
Interview von Breizh-info mit François Bousquet
François Bousquet, Chef der ›Nouvelle librairie‹ und des gleichnamigen Verlags sowie Chefredakteur der Zeitschrift Eléments, hat ein Buch mit dem Titel ›Alain de Benoist à l’endroit‹ veröffentlicht, eine Hommage an den Werdegang des fruchtbarsten Schriftstellers der sogenannten „Neuen Rechten“ in der zweiten Hälfte des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
Breizh-info.com: Was hat Sie dazu motiviert, über Alain de Benoist zu schreiben, und was war Ihr vorrangiges Ziel, als Sie die Geschichte der Neuen Rechten nachzeichneten?
François Bousquet: Um nicht mehr den üblichen Unsinn zu lesen, den unsere Gegner, wenn nicht sogar unsere Feinde, über uns verbreiten. Um ihnen nicht das Monopol des Diskurses und das Amt des autorisierten Wortes zu überlassen. Um unsere Geschichte anhand von Belegen zu beurteilen und nicht auf der Grundlage von unausgegorenem und dämonischem Geschwätz, das durchweg darauf hinausläuft, daß man den Arm ausstreckt, obwohl man eigentlich nur die Hand ausgestreckt hat. Es gibt unzählige Beispiele. Man muß nur die Wikipedia-Einträge von Alain de Benoist und der sogenannten ”Neuen Rechten” öffnen, um sich zu vergewissern, daß es sich um nichts anderes als dämonologische Karteikarten handelt, die von kleinen Dämonen, wie sie Fjodor Sologub nannte, erstellt wurden. Denn heute sind es die „Dämonen“, die Dostojewskis Werk beurteilen – und verurteilen.
♦ Um anläßlich der Jahrestage und Gedenkfeiern dieses Jahres 2023, das durch den 80. Geburtstag von Alain de Benoist und das 50-jährige Bestehen von ›Éléments‹ gekennzeichnet ist, eine Bilanz des bisherigen Werdegangs zu ziehen.
♦ Um Alain de Benoist und der immensen Arbeit zur Erneuerung der Ideen, der er sich in den letzten 60 Jahren gewidmet hat, gerecht zu werden.
♦ Um unsere Geschichte in einer zunehmend schiefen Welt wieder ins rechte Licht zu rücken.
♦ Um ein klares Bekenntnis zur Zukunft abzulegen.
Breizh-info.com: Wie würden Sie Alain de Benoist als intellektuelle Persönlichkeit beschreiben, und welchen Einfluß hat er Ihrer Meinung nach auf das zeitgenössische politische Denken gehabt?
François Bousquet: Er ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die aus üblichen Rahmen fällt, mit enzyklopädischem Wissen und grenzenloser Wissbegier, entschieden unklassifizierbar, er, der so gerne klassifiziert. Ein Intellektueller, ein forschender Kopf, ein politischer Philosoph, der unter seinen intellektuellen Kollegen der Erste ist, weil er, wie Charles Maurras vor ihm und gewiß in einem anderen doktrinären Register, ein persönliches und kollektives, französisches und europäisches Werk vor und nach der Moderne hinterläßt: das Werk einer Denkrichtung, mit der der Name ›Neue Rechte‹ verbunden ist. Was kann man noch hinzufügen? Er ist ein Meisterdenker und ein Meistervermittler, so viele Autoren und Konzepte, die in unseren Breitengraden nicht mehr geläufig waren, hat er in den französischsprachigen Raum eingeführt. Auch wenn er sich selbst nicht mehr unter diesem Etikett wiedererkennt, hat er die „Rechte“ aus den Wiederholungszyklen und der Fatalität des intellektuellen Abstiegs herausgeführt. Zum Föderalismus, zur Kritik an der Idee des Fortschritts, zur Identität, zur Ökologie, zur Subsidiarität, zum Politischen usw., usf. Es ist ein konzeptueller Werkzeugkasten, ein ›Thesaurus politicus‹ (Politisches Schatzkästlein) und eine überbordende Datenbank. Sein Einfluß war so maßgeblich, daß seine Gegner mehrfach versucht haben, ihn medial zu töten.
In den 60 Jahren seiner intellektuellen Vita hat er viel gesät, nie umsonst, aber auch nicht ohne dafür die Lorbeeren zu ernten. Auch wenn manche ihm nur mit Lippenbekenntnissen ihre intellektuelle „Schuld“ zugestehen, ist es unmöglich, sich für den Kulturkampf, die Kritik am Liberalismus, die Entmystifizierung der Menschenrechte, die Erneuerung der Gemeinschaftspolitik, die Politik der Zivilisation – für uns, Europa – zu interessieren, ohne dabei auf ihn zurückzugreifen. Europa ist im übrigen sein bevorzugtes Terrain, sein eigenes und das der sogenannten „Neuen Rechten“. Welche Denkfamilie kann sich damit rühmen, so viele „Schwestern“ im europäischen Raum hervorgebracht zu haben, auf Italienisch, Deutsch, Spanisch, Flämisch, Russisch, Lateinisch und Kyrillisch? Niemand ist ein Prophet im eigenen Land, vielleicht, aber Alain de Benoist wird es auf seinem Kontinent gewesen sein.
Breizh-info.com: Wie hat sich die sogenannte „Neue Rechte“ in den letzten 50 Jahren entwickelt und welche Rolle hat Alain de Benoist dabei gespielt?
François Bousquet: In jedem großen Denkansatz gibt es Elemente der Kontinuität und des Umbruchs. Die sogenannte „Neue Rechte“ ist davon nicht ausgenommen, aber die großen Leitlinien bleiben dieselben. Das Gerüst und die tragenden Mauern. Es kann vorkommen, daß bestimmte Themen im musikalischen Sinne des Wortes stummgeschaltet werden. Zum Beispiel der „Ungleichheitismus“, aber es wäre falsch, daraus abzuleiten, daß er widerrufen wurde: Er ist gereift, er hat sich verfeinert. Die Kritik an der Ideologie des Gleichen und die Kritik an der Homogenisierung der Welt können als eine ihrer möglichen Weiterführungen interpretiert werden. Dasselbe gilt für die Sache „der“ Völker, die von Anfang bis Ende präsent ist: Wir müssen jedoch zugeben, daß sie durch das Zusammentreffen der Sache „des“ Volkes und der Sache des Populismus neue Kraft gewonnen hat. Es gibt keinen Gegensatz, sondern nur die Einbeziehung neuer Themen, die die Anfänge der sogenannten „Neuen Rechten“ der ersten Art wieder ins Gleichgewicht bringen. Prometheus wird von Orpheus korrigiert, Konrad Lorenz von Marcel Mauss abgeändert, Nietzsche mit Proudhon konfrontiert. Dasselbe gilt für den Aristokratismus, der ohne seinen plebejischen Dünger nur ein langsamer Todeskampf wäre; für den Ethno-Differentialismus, wenn er nur ein Ethnozentrismus wäre, etc.
Breizh-info.com: Wie begegnen Sie Kritikern, die die sogenannte „Neue Rechte“ mit extremistischen oder radikalen Ideologien in Verbindung bringen?
François Bousquet: …daß sie die Etymologie mit der Ideologie verwechseln. Die Radikalität bewegt sich stromaufwärts, während der Extremismus sich von den stürmischen Strömungen tragen läßt. Die Medien verwechseln die beiden Begriffe, obwohl sie eigentlich voneinander getrennt sind. Der eine versucht, tiefgreifend zu wirken, wie seine Etymologie belegt – vom lateinischen ›radicalis‹, abgeleitet von radix, der „Wurzel“, die also an die Wurzeln der Dinge und an das lange Gedächtnis heranreicht. Der andere bleibt an der Oberfläche. Radikal ist aktiv, proaktiv, handelnd; der Extremist ist nicht einmal reaktiv, er ist überreaktiv. Extremismus ist eine semantische Falle, in die unser Gegner uns einzuschließen versucht, indem er uns von vornherein für unverträglich erklärt (siehe das neueste Buch von Mathieu Bock-Côté in diesem Zusammenhang). Langer Löffel hin oder her, man diniert nicht mit dem Teufel.
Breizh-info.com: Welche Zukunft sehen Sie für die sogenannte „Neue Rechte“ im aktuellen politischen und sozialen Kontext?
François Bousquet: …weiterhin eine „kollektive Intelligenz“ im Sinne der sogenannten ›Nouvelle Droite‹ hervorbringen. Die kollektive Intelligenz ist nicht die Summe der individuellen Intelligenzen, sie übersteigt sie und transzendiert sie durch die jeder Denkschule eigenen Eigenschaften, neu entstehende, polyphone, „konsoziationistische“ Eigenschaften, wie der große politische Denker Althusius sagen würde, den Alain de Benoist dem französischen Publikum bekannt gemacht hat. Erfolgreiche Instrumentalkompositionen und Orchester funktionieren nicht anders.
Das Gespräch wurde von YV geführt.