Tomislav Sunic

untersucht die komplexe Rolle der deutschen Partei ›Alternative für Deutschland‹ (AfD) und ihren potenziellen Status als kontrollierte Opposition in der politischen Landschaft des Landes.

 

Jedes Mal, wenn eine aufstrebende nationale Partei einige parlamentarische Zugewinne erzielt, geschweige denn in die Korridore der Macht eindringt, gehen ihre Anhänger davon aus, daß dem System das baldige Ende bevorsteht und der Anbruch einer strahlenden nationalen Zukunft angekündigt wird.

In den letzten siebzig Jahren hat eine solche Selbsttäuschung die Denkweise zahlloser Wähler nationaler Parteien in den USA und Europa geprägt – was in der Regel zu ihrer ständigen Enttäuschung führte. Von Marine Le Pens ›Rassemblement National‹ [RN] in Frankreich über die österreichische ›Freiheitliche Partei‹ (FPÖ) und den flämischen ›Vlaams Belang‹ bis hin zur kürzlich installierten postpseudofaschistischen italienischen Regierung von Giorgia Meloni sowie einigen lauernden lateinamerikanischen ›Bolsonaros‹ verfallen solche prominenten Nationalisten früher oder später der Selbstkarikatur. Selbst wenn es ihnen auf wundersame Weise gelingt, an die Pforten der Macht des Systems zu gelangen, werden sie am nächsten Tag fromme Predigten in Systemsprache vortragen.

Der Grund für diesen Umschwung ist verständlich. Parlamentarische oder präsidiale Vergünstigungen sind mächtig; der liberale Glanz und Glamour entwaffnet selbst den gläubigsten Nationalisten im Nu. Außerdem darf nicht vergessen werden, daß das System seit 1945 Unmengen von Geld in die Errichtung von Brandmauern und einer Vielzahl von Absperrungen investiert hat, um zu verhindern, daß eine aufstrebende nationale Partei die liberale Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg ins Wanken bringt.

Ein Beispiel dafür ist die national-konservative Partei ›Alternative für Deutschland‹ (AfD), die in den letzten zehn Jahren und insbesondere in den letzten Monaten zu einem wichtigen Anwärter auf die Macht in mehreren Bundesländern aufgestiegen ist. Die regierende linke Ampel-Koalition sowie alle EU-Mitgliedsstaaten versuchen nicht länger, ihre Angst vor einer Ansteckung durch die AfD vor der eigenen Haustür zu verbergen. Daher greifen die systemkonformen Medien auf die Dämonisierung der AfD zurück, indem sie sie mit Epitheta aus ihrem reichhaltigen Arsenal an faschistischen Etiketten schmücken.

Deutschland ist nicht nur die Finanzlokomotive der EU und ihr wirtschaftliches Kraftzentrum, sondern dient auch als wichtigste militärische und geheimdienstliche Drehscheibe der USA für das gesamte eurasische Kernland. Das System und seine Prokonsuln in Europa, einschließlich ihrer willfährigen Medien, die sich von Washington über Berlin bis nach Tel Aviv erstrecken, sind über die mutmaßliche Absicht der AfD, einen eigenen Weg für Deutschland zu ebnen, in heller Aufregung.

Innenpolitisch steht die AfD außereuropäischen Migranten kritisch gegenüber und setzt sich offensiv für deren Rückführung in deren Herkunftsländer ein. Außenpolitisch zeigt sie sich zurückhaltend gegenüber den offiziellen Sanktionen Deutschlands gegen Rußland, und sie wird auch zu einem ausgesprochenen Kritiker der deutschen Militärhilfe für die Ukraine. Schon vor dem Konflikt in der Ukraine hatte sie sich in den Medien den Spitznamen „Kreml-Partei“ verdient. Angesichts des katastrophalen gegenseitigen Aderlasses zwischen Russen und Deutschen im zwanzigsten Jahrhundert ist der „pro-Putin“-Versöhnungsschritt der AfD kaum überraschend.

Der Erfolg der AfD bei den Wahlen im Oktober 2023 in Hessen und im größten und reichsten Bundesland Bayern ist ein weiterer Beweis für ihre wachsende Popularität. In Hessen erreichte sie 18,4 Prozent der Wählerstimmen, in Bayern 14,6 Prozent, was 28 bzw. 32 Sitzen entspricht. Der kometenhafte Aufstieg der AfD ist ein Schock für die herrschende „Ampel“, aber auch für den deutschen „Auslandsaufseher“ in Washington.

Es besteht kaum ein Zweifel daran, daß die Frage der wilden außereuropäischen Migration die Hauptursache für den spektakulären Aufstieg der AfD ist, auch wenn man nicht davon ausgehen kann, daß sie der einzige Faktor ist. Die meisten Wähler der AfD haben die Nase voll von der Inkompetenz der regierenden Ampel-Koalition, die es nicht geschafft hat, die steigenden Energiekosten oder die schrumpfenden Rentenkassen der alternden Bevölkerung zu stoppen. Das ist der Grund, warum alle einen Wechsel wollen.

Der jüngste Wahlerfolg der AfD auch in den alten Bundesländern beweist nur, daß ihr Erfolg nicht mehr auf ihre traditionellen Hochburgen im ehemals sowjetisch regierten kommunistischen Mitteldeutschland, wie Thüringen, beschränkt ist. Wenn die AfD nicht kurz vor den EU-Wahlen im nächsten Jahr verboten oder geächtet wird – was nicht auszuschließen ist –, wird sie ihre 78 Sitze im Bundestag bis 2024-25 wahrscheinlich verdoppeln.

Bei näherer Betrachtung sehen die Mitglieder der AfD überhaupt nicht wie die viel gescholtenen „Rechtsradikalen“ aus, die eine Revolution befürworten oder die deutsche Verfassungsordnung bedrohen, wie es in den Mainstream-Medien oft suggeriert wird. Ihr Gesamtprogramm ist im Grunde nur eine aktualisierte Kopie dessen, wofür die immer noch starken deutschen Christdemokraten (CSU, CDU) einst standen.

Und während die AfD die Lücke der versteinerten „konservativen“ CDU und CSU füllt, sind letztere kaum noch von der regierenden linken Ampelkoalition zu unterscheiden. Das ist nichts Neues in der jahrhundertelangen Scharade, die unter dem schönen Namen „liberale parlamentarische Demokratie“ bekannt ist. Man fühlt sich an den prominenten antiliberalen Wissenschaftler Robert Michels und seine klassische Darstellung der inhärenten Korruption des parlamentarischen Mehrparteiensystems erinnert[1].

Treffender und weniger wissenschaftlich ist der ehemalige Bestseller des verstorbenen François-Bernard Huyghe, der vor drei Jahrzehnten veröffentlicht wurde. In seinem halbsatirischen Werk deckt er die vorgetäuschte Feindschaft zwischen der parlamentarischen ›Linken‹ und der ›Rechten› auf. So erklärt der Christdemokrat: „Madame la Marquise, Ihr hübscher Hintern gefällt mir.“ Darauf antwortet der linke Sozialdemokrat mit demselben Satz, allerdings in umgekehrter Syntax: „Ihr hübscher Hintern gefällt mir, Madame la Marquise.“[2] Je mehr sich die Dinge im liberalen System ändern, desto mehr müssen sie gleich bleiben – wie man in den wichtigen Swing States während der mysteriösen Stimmauszählung nach der US-Wahl im November 2020 sehen konnte.

Ebenso muß die AfD, wenn sie im hochtechnisierten Überwachungsstaat Deutschland überleben will, den Kanons des Systems folgen. In der politischen Landschaft Deutschlands bedeutet dies, daß sie sich strikt an die offizielle Selbstzensur halten und darüber hinaus rituelle Pilgerfahrten nach Israel unternehmen muß.

Eine wichtige Figur in der AfD, der Oldtimer und jetzige AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, bekräftigte kurz nach dem Hamas-Anschlag am 7. Oktober und der anschließenden israelischen Bombardierung des Gazastreifens: „Wenn wir an der Seite Israels stehen, verteidigen wir auch unsere Lebensart.“[3] Sein neuerlicher Rückzieher in die jüdische Umlaufbahn wird ihn in den Augen der Juden kaum entlasten, wenn man seine früheren Worte zur nationalsozialistischen Vergangenheit bedenkt. Vor einigen Jahren sagte er, daß „die Nazis nur ein Fliegenschiß in der ansonsten erfolgreichen Geschichte Deutschlands waren“[4].

Die neuen Kleider der Kaiserin

Was Medjugorje, Fatima oder Lourdes für die katholischen Gläubigen sind, das ist Yad Vashem für die westliche politische Klasse und insbesondere für die deutschen Präsidentschaftskandidaten ein obligatorischer Wallfahrtsort. Ungeachtet des Umfangs und der Anzahl der deutschen philosemitischen Kniebeugungen zögert der ›Zentralrat der Juden‹ in Deutschland, sich den Avancen der AfD anzuschließen. Nach dem Überfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 auf einen israelischen Kibbuz in der Nähe des Gazastreifens erklärten die israelische Regierung und ihr Sprachrohr in Deutschland die AfD zu einer Partei, „die Rechtsextremisten und antijüdischem Gedankengut eine politische Heimat bietet und die versucht, die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands zu verharmlosen“[5].

Um am Leben zu bleiben, muß die AfD also ständig beweisen, daß sie die Regeln des Systems befolgt. Eine der mächtigsten Figuren in der AfD, die Vorsitzende *Alice Weidel, hat diese körpersprachliche Mimikry gut gelernt; sie kleidet sich in die neuen Kleider der Kaiserin, um potenzielle Gegner fernzuhalten. Als hochgewachsene, attraktive und wortgewandte Frau mit nordischem Phänotyp ist Weidel das perfekte moderne konservative Modell, das perfekt zum Bild einer traditionellen deutschen Frau paßt, wie man es auf den Gemälden von Sepp Hilz oder den Skulpturen von Arno Breker sehen kann. Mit ihrer sorgfältig aufgetragenen Wimperntusche und ihrer dunkel-pastelligen Kleidung projiziert sie sich selbst als Vorbild für weiße, urbane deutsche Mittelklassefrauen. Ihr ›Game Change‹ wird nicht nur auf einer konservativen Frequenz, sondern auf allen politischen Wellenlängen und für alle Lebensstile ausgestrahlt. Als selbsterklärte lesbische Frau, die mit einer Filmemacherin aus Sri Lanka zusammenlebt, hat sie es geschafft, sich dreifach gegen potenzielle Bedrohungen durch mächtige deutsche Antifas, LGBTQ+ Großmäuler und diverse multikulturell-bunte Tugendwächter abzuschirmen. Mit ihrer gemessenen, telegenen Diktion posiert sie weder wie eine Westküsten-›Dragqueen‹, noch wie eine Berliner Kampflesbe auf einem Fahrrad. Trotz ihres unorthodoxen sexuellen Lebensstils versteht sie es, ihre konservative Physiognomie zu vermarkten, indem sie nach außen hin Zeichen traditioneller „Frömmigkeit“ zur Schau stellt. Wie das bei ihrer weiblichen Wählerschaft ankommt, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.

Die interessanteste und faszinierendste Figur in der AfD ist Björn Höcke und seine Fraktion „Der Flügel“, die sich großer Beliebtheit erfreut, insbesondere bei gebildeten Hardcore-Deutschnationalisten und vor allem bei jungen Anhängern der inzwischen aufgelösten NPD. Natürlich wird Höcke auf Schritt und Tritt von den deutschen Spitzeln, euphemistisch „Verfassungsschutz“ genannt, beobachtet.

Um die AfD zu verstehen, muß man zuallererst die deutsche Hochkultur und ihre komplizierte und verschlungene Geschichte verstehen. Nachdem Deutschland bis 1950 zwanzig Prozent seiner Bevölkerung aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg verloren hat (mehr als 10 Millionen Zivilisten und Soldaten), als Folge von groß angelegten Massakern, Brandbombenangriffen, Vertreibung und Gefangenschaft durch westliche und östliche Alliierte, und nachdem es 75 Jahre lang einer ununterbrochenen Gehirnwäsche durch amerikanische, größtenteils jüdischstämmige Pädagogen ausgesetzt war, kann man keine Wunder in der deutschen politischen Szene erwarten.[6]

Die Geschichte ist jedoch immer offen, und angesichts der schweren neuen Erschütterungen, die sich jetzt in Europa und im Nahen Osten ereignen, könnte es einige Veränderungen geben, nicht nur in Deutschland, sondern auch im gesamten Westen. Es sei denn, man akzeptiert, aber glaubt auch an die geheimnisvollen, vieldeutigen, letzten Worte des deutschen Philosophen Martin Heidegger: „Nur noch ein Gott kann uns retten.“[7]

Anmerkungen:

[1] Robert Michels, Political Parties; A Sociological Study of the Oligarchical Tendencies of Modern Democracy (1911 Kitchener; Batoche Books, 2021), S. 224-235.

[2] François-Bernard Huyghe, La Soft-Idéologie (Paris: R. Laffont, 1987).

[3] David Gebhard, „AfD streitet über Israel-Unterstützung“, ZDF-Heute (15. Oktober 2023)

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/afd-chrupalla-israel-hamas-100.html.

[4] „Gauland: Hitler nur ‚Vogelschiß‘ in deutscher Geschichte“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Juni 2018.

[5] Dirk Kurbjuweit, „Deutschland muß unmißverständlich zu Israel stehen“, Der Spiegel, 13. Oktober 2023.

[6] T. Sunic, Homo Americanus: Child of the Postmodern Age (Ch. III, „Brainwashing the Germans“), (London: Arktos 2018), S. 74-86 und passim.

[7] Martin Heidegger im Interview, „Nur noch ein Gott kann uns retten“, Der Spiegel, 31. Mai 1976.

(Der Artikel wurde zuerst hier veröffentlicht.)

Quelle: https://www.arktosjournal.com/p/germanys-afd-controlled-opposition

*Anmerkung der Redaktion: Jüngstes Beispiel für die meisterhafte Oppositionsarbeit von Alice Weidel:

https://www.youtube.com/watch?v=G69Sz3v5PsU

 

Tomislav Sunic in einem aktuellen Interview zum Beitragsthema bei telegram:

https://t.me/rundetisch/3348