Sigrid Hunke kam am 26. April 1913 als Tochter eines Verlegers in Kiel zur Welt. Sie studierte ab 1934 systematische und vergleichende Religionswissenschaften, Philosophie, Psychologie und Journalismus in Kiel, Freiburg und Berlin. Unter ihren akademischen Lehrern waren die Philosophen Eduard Spranger und Martin Heidegger, der Psychologe Karlfried Graf Dürckheim, der völkische Theologe Hermann Mandel und natürlich Hunkes Doktorvater Ludwig Ferdinand Clauß, der Begründer der Psycho-Anthropologie oder Rassenseelenkunde. Schon während des Studiums trat Hunke als Autorin hervor und veröffentlichte einen Aufsatz in der Zeitschrift Rasse, dem Organ der ›Nordischen Bewegung‹. Außerdem verfaßte sie für die bedeutendste völkisch-heidnische Religionsgemeinschaft, die ›Deutsche Glaubensbewegung‹, ein internes Schulungspapier zum Thema ›Rassenseelenkunde‹. Der Leiter der Gemeinschaft, Prof. Wilhelm Hauer, zeigte sich angetan und schrieb an Clauß, daß Hunkes Exposé so bald wie möglich zum Einsatz kommen werde. (Bildlegende unten von li.: Spranger, Heidegger, Dürckheim, Mandel, Clauss)
Zur gleichen Zeit engagierte sich die hochgewachsene junge Frau auch in der Öffentlichkeitsarbeit des ›Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes‹ und ab 1936 in der Gaustudentenführung Berlin. 1940/41 entstand Hunkes Doktorarbeit mit dem Titel Herkunft und Wirkung fremder Vorbilder auf den deutschen Menschen. Es handelte sich um eine geistesgeschichtliche Studie über die ethno-kulturelle Identität des deutschen Volkes und deren Gefährdung. Wie eifrig durchsuchten doch in unseren Tagen sogenannte Antifaschisten diesen Text in der Hoffnung, Sätze zu finden wie „Die Juden sind schuld“, aber diesen Gefallen tat Sigrid Hunke ihnen nicht. Sie appellierte vielmehr an die Eigenverantwortung der Deutschen, die es selbst in der Hand haben, ob sie ihr Erbe bewahren wollen oder nicht. Die Doktorarbeit schloß mit folgenden Worten: „Vielleicht ist es das, daß wir im Laufe unserer Geschichte zu oft nach anderen uns gerichtet haben und erst jetzt ganz zur eigenen Wesensmitte finden und zu dem in ihr gründenden Selbst-Bewußtsein. Großes ist uns aufgegeben auf allen Gebieten, so auch hier. Das Wort ist unwesentlich. Es gilt, das Vorbild durch die Tat zu gestalten und vorzuleben.“
Zum selben Thema erhielt Hunke auch ein Forschungsstipendium, das die Ahnenerbe-Stiftung der SS ihr gewährte, und sie schrieb einige kleine Artikel für deren Zeitschrift Germanien. 1942 heiratete sie den Diplomaten Peter Schulze und lebte mit ihm zwei Jahre lang in Marokko. Wieder in Erscheinung trat Sigrid Hunke 1955 mit ihrer ersten Buchveröffentlichung: Am Anfang waren Mann und Frau. Darin thematisierte sie die Gleichberechtigung der Geschlechter, die damals zwar im Grundgesetz garantiert, jedoch in der Lebenswirklichkeit noch nicht einmal ansatzweise umgesetzt war. Hunke wies nach, daß die Herabwürdigung der Frau ihren Ursprung im biblischen Menschenbild hatte, genauer gesagt in dem Mythos von Eva, die von Gott zur Verfügung des Mannes geschaffen wurde, dann aber die Sünde in die Welt brachte, was der Apostel Paulus allen Frauen zum Vorwurf machte, um ihre Unterordnung zu rechtfertigen. Als Gegenmodell empfahl Sigrid Hunke das ausgewogene Geschlechterverhältnis der germanischen Kultur: Im nordischen Mythos wurde das erste Menschenpaar, Ask und Embla, gleichzeitig geschaffen und von den Göttern mit denselben Eigenschaften ausgestattet; Tacitus berichtet, daß die Frau bei den Germanen als Seherin und Ratgeberin großen Einfluß hatte, und die Isländersagas erzählen häufig von weisen und tatkräftigen Vertreterinnen ihres Geschlechts. Für all dies konnte Hunke eine Fülle von Belegen erbringen.
1960 schließlich erschien ihr berühmtestes Buch, der internationale Bestseller Allahs Sonne über dem Abendland. Mit ihrem Lehrer Ludwig Ferdinand Clauß und ihrem Ehemann Peter Schulze hatte Sigrid Hunke seit langem zwei Kenner der arabischen Kultur an ihrer Seite, und im Laufe der Jahre erwarb sie sich beachtliche Kenntnisse auf diesem Gebiet. Die Frucht dieser Arbeit waren mehrere Bücher zum Thema, doch die Autorin wurde auch zum Feindbild und Haßobjekt für alle, die den berechtigten und nötigen Widerstand gegen die Islamisierung Europas durch Niveaulosigkeit entwürdigen. In den einschlägigen Internetforen nennen sie das, was sie Sigrid Hunke vorwerfen, ›Islamophilie‹, und das klingt sicher nicht zufällig wie eine Krankheit. Diese Leute, die auch mit unflätigen Schimpfwörtern nicht geizen, sollten genauer lesen lernen. Buchtitel, in denen das Wort ›Allah‹ vorkommt, scheinen zwar auf den Islam zu verweisen, jedoch werden solche griffigen Formulierungen häufig von den Verlagen für die Vermarktung ersonnen. Oftmals zeigt schon der Untertitel viel besser das Thema eines Buches an. Der Untertitel von Allahs Sonne über dem Abendland lautet: Unser arabisches Erbe. Er lautet nicht: Unser islamisches Erbe. Und dennoch: Islamkritiker, die Angst haben, in die Nazi-Ecke gestellt zu werden, wollen sich von diesem Vorwurf reinwaschen, indem sie behaupten, daß doch gerade die Nationalsozialistin Sigrid Hunke den Islam verherrlicht habe. Der berühmteste Vertreter dieser Methode ist der Historiker Sylvain Gouguenheim. In seinem Buch Aristote au Mont Saint-Michel von 2008 bezeichnete er Hunke als persönliche Freundin Heinrich Himmlers, ohne dies zu belegen, und warf ihr folgendes vor (ich zitiere aus dem Original, da das Kapitel über Hunke in der deutschen Ausgabe fehlt): „Sigrid Hunke hatte die Neigung, arabische Elemente und muslimische Elemente zu vermischen und so dem Islam etwas zuzuschreiben, was von arabischen Christen, Sabiern und Juden stammte.“ Selten kann eine Unwahrheit so schnell entlarvt werden. In der Einleitung von Allahs Sonne über dem Abendland schrieb Hunke: „Dies Buch spricht von den ›Arabern‹ und der ›arabischen‹ Kultur, nicht von ›islamischer‹: denn nicht nur haben auch Christen, Juden, Parsen und Sabier sie mit getragen, viele der größten Leistungen sind gerade im Protest gegen den orthodoxen Islam entstanden.“
Zum selben Thema erschien 1990 Hunkes Buch Allah ist ganz anders. Sein Untertitel lautete: Enthüllung von 1001 Vorurteilen über die Araber, nicht etwa: …über die Muslime. Bereits der Blick auf die Überschriften im Inhaltsverzeichnis ist erhellend. Ein Kapitel heißt: Nicht alles Islamische ist arabisch – Die Perser. Ein anderes Kapitel trägt den Titel: Kulturverfall durch Fremdeinwirkung – Die Türken. Zu den islamischen Elementen, die laut Hunke nicht arabischer Herkunft sind, gehören beispielsweise der Harem und die Verschleierung der Frau, und Hunke ließ deutlich erkennen, daß sie diese Elemente genausowenig schätzte wie etwa den Ayatollah Khomeini.
Auf Hunkes orientalistische Schriften beruft sich gerne die Bewegung der Eurasier. In der Reihe Junges Forum erschien 2004 das Themenheft ›Der Islam und die Rechte‹. Getrieben von der Angst vor der Amerikanisierung Europas, plädierten die Autoren für eine Orientalisierung Europas. Martin Schwarz, ein zum Islam konvertierter Deutscher mit Sympathien für Khomeini, mißbrauchte das Werk Sigrid Hunkes für seine Argumentation. Dabei hatte Hunke eine klare Meinung über europäische Konvertiten.
In ihrem Buch „Vom Untergang des Abendlandes zum Aufgang Europas“ (1989) findet man dazu eine aufschlußreiche Passage, in der es um die Sinnsuche entwurzelter Europäer geht: „Wie auf breiten Ameisenstraßen treibt das Bedürfnis nach religiöser Bindung auf die abgesparten Urlaubsfahrten nach Indien und blind, als hätte Europa mit der deutschen Mystik nicht Eigenes, Reicheres und ihnen Gemäßeres zu bieten, kopfüber in Experimente mit fernöstlicher Religiosität, die nicht selten auf Friedhöfen Nepals enden. Oder der Verlockung des Fremdartigen erlegen, in die zu Hunderten im Abendland jäh emporschießenden Moscheen des Islams. Und damit wieder fremden Religionen zu, die Welten anderen Bewußtseins und Denkens entstammen, das der Europäer niemals aus erster Hand nachzuvollziehen in der Lage ist.“
Damit sind wir bei Hunkes Lebensthema: der religiösen Identität Europas und ihrer Bewahrung. Schon in den 50er Jahren schloß Hunke sich der ›Deutschen Unitarier-Religionsgemeinschaft‹ an, die in der Tradition von Wilhelm Hauers ›Deutscher Glaubensbewegung‹ stand und ein philosophisch fundiertes, zeitgemäßes völkisches Heidentum vertrat. Hunke veröffentlichte ihre grundlegenden Beiträge zur Systematik dieses Glaubens in mehreren Büchern, beginnend mit dem Titel Europas andere Religion (1969) und abschließend mit dem schon erwähnten Werk Vom Untergang des Abendlandes zum Aufgang Europas (1989). In der Tradition Friedrich Nietzsches erkannte sie, daß das Christentum den Menschen vor allem als Sünder betrachtet, die Welt als irdisches Jammertal und die Arbeit, die Quelle aller Kultur, als Fluch und Strafe Gottes für den Sündenfall. Dies alles konnte sie anhand der Quellen gut belegen, und wenn die Vertreter der Kirchen heute oft anders reden und diese Aspekte verschweigen, sollte man sich nicht täuschen lassen. Falls diese Dogmen nicht mehr gültig wären, wozu bräuchte man dann noch den Opfertod des Heilands, wovon sollte die Menschheit dann ›erlöst‹ werden? Erst vor zwei Jahren wurde ich Zeuge, wie ein evangelischer Pfarrer in seiner Predigt von der ›gefallenen Schöpfung‹ sprach. Dieses Weltbild, das uns auch nach vielen Jahrhunderten christlicher Indoktrination noch immer irgendwie fremdartig erscheint, kann seine Herkunft aus Kleinasien nicht verleugnen. Das verdrängen die Konservativen nur zu gerne, wenn sie das Christentum zur Identität Europas erklären, doch Sigrid Hunke war sich dieser Tatsache stets bewußt.
Wilhelm Hauer Friedrich Nietzsche
Um uns eine religiöse Alternative aus eigenem Geisteserbe zu bieten, bezog sie sich auf eine Reihe bedeutender Europäer, darunter einige Vorsokratiker, die Stoiker, viele Theologen, die innerhalb der Kirche den judäochristlichen Dogmen Widerstand leisteten, beispielsweise Pelagius und Eriugena, Amaury de Bène und die Vertreter der Deutschen Mystik, Giordano Bruno und Lucilio Vanini sowie Pierre Teilhard de Chardin, aber auch die Philosophen des Deutschen Idealismus und die Dichter der Weimarer Klassik, Antoine de Saint-Exupéry und viele andere. Aus den Lehren dieser großen Denker lassen sich die Inhalte herausfiltern, die Sigrid Hunke als Europas eigene Religion zusammenfaßte: einen Glauben, der die judäochristliche Entheiligung der Welt und Vertröstung auf ein Jenseits zurückweist, der stattdessen bekräftigt, daß alles, was in der Welt ist, im göttlichen Urgrund wurzelt.
(Bildlegende: unten von li.: Pelagius, Bruno, Vanini, de Chardin, Saint-Exupéry)
Aber hier droht schon das nächste Mißverständnis. Wenn alles seinem Ursprung nach göttlich ist, ist dann nicht auch alles gut? Wird hier nicht einer grenzenlosen und damit lähmenden Toleranz das Wort geredet? Natürlich warb Hunke für einen grundsätzlichen Respekt vor allen Menschen als Trägern des göttlichen Funkens, doch Gleichmacherei war das niemals. Schließlich beschrieb und verteidigte Sigrid Hunke zeit ihres Lebens die ethnokulturellen Unterschiede, und auch die Ideen, die innerhalb einer Kultur kursieren, erschienen ihr keineswegs gleichwertig. Zunächst einmal betonte sie, daß das Göttliche nicht das Gute ist, schon weil die germanischen Wörter ›Gott‹ und ›gut‹ nichts miteinander zu tun haben. Wenn selbst die äußersten Gegensätze alle aus Gott stammen, macht sie das doch nicht gleich. Wir treffen täglich Entscheidungen. Wir haben die Wahl. Wir können erkennen, was gut und was schlecht ist. Nach Sigrid Hunke ist der Mensch dazu berufen, an der Weltwerdung des Göttlichen mitzuwirken und ihr diese oder jene Richtung zu geben. Das nannte sie einmal ›die Mystik der Tat‹ und beschrieb es folgendermaßen: „Diese Religion braucht keinen Kult und keine sakramentespendende Kirche – sie ist Mitwirken mit dem Göttlichen und Mitschaffen am Göttlichen im Labor wie auf dem Bau, im Büro wie auf dem Feld, mit jedem Bohren und Schweißen, mit jedem Kindererziehen und Kohlefördern. Zu ihr bedarf es weder asketischer Absonderungen, Wirklichkeitsflucht oder Praktiken, wie sie neuerdings in Amerika und in Esoterik-Gruppen um sich greifen, keiner rauschhaften Ekstasen, spiritistischer Sitzungen, aber auch keiner Priester, Dogmen und geoffenbarten Bücher. Jeder, der mit voller Hingabe und Gewissenhaftigkeit schafft, ›wirkt der Gottheit lebendiges Kleid‹, verwirklicht das Ewige im Zeitlichen und nimmt, sein enges, zeitliches Ich überschreitend, am Ewigen teil.“
In dieser Weltanschauung besteht der Sinn des Bösen darin, die Urteilskraft des Menschen zu stärken und ihn an den Widrigkeiten des Lebens seelisch reifen zu lassen. Ein Endsieg des mutmaßlich Guten ist nicht zu erwarten. Diese realitätsblinde Vorstellung nannte Hunke einmal ›messianischen Utopismus‹; dessen religiöse Form erkannte sie im Christentum, die säkulare dagegen im Marxismus. Bereits in dem 1974 erstmals erschienenen Buch Das nachkommunistische Manifest warnte Sigrid Hunke vor einer Machtübernahme der 68er, denn unübersehbar zeigte Bundeskanzler Brandts SPD eine offene Flanke gegenüber der neomarxistischen Stoßrichtung dieser Studentenproteste. Ich zitiere aus Hunkes Ausführungen von 1974: „Die biedermännische Formel von ›Mehr Demokratie‹ und von ›Demokratisierung‹, die den Begriff der Demokratie für eine Gesamtpolitisierung und Ideologisierung aller Lebensbereiche, Institutionen und Betriebe mißbraucht, verbirgt, daß am Ende ihrer Bahn die Einparteiendiktatur steht (…). ›Demokratisierung‹ (…) bewirkt mit ihrem Vordringen selbst bis an den Arbeitsplatz jedes Bürgers, sobald auch über ihn nach dem politischen Bekenntnis verfügt wird, das Gegenteil von Demokratie. (…) Die Aufhetzung zu Klassenkampfdenken und zügellosem Haß beginnt schon im Kindergarten und stiftet dazu an, die Familie als feindlichen Buhmann, alle Andersdenkenden als Volksschädlinge, jede Kritik als Teufelei und die Opposition, die legaler Bestandteil jeder Demokratie ist, als ›auszumerzende Verbrecher‹ zu beschimpfen und zu behandeln. ›Demokratisierung‹ als staatliche Verordnung von ›Mehr Demokratie wagen‹ führt – so paradox es klingt – zur Zerstörung der Demokratie als freiheitlicher Ordnung, zu staatlicher Machtkonzentration und zum Monopol auf Wahrheit, Recht, Gewalt. (…) Nicht eine ›Demokratisierung‹, nicht die Aufhebung einer aus der Sache sich ergebenden Über-Unterordnung zwischen Lehrer und Schüler, Meister und Lehrling, Professor und Student, nicht ihre Nivellierung durch allgemeine Gleichschaltung lösen das Problem, sondern allein ein Wandel der inneren Einstellung zum anderen Menschen.“
Sind diese düsteren Prophezeiungen nicht inzwischen Realität? Zwar leben wir formaljuristisch gesehen nicht in einem Einparteienstaat, doch gerade zu den elementarsten Themen herrscht in den staatstragenden Parteien eine Einheitsmeinung, das ›Monopol auf Wahrheit‹ kriminalisiert jede Abweichung, und Arbeitgeber schnüffeln im Internet nach Indizien für die Weltanschauung der von ihnen Abhängigen. Die Indoktrination beginnt tatsächlich in den Kindergärten, das Konzept der Familie wird unter Beschuß genommen, der marxistisch inspirierte Egalitarismus duldet keine Autoritäten und verwirrt auch sonst die Maßstäbe, wie Sigrid Hunkes Analyse verdeutlicht.
„Es ist das Gleichheitsprinzip des Sozialismus, das den Leistungsgedanken diskreditiert hat, weil die Leistung die naturgegebene Ungleichheit aller Menschen, die eine Grundkonstante alles Seienden ist, offensichtlich macht. Die Unterschiede aber, die sich durch die Leistungsunterschiede enthüllen, sucht er einzuebnen und auf ein gleiches Maß zurückzuschrauben. Das Gleichheitsprinzip ist die boshafte Waffe des Neides, der alles das Niveau Überragende haßt. Gleiche Chancen also für alle? Ist das aber nicht eine Illusion? Stellt die Ungleichheit der Menschen nicht auch der Chancengleichheit ein Bein? Denn nicht zwei Menschen kommen auf Grund ihrer unterschiedlichen Anlagen und Prägung durch ganz unterschiedliche Umwelt jemals in die Ausgangslage gleicher ›Chancen‹, weshalb gleiche Startbedingungen bereits für jeden Unterschiedliches bedeuten. Ja, sie sind geeignet, die Ungleichheit um so klarer zu zeigen und damit ihrerseits Neid und Enttäuschungen zu erzeugen. Das ist es ja, was auch das Prinzip des Wettbewerbs heute verteufelt hat. Aber bedeuten nicht sogar dieselbe Umgebung, dasselbe Elternhaus, dieselbe Schulausbildung für ungleich Veranlagte durchaus Verschiedenes? Denn was den einen fördert, kann den anderen hemmen.“
Aber ist der Marxismus, wenn auch nicht gut gemacht, so doch wenigstens gut gemeint? War Karl Marx nicht von edlen Motiven getrieben? Auch hier setzte Sigrid Hunke den Illusionen die Fakten entgegen und belegte anhand der Quellentexte, daß Marx von Haß erfüllt war und gerade auf die Arbeiter, die zu befreien er vorgab, mit Wut und Verachtung herabsah. Zahllos sind die unflätigen Schimpfwörter, von denen Hunke nicht wenige zitierte, um den Charakter ihres Urhebers zu entlarven. Wenn heute angesichts der Finanzkrise so mancher versucht, Marx zu rehabilitieren, dann möchte man demjenigen dringend raten, Hunkes Nach-kommunistisches Manifest zu lesen. Das Resümee der Autorin lautete in einem Satz: „Die Marxsche ›Humanität‹ existiert nur in den Köpfen westlicher Intellektueller.“
Hunke wies also die marxistische Gesellschaftskritik heftig zurück. Dies tat sie z.T. auch mit Argumenten, die für uns aus heutiger Sicht schwer nachzuvollziehen sind. Auf den ersten Blick liest sich manches wie eine Verherrlichung des Liberalkapitalismus, wie eine vorbehaltlose Billigung der politischen und ökonomischen Verhältnisse in der Adenauer-Republik. Damit brachte Hunke den im Volk zu Recht empfundenen Stolz auf die Wiederaufbauleistung der Nachkriegszeit zum Ausdruck. Außerdem mag es eine Rolle gespielt haben, daß ihr Ehemann Peter Schulze in den 60er Jahren eine hohe Funktion im Bundespresseamt bekleidete. Doch der Hauptgrund liegt wohl tiefer, liegt in Hunkes Charakter. Durch ihre Bücher zieht sich wie ein roter Faden die Abneigung gegen Umstürzlertum und Zerstörungswut. Sie setzte auf evolutionäre statt auf revolutionäre Veränderungen, und natürlich boten dazu die Verhältnisse im Westen zunächst bessere und freiere Bedingungen als diejenigen hinter dem Eisernen Vorhang. Gesellschaftlich respektiert war damals noch manches, was seit dem Triumph des 68er Geistes geächtet ist. Hunkes Buch Europas andere Religion erschien 1969 noch im Econ-Verlag, die Taschenbuchausgabe Europas eigene Religion 1981 noch bei Bastei-Lübbe. Das wäre inzwischen undenkbar. Die sog. ›respektablen‹ Verlage würden dieses Buch schon längst nicht mehr auflegen. 1997 wagte das allein noch der vom Staat schikanierte Grabert-Verlag, dessen guter Geist unser Gefährte Claude Michel ist. Heutzutage werden lediglich Hunkes Bücher zur arabischen Kultur noch von größeren Verlagen vertrieben. Dagegen ist ihr leidenschaftliches Bekenntnis zu unserer eigenen Kultur nicht mehr gesellschaftsfähig. Selbst in der ›Deutschen Unitarier-Religionsgemeinschaft‹ fand Hunke seit den 80er Jahren keine geistige Heimat mehr und schloß sich dem damals neugegründeten ›Bund Deutscher Unitarier‹ an.
In der frühen Bundesrepublik also hatte Sigrid Hunke noch ein Potential gesehen, auf dem man aufbauen könnte. Das hinderte sie jedoch nicht daran, schon damals gesellschaftliche Irrwege beim Namen zu nennen, darunter vor allem die Geburtsfehler der Nachkriegsordnung. 1965, in dem Buch Das Reich und das werdende Europa, warnte Hunke vor der – so wörtlich – „zersetzenden Verflachung durch den Amerikanismus“ . 1974, im Nachkommunistischen Manifest, schrieb sie: „Als nach den Weltkriegen mit ihren Vernichtungen und Untergängen der Mensch sich schaudernd im Leeren, absolut Sinnlosen wiederfand, (…) als alle Werte ihm restlos zerschlissen waren und nur noch Gelächter abzwangen, alle Maßstäbe zerschlagen, alle Bindungen und Bezüge zerrissen oder fragwürdig geworden waren, richtete er sich in einem Ersatzdasein, in einer amerikanischen Schein-Ding-Welt ein und überdröhnte seine Leere, Einsamkeit und Angst mit Rausch und schrillen Ekstasen von Tempo und Lärm.“
Den Liberalismus und seine Folgen charakterisierte Sigrid Hunke im selben Buch folgendermaßen: „Der Westen hat zu lange der marxistisch-materialistischen Ideologie bewußt nichts anderes entgegengesetzt als die Freiheit für alle, zu glauben, zu denken und sich seinem eigenen Gewissen folgend zu entscheiden. (…) Diese Enthaltsamkeit des toleranten Westens, die ›ideologische Prüderie‹, wie Steinbuch sie nennt, hat sich indes als Selbstpreisgabe erwiesen und nur dem Anwachsen des geistigen Leerraums weiteren Vorschub geleistet. Das riesige Glaubensvakuum, das mit dem von Nietzsche so benannten ›Tod Gottes‹ einsetzte, womit er das ›Unglaubwürdigwerden des christlichen Gottes‹ umschrieb, (…) dies Vakuum ist heute zur Lebensgefahr für den glaubensindifferenten Westen wie für den atheistischen Osten geworden, weil in ihm zu leben dem Wesen des Menschen widerspricht und es zerstört. Deshalb zieht jeder Köder, gleichviel welchen man in die Leere hineinwirft, die seelisch und metaphysisch Ausgehungerten zu inbrünstiger Hingabe an. Das Vakuum wirkt wie ein Sog, der Überlegung und Entscheidung ausschaltet. Diese Gefahr liegt nicht an der Freiheit des Geistes als solcher, sondern daran, daß der Westen keinerlei eigenes Angebot einer überzeugenden Sinngebung von ausreichender Kraft und Faszination, die unserem ursprünglichen Selbstverständnis und heutigen Weltbild entspricht, entgegenzustellen hat.“
Eine Ursache des weltanschaulichen Vakuums war die Umerziehung des deutschen Volkes, und auch dazu äußerte sich Sigrid Hunke 1965 mit der nötigen Deutlichkeit. Denn 1962, anläßlich des tausendsten Jahrestags der Kaiserkrönung Ottos des Großen, hatte die Bundesregierung vor einer angemessenen Würdigung zurückgeschreckt und die Presse in ihrer Berichterstattung es kaum gewagt, das Wort ›Reich‹ zu verwenden, obwohl es ja nicht einmal um das Dritte Reich ging, sondern um das Heilige Römische Reich des Mittelalters. Hunke kommentierte die Vorgänge so: „Diese Ratlosigkeit gegenüber der eigenen Geschichte ist kennzeichnend für ein Volk, dem man sorgsam und mit Bedacht das metaphysische gute Gewissen genommen hat. Wir sind die Feinde unserer Geschichte, die überzeugtesten Widersacher unseres Wesens und Weges in der Vergangenheit geworden. Wir haben Angst davor, vom „Reich“ zu sprechen – wir sagen „Alteuropa“ oder wir beißen uns verstört auf die Lippen und schweigen erschrocken.“
Dieses lähmende Schweigen zu überwinden und uns wieder eine Metaphysik aus eigener Wurzel zu erschließen, war Sigrid Hunkes Bestimmung. Das wurde auch außerhalb Deutschlands gewürdigt, und zwar vor allem von unseren Gefährten im Kampf um Europas ethnokulturelle Neugeburt. Jean-Louis Pesteil ermöglichte eine französische Ausgabe des Buches ›Europas eigene Religion‹ unter dem Titel ›La vraie religion de l’Europe‹. Denselben Titel trug ein Aufsatz über Hunkes Werk, den Pierre Vial für die Zeitschrift Eléments schrieb und später auch in sein programmatisches Buch Une terre – un peuple aufnahm.Wann immer Tomislav Sunic in seinen Texten eine europäische Alternative zum Christentum skizziert, greift er auch auf Definitionen Sigrid Hunkes zurück. Und besonders ausführlich bezieht sich Alain de Benoist in seiner vom Grabert-Verlag herausgebrachten, programmatischen Schrift Heide sein zu einem neuen Anfang auf Hunkes Ideen.
(Bildlegende unten von links: Pierre Vial, Tomislav Sunic, Alain de Benoist)
Pierre Vial und Tomislav Sunic sind nicht nur bedeutende Vordenker unserer Bewegung, sondern auch Praktiker des politischen Kampfes. Eine Religion um der Religion willen, eine Philosophie im Elfenbeinturm wäre den beiden wahrscheinlich keine Silbe wert. Doch hier liegt der Fall anders. Am Ende des schon erwähnten Aufsatzes schrieb Pierre Vial: „Die Europäer haben ein religiöses Erbe, das sie gleichzeitig dazu aufruft, ihre Wurzeln wiederzufinden und zur Eroberung der Sterne aufzubrechen.“ Die Eroberung der Sterne steht für Wissenschaft, Forschung und Technologie. Zu diesem Thema hatte das Judäochristentum eine ganz andere Einstellung. Der Apostel Paulus formulierte es im 1. Brief an die Korinther folgendermaßen: „Denn es steht geschrieben: ›Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.‹ Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weltweisen? Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt die zu retten, die daran glauben. Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, für die Juden ein Ärgernis und für die Griechen eine Torheit.“ Den blinden Glauben an die angebliche Offenbarung verlangte auch der Kirchenvater Tertullian, als er sagte: „Es ist nach Jesus Christus nicht unsere Aufgabe, neugierig zu sein noch zu forschen, nachdem das Evangelium verkündet ward.“ Und selbst der vielgerühmte Thomas von Aquin diffamierte die Erforschung weltlicher Gegenstände: „Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge wissen mag, ist erstrebenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen.“
Solche Worte rief uns Sigrid Hunke in Erinnerung, damit wir erkennen, daß das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft im Christentum keineswegs so unproblematisch ist, wie man uns inzwischen einreden will. Die Verfolgung Galileis und anderer war keine Entartung der christlichen Lehre, sondern deren logische Konsequenz. Es herrschte die Vorstellung einer gottfernen Welt, in die Gott bisweilen durch sogenannte Wunder eingreife; was man über die Welt wissen solle, habe die Bibel schon offenbart; darüber hinaus sei die Welt es nicht wert, erforscht zu werden, und die Wunder Gottes seien ohnehin nicht wissenschaftlich erklärbar. Die europäischen Ketzer, die der Naturwissenschaft zum Durchbruch verhalfen, stellten der kirchlichen Weltverachtung das Bekenntnis zur Erhabenheit der Natur entgegen. Sigrid Hunkes Buch Glauben und Wissen versammelt beeindruckende Zeugnisse dieser Geisteshaltung, deren Lebensrecht hart erkämpft werden mußte. Dieser Kampf bildete einen Meilenstein auf dem Weg zur Selbstfindung Europas.
Sigrid Hunke erschloß und rekonstruierte ein bedeutsames philosophisch-religiöses Fundament für dieses authentische Europa. An wen sie sich damit wandte, sprach sie im Nach-kommunistischen Manifest deutlich aus: „Der dialektische Unitarismus behauptet nicht, die einzige und überall auf der Erde gültige Grundlage für die Lösung der heutigen und zukünftigen Probleme darzustellen. Er behauptet auch nicht, für alle Europäer die einzig mögliche zu sein. Doch er wird sich uns bewähren, weil er dem Wesen nicht des Menschen, sondern dieser europäischen und ›westlichen‹ Menschen und ihrem Selbst- und Weltverständnis entspricht, wie er in seiner Struktur unverändert Jahrtausende allen Umfunktionierungen zum Trotz überdauert hat (…) weil er (…) seit seinen frühesten Zeugnissen bis heute aus derselben Bewußtseinsstruktur stammt wie die heutige Wissenschaft auch.“
An den europäischen Menschen also richtet sich der leidenschaftliche Appell, den Sigrid Hunke im selben Text formuliert und uns als ihr Vermächtnis mit auf den Weg gegeben hat: „Wir haben keine messianische Botschaft von einem zukünftigen Reich des Heils zu verheißen, das der Menschheit geschichtsnotwendig in die Hände fällt, kein Paradies, das jedem die Trauben des Lebens in den Mund wachsen läßt und die gebratenen Gänse auf den Teller legt, kein Reich des Fortschritts durch ›dies und das Tun‹, ›wozu er gerade Lust hat‹, ohne Kinder durch Lernen und Erwachsene durch Arbeit zu belästigen. Im Gegenteil: Wir verheißen weniger als nichts – nämlich eine Herausforderung, weil wir glauben, daß der Mensch nicht in die Watte der Glückseligkeit gepackt werden, sondern daß er im Gegenteil gefordert sein will. Und daß er über sich selber erstaunen wird und seinen Ort in einem zukünftigen, sinnvollen Dasein finden.“
Ein Gedicht von Hermann Stehr (1864 – 1940):
GLÜCK
Und wenn das Leben dir
das Ewige verkündet,
ist mit dem Leben auch
das Ewige verbündet.
Die Welle stammt vom Meer,
das Kreislein von dem Teich.
Und willst du, stehst du hier
schon ganz in Gottes Reich.
🙂