Am 26. April 1840 erscheint im ›Hannoverschen Volksblatt‹ die von Wilhelm Schröder überarbeitete niederdeutsche Tierfabel
›Dat Wettlopen twischen den Haasen un den Swinegel op de lütje Haide bi Buxtehude‹
Disse Geschicht is lögenhaft to vertellen, Jungens, awer wahr is se doch! Denn mien Grottvader, von den ick se hew, pleggte jümmer, wenn he se mi vertellde, dabi to seggen: »Wahr mutt de doch sien, mien Söhn, anners kunn man se jo nich vertellen!« De Geschicht hett sick awer so todragen.
Et wöör an eenen schönen Sündagmorgen to’r Harvsttiet, jüst as de Bookweeten bloihde. De Sünn wöör hellig upgaen am Hewen, de Morgenwind güng warm öwer de Stoppeln, de Larken süngen inn’r Lucht, de Immen sumsten in den Bookweeten, un de Lühde güngen in ehren Sündagsstaht nah’r Karken, un alle Kreatur wöör vergnögt, un de Swinegel ook.
De Swinegel awer stünd vör siener Döhr, harr de Arm ünnerslagen, keek dabi in den Morgenwind hinut, un quinkeleer’de en lütjet Leedken vör sick hin, so good un so slecht, as nu eben am leewen Sündagmorgen en Swinegel to singen pleggt. Indem he nu noch so half liese vör sick hin sung, füll em op eenmal in, he künn ook wol, mittlerwiel siene Fro de Kinner wüsch und antröcke, en beeten in’t Feld spazeeren un mal tosehn, wie siene Stähkröwen stünden. De Stähkröwen wöören awer de nöchsten bi sienem Huuse, un he pleggte mit siener Familie davon to eten, darüm sahg‘ he se as de sienigen an. Gesagt, gedahn.
De Swinegel maakde de Huusdöhr achter sick to un slög den Weg nah’n Felde in. He wöör noch nich gans wiet von Huuse, un wull jüst üm den Stühbusch, de da vör’n Felde liggt, nah den Stähkröwen-Acker hinupdreien, as em de Haas‘ bemött, de in ähnlichen Geschäften uutgahn wöör, nämlich um sienen Kohl to besehen.
As de Swinegel den Haasen ansichtig wöör, so böhd‘ he em en fründlichen »Go’n Morgen!« De Haas‘ awer, de up siene Wies‘ en vörnehmer Herr was, un grausam hochfahrtig dabi, antwoorde nicks up den Swinegel sienen Gruhß, sondern seggte to’m Swinegel, wobi he en gewaltig höhnische Miene annöhm:
»Wie kummt et denn, datt Du hier all bi so fröhem Morgen im Felde rumlöppst?«
»Ick gah spazeeren«, seggt‘ de Swinegel.
»Spazeeren!?« lachde de Haas‘, »mi dücht, Du kunnst de Been‘ ook wol to betern Dingen gebruuken!«
Disse Antwoord verdrööt den Swinegel ungeheuer, denn alles kunn‘ he verdreegen, awer up siene Been‘ leet he nicks komen, eben, wiel se von Natur scheef wöören.
»Du bildst Di wol in«, seggt‘ nu de Swinegel to’m Haasen, »as wenn Du mit Diene Been‘ mehr uutrichten kannst?«
»Dat denk ick«, seggt‘ de Haas‘.
»Dat kummt up’n Versöök an«, meent‘ de Swinegel, »ick pareer, wenn wi in den Wett‘ loopt, ick loop Di vörbi!«
»Dat is tum Lachen, Du mit Diene scheefen Been’«, seggt‘ de Haas‘, »awer mienetwegen mag’t sien, wenn Du so öwergroote Lust hest. Wat gilt de Wett‘?«
»En gold’ne Lujedor un’n Buddel Brannwien!« seggt‘ de Swinegel.
»Angenahmen!« spröök de Haas‘, »sla in, un denn kann’t gliek losgahn.«
»Nä, so groote Ihl hett et nich«, meent‘ de Swinegel, »ick bün noch ganz nüchdern; eerst will ick to Huus gahn un en beten fröhstücken; in’ner halwen Stünd‘ bün ick wedder hier up’n Platz.«
Damit güng de Swinegel, denn de Haas‘ wöör et tofreden. Ünnerwegs dachde de Swinegel bi sick: »De Haas‘ verlett sick up siene langen Been, awer ick will em wol kriegen; he ist zwar en vörnehm Herr, awer doch man’n dummen Keerl, un betahlen sall he doch!«
As nu de Swinegel to Huuse ankööm, spröök he to sien Fro: »Fro, treck Di gau an, Du must mit mi na’hn Felde hinut!«
»Wat givt et denn?« seggt‘ sien Fro.
»Ick hew mit’n Haasen wett’t üm’n gold’ne Lujedor un’n Buddel Brannwien; ick will mit em inne Wett‘ loopen, un da sallst Du mit dabi sien!«
»O, mien Gott, Mann!« füng‘ nu den Swinegel sien Fro an to schreen, »büst Du nich klook, hest Du denn ganz den Verstand verlaarn? Wie kannst Du mit den Haasen in de Wett‘ loopen wollen?!«
»Holt dat Muul, Wief!« seggt‘ de Swinegel, »dat is mien Saak! Resonehr nich in Männergeschäfte. Marsch, treck Di an, un denn kumm mit!«
Wat sull den Swinegel sien Fro maken? Se mußt‘ wol folgen, se mugg nu wollen oder nich!
As se nun mit enander ünnerwegs wöören, spröök de Swinegel to sien Fro: »Nu paß up, wat ick seggen will. Sühst Du, up den langen Acker dar wüll wie unsen Wetloop maken. De Haas‘ löpt nämlich in der eenen Föhr un ick in’ner annern; un von baben fang wi an to loopen. Nu hest Du wieder nicks to dohn, as Du stellst Di hier ünnen in de Föhr, un wenn de Haas‘ up de annere Siet ankummt, so röptst Du em entgegen: ›Ick bün all hier!‹«
Damit wöör’n se bi den Acker anlangt; de Swinegel wiesde siener Fro ehren Platz an un güng nu den Acker hinup. As he baben ankööm, wöör de Haas‘ all da.
»Kann et losgahn?« seggt‘ de Haas‘.
»Ja wol!« seggt‘ de Swingel.
»Denn man to!« un damit stellde jeder sick in siene Föhr; de Haas‘ tellde: »Hahl Een! Hahl Twee! Hahl Dree!« – un los güng he, wie en Stormwind, den Acker hindal.
De Swinegel awer lööp ungefähr man dree Schritt, dann dukde he sick dahl in de Föhr un bleev ruhig sitten.
As nu de Haas‘ in vullem Loopen ünnen am Acker ankööm, röp em den Swinegel sien Fro entgegen: »Ick bün all hier!« De Haas‘ stutzd‘ un verwunderde sick nich wenig; he meende nich anners, as et wöör de Swinegel sülvst, de em dat torööp‘; denn bekanntlich süht den Swinegel sien Fro jüst so uut, wi ehr Mann.
De Haas‘ awer meende: »Dat geiht nich to mit rechten Dingen! Noch mal geloopen! Wedder üm!« Un fort güng he wedder wie en Stormwind, datt em de Ohren am Koppe flögen. Den Swinegel sien Fro awer blev ruhig up ehrem Platze.
As nu de Haas‘ baben ankööm, röp em de Swinegel entgegen: »Ick bün all hier!«
De Haas‘ awer, ganz uuter sick vör Ihwer, schreede: »Noch mal geloopen! Wedder üm!«
»Mi nich to slimm«, antwoorde de Swinegel, »mienetwegen noch so oft, as Du Lust hest.«
So lööp de Haas‘ noch dree un söbentig Mal, un de Swinegel höhl et ümmer mit em uut. Jedes Mal, wenn de Haas‘ ünnen oder baben ankööm, seggten de Swinegel oder sien Fro: »Ick bün all hier!«
Tum veerunsöbentigsten Mal awer kööm de Haas‘ nich mehr to Ende. Midden am Acker stört he to’r Eerde, dat Blod flög em uut’n Halse, un he blev dohd up’n Platze. De Swinegel awer nöhm siene gewunnene Lujedor un den Buddel Brannwien, röp siene Fro uut der Föhr aff, un beide güngen vergnögt mit enanner nah Huus; un wenn se nicht storben sünd, lewt se noch.
So begew et sick, datt up de Buxtehuder Haide de Swinegel den Haasen dohd loopen hett, un siet jener Tied hett et sick keen Haas‘ wedder infallen laten, mit’n Buxtehuder Swinegel in de Wett‘ to loopen.
De Lehre awer uut disser Geschicht is: Erstens, datt Keener, un wenn he sick ook noch so förnehm dücht, sick sall bikomen laten, över’n geringen Mann sick lustig to maken, un wöör’t ook man’n Swinegel; un tweetens, datt et gerahden is, wenn Eener freet, datt he sick ’ne Fro uut sienem Stande nimmt, un de jüst so uutsüht as he sülvst. Wer also en Swinegel is, de mutt tosehn, datt siene Fro ook en Swinegel is; un so wieder!
Anmerkungen
Der Publizist Dr. Wilhelm Schröder (geboren 1808 in Oldendorf bei Stade, gestorben 1878 in Leipzig) veröffentlichte dieses Märchen am 26. April 1840 in dem von ihm herausgegebenen Hannoverschen Volksblatt (No. 51). 1843 nahm Wilhelm Grimm den (von ihm leicht veränderten) Text als No. 187 in die 5. Auflage der »Kinder- und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm« auf. Wilhelm Grimm meinte, daß das Märchen (das bei ihm »Der Hase und der Igel« heißt) aus der »Gegend von Osnabrück« stamme. Das ist Unsinn. Allerdings irrte sich auch Wilhelm Schröder mit seiner Lokalisierung des Geschehens in »Buxtehude«. Tatsächlich stammt der Stoff aus Bexhövede bei Bremerhaven. Aber da Buxtehude nun einmal als Schauplatz des märchenhaften Wettlaufs in die Ewigkeit eingegangen ist, wollen auch wir an der Legende nicht rütteln (was bleibt, stiften nun mal die Dichter – zum Beispiel Wilhelm Schröder).
Quelle:Wilhelm Schröder: Dat Wettloopen twischen den Swinegel un den Haasen up de lütje Haide bi Buxtehude, in: Hannoversches Volksblatt, No. 51 v. 26. 4. 1840
Der Hase und der Igel
Diese Geschichte hört sich ziemlich lügenhaft an, aber wahr ist sie doch, denn mein Großvater, von dem ich sie habe, pflegte immer, wenn er sie behaglich erzählte, dabei zu sagen: „Wahr muß sie doch sein, mein Sohn, sonst könnte man diese auch gar nicht erzählen.“ Die Geschichte aber hat sich wie folgt zugetragen:
Es war einmal an einem Sonntagmorgen zur Herbstzeit, gerade als der Buchweizen blühte: die Sonne war hell am Himmel aufgegangen, der Morgenwind ging warm über die Stoppeln, die Lerchen sangen in der Luft, die Bienen summten im dem Buchweizenfeldern, die Leute gingen in ihrem Sonntagskleidern in die Kirche, und alle Kreaturen war vergnügt, und der Igel auch.
Der Igel aber stand vor seiner Tür, hatte die Arme übereinander geschlagen, schaute dabei in den Morgenwind hinaus und trällerte ein kleines Liedchen, so gut und so schlecht, wie nun eben am lieben Sonntagmorgen ein Igel zu singen vermag. Indem er nun so vor sich hingesungen hatte, fiel ihm auf einmal ein, er könnte doch, während seine Frau die Kinder wüsche und anzöge, ein bißchen im Felde spazieren gehen und nach seinen Steckrüben sehen. Sein Steckrübenfeld war dicht in der Nähe seines Hauses, und er pflegte mit seiner Familie davon zu essen, darum sah er sie als die seinigen an.
Gesagt, getan! Der Igel machte die Haustür hinter sich zu und schlug den Weg zu dem Felde ein.
Er war noch nicht weit vom Hause weg und wollte just um den Schlehenbusch schlendern, der dort vor dem Felde steht, als ihm der Hase begegnete, der in ähnlichen Geschäften ausgegangen war, nämlich, um seinen Kohl zu sehen. Als der Igel den Hasen sah, schenkte er ihm ein freundliches guten Morgen.
Der Hase aber, der auf seine Weise ein vornehmer Herr war, und grausam hochnäsig dabei, antwortete nicht auf des Igels Gruß, sondern sagte zum Igel, wobei er eine gewaltig hohe Miene annahm: „Wie kommt es denn, dass du schon so früh am Morgen im Felde herumläufst?“
„Ich geh spazieren!“ sagte der Igel.
„Spazieren?“ lachte der Hase, „mich deucht, du könntest die Beine auch wohl zu besseren Dingen gebrauchen.“
Diese Antwort verdroß den Igel ungeheuer, denn alles konnte er ertragen, aber auf seine Beine läßt er nichts kommen, eben weil sie von Natur aus schief sind.
„Du bildest dir wohl ein,“ sagte nun der Igel zum Hasen, „daß du mit deinen Beinen mehr ausrichten kannst?“
„Das denke ich“, sagte der Hase.
„Das käme auf einen Versuch an.“ meinte der Igel. „Ich glaube, daß wenn wir einen Wettlauf machen, ich an dir vorbeilaufe.“
„Das ist zum Lachen, du mit deinen schiefen Beinen,“ sagte der Hase, „aber meinetwegen mag es sein, wenn du so übergroße Lust darauf hast. Um was wetten wir?“
„Einen goldenen Louisdor und eine Flasche Branntwein,“ sagte der Igel.
„Angenommen!“ sprach der Hase. „schlag ein, und dann kann es gleich losgehen.“
„Nein, so große Eile hat es nicht.“ meinte der Igel. „Ich bin noch ganz nüchtern; erst will ich nach Hause gehen und ein wenig frühstücken. In einer halben Stunde bin ich wieder auf dem Platz.“
Daraufhin ging der Igel, denn der Hase war zufrieden. Unterwegs dachte der Igel bei sich: Der Hase verläßt sich auf seine langen Beine, aber ich will ihn schon kriegen. Er glaubt zwar, daß er ein vornehmer Herr sei, aber er ist doch nur ein dummer Kerl, und bezahlen soll er doch. Als nun der Igel zu Hause ankam, sprach er zu seiner Frau:
„Frau, zieh dich schnell an, du mußt mit mir aufs Feld hinaus.“
„Was gibt es denn?“ fragte Frau Igel.
„Ich habe mit dem Hasen um einen goldenen Louisdor und eine Flasche Branntwein gewettet, daß ich mit ihm um die Wette laufe, und du sollst mit dabei sein.“
„O mein Gott, Mann,“ fing Frau Igel an zu jammern, „bist du nicht recht gescheit? Hast du denn ganz den Verstand verloren?
Wie kannst du mit dem Hasen um die Wette laufen wollen?“
„Laß es gut sein“, sagte der Igel, „das ist meine Sache. Mach Dir keine Gedanken, zieh dich an und komm mit!“
Was sollte Herr Igels Frau machen? Sie mußte wohl folgen, ob sie nun mochte oder nicht.
Wie sie nun miteinander unterwegs waren, sprach der Igel zu seiner Frau:
„Nun paß auf, was ich dir sagen will. Siehst du, auf dem langen Acker dort wollen wir unseren Wettlauf machen. Der Hase läuft nämlich in der einen Furche und ich in der andern, und von oben fangen wir an zu laufen. Nun hast du nichts weiter zu tun, als dich hier unten in die Furche zu stellen, und wenn der Hase auf der andern Seite ankommt, so rufst du ihm entgegen: Ich bin schon da.“
Damit waren sie beim Acker angelangt. Der Igel wies seiner Frau den Platz an und ging nun den Acker hinauf. Als er oben ankam, war der Hase schon da.
„Kann es losgehen?“ fragte der Hase.
„Jawohl“, erwiderte der Igel.
„Dann also los!“ Und damit stellte sich jeder in seine Furche.
Der Hase zählte: „Eins, zwei, drei!“ und los ging es wie ein Sturmwind den Acker hinunter. Der Igel aber lief nur ungefähr drei Schritte, dann duckte er sich in die Furche und blieb ruhig sitzen.
Als nun der Hase in vollem Lauf unten am Acker ankam, rief ihm Frau Igel entgegen: „Ich bin schon da!“
Der Hase stutzte und verwunderte sich nicht wenig: er meinte nicht anders, als wäre es der Igel selbst, der ihm zurief, denn bekanntlich sieht dem Igel seine Frau just so aus wie ihr Mann.
Der Hase aber meinte: „Das geht nicht mit rechten Dingen zu.“ Er rief: „Noch mal gelaufen, wieder rum!“ Und fort ging er wieder wie ein Sturmwind, daß ihm die Ohren am Kopfe flogen.
Frau Igel blieb indes ruhig auf ihrem Platz stehen. Als nun der Hase oben ankam, rief ihm der Igel entgegen: „Ich bin schon hier!“
Der Hase aber, ganz außer sich vor Eifer, schrie: „Noch einmal gelaufen, wieder rum!“
„Mir recht“, antwortete der Igel, „meinetwegen, so oft du Lust hast.“
So lief der Hase noch dreiundsiebzigmal, und der Igel hielt es immer mit ihm aus. Jedes Mal, wenn der Hase unten oder oben ankam, sagte der Igel oder seine Frau: „Ich bin schon hier.“
Beim vierundsiebzigsten Male aber kam der Hase nicht mehr bis ans Ende. Mitten auf dem Acker stürzte er zur Erde und blieb tot auf dem Platze liegen. Der Igel nahm seinen gewonnenen Louisdor und die Flasche Branntwein, rief seine Frau aus der Furche ab, und beide gingen vergnügt miteinander nach Hause! Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
So begab es sich, daß auf der Buxtehuder Heide der Igel den Hasen tot gelaufen hat, und seit jener Zeit hat es sich kein Hase wieder einfallen lassen, mit dem Buxtehuder Igel um die Wette zu laufen. Die Lehre aber aus dieser Geschichte ist, daß keiner, und wenn er sich auch noch so vornehm ausdrückt, sich über einen geringen Mann lustig mache sollte, und wenn es auch nur ein Igel wäre.
Quelle: Brüder Grimm ›Die schönsten Kinder- und Hausmärchen‹, 7. Auflage (1857)
Beitragsbilderquelle: Illustrationen von Gustav Süs