Alexander Dugin
analysiert die jüngste Eskalation im Nahen Osten und untersucht ihre geopolitischen Auswirkungen und möglichen globalen Folgen.
Am 7. Oktober 2023 begann die palästinensische Hamas-Bewegung mit Militäraktionen gegen Israel. Israelische Städte und Siedlungen, die an den Gaza-Streifen grenzen, wurden angegriffen. Der militärische Flügel der Hamas erklärte, er habe während der Operation mehr als fünfzig israelische Militärstellungen angegriffen und fünfunddreißig israelische Soldaten und Siedler gefangen genommen. Der israelische Verteidigungsminister erklärte, die Hamas-Bewegung habe seinem Land den Krieg erklärt.
Daraufhin kündigte die israelische Armee den Beginn einer „Anti-Terror-Operation“, der „Operation Eiserne Schwerter“, im Gazastreifen an. Über ganz Israel wurde der Ausnahmezustand verhängt.
Die Eskalation in Israel könnte einen Dominoeffekt auslösen. Die Palästinenser haben in einem solchen Krieg keine Chance, da sie Israel nicht zerstören oder ihm eine bedeutende militärische Niederlage zufügen können.
Doch Israel hat auch nichts, wofür es kämpfen könnte. Formal ist Palästina ein Gebiet Israels, das es nicht kontrolliert und unter keinen Umständen kontrollieren kann. Es ist auch unmöglich, alle Palästinenser physisch auszurotten.
In einer anderen internationalen Situation könnten die Palästinenser auf die Sympathie der globalen linken Gemeinschaft hoffen, aber die USA werden von Neokonservativen und Globalisten geführt. Sie kümmern sich nicht um die Palästinenser. Allerdings sind sie auch nicht ganz einverstanden mit der nationalistischen Politik Israels.
Aber gerade der Dominoeffekt – und vor allem das Verhalten islamischer Staaten (vor allem Iran, Türkei, Saudi-Arabien, andere Golfstaaten und Ägypten) – könnte hier die logische Fortsetzung sein. Zumindest könnte dies die Strategie der Hamas gewesen sein, als sie beschloß, den Konflikt zu beginnen.
Die Multipolarität nimmt zu, und die Intensität der westlichen Hegemonie in nicht-westlichen Ländern nimmt ab. Die Verbündeten des Westens in der islamischen Welt – vor allem die Türkei und die Saudis – befolgen nicht automatisch jede Anweisung aus Washington. In dieser Situation wird der islamische Pol, der kürzlich den BRICS beigetreten ist, auf die Probe gestellt.
Natürlich kann sich der Konflikt auf andere Gebiete ausweiten. Die Beteiligung des Iran und der Hisbollah ist nicht ausgeschlossen, was zu militärischen Operationen im Libanon und in Syrien führen könnte. Außerdem gibt es innerhalb Israels viele Palästinenser, die einen tief sitzenden Haß gegen Juden hegen. All dies kann unvorhersehbare Folgen haben.
Meines Erachtens werden die USA und die Globalisten nun versuchen, die Situation zu beruhigen, da sie aus einer weiteren Eskalation keinen Nutzen ziehen können.
Außerdem sind die Analogien zwischen Separatismus, Irredentismus usw. in verschiedenen Regionen der Welt nicht mehr gültig. Der Westen erkennt sowohl die territoriale Einheit als auch das Recht der Nationen auf Sezession an, wenn es ihm paßt, und er lehnt es ab, wenn es nicht in seinem Interesse ist. Es gibt keine Regeln. Im Grunde genommen sollten auch wir die gleiche Haltung einnehmen (was wir ja auch tun). Was immer uns nützt, ist richtig.
Im israelisch-palästinensischen Konflikt ist es für Rußland – zumindest im Moment – schwierig, sich nur für eine Seite zu entscheiden. Jede Konstellation hat ihre Vor- und Nachteile. Rußland unterhält seit langem Beziehungen zu den Palästinensern, und diese sind zweifellos Opfer. Die rechte Fraktion Israels ist jedoch auch bestrebt, eine neutral-freundliche Politik gegenüber Rußland zu verfolgen. Diese Haltung weicht von der offenen und unmißverständlichen Russophobie des kollektiven Westens ab.
Vieles wird nun davon abhängen, wie sich die weiteren Ereignisse entwickeln.
Und natürlich darf man die eschatologische Dimension der Ereignisse nicht übersehen. Die Palästinenser nannten ihre Operation „Sturm auf die Al-Aqsa“ und wiesen damit auf die zunehmenden Spannungen rund um Jerusalem und die (für Israel) messianische Aussicht auf die Errichtung des ›Dritten Tempels‹ auf dem Tempelberg hin (was ohne die Zerstörung der Al-Aqsa-Moschee, eines wichtigen islamischen Heiligtums, unmöglich ist). Die Palästinenser zielen darauf ab, die eschatologische Sensibilität der Muslime zu wecken – sowohl der Schiiten, die dafür immer empfänglicher sind, als auch der Sunniten (denn auch ihnen sind die Themen des Weltuntergangs und der letzten Schlacht nicht fremd). Für die Muslime stellen Israel und der Zionismus den Dajjal dar [vergleichbar mit dem Antichristen in der christlichen Tradition].
Wir werden bald sehen, wie ernst dies genommen wird. In jedem Fall aber ist klar, daß jeder, der die Eschatologie ignoriert, die moderne Geopolitik nicht versteht. Und das nicht nur im Nahen Osten, obwohl es dort am offensichtlichsten ist.
Unterdessen hat das Außenministerium von Katar erklärt, daß nur Israel die Verantwortung für die Eskalation trägt, die durch die ständige Verletzung der Rechte der Palästinenser entstanden ist. Die Hisbollah kündigte an, in den Krieg einzutreten, falls Israel eine Bodenoffensive im Gaza-Streifen startet. Und der ›Nationale Sicherheitsrat‹ Israels hat soeben die Durchführung einer solchen Operation genehmigt.
Die Lage in Palästina wird immer ernster. Wichtig ist die Unterstützung durch den Iran und Katar, die arrogante Haltung der Türkei gegenüber Israel und die Bereitschaft der Hisbollah, eine zweite Front zu eröffnen. Und vor allem: die Dauer und das Ausmaß des Krieges. Ein Tag ist schon viel für eine so angespannte Situation. Und wenn sie in nächster Zukunft anhält, wird sie sich unweigerlich ausweiten. Die Juden in Israel befanden sich von Anfang an in einer brenzligen Situation. Die Existenz Israels beruht auf der Verheißung des Messias. Wenn diese Verheißung in Krisenzeiten nicht eingehalten wird, ist nicht nur Israel in Gefahr, sondern viel mehr. Ist der „Sturm auf Al-Aqsa“ ein solcher Schlüsselmoment? Das ist noch unklar. Die Aufmerksamkeit ist von den Banderisten in Kiew abgelenkt worden. Es ist höchste Zeit für uns zu handeln.
Vielleicht ist der mutige Angriff der Hamas auf Israel der „schwarze Schwan“, der das Gleichgewicht der Kräfte im globalen Spiel verschiebt. Alles scheint zum Stillstand gekommen zu sein, und diese Explosion löst die Spannung. Fünfzig Jahre nach dem Sechs-Tage-Krieg. Auch dies ist Teil der Kriege Jehovas.
Was das israelische Atomwaffenarsenal betrifft, so ist es kein Allheilmittel. Selbst wenn Israel es einsetzen würde, was würde dann aus der großen Zahl verärgerter Araber? Der wichtigste Punkt ist, daß die USA mit ihrer globalen Führungsrolle kategorisch versagt haben. Die UdSSR gibt es nicht mehr. Niemand, selbst wenn er wollte, kann den Juden und Arabern sagen, sie sollen sich beruhigen. Inzwischen haben Soros‘ Linksliberale nichts Besseres zu tun, als gegen die rechten Zionisten in Israel zu kämpfen. Da der Krieg andauert und alle darin umkommen, ist es nur natürlich, daß er nicht nur die Ostslawen betrifft, sondern auch alle anderen. In diesem Szenario kämpfen beide Seiten für etwas Unerreichbares.
Stellen Sie sich vor, Israel würde zusammen mit dem kollektiven Westen einen groß angelegten Krieg mit dem Islam beginnen. Aber dann sind da noch Rußland, China, Indien und die BRICS. Sie werden dem Westen sicherlich nicht bedingungslos folgen. Sie werden unabhängig handeln. Und wo das Gewebe dünn ist, wird es reißen. Nach der Gründung der ›Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit‹ wissen wir, wo unsere Schwachstellen liegen. Und wir ziehen unsere Schlüsse daraus. Jetzt sind die anderen an der Reihe.
PS: Die russische Elite bietet im Moment ein fantastisches Schauspiel. Ein Drittel ist antizionistisch eingestellt und freut sich über den palästinensischen Aufstand. Ein weiteres Drittel ist pro-zionistisch, denn die israelische Rechte ist tolerant gegenüber Putin und der militärischen Sonderoperation. Sie versammeln sich, um Israel zu verteidigen. Das letzte Drittel sind die Globalisten, die den ›Council on Foreign Relations‹ und Biden unterstützen, aber es ist nicht klar, was sie sagen und tun sollen. Schließlich ist Soros gegen Israel, aber sie sind für Soros (grob gesagt). Welche Haltung wird sich durchsetzen? Vielleicht, wie üblich, alle drei gleichzeitig.