Karl Richter
Wir kennen die Hintergründe des aktuellen Nahost-Konflikts nicht. Wie immer ist Mißtrauen gegenüber den offiziellen Verlautbarungen geboten, und spätere Historiker werden – vielleicht – auseinanderdröseln, wer in Gaza in diesen Wochen sein schmutziges Süppchen kocht. Plausibel ist, daß der Wertewesten gerade sein Ukraine-Exit-Szenario durchzieht. Niemand, nicht einmal die USA, kann diesen Krieg jetzt noch brauchen. Er ist für den Westen verloren. Während alle Augen auf Gaza gerichtet sind, wird Kiew stillschweigend fallengelassen.
Persönlich bin ich nicht bereit, mich von den sattsam bekannten Lügenmedien in eine grenzdebile Israel-Solidarität hineinmanipulieren zu lassen und blindwütig auf Muslime oder die Hamas einzuprügeln. Der Verstand verlangt, sich zu informieren, kühlen Kopf zu bewahren und bei allem das Interesse Deutschlands – nicht Israels, Brüssels oder Washingtons – im Blick zu behalten. Im übrigen ist es gar nicht so schwer, sich seinen eigenen Reim zu machen. Der ohnehin von mir geschätzte türkische Präsident Erdogan erklärte jüngst erfreulich unbefangen:
Die Hamas ist keine terroristische Organisation. Die Hamas ist eine Befreiungsgruppe, die kämpft, um ihr Land und ihr Volk zu schützen.
So kann man es auch sehen. Denkverbote sind in jede Richtung inakzeptabel. Merke: die „Bild“-Zeitung lügt grundsätzlich.
Wir sind uns einig darüber, daß wir auch arabische Randalierer nicht in Deutschlands Städten wollen. Es ist aber kontraproduktiv, jetzt Öl ins Feuer zu gießen. Die Drahtzieher sind hinlänglich bekannt, die uns nicht nur gegen Rußland, sondern gerne auch noch gegen den Islam in Stellung bringen würden, weil sie uns ohnehin den Garaus machen wollen.
Es ist bestürzend, wie viele Landsleute, auch aus dem vermeintlich „patriotischen“ Lager, darauf hereinfallen und plötzlich ihren degenerierten Ersatzpatriotismus an Israel ausleben zu müssen glauben. Ob Reichelt, Röpcke, Merz oder Teile der AfD: es ist unappetitlich.
Das Vernünftigste, was bislang zum Gaza-Konflikt zu hören war, kam jüngst von Putin. Er machte dieser Tage bei einem Treffen mit den Führern der russischen Religionsgemeinschaften einige grundsätzliche Bemerkungen, die man zur Kenntnis nehmen sollte. Putin sieht in den aktuellen Konflikten, insbesondere im Gewaltausbruch im Nahen Osten, eine Strategie des Westens, der Intoleranz und religiösen Haß schüre, um die Welt zu „teilen und zu erobern“ und die „Neue Weltordnung“ aufrechtzuerhalten. „Islamophobie, Antisemitismus und Russophobie“ würden als Waffen gegen die multipolare Welt eingesetzt.
Wörtlich:
Der Westen sieht, daß der Prozeß der Schaffung einer multipolaren Weltordnung an Dynamik gewinnt. Und sie nutzen die gleichen Mittel, um die Entwicklung unabhängiger, souveräner Länder zu unterdrücken und die Mehrheit der Welt zu spalten.
Die Drahtzieher der Entwicklung wollten, daß eine „Epidemie der Gewalt und des Hasses“ nicht nur den Nahen Osten, sondern ganz Eurasien überschwemmt:
Die Muslime werden gegen die Juden aufgehetzt, sie schreien ›Krieg gegen die Ungläubigen‹.
Schiiten stünden Sunniten gegenüber, orthodoxe Christen Katholiken. In Europa verschließe man die Augen vor Blasphemie und Vandalismus gegen muslimische Heiligtümer.
Der Zweck all dieser Maßnahmen besteht darin, die Instabilität in der Welt zu erhöhen, Kulturen, Völker und Weltreligionen zu spalten und einen Konflikt der Zivilisationen zu verursachen, sagte Putin und unterstrich: Inzwischen sprechen sie von einer Art ›neuer Weltordnung‹, deren Wesen sich nicht geändert hat: Heuchelei, Doppelmoral, Forderungen nach Exklusivität, globale Dominanz, Aufrechterhaltung eines im wesentlichen neokolonialistischen Systems.
Im übrigen dürften nach dem
berüchtigten Prinzip der kollektiven Verantwortung unschuldige Menschen nicht für die von anderen begangenen Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden.
Putin ist ohnehin ein kluger Kopf. Tatsächlich wäre es für die Europäer klüger, in diesen Wochen die Beine still zu halten, sich nicht verrückt machen zu lassen und sich endlich auf ihre ureigensten Interessen zu besinnen. Haß und die „Bild“-Zeitung sind denkbar schlechte Ratgeber.