Thierry Meyssan
Es war die wichtigste Information über die Operation „Flut von Al-Aqsa“, aber sie war uns dennoch entgangen. Der Angriff auf Israel wurde nicht von den Hamas-Dschihadisten, sondern von vier vereinten bewaffneten Gruppen durchgeführt. Es ist das erste Mal seit 50 Jahren, daß sich die Palästinenser in Gaza zusammenschließen.
Ob wir es wollen oder nicht, die langen Jahre der Gleichgültigkeit des Westens gegenüber dem Schicksal der Palästinenser gehen zu Ende. Jetzt gilt es, das Völkerrecht anzuwenden.
Im Gegensatz zu dem, was ich letzte Woche auf der Grundlage von Meldungen westlicher und arabischer Nachrichtenagenturen, die von der israelischen Militärzensur gefiltert wurden, geschrieben habe, wurde der Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 (Operation „Flut von Al-Aqsa“) nicht von der Hamas allein verübt. Seine Auslösung wurde von einer einheitlichen Operationskammer des gesamten palästinensischen Widerstands beschlossen. Die Hamas, die bei weitem den größten Teil der Truppen stellte, war an der Aktion beteiligt, aber auch drei andere Gruppen:
– der Islamische Dschihad (sunnitisch und khomeinistisch),
– die Volksfront für die Befreiung Palästinas (marxistisch).
– und die Volksfront für die Befreiung Palästinas-Generalkommando (PFLP-GC).
Die westliche Presse berichtete über die barbarischen Verbrechen, die einige der Angreifer begangen hatten, aber nicht über das Respektverhalten einiger anderer. Nach Überprüfung sind die Anschuldigungen, daß Babys vergewaltigt und enthauptet worden seien [1], Kriegspropaganda. Dieser einäugige und verlogene Journalismus darf uns nicht mehr überraschen.
Diese Präzisierung verändert die Interpretation des Ereignisses. Es handelt sich nicht mehr um eine dschihadistische Operation der Muslimbruderschaft, sondern um einen Angriff aller Palästinenser in Gaza. Nur die Fatah im Westjordanland, die sich von den oben genannten Gruppen fernhält und deren Präsident Mahmoud Abbas schwer krank ist, nahm nicht daran teil.
Das Ziel der Operation war nicht, „Juden zu töten“, auch wenn einige Hamas-Dschihadisten dies taten (die Israelis zählen insgesamt 2700 Tote), sondern Gefangene – Zivilisten und Soldaten – zu machen, um sie mit arabischen Gefangenen in israelischen Hochsicherheitsgefängnissen auszutauschen [2]. Bei diesen handelte es sich nicht unbedingt um Kämpfer, sondern auch um Zivilisten. Die Gefangenen wurden abgeführt, ohne sich umziehen zu können, um an die Art und Weise zu erinnern, wie die israelische Armee ägyptische Gefangene am Ende des Sechstagekriegs behandelt hatte.
Zur Erinnerung: Im israelisch-palästinensischen Konflikt stehen sich nicht zwei Staaten gegenüber (der israelische hat immer noch keine Grenzen und der palästinensische wird immer noch nicht anerkannt), sondern zwei Bevölkerungsgruppen. Es handelt sich um eine besondere Situation: Die Palästinenser werden nicht durch einen Staat vertreten und die Israelis haben als Besatzungsmacht zusätzliche Verantwortung.
Diese Ereignisse kommen zu einem Zeitpunkt, als am 15. Mai 2023 der Golfkooperationsrat, die Gruppe der 77, die Liga der Arabischen Staaten, die Organisation für Islamische Zusammenarbeit und China die Suspendierung Israels von den Vereinten Nationen forderten, solange Tel Aviv seine eigenen Verpflichtungen nicht erfüllt [3].
Hat die Operation „Al-Aqsa Flut“ Israel überrascht?
Entgegen den Behauptungen der Koalitionsregierung von Benjamin Netanjahu hat die „Flut von Al-Aqsa“ Israel nicht überrascht. Der Angriff war seit den Zusammenstößen im Mai 2021 geplant.
Laut CNN bildete die Hamas ihre Kämpfer eineinhalb Jahre lang für diese Operation aus [4]. Sie baute sechs Trainingslager in Gaza und drehte dort Werbefilme. Videos von diesen Trainings wurden Wochen vor dem Angriff veröffentlicht. [5]
Im März 2023 schickte die Hamas eine starke Delegation nach Rußland. Bei dieser Gelegenheit warnte sie den russischen Außenminister Sergey Lavrov, daß ihre Geduld am Ende sei und daß ihr Zorn „auf dem Vormarsch“ sei.
Im Jahr 2023 organisierte der Iran Gespräche zwischen den verschiedenen Unabhängigkeitskräften in der Region, der Hisbollah, dem Islamischen Dschihad und der Hamas. Sie fanden in Beirut (Libanon) unter dem Vorsitz von General Ismail Qaani, dem Kommandeur der Al-Quds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden, statt. Sie hatten zum Ziel, diese Akteure, die sich in Gaza und später in Syrien einen erbitterten Krieg geliefert hatten, miteinander zu versöhnen. Die Treffen wurden im Mai 2023 öffentlich bekannt gegeben. Bei dieser Gelegenheit berichtete die libanesische Presse über die Vorbereitung der einheitlichen Operation, die am 7. Oktober durchgeführt wurde. Der Iran ist somit für die Versöhnung der palästinensischen Fraktionen verantwortlich.
Am 30. Oktober telefonierte der ägyptische Geheimdienstminister Kamel Abbas mit dem israelischen Premierminister, um ihn vor einer größeren Operation der Hamas gegen Israel zu warnen [6]. Ägypten, das die Muslimbruderschaft bekämpft, war besorgt, daß Israel sie weiter wachsen lassen würde.
Am 5. Oktober warnte die CIA den Mossad vor einer größeren Operation des vereinigten palästinensischen Widerstands. Die Vereinigten Staaten waren über deren Ausmaß beunruhigt. Laut der ›New York Times‹ wurde in den CIA-Berichten (28. September und 5. Oktober), die noch immer als Verschlußsache eingestuft waren, jedoch nicht erwähnt, daß der palästinensische Widerstand neue Kampftechniken einsetzte. Der israelische Geheimdienst hielt daraufhin eine Sitzung ab, um die Bedrohung zu bewerten. Der Shin Bet (Spionageabwehr) und Amman (Militärischer Nachrichtendienst) nahmen daran teil.
Premierminister Benjamin Netanjahu und sein Büro logen also ihre Bürger an, indem sie behaupteten, von der Hamas überrascht worden zu sein.
Warum hat Israel seine eigenen Leute töten lassen?
Es gibt mehrere mögliche Hypothesen. Hier sind vier davon:
1. Die illegal im Westjordanland ansässigen Siedler sind in der israelischen Koalitionsregierung allgegenwärtig. Sie waren taub und blind für das, was sich in Gaza abspielte.
2. Benjamin Netanjahu knüpfte an die Ideologie seines Vaters Benzion Netanjahu und dessen Mentor, dem Ukrainer Vladimir Jabotinsky, an und wollte die palästinensische Präsenz sowohl in Gaza als auch im Westjordanland beenden. Er beschrieb das geografische Palästina als „ein Land ohne Volk, für ein Volk ohne Land“.
3. Benjamin Netanjahu knüpfte an ein altes Projekt an und wollte einen Vorwand für einen Krieg gegen den Iran schaffen, um Israels Einfluß im Nahen Osten auszuweiten.
4. Die US-amerikanischen Anhänger von Leo Strauss wollten einen Vorwand schaffen, um einen umfassenderen Krieg gegen Rußland zu rechtfertigen, und setzten damit fort, was sie in der Ukraine bereits getan hatten.
Diese vier Hypothesen schließen einander weder aus noch sind sie erschöpfend.
Die Parallele zum 11. September
Die israelische Führung hat eine Parallele zwischen der offiziellen Version des Hamas-Angriffs und der offiziellen Version der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA gezogen. Es geht ihnen darum, die Barbarei des Gegners und die Überraschung des Lagers des Guten hervorzuheben und die darauf folgenden Kriege zu rechtfertigen.
Diese Parallele speist sich aus der Tatsache, daß die Hamas behauptet, der palästinensische Ableger der Muslimbruderschaft zu sein, während Osama Bin Laden von Mohammad Qutb, dem Blutsbruder des Vordenkers der Bruderschaft, Sayyid Qutb, ausgebildet wurde.
Diese Parallele ist nicht haltbar: Es ist unmöglich, daß die Anschläge vom 11. September von al-Qaida verübt wurden. Niemals waren die US-Behörden in der Lage, auf meine Einwände [7] gegen ihre Version zu antworten. Darüber hinaus sind seit diesen Ereignissen neue Beweise aufgetaucht, die der Regierung von Präsident George W. Bush widersprechen. Heute glauben 54 Prozent der US-Amerikaner nicht an die Version der Untersuchungskommission des Präsidenten.
Während jedoch noch immer nicht genau bekannt ist, wer die Anschläge vom 11. September organisiert hat, wurde eine Gruppe identifiziert, die darin verwickelt ist: das Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert. Nun ist eines ihrer wichtigsten Mitglieder, Elliott Abrams, der Organisator des Regimewechsels, den Benjamin Netanjahu in Israel vollzogen hat und den seine Opposition als „Staatsstreich“ bezeichnet hat [8]. Nun hat dieser Mann eine lange kriminelle Vergangenheit (er ist unter anderem in den Völkermord an den Maya verwickelt, der von dem israelischen Terroristen Yitzhak Shamir und dem guatemaltekischen General Efraín Ríos Montt organisiert wurde [9]. Er wurde in den USA wegen seiner Lügen [10] und wegen seiner Rolle in der Iran-Contra-Affäre verurteilt), kann man sich berechtigterweise die Frage stellen, ob er bei der Passivität Israels gegenüber den Angriffsvorbereitungen der Hamas eine Rolle gespielt hat.
Im vergangenen Juli ernannte Präsident Joe Biden den umstrittenen Republikaner zum Mitglied des parteiübergreifenden US-Beratungsausschusses für öffentliche Diplomatie, d. h. zur Aufsicht über die US-Propaganda in der Welt.
Wer hat die Hamas bewaffnet?
Eine so ausgeklügelte Operation setzt Mittel und Informationen voraus, über die nur ein Staat verfügen kann. Die Waffen, die er benutzte, stammten aus den USA, der Sowjetunion und Nordkorea. Sie zirkulieren im Libanon und in Palästina.
Es wurden drei Hypothesen aufgestellt:
1. Die Hypothese einer iranischen Verantwortung muß aufgrund der Vereinbarung zwischen Hassan el-Banna, dem Gründer der Muslimbruderschaft, und Rouhollah Khomeini, dem Gründer der Islamischen Republik Iran, zurückgewiesen werden. Im übrigen hat der Iran bereits vehement jegliche Verantwortung gegenüber den Vereinten Nationen bestritten. Dies ist jedoch die von Elliott Abrams [11] vertretene Theorie. Der Iran ist nicht für die „Sintflut von Al-Aqsa“ verantwortlich, sondern für die Versöhnung der palästinensischen Fraktionen.
2. Für die Annahme einer russischen Verantwortung gibt es keine Beweise. Man kann höchstens anmerken, daß der Palästina-Konflikt Mittel des Westens absorbieren und somit den Druck auf Rußland in der Ukraine verringern wird. Ebenso ist ein für Moskau günstiger Anstieg der Ölpreise zu erwarten. Rußland hat jedoch nicht die Mittel, eine neue Front zu eröffnen, während es in der Ukraine kämpft. Außerdem hat Moskau seit der Gründung der Russischen Föderation immer wieder Milizen bekämpft, die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen sind. Dies ist jedoch die Theorie, für die der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskij am 11. Oktober vor den 31 Verteidigungsministern der NATO in Brüssel plädierte [12]. Der israelische Verteidigungsminister Yoav Galant sprach während des Treffens per Videoübertragung im gleichen Sinne [13].
3. Die Hypothese einer türkischen Verantwortung bleibt hingegen bestehen. Abgesehen davon, daß Präsident Recep Tayyip Erdoğan den letzten Hamas-Kongreß in Istanbul veranstaltete, wohnen die wichtigsten Führungskräfte der Hamas heute in der Türkei, während sich die der Muslimbruderschaft als internationale Organisation zwischen Großbritannien, Katar und der Türkei aufteilen.
Da US-Außenminister Antony Blinken wußte, daß die CIA die Vorbereitungen für die Hamas-Operation verfolgte, telefonierte er in der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober [14] mit seinem türkischen Amtskollegen und ehemaligen Geheimdienstchef Hakan Fidan, also genau zu dem Zeitpunkt, als die Hamas ihren Angriff startete, und noch bevor die israelische Armee aufwachte. Anschließend telefonierte Antony Blinken mit seinen Amtskollegen in Israel und Palästina, dann wieder [15] und wieder [16] mit der Türkei.
Schließlich enthüllte Sekretär Loyd Austin auf dem Gipfeltreffen der NATO-Verteidigungsminister, daß die USA die Türkei gebeten hätten, sich für die Freilassung der US-Geiseln einzusetzen. Er sagte jedoch nicht, ob diese Entscheidung vor oder nach der Entsendung der Marinegruppe USS Gerald Ford getroffen worden war.
Was sagt das internationale Recht über den israelisch-palästinensischen Streit?
Laut den Vereinten Nationen haben die Palästinenser das Recht auf einen souveränen Staat in den Grenzen von 1967 mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Diese Formel impliziert folgendes:
– Der Staat Palästina hat das Recht, über eine eigene Armee zu verfügen (wogegen sich Israel unerbittlich wehrt) ;
– Alle jüdischen Siedlungen nach 1967 und Ostjerusalem müssen an den Staat Palästina zurückgegeben werden.
– Jeder Palästinenser oder Rechtsnachfolger soll das Recht haben, nach Israel zurückzukehren und sich dort niederzulassen (Recht auf Rückkehr). Israel muß diejenigen entschädigen, deren Eigentum verwertet oder zerstört wurde.
Laut den Vereinten Nationen haben die Israelis das Recht auf einen souveränen Staat in den Grenzen von 1967 mit Westjerusalem als Hauptstadt. Diese Formel impliziert, daß :
– Israel das Recht auf eine eigene Armee hat (worüber es bereits verfügt).
– Alle jüdischen Siedlungen nach 1967 und Ost-Jerusalem müssen an den Staat Palästina zurückgegeben werden. Es ist nicht unmöglich, daß Israelis weiterhin dort wohnen, aber nur als Ausländer.
– Israel muß jedem Palästinenser oder Rechtsnachfolger, der 1948 vertrieben wurde, das Aufenthaltsrecht gewähren, wenn er darum bittet. Israel muß ihnen ihr Eigentum zurückgeben oder sie entschädigen (Recht auf Rückkehr).
Ursprünglich sollten diese beiden Staaten (Palästina und Israel) in einem supranationalen Doppelstaat föderiert werden, in dem jeder Bürger über eine gleichberechtigte Stimme verfügt. Dies ist derzeit offensichtlich nicht möglich. Es wäre denkbar, daß eine internationale Friedenstruppe zwischen die beiden Staaten Palästina und Israel tritt. Auch dies scheint schwierig zu sein. Zum einen, weil niemand einer solchen Truppe angehören möchte, und zum anderen, weil die Vereinten Nationen dies ursprünglich nicht vorgesehen hatten. Diese sahen friedenserhaltende Beobachter vor, aber keine militärische Eingreiftruppe. Schließlich könnte man in Erwägung ziehen, beide Staaten zu entmilitarisieren und ihnen Garantien zu geben, daß sie von ihren Nachbarn nicht angegriffen werden.
Wie ist die Reaktion Israels?
Die Koalition von Benjamin Netanjahu, der jüdische Suprematisten angehören, die mit den muslimischen Suprematisten der Hamas vergleichbar sind, hat im August die Grundgesetze von Israel, einem Staat ohne Verfassung, geändert. Nach Ansicht von Beobachtern, insbesondere der US-amerikanischen Presse, hat die Regierung einen „Staatsstreich“ durchgeführt, indem sie die Unabhängigkeit der Justiz beseitigt hat. Seit mehreren Monaten erschüttern gewaltige Proteste Israel.
Angesichts des Angriffs, dem es ausgesetzt ist, kann Israel nur überleben, wenn es sich bereit erklärt, seine herrschende Klasse zu vereinen. Der ehemalige Ministerpräsident Yair Lapid forderte den Rücktritt der jüdischen suprematistischen Minister, damit er sich an einer Regierung der nationalen Einheit beteiligen kann. Itamar Ben-Gvir (Minister für Innere Sicherheit) und Bezalel Smotrich (Finanzminister) unterstützten, seit sie an der Regierung sind, drei antiarabische Pogrome, darunter das in Huwarrah [17]. Der ehemalige Verteidigungsminister, General Benny Gantz, stellte jedoch nicht die gleiche Bedingung. Letztendlich entschied der amtierende Premierminister, beide in seine Regierung aufzunehmen, ohne die jüdischen Suprematisten abzuberufen. Allerdings setzte er einen Kriegsrat ein, von dem die jüdischen Suprematisten ausgeschlossen waren.
An diesem Punkt kommt die Militärzensur ins Spiel. Sie ist so stark, daß die Informationsministerin Distel-Atbaryan mitten im Krieg zurücktritt.
Es ist nicht möglich, die genaue Zusammensetzung des Kriegsrats zu erfahren, dessen Beratungen sehr hitzig waren. Man weiß nur, daß der Verteidigungsminister, General Yoav Gallant, ganz und gar nicht auf der gleichen Wellenlänge wie sein Vorgänger, General Benny Gantz, ist. Das ging so weit, daß der Premierminister den ehemaligen Generalstabschef General Gadi Eizenkot, einen Befürworter der massiven Bombardierung von Zivilisten, zu Hilfe rief, damit er als Beobachter an den Beratungen des Rates teilnimmt. Auf keinen Fall dürfen die Israelis und der Rest der Welt erfahren, wie die einen oder anderen auf Benjamin Netanjahus Passivität gegenüber der Vorbereitung der Operation „Flut von Al-Aqsa“ und den ersten Stunden ihrer Durchführung reagieren. Ebenso weiß niemand, was der Kriegsrat beschlossen hat. Selbst der Vorsitzende Isaac Herzog wurde von den Beratungen ferngehalten.
Offenbar ging es in den Debatten um die Vertreibung nach Ägypten oder das Massaker an den zwei Millionen Bewohnern des Gazastreifens. Aus diesem Grund reiste US-Außenminister Antony Blinken eilig nach Tel Aviv, um zur Ruhe aufzurufen.
Wie können sich die Dinge entwickeln?
Das Völkerrecht räumt Israel das Recht ein, sich gegen einen Angriff auf sein Land zu verteidigen. Dies tat es fünf Tage lang, indem es die Angreifer jagte, die in sein Hoheitsgebiet eingedrungen waren. Anschließend begann Israel mit der Belagerung von Gaza, während die israelische Armee Gaza-Stadt (aber nicht den südlichen Teil des Gazastreifens) bombardierte. Diese Operation verstößt erneut gegen das Völkerrecht. Wenn man davon ausgehen kann, daß Israel ein Folgerecht der palästinensischen Kämpfer in Gaza hat, sind die Belagerung des Gazastreifens und die Bombardierung von Zivilgebäuden Kriegsverbrechen. Auf einer Pressekonferenz wurde deutlich, daß der israelische Präsident Isaac Herzog nicht weiß, was seine Armee vorhat.
Unter Berufung auf die Position der Arabischen Liga seit dem Sechstagekrieg schloß Ägypten seine Grenze zum Gazastreifen. Die Liga will die palästinensischen Forderungen unterstützen und lehnt daher jeden Bevölkerungstransfer und jede Einbürgerung ab. Außerdem will Kairo nicht die Verantwortung für 2 Millionen Einwanderer übernehmen und vor allem nicht für die Hamas, deren Mutterorganisation, die Muslimbruderschaft, in Ägypten verboten ist.
Die israelische Armee hält sich bereit, um den Gazastreifen erneut zu besetzen. Sie sammelt sich rundherum. Die Besetzung des Gazastreifens würde einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellen, während ein Krieg zur Aufstandsbekämpfung an sich ein Kriegsverbrechen wäre.
Die USA haben Waffen und Munition nach Israel verschifft. Sie haben eine Marinegruppe vor Gaza stationiert (den Flugzeugträger USS Gerald Ford, den Lenkwaffenkreuzer USS Normandy und die vier mit Lenkwaffen bestückten Zerstörer USS Thomas Hudner, USS Ramage, USS Carney und USS Roosevelt) und anschließend eine zweite Marinegruppe (den Flugzeugträger USS Eisenhower, den Lenkwaffenkreuzer USS Philippine Sea und die drei mit Lenkwaffen bestückten Zerstörer USS Laboon, USS Mason und USS Gravely). Dennoch riefen sie Israel zur Zurückhaltung auf.
Es scheint unmöglich, daß Israel das Projekt von Wladimir Jabotinsky zu Ende führen und den Gazastreifen gewaltsam von seinen zwei Millionen Einwohnern räumen kann, ohne internationale Intervention, angefangen mit der Hisbollah. Ein Rückzug der Armee ist wahrscheinlicher.
Anmerkungen
[1] Quelle der dubiosen Behauptung über „enthauptete Babys“ ist ein israelischer Siedlerführer, der zu Unruhen aufrief, um ein palästinensisches Dorf „auszulöschen“, Max Blumenthal & Alexander Rubinstein, The Gray Zone, 11. Oktober 2023.
[2] “ ›Streng geheime‹ Hamas-Dokumente zeigen, daß Terroristen absichtlich Grundschulen und ein Jugendzentrum angriffen“, Anna Schecter, NBC, 13. Oktober 2023.
[3] „La participation d’Israël à l’Onu pourrait être suspendue pour non-respect de ses engagements“, Voltaire, actualité internationale – N°41 – 19 mai 2023.
[4] „Hamas militants trained for its deadly attack in plain sight and less than a mile from Israel’s heavily fortified border“ by Paul P. Murphy, Tara John, Brent Swails & Oren Liebermann, CNN, October 12, 2023. „Hamas-Propagandavideos enthüllen verblüffende Details, die zu einem Angriff auf Israel führen“, Anderson Cooper 360, CNN, 13. Oktober 2023.
[5] „Hamas übte in der Öffentlichkeit, postete Video von Scheinangriff Wochen vor Grenzdurchbruch“, Canadian Press, Oktober 13, 2023.
[6] „Der ägyptische Generaldirektor des Geheimdienstes warnte Netanjahu angeblich vor ›etwas Heftigem aus Gaza‹“, Smadar Perry, YNetNews, 10. Oktober 2023. „Was lief schief? Fragen über Israels Geheimdienstfähigkeiten nach Hamas-Angriff „, Tia Goldenberg, Associated Press, 9. Oktober 2023.
[7] L’Effroyable imposture suivi du Pentagate, Thierry Meyssan, Demi-Lune (2002).
[8] „The U.S. Right-wing Group Behind a Conservative Legal Revolution in Israel“, Nettanel Slyomovics, Ha’arets, 30. Januar 2023. “ Le coup d’État des straussiens en Israël „, Thierry Meyssan, Réseau Voltaire, 7 März 2023.
[9] „Israeli Connection Not Just Guns for Guatemala“, George Black, NACLA Report on the Americas, 17:3, pp. 43-45, DOI : 10.1080/10714839.1983.11723592
[10] Das Massaker von El Mozote: Menschenrechte und globale Auswirkungen, Leigh Binford, University of Arizona Press, 2016.
[11] „The Hamas Attack on Israel Couldn’t Have Happened Without Iran“, Elliott Abrams, Newsweek, 12. Oktober 2023.
[12] „Volodymyr Zelenskyy rief in Brüssel die führenden Politiker der Welt dazu auf, das Volk Israel zu unterstützen“, Präsidentschaft der Ukraine, 11. Oktober 2023.
[13] „Déclaration du secrétaire général de l’Otan : „Israël n’est pas seul“, Organisation du Traité de l’Atlantique-Nord, 12 Oktober 2023.
[14] „Telefonat von Minister Blinken mit dem türkischen Außenminister Fidan“, Außenministerium, 6. Oktober 2023. NB : Il y a sept heures de décalage entre Israël et Washington. Vu des États-Unis l’opération du Hamas a débuté le 6 octobre vers 23 h.
[15] „Secretary Blinken’s Call with Turkish Foreign Minister Fidan“, Department of State, 7. Oktober 2023.
[16] „Secretary Blinken’s Call with Turkish Foreign Minister Fidan“, Außenministerium, 8. Oktober 2023.
[17] „400 colons israéliens détruisent un village palestinien“, Voltaire, actualité internationale – N°30 – 3 März 2023.