzt in seinen Zellkernen eine Unzahl von arteigenen Eiweißen und ähnlichen Wirkstoffen. So zum Beispiel enthält das sowohl im Boden als auch im menschlichen Darm vorkommende Bakterium ›Escherichia coli‹ in sei­nem Zellkern ca. 2500 arteigene Ei­weiße! Beim Menschen sind es viele Hunderttausende!

Es leuchtet ein, daß zum Wesen der Gesundheit das Vorhandensein aller arteigenen Eiweiße gehört. Wenn in der breiten Palette der arteigenen Ei­weiße Lücken auftreten, äußert sich dies in fehlender Gesundheit, Verlust der Widerstandskraft, für Krankheiten und Schädlinge. In der künstlichen Ernährung der Pflanzen wird diesen eine Überfülle von nur zwei Ionenarten, den Ammo­nium (NH4)- und Salpetersäure-Ion (N03) angeboten. Es bleibt eine of­fene Frage, ob damit die ganze Band­ breite der tausendfältigen arteigenen Eiweiße hergestellt werden kann. Im organisch-biologischen Landbau besteht diese Gefahr nicht, weil die Mikroorganismen den Pflanzenwur­zeln eine Fülle von hochorganischen Verbindungen zur V erfügung stellen.

2. Der aperiodische Atom- und Mole­külaufbau der lebenden Substanzen

Die Träger der Vererbung, die Gene in den Chromosomen des Zellkernes, bestehen aus ganz besonderen Eiweißverbindungen, den soge­nannten Nucleinsäuren, von denen es nur zwei Arten gibt, die RNS (Ribonucleinsäure) und DNS (Desoxyribonucleinsäure). Sie bestehen aus Kombinationen von Nucleotiden (Kombinationen von Aminosäuren, Zuckerarten und Phosphorverbin­dungen), die zueinander in ganz be­stimmter Raumordnung stehen. Je­des Atom und jedes Molekül hat eine bestimmte, einmalige, nicht wieder­hol- oder austauschbare Stellung und eine individuelle Lebens- und Verer­bungsfunktion, die nur den Leben­digen zu eigen ist. Rusch sagt: Nur Leben vermag Leben zu erzeugen.

Wir Menschen vermögen mit Che­mie und Technik nur wiederholbare, periodische, nicht mit individuellen physiologischen Funktionen aus­ gestattete Atom – und Molekülstel­lungen hervorzubringen. So z. B. können wir das Blattgrün, das Chlo­rophyll, in genau derselben Zu­sammensetzung wie in der Natur erzeugen. Aber es kann nicht assimilieren, es fehlt der nur dem Le­bendigen vorbehaltene aperiodische Atom- und Molekülaufbau. Alle diese biochemischen, insbesonde­re Vererbungsvorgänge laufen mit unglaublicher Geschwindigkeit und Sicherheit ab. Man kann unmöglich von Zufall, sondern nur von einer geistigen Ordnungskraft, einer bio­logischen Vernunft sprechen. Rusch sagte in einem Vortrag vor zwanzig Jahren:

… Wenn Sie sich erinnern, was ich Ihnen gesagt habe über die Ordnungszentren in der Zelle, die ja eigentlich alles beinhalten, die ge­wissermaßen der geistige Inhalt der lebendigen Welt sind, dann ist auch verständlich, daß in ihnen die bio­logische Vernunft steckt. Manfred Lorenz erblickt im Zellkern den Sitz der Artintelligenz, der ›Geistigen Existenz aller Lebewesen‹.

Wir stehen vor einem Wunderwerk der Natur, das uns mit größter Ehr­furcht erfüllt bzw. erfüllen sollte. Kaum hatten die Nobelpreisträger Watson und Crick das unfaßbare Wunder der Vererbungsvorgänge im Zellkern bzw. den Chromoso­men entdeckt, macht sich schon die menschliche Herrschsucht und Hybris daran, die Gottesga­be der Erbanlagen, das unersetzbare Privileg des Lebens, zu „verändern“, zu manipulieren und sie dem Joch der politischen Macht zu unterstellen. Der Wahn, daß alle Menschen gleich seien, will nicht die Natur­wahrheiten hinnehmen, daß gemäß der Erbsubstanz kein Volk und kein Mensch dem andern gleich ist.

Die Weltherrschaftsideologien wollen nur gleiche willenlose Men­schenmassen, die leicht zu mani­pulieren und zu lenken sind.

Vor ca. einem Jahr brachte der Nord­westdeutsche Rundfunk in einer kur­zen Sendung eine Aussage des ame­rikanischen Biophilosophen Hans Jonas über das „Clonieren“ (eine Art vegetative Vermehrung von Lebe­wesen). Es sei gelungen, aus Gewebeteilen eines Tieres, z. B. eines Frosches, einen ganzen Frosch zu schaffen. Herr Jonas knüpfte daran die Hoffnung, daß, wenn dies auch beim Menschen gelingen könnte, es möglich wäre, die Veredelung der Menschheit zu fördern und, wie er wörtlich sagte, „Die Unberechen­barkeiten und Zufälligkeiten der Vererbung zu überwinden.“ Als Mu­sterbeispiele solcher hervorragen­den Menschen für eine Art serien­weiser Veredelung nannte er Albert Schweitzer, Albert Einstein und Jo­sef Stalin. – Was für schöne Aussich­ten haben wir da für die Menschheit zu erwarten!

Der Wahn, daß alle Menschen gleich seien, will nicht die Na­turwahrheiten hinnehmen, daß gemäß der Erbsubstanz kein Volk und kein Mensch dem an­dern gleich ist.

Die ehernen und unerbittlichen Ver­erbungsgesetze werden ersetzt durch menschliche Machtbestrebungen, die Völker als „Gedanken Gottes“, wie sie Herder nannte, werden über­flüssig und als lästige Hemmschuhe der Veredelung der Menschheit eli­miniert, abgeschrieben und vielleicht in einem kommenden Krieg zur Ver­edelung der Menschheit ausgerottet? Wer weiß?

Es ist auch eine offene Frage, wie die Mitglieder einer derart veredel­ten Menschheit, die Schweitzers z. B., mit den Nachkommen eines Sta­lins auskommen würden? Bestünde nicht die Gefahr, daß sie auch einer Säuberungswelle zum Opfer fielen und die Stalins allein übrig blieben? Fragen über Fragen! Uns dünkt, daß diese geplante Zerstörung des kostbarsten Gottesgeschenkes, das die Natur in Jahrmillionen mühse­lig geschaffen hat, der Inbegriff der Selbstzerstörung der Menschheit, des Nihilismus, und des Unterganges des Abendlandes ist!

Im vorigen Sommer erschien in der „Nordwestzeitung“ folgende kurze Notiz: „Hoechst finanziert Gen-For­schung. Der Chemiekonzern Hoechst wird in den kommenden zehn Jahren in den USA ein Forschungsinstitut für Molekularbiologie und Gen- Technologie mit einem Gesamtbe­trag von 50 Mill. Dollar finanzieren. Im Massachusetts-Krankenhaus in Boston wird derzeit ein Forschungs­laboratorium eingerichtet, in dem von August dieses Jahres an rund 100 amerikanische Wissenschaftler und Techniker ihre Arbeit aufneh­men sollen. Der Vertrag ist zwischen dem der medizinischen Fakultät der Harvard-Universität angegliederten Krankenhaus und der Hoechst-AG abgeschlossen worden.“

Unsere psychologische Neugierde legt uns die Frage vor: Woher kommt denn die Sucht, die Erbmasse zu zerstören, zu manipulieren und po­litisch beherrschbar zu machen? Ist dies bloß der Machtwille der Stalins gegenüber der „Ehrfurcht vor dem Leben“ der Schweitzers? Nur der­jenige, der eine schlechte Erbmasse hat, der sie nicht wahrhaben und ver­bergen will, der hat den Drang, die höhere Erbmasse unterschwellig zu hassen und aus der Welt zu schaffen. Es ist das Ressentiment des Niede­ren gegen das Edle, das sich, nach­ dem es zur Macht gekommen ist, nunmehr verwirklichen möchte, na­türlich unter dem Gesichtspunkt der industrialisierten Veredelung und Verbesserung, der Veränderung der Menschheit! Das wichtigste Requi­sit des Satans ist der Heiligenschein.

Büste von Friedrich Nietzsche, Naumburg, Bildquelle: Birgit-Boellinger.com

3. Alle Lebensvorgänge sind polar ge­steuerte Gleichgewichtsprozesse

Enzyme, Fermente, Hormone, Mi­neralstoffe halten die Lebenspro­zesse im Gleichgewicht. Störungen dieses Gleichgewichtes zeigen sich als Schwächezustände, verminderte Widerstandsfähigkeit, Krankheit. Uns interessieren hier vornehmlich die paarweise hemmenden oder för­dernden Wirkungen der Mineral­stoffe zunächst auf die Pflanzenerzeugung. Das Kalzium z. B. hat als seinen Gegenspieler das schwächere Magnesium; das Natrium das Ka­lium; diese Wirkungen werden da­durch kompliziert, daß sie auch mit­einander gekoppelt auftreten.

Wenn z. B. in der Bodenlösung ein Überschuß an Kalziumionen vor­ handen ist, wird die Aufnahme von Magnesium durch die Pflanzen blockiert, obwohl es im Boden vorhanden ist. Diese Blockierung des Magnesi­ums kann jedoch die des Kaliums, des Mangans und anderer Spuren­elemente nach sich ziehen. Das be­deutet praktisch, daß schon geringe Störungen des Gleichgewichtes in der Bodenlösung eine unkontrollier­bare Serie von Blockierungen nach sich zieht, die in der Pflanzenerzeu­gung nicht in Erscheinung treten. Sie offenbaren sich erst in ihrer phy­siologischen Auswirkung im Verzehr der Pflanzen durch Tier und Mensch, und zwar im Blutspiegel. Hier können schon verhältnismäßig geringe Mängel verheerende Folgen zeitigen. So zum Beispiel bewirkt ein Kalium- und Magnesiummangel im Blutspiegel des Menschen Schwäche­zustände, Ohnmächte, Kollapse und Herzinfarkt. Im letzteren Fall gibt der Arzt als Soforthilfe eine Injektion von Kalium- und Magnesiumsalzen.

Das Natrium z. B. wirkt im Blut­spiegel blutdruckerhöhend (starke Fleisch- und Konservenkost), das Kalium hingegen blutdrucksenkend (Obst, Gemüse, Rohkost). Die Zu­sammenhänge zwischen Boden- und Pflanzengesundheit einerseits und Tier- und Menschengesundheit an­dererseits werden hier offenbar. Der Bauer und Landwirt und vor allem die Hausfrau können entscheidend auf die Volksge­sundheit bzw. Ge­sundheit der eigenen Familienmitglieder Einfluß nehmen!

4. Alle Lebensvor­gänge verlaufen in schwachen Lösun­gen

Die Vorgänge ge­schehen ohne os­motischen Druck durch freiwilligen Austausch. Kein Arzt würde stärke­
re Injektionen verabreichen, die die Konzentration des Blutes übersteigen. Auch im Boden sol­len tunlichst isoto­nische Verhältnisse (gleichen Druckes) vorherrschen, um die Nahrungsaus­  wahl nicht zu stören. Im Haarwurzelbereich haben wir es mit den schleimigen Wurzelausscheidungen zu tun, die für Mikroben einen idealen Nährboden
 abgeben. Gelöste, ionisierte Kunstdüngersalze beein­trächtigen die in diesem kolloidalen Lebensraum sich abspielenden ent­scheidenden Lebensvorgänge.

Nicht nur die Hormone, Enzyme, Fermente, Vitamine usw. wirken be­reits in schwachen Konzentrationen, in geringen, oft geringsten Mengen. Auch die chemischen Spritzmittel schädigen die überaus zarten Vor­gänge im Zellkern, lange bevor die erwünschten Tötungen der bekämpf­ten Individuen eintreten. So zum Bei­spiel wirkt das in Tormona 100 ent­haltene schwere Gift Dioxin in einer Verdünnung 1:1 Milliarde krebserre­gend. Alle Chemikalien, sowohl die in der Landwirtschaft als auch die in der Heilkunde verwendeten, haben weitreichende, meist unbekannte Nebenwirkungen, deren Folgen sich erst im Nachhinein offenbaren. Die Liste der anfangs angepriesenen und später verbotenen Agrochemikalien und Heilmittel wächst täglich.

5. Kein Lebewesen lebt für sich allein

Jedes Lebewesen ist eingebettet in größere lose oder engere Gemein­schaften. Ganz besonders gilt dies für die unerhört große und vielfälti­ge Lebensgemeinschaft im Mutter­boden, die ein in sich geschlossenes, sich im Gleichgewicht haltendes und sich selbst erneuerndes ökologisches System darstellt. Hier reichen sich Tod und Leben in einem ewigen Kreislauf die Hand. Der Mutterboden und die in ihm enthaltene Bo­denfruchtbarkeit ist unser Heiligtum und unsere Existenzgrundlage. Wir kommen darauf noch zurück.

6. Die Nahrungsaufnahme der Pflan­zen auch in ganzer Form

Die epochalen Entdeckungen des Nobelpreisträgers Virtanen.

Unser verehrter Lehrmeister Dr. Müller dissertierte nach dem Er­sten Weltkrieg bei Virtanen über das Pflanzenwachstum auf den Felsen im Hochgebirge, wo keine wasser­löslichen Nährstoffe zur Verfügung stehen. Virtanen verfolgte dieses Problem und stellte in eine keim- und stickstoffreie Nährlösung eine Erb­sen- und eine Gerstenpflanze. Trotz des Stickstoffmangels gedieh die Gerste prächtig, weil sie die von den Knöllchenbakterien der Erbse ausge­schiedenen Aminosäuren in ganzer Form aufnahm. Diese grundlegende Entdeckung der Aufnahme orga­nischer Substanzen in ganzer Form (nicht in ionisiert-gelöster Form) war der Nachweis der Richtigkeit des uralten bäuerlichen Instinktes von der Ernährung der Pflanzen aus dem Humus und die Widerlegung bzw. Überwindung der Liebigschen Theorie von der Aufnahme was­serlöslicher Substanzen, und damit der einseitigen Kunstdüngertheorie. Hier steht der landwirtschaftlichen Erzeugung noch eine gewaltige Revolutionierung ihrer Grundlagen be­vor.

Die zweite damit zusammenhän­gende Entdeckung war, daß die Erbse viel mehr Aminosäuren aus­schied, als die Gerste aufnehmen konnte. Für die Praxis bedeutet dies, daß eine Leguminose zwei Nichtle­guminosen mit Stickstoff versorgen
kann. Im organisch-biologischen Landbau trachten wir daher danach, am Dauergrünland dieses günstigste Verhältnis zwischen Klee und Nicht­leguminosen 1:2 herzustellen. Es ist der Landwirtschaft noch kaum zum Bewußtsein gekommen, daß uns hier eine kostenlose Energiequelle zur Verfügung steht. Wir können uns den mit viel Fremdenergie ge­wonnenen Kunstdünger-Stickstoff ersparen und damit die belastete Energiebilanz wesentlich entlasten. Die industrialisierte Landwirtschaft hingegen verzichtet bewußt auf diese Stickstoff- und somit kostenlose En­ergiequelle.

Die dritte Entdeckung war, daß die Gerste aus der Fülle der verschiede­nen Aminosäuren andere aufnahm als z. B. der Weizen. Die Pflanze hat also ein eigenes Wählvermögen, sie kann von sich aus selbst entscheiden, was sie aufnehmen soll oder nicht. Dieses Auswählvermögen wird in dem Augenblick beeinträchtigt, in dem die Konzentration der Bodenlö­sung durch die Kunstdüngung steigt und die Pflanze gezwungen wird, das in der Lösung befindliche Material (gegen ihren Willen) aufzunehmen. (Dies hatte schon Liebig befürch­tet!) Die großen Ertragssteigerungen der letzten Jahrzehnte beruhen eben auf dieser Zwangsosmose, die wir im organisch-biologischen Landbau vermeiden und ablehnen. Wir ver­zichten bewußt auf die forcierten teueren Höchsterträge (die obendrein unabsetzbar sind und ins Aus­land um einen Pappenstiel verschleu­dert werden). Wir bemühen uns, die Bodenfruchtbarkeit aufs höchste zu steigern und dadurch harmonische, gesunde Dauerleistungen ohne Che­mieeinsatz zu erzielen.

Die vierte Erkenntnis besteht in der Widerlegung der Mineralisati­onstheorie. Sie besagt, daß jede or­ganische Substanz im Boden erst in ihre einfachsten Bestandteile Was­ser, Kohlensäure, Stickstoff und die Mineralmoleküle zerlegt werden muß, um diese Stoffe in lonenform für die Pflanzen aufnehmbar zu ma­chen. Sie stimmt nicht. Die von den Knöllchenbakterien ausgeschiede­nen Aminosäuren wurden als Gan­zes sofort wieder aufgenommen. Von deren Mineralisation ist keine Rede. Man könnte das Wesen des organisch-biologischen Landbau­es auf einen Fingernagel schreiben: Aufnahme der Pflanzennährstof­fe vorwiegend in ganzer Form. Der herkömmliche Landbau hingegen pflegt die Aufnahme der Nährstoffe in gelöster, ionisierter Form.

7. Das Vitamin B12 und seine Rolle in der Stickstoffassimilation

In der Universität Basel stellte Pe­ter Müller 1963 eine Maispflanze in eine keim- und stickstofffreie Nähr­lösung. Der Mais, bekanntlich der größte Stickstoff-Fresser, hätte ohne Stickstoff in der Nährlösung verhun­gern müssen. In dem Augenblick, als der Nährlösung Spuren von Vitamin B12 beigefügt wurden, begann der Mais den Luftstickstoff zu assimi­lieren. Diese direkt atemberaubende Entdeckung wird uns in Zukunft die so teure und energieverschlingende Kunstdünger-Stickstoffversorgung der Pflanzen ersparen und eine Re­volution im Pflanzenbau herbei­ führen. Der organisch-biologische Landbau praktiziert dies dadurch, daß er durch eine harmonische För­derung der mikrobiellen Fruchtbar­keit und ein vielseitiges, intensives Bakterienleben in seiner Bodenlö­sung stets Spuren von Vitamin B12 hat und daher den Luftstickstoff ko­stenlos bindet, den die anderen teuer zukaufen müssen.

Das Vitamin B12 ist eine kompli­zierte Aminosäure mit einem Ko­baltatom an einer ganz bestimmten Stelle in einem mehrfachen Ring­molekül. Es wird nicht nur von den Knöllchenbakterien der Legumi­nosen, sondern auch von anderen Einzellern z. B. Algen, in die Bo­denlösung ausgeschieden. Es be­sitzt eine Reihe von verschiedenen Lebensfunktionen, u. a. die Stick­stoffassimilation der Pflanzen; es findet sich vornehmlich in der Ge­treidekornschale. Der unersetzba­re Wert der Vollkornnahrung liegt u. a. gerade in diesem Vitamin B12 begründet, das wir durch die moder­nen Mahlverfahren, um des schö­nen weißen (womöglich noch durch Chlor gebleichten) Mehles willen, aus unserem täglichen Brot entfer­nen und damit uns eine Reihe von Zivilisationskrankheiten einhandeln.

8. Die Entdeckungen des Herrn Doz. Dr. Hans Peter Rusch
(Prof. Rusch, geb. 1906 in Goldap/Ostpreussen, gest. 1977, war Arzt, Mikrobiologe und Vordenker im biolog. Landbau)

Ihm gelang der Nachweis der Auf­nahme organischer Substanzen in ganzer Form aus zerfallenden Ge­weben, die wieder in neugebildete lebende Organismen bzw. Verbin­dungen eingebaut werden. Es kommt nicht zur Mineralisation, sondern zum Kreislauf des Lebens. Dies gilt vor allem für die Keimsubstanz, die im eigentlichen Sinn „lebende Substanz“.

Seine besonderen bahnbrechenden Forschungen widmete er der Sym­biose von Pflanzenwurzeln mit den Wurzelbakterien, also den entschei­denden Lebensvorgängen im schlei­migen Haarwurzelbereich. Hier herrscht ein ewiges Abbauen und Aufbauen, ein Geben und Nehmen, ein Zerlegen und wieder Zusammen­fügen, kurz, eine ungeheure Fülle von verschiedenen Lebensprozessen: Tod und Leben verschmelzen zu einer Einheit. Die Bodenfruchtbar­keit ist nichts anderes als eine aufs höchste gesteigerte Lebensfülle des ökologischen Systems der in der Muttererde lebenden Organismen. Ruschs genialer Gedanke, die Güte und Leistungsfähigkeit eines Bo­dens durch die Menge und Güte der in ihm wirkenden Bakterien zu messen, verwirklichte er in seinem bakteriologischen Boden, den wir im organisch-biologischen Landbau mit Erfolg und Dankbarkeit verwenden.

Im Rahmen einer von ihm jahre­lang geleiteten Arbeitsgemeinschaft von Ärzten für mikrobiologische Therapie widmete er sich beson­ders der engen Verwandtschaft der mikrobiologischen Systeme des Mutterbodens und des menschli­chen Verdauungstraktes. Einige Bakterien sind in beiden Systemen dieselben. Das Gesundheitssystem: Boden, Pflanze, Tier und Mensch gilt als eine Lebenseinheit. Rusch hat ein besonderes Verdienst an der Entwicklung der auf mikrobieller Grundlage entwickelten Heilmittel­reihe Symbioflor-Biostrathpräparate und Humusferment. Die große Pa­rallele zwischen der Bodengesundheit und der menschlichen Gesundheit findet ihren Ausdruck im mensch­lichen Immun- und Abwehrsystem.

9. Das menschliche Immun- und Ab­wehrsystem

Die Oberfläche des menschlichen Darmtraktes ist infolge der Darm­zotten ungeheuer groß. Die Zahl der darauf in Symbiose lebenden Bakte­rien ist größer als die Zahl der Zellen des menschlichen Körpers. Die Par­allele dazu bildet die Krümelstruk­tur eines gut geführten biologischen Bodens mit einer inneren Oberfläche von 24 Quadratkilometern auf einer Fläche von 1 Quadratmeter Boden. In einer Hand voll guter Mutterer­de sind Milliarden von Bakterien! In einem gesunden Boden können sich Krankheitskeime nicht halten, sie werden vom ökologischen System der „einheimischen“ Bakterien gefressen. So ähnlich verhält sich die gesunde Bakterienflora des Darmes: sie zer­stört eindringende Krankheitsbakte­rien. Rusch berichtet z. B. von einem Soldaten, der zum Unterschied von seinen Kameraden nicht an Typhus erkrankte, weil die Typhusbakterien in seinem Darm durch Colibakterien unschädlich gemacht wurden.

Die gesunde Darmflora ist die erste und wichtigste Stufe des mensch­lichen Immunsystems. Ihre Wie­dergesundung erfolgt durch Zufuhr gesunder Bakterien (Symbioflorreihe, 1. für Hals- und Rachenflora und Anfangsstadium der Darmflora, 2. für Darmflora). (Empfehlenswert eine Therapie durch Symbioselen­kung gemäß einer Untersuchung der Stuhlflora.) Erst wenn diese wich­tige Abwehrfront versagt und mit Krankheitsbakterien überschwemmt wird, tritt die zweite Stufe des Abwehrsystems in Funktion: das Lymphsystem, die Drüsen und das Bindegewebe. Wenn die Darmflora die Stoffwechselvorgänge nicht mehr voll wahrnimmt und die Aus­scheidung der Abfälle nicht mehr voll funktioniert, werden diese und die Krankheitsbakterien in den Drü­sen aufgefangen (geschwollene Drü­sen) und im Bindegewebe, vor allem der Gelenke, abgelagert. (Die Folge sind Gliederschmerzen, Müdigkeit, Rheuma, Gicht, Arthritis usw.)

Soll­te auch diese zweite Abwehrfront versagen, dann werden die Organe selbst (die dritte und letzte Abwehr­front) in Mitleidenschaft gezogen. Dann ist es allerdings höchste Zeit, medizinisch einzugreifen. Dem bio­logischen Landbau entspricht auch eine biologisch arbeitende Heilkun­de. Sie geht von dem Grundsatz aus, daß die Wurzel des Übels in einer geschädigten Darmflora liegt und diese zuerst in Ordnung gebracht werden muß, wenn man nicht bloß die Symptome bekämpfen will, was in der herkömmlichen Medizin mit gezielten Heilmitteln, Antibioti­ka, Sulfonamiden usw. mit Erfolg geschieht. Man kann damit jedoch nicht eine geschädigte Bakterien­flora wiedergesunden. Dazu gehört die Zufuhr gesunder Bakterien (der Symbioflorreihe) und deren Gedei­hen durch strenge Vermeidung von allen lebenshemmenden Medika­menten (wie z. B. Antibiotika), die ja unweigerlich die gesunde Bakteri­enflora wieder zerstören. Durch die Wiedergesundung der Darmflora können auch Folgekrankheiten wie­der beseitigt werden. Die Jahresbe­richte des Rusch-Institutes für Mi­kroökologie und Therapie berichten über auffallende Heilerfolg dieser neuen biologischen Heilverfahren.

10. Der Begriff der biologischen Qua­lität

Er wird heute oft verwendet, ohne ihn näher zu definieren. Er wird ver­schieden ausfallen, je nachdem, was gemeint ist: Lebensraum, Gesund­heit, Nahrung, Naturschutz, Um­weltschutz, Freizeit, Wohnung, in­dustrielle Erzeugung usw. Man kann ihn nur aus einer ganzheitlichen, le­bensgesetzlichen Schau erfassen und sich bemühen, alles Spezialistentum zu überwinden.

Im weiteren Sinne verstehen wir darunter das Entsprechen lebensge­setzlicher Forderungen. Biologische Qualität ist mit leiblicher, geistiger und seelischer Gesundheit und der Befolgung der Natur- und Lebens­gesetzlichkeit identisch. Wo die Na­turgrundlagen unseres Lebens zer­stört werden, ist auch die biologische Qualität zerstört. (Das ist der tiefere Sinn vom „Untergang des Abend­landes“.) Das bewußte Erkennen der Lebensgesetzlichkeit ist ein langwieriger Prozeß, weil es sich oft erst aus den Fehlern und Irrtümern im Nachhinein ergibt und Zeit braucht, um sich durchzusetzen. Oft wird es durch mächtige Interessen verhin­dert, die mit der Wahrheit in Wider­spruch stehen.

Der Sieg der Wahrheit ist leider oft mit dem Untergang ihrer Träger er­kauft. Die Natur, die Wahrheit und der „liebe Gott“ siegen immer, aber meist im Nachhinein. Die Entartung ist heute leider eine dauerhaftere Einrichtung als die gesunde Artung und die Wahrheit.

Im engeren Sinn können wir die bio­logische Qualität (z. B. in der Nah­rung) definieren als die Unversehrt­heit des aperiodischen Atom – und Molekülaufbaus in den Lebewesen (der durch moderne Erzeugungsme­thoden gestört und gehemmt werden kann) und die naturgemäße Erhal­tung der tausendfältigen arteigenen Eiweiße in den Zellen und die natur­gemäße Erhaltung der ungeheuren Vielfalt der Lebensgemeinschaften in Mutterboden und Verdauungstrakt. Es wäre falsch, unsere bisherige technisch-industrielle Entwicklung der Welt als eine Fehlentwicklung anzusehen. Sie ist eine im Rah­men unserer gesamtmenschlichen Entwicklung (wie sie z. B. Oswald Spengler aufgezeigt hat) unvermeid­liche Periode. Nur wurde und wird zunehmend versäumt, sie dauernd lebensgesetzlich zu reformieren und nicht die Lebensgesetze mit Füßen zu treten. Viele bisher als unver­zichtbar eingestufte industrielle Ver­fahren werden aufgegeben werden müssen. „Es geht auch anders“. Diese Buchtitel und Appelle Schuhma­chers werden zur Parole des Jahrtau­sendwechsels werden. Niemand, vor allem nicht die Industrie (und die in­dustrielle Landwirtschaft), wird sich dieser Forderung entziehen können.

11. Dieser Appell

ergeht an alle! Jeder kann in seinem Lebenskreis und im eigenen Le­ben der Lebensgesetzlichkeit zum Durchbruch verhelfen. Ganz beson­ders aber richtet sich dieser Appell an:

1. die Heilkunde – ihn näher auszu­führen, bleibt den Medizinern vor­behalten.

2. an die Landwirtschaft, darin wieder insbesondere an:

a) den Pflanzenbau, der die hier auf­ gezeigten Grundwahrheiten noch kaum beachtet hat;

b) die Betriebslehre, die den be­triebswirtschaftlichen Konflikt zwi­schen Ökonomie und Ökologie noch nicht verdaut und gelöst hat. Es ist doch ein Treppenwitz der Agrar­geschichte, daß unter dem europä­ischen Motto der Erhaltung der bäu­erlichen Familienbetriebe in unserer Heimat ein in unserer Geschichte noch nie dagewesenes Bauernster­ben stattgefunden hat und noch stattfindet, das jedoch zu vermeiden gewesen wäre! Das bisher hochgejubelte Ideal der Industrialisierung der Landwirtschaft mit den Parolen: Höchste Verzinsung des Kapitals, höchster Kapitaleinsatz (und damit auch Fremdenergie), Zielvorstel­lung von einer Arbeitskraft auf 100 ha, sind eine Bankrotterklärung von Betriebslehre und Agrarpolitik, sind das Gegenteil vom Selbständigkeits­streben des Bauern, sind die Unter­werfung des letzten freien Menschen unter die Fremdherrschaft des Ka­pitals. H. v. Thünen hatte seinerzeit die Überwindung der Herrschaft des Kapitals über den Menschen als die Aufgabe der kommenden Jahrhun­derte bezeichnet. Wir sind davon weiter entfernt denn je!

c) an die Bauern, Gärtner, Landwirte und alle Landbesitzer, sich die neuen Erkenntnisse zu eigen und zu Nut­zen zu machen und aus dem eigenen Grund und Boden nicht nur gute Erträge, sondern auch Gesundheit für sich und das Volk zu gewinnen. Aus dem eigenen Garten, und wäre er auch klein, kann jeder einen Teil seines Grünkostbedarfes selbst ge­winnen und dabei in echter Symbiose mit seiner Muttererde leben.

Der Schlußappell wäre jedoch un­vollständig, würde er nicht auch

3. an die Staatsmänner und lei­tenden Politiker gerichtet werden. Vor 100 Jahren sagte uns Nietzsche voraus, daß unsere Kultur in Selbst­zerstörung, Nihilismus und Welt­kriegen, wie sie die Welt nie gesehen hätte, versinken werde, weil wir die sittlichen Grundlagen der Naturord­nung verlassen und zerstört haben. Leider hat er recht! Die Zweiteilung der Welt in eine russische (östliche) und anglikanische (westliche) Hälfte (die Nietzsche ebenfalls vorausgesagt hatte!) hat sich mit einem unvorstell­bar großen Arsenal von ABC-Waf-fen, mit denen sich die Menschheit hundertfach selbst zerstören könnte, selbst den Stempel eines geisteskran­ken Nihilismus, dem moralischen Fiasko aller Weltherrschaftsideologi­en, aufgedrückt. Trotzki hat das 20. Jahrhundert als das Jahrhundert der Lüge bezeichnet! Auch er hat recht behalten. Der geistige und materielle Kampf zwischen der Wahrheit und der Lüge in allen ihren schillernden Gewändern ist nun voll entbrannt. Uns ist die Aufgabe gestellt, die Na­turordnung so weit wie möglich wie­derherzustellen. Je eher wir dies tun, desto eher können wir hoffen, dieser Selbstzerstörung und der drohenden Weltkriegsgefahr zu entrinnen.

Bei der internationalen Verflech­tung aller Politik ist es jedem gutge­sinnten Politiker sehr schwer, neue lebensrettende Erkenntnisse rasch in politisches Handeln umzusetzen. Es verlangt oft eine radikale Umkehr bisher geheiligter Methoden. Die Gefahr demokratischen Versagens und diktatorischer Auswege ist rie­sengroß.

Die neu gefundenen mikrobiologi­schen Erkenntnisse erfordern ihre Berücksichtigung in der dringend notwendigen lebensgesetzlichen Re­form des gesamten öffentlichen Le­bens. Sie wirken nicht auf einem wis­senschaftlichen Randgebiet, sondern wirken unmittelbar in einen Brenn­punkt unserer gesamtkulturellen Aufgaben hinein. Unsere Leitsprü­che seien die Worte Albert Schweit­zers: „Ehrfurcht vor dem Leben“, und Frithjof Nansens: „Alles mit der Natur, nichts gegen die Natur“.

DoktorWald, Helmut Dagenbach, Förster, 1986