Gilles Munier

Ist Wladimir Putin allein für die Krise verantwortlich, die zum Krieg geführt hat? Müssen nicht diejenigen im US-Establishment und ihre Komplizen in den NATO-Ländern genannt werden, die die Russen in eine Falle gelockt haben?

Zur Zeit der ersten Königin Elisabeth schauten die britischen Königskreise gerne zu, wie wilde Hunde zum Vergnügen einen gefangenen Bären quälten. Der Bär hatte niemandem etwas getan, aber die Hunde waren darauf abgerichtet, das gefangene Tier zu reizen und es zum Gegenschlag zu bewegen. Das Blut, das aus den erregten Tieren floß, entzückte die Zuschauer.

Diese grausame Praxis wurde schon vor langer Zeit als „menschenunwürdig“verboten.

Dennoch wird heute eine Version des „Bear-Baiting“ [Bärenködern] tagtäglich gegen ganze Nationen in einem gigantischen internationalen Maßstab praktiziert. Das ist die sogenannte Außenpolitik der Vereinigten Staaten. Sie ist zur üblichen Praxis des absurden internationalen Sportvereins namens NATO geworden.

Die Machthaber der Vereinigten Staaten, die sich in ihrer Arroganz als „unverzichtbare Nation“ in Sicherheit wiegen, haben nicht mehr Respekt vor anderen Ländern als die Elisabethaner vor den Tieren hatten, die sie quälten. Die Liste der Ziele des amerikanischen „Bear-Baiting“ ist lang, aber Rußland sticht als Paradebeispiel für ständige Schikanen hervor. Und das ist kein Zufall. Das „Baiting“ wird vorsätzlich und minutiös geplant.

Als Beweis möchte ich die Aufmerksamkeit auf einen RAND-Bericht von 2019 an den Generalstabschef der US-Armee mit dem Titel „Extending Russia“ lenken. Tatsächlich ist die RAND-Studie selbst recht vorsichtig mit ihren Empfehlungen und warnt davor, daß viele perfide Tricks möglicherweise nicht funktionieren. Dennoch halte ich die Existenz dieses Berichts für skandalös, nicht so sehr wegen seines Inhalts selbst, sondern wegen der Tatsache, daß das Pentagon seine besten Köpfe dafür bezahlt: Wege zu finden, andere Nationen in Probleme hineinzuziehen, von denen die US-Führung hofft, sie für sich ausnutzen zu können.

Die offizielle Lesart der USA ist, daß der Kreml Europa mit seinem aggressiven Expansionismus bedroht, aber wenn die Strategen miteinander reden, sieht die Geschichte ganz anders aus. Ihr Ziel ist es, Rußland mithilfe von Sanktionen, Propaganda und anderen Maßnahmen zu genau der Art von negativen Maßnahmen („Überdehnung“) zu bewegen, die die USA zum Nachteil Rußlands ausnutzen können.

Die RAND-Studie erklärt ihre Ziele wie folgt:

Wir untersuchen eine Reihe von gewaltlosen Maßnahmen, mit denen die tatsächlichen Verwundbarkeiten und Ängste Rußlands ausgenutzt werden könnten, als eine Möglichkeit, das russische Militär und die russische Wirtschaft sowie die politische Position des Regimes im In- und Ausland unter Druck zu setzen. Die von uns untersuchten Maßnahmen würden weder Verteidigung noch Abschreckung als Hauptziel verfolgen, obwohl sie zu beidem beitragen können. Diese Maßnahmen sind vielmehr als Teil einer Kampagne gedacht, die darauf abzielt, den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen, Rußland dazu zu bringen, in Bereichen oder Regionen zu konkurrieren, in denen die USA einen Wettbewerbsvorteil haben, und Rußland dazu zu bringen, sich militärisch oder wirtschaftlich zu überdehnen, oder das Regime dazu zu bringen, nationales und/oder internationales Prestige und Einfluß zu verlieren.

Offensichtlich wird dies in den herrschenden US-Kreisen als „normales“ Verhalten angesehen, so wie Hänseleien ein normales Verhalten für den Mobber auf dem Schulhof und Undercover-Operationen für korrupte FBI-Agenten normal sind.

Diese Beschreibung paßt perfekt zu den US-Operationen in der Ukraine, die darauf abzielen, „Rußlands Verwundbarkeiten und Ängste auszunutzen“, indem sie ein feindliches Militärbündnis vor seiner Haustür vorantreiben, während sie Rußlands völlig vorhersehbare Reaktionen als grundlose Aggression beschreiben. Diplomatie bedeutet, die Position der anderen Seite zu verstehen. Aber dieses verbale „Bear-Baiting“ erfordert eine völlige Weigerung, die andere Seite zu verstehen, und eine absichtliche und systematische Fehlinterpretation von allem, was die andere Seite sagt oder tut.

Das wirklich Teuflische daran ist, daß der russische Bär zwar ständig beschuldigt wird, er plane, zu expandieren, daß aber die gesamte Politik genau darauf abzielt, ihn zur Expansion zu bewegen! Denn dann können wir Strafsanktionen verhängen, das Budget des Pentagons um ein paar Stufen erhöhen und die Schlinge des vermeintlichen NATO-Schutzes um den Hals unserer wertvollen europäischen „Verbündeten“ noch enger ziehen.

Eine ganze Generation lang hat die russische Führung außerordentliche Anstrengungen unternommen, um eine friedliche Partnerschaft mit dem „Westen“ aufzubauen, der als ›Europäische Union‹ und vor allem als NATO institutionalisiert ist. Sie glaubten wirklich, daß das Ende des ›Kalten Krieges◊ eine friedliebende europäische Nachbarschaft hervorbringen könnte. Doch die arroganten US-Führer weigerten sich trotz des gegenteiligen Rates ihrer besten Experten, Rußland als die große Nation zu behandeln, die es nun einmal ist, und behandelten es stattdessen wie einen schikanierten Bären in einem Zirkus.

Die Ausweitung der NATO war eine Form der Köderung, das offensichtliche Mittel, um einen potenziellen Freund in einen Feind zu verwandeln. Diesen Weg wählten der ehemalige US-Präsident Bill Clinton und die nachfolgenden Regierungen. Moskau hatte die Unabhängigkeit der ehemaligen Mitglieder der Sowjetunion akzeptiert. „Bear-Baiting“ bedeutete, Moskau ständig zu beschuldigen, es plane eine gewaltsame Rückeroberung dieser Länder.

Grenze zu Rußland

Ukraine ist ein Wort, das “ Grenzgebiete “ bedeutet, im Wesentlichen die Grenzregionen zwischen Rußland und den Gebieten im Westen, die manchmal zu Polen oder Litauen oder zu den Habsburger Ländereien gehörten. Als Teil der UdSSR wurde die Ukraine erweitert, um große Teile beider Seiten zu umfassen. Die Geschichte hat an beiden Enden sehr gegensätzliche Identitäten geschaffen, mit dem Ergebnis, daß die „unabhängige Nation“ Ukraine, die erst 1991 entstand, von Anfang an tief gespalten war.

Und von Anfang an versuchten die Strategien Washingtons, die mit einer großen, hyperaktiven antikommunistischen, antirussischen Diaspora in den USA und Kanada unter einer Decke steckten, die Verbitterung über die Spaltung der Ukraine zu nutzen, um zuerst die UdSSR und dann Rußland zu schwächen. Milliarden von Dollar wurden investiert, um „die Demokratie zu stärken“ – also den pro-westlichen Westen der Ukraine gegen den halb-russischen Osten.

Der von den USA unterstützte Staatsstreich von 2014, der den gewählten Präsidenten Viktor Janukowitsch stürzte, der vom Osten des Landes starke Unterstützung erhielt, brachte prowestliche Kräfte an die Macht, die entschlossen waren, die Ukraine in die NATO zu holen, wo die Bestimmung Rußlands als Hauptfeind immer offensichtlicher geworden wäre. Dies wiederum provozierte die in Aussicht gestellte Möglichkeit, daß die NATO den wichtigsten russischen Marinestützpunkt in Sewastopol auf der Halbinsel Krim erobern könnte.

Da die Bevölkerung der Krim nie Teil der Ukraine werden wollte, wurde diese Gefahr durch die Abhaltung eines Referendums abgewendet, bei dem eine überwältigende Mehrheit der Krimbewohner für die Rückkehr nach Rußland stimmte, von dem sie 1954 durch eine autokratische Entscheidung Chruschtschows getrennt worden waren. Westliche Propagandisten verurteilten den Akt der Selbstbestimmung unerbittlich als „russische Invasion“, die ein Programm zur militärischen Eroberung der westlichen Nachbarn durch Rußland vorwegnahm – eine Fantasie, die weder durch Fakten noch durch Motivation gestützt wurde.

Entsetzt über den Staatsstreich, der den Präsidenten stürzte, für den sie gestimmt hatten, und über die Nationalisten, die drohten, die russische Sprache, die sie sprachen, zu verbieten, erklärten die Bewohner der östlichen Provinzen Donezk und Lugansk ihre Unabhängigkeit.

Rußland unterstützte diese Entscheidung jedoch nicht, sondern favorisierte stattdessen das ›Minsker Abkommen‹, das im Februar 2015 unterzeichnet und durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats gebilligt wurde. Der Kern des Abkommens bestand darin, die territoriale Integrität der Ukraine durch einen Föderalisierungsprozess zu wahren, bei dem die separatistischen Republiken im Austausch gegen lokale Autonomie an die Ukraine zurückgegeben würden.

Das ›Minsker Abkommen‹ legte einige Schritte zur Beendigung der innerukrainischen Krise fest. Erstens sollte die Ukraine umgehend ein Gesetz verabschieden, das den östlichen Regionen Autonomie gewährt (im März 2015). Zweitens würde Kiew mit den östlichen Gebieten über die Leitlinien für Kommunalwahlen verhandeln, die in jenem Jahr unter OSZE-Aufsicht abgehalten werden sollten. Anschließend würde Kiew eine Verfassungsreform umsetzen, die die Rechte der Ostgebiete garantiert. Eine Generalamnestie würde die Soldaten auf beiden Seiten umfassen.

Doch obwohl Kiew das Abkommen unterzeichnet hat, hat es nie einen dieser Punkte umgesetzt und weigert sich, mit den Rebellen im Osten zu verhandeln. Im Rahmen des sogenannten „Normandie-Formats“ sollten Frankreich und Deutschland Druck auf Kiew ausüben, damit es diese friedliche Lösung akzeptiert, doch nichts geschah. Stattdessen beschuldigte der Westen Rußland, die Vereinbarung nicht umzusetzen, was insofern keinen Sinn ergibt, als die Umsetzungsverpflichtungen bei Kiew und nicht bei Moskau liegen. Die Verantwortlichen in Kiew bekräftigen regelmäßig ihre Weigerung, mit den Rebellen zu verhandeln, und fordern gleichzeitig immer mehr Waffen von den NATO-Mächten, um das Problem auf ihre Weise zu lösen.

Unterdessen äußern die großen Parteien in der Duma und die russische Öffentlichkeit seit langem ihre Sorge um die russischsprachige Bevölkerung in den östlichen Provinzen, die seit acht Jahren unter Entbehrungen und militärischen Angriffen der Zentralregierung leidet.

Sie wollten einen Feind? Jetzt haben Sie einen

Deutschland hat die perfekte Formel für die westlichen Beziehungen zu Russland gefunden: Sind Sie ein „Putin-Versteher“, oder sind Sie es nicht? Mit Putin meinen sie Rußland, denn die Standardstrategie der westlichen Propaganda besteht darin, das Zielland mit dem Namen seines Präsidenten, Wladimir Putin, zu personifizieren, der notwendigerweise ein diktatorischer Autokrat ist. Wenn Sie Putin oder Rußland „verstehen“, dann werden Sie zutiefst der Illoyalität gegenüber dem Westen bezichtigt. Also lassen Sie uns jetzt alle zusammen dafür sorgen, daß wir Rußland NICHT VERSTEHEN!

Die russische Führung behauptet, sie fühle sich von den Mitgliedern einer riesigen, feindlichen Allianz bedroht, die regelmäßig Militärmanöver vor ihrer Haustür abhalten? Fühlen sie sich unwohl angesichts von Atomraketen, die von benachbarten NATO-Mitgliedstaaten aus auf ihr Territorium zielen? Aber warum, das ist doch nur Paranoia oder ein Zeichen für hinterhältige und aggressive Absichten. Es gibt nichts zu verstehen.

So hat der Westen Rußland wie einen angeköderten Bären behandelt. Und was er dafür bekommt, ist eine feindliche Nation mit Atomwaffen und militärischer Stärke, die von Leuten geführt wird, die viel nachdenklicher und intelligenter sind als die mittelmäßigen Politiker in Washington, London und an einigen anderen Orten.

Der US-Präsident Joe Biden und sein Deep State wollten nie eine friedliche Lösung in der Ukraine, da eine unruhige Ukraine wie eine permanente Barriere zwischen Rußland und Westeuropa wirkt und die US-Kontrolle über Westeuropa sicherstellt. Sie haben jahrelang Rußland als Gegner behandelt, und Rußland zieht nun die unausweichliche Schlußfolgerung, daß der Westen es nur als Gegner akzeptieren wird. Die Geduld ist vorbei. Und das verändert die Lage.

Erste Reaktion: Der Westen wird den Bären mit Sanktionen bestrafen! Deutschland setzt die Zertifizierung der Gaspipeline Nordstream 2 aus. Deutschland weigert sich also, das benötigte russische Gas zu kaufen, um sicherzustellen, daß Rußland das benötigte Gas in Zukunft nicht abstellen kann. Das ist ein cleverer Trick, nicht wahr! Und in der Zwischenzeit, bei zunehmender Gasknappheit und steigenden Preisen, wird Rußland keine Probleme haben, sein Gas anderswo in Asien zu verkaufen.

Wenn „unsere Werte“ die Weigerung beinhalten, etwas zu verstehen, gibt es keine Grenze für das, was wir nicht verstehen können.

Anmerkung: Es gibt keine deutsche Entsprechung für den Begriff „Bear Baiting“.

Quelle: https://www.terreetpeuple.com/geopolitique-reflexion-69/5907-la-politique-etrangere-des-etats-unis-est-diabolique.html

Gilles Munier

 

Saddam Hussein: Zabiba und der König

Mit einem exklusiven Vorwort zur deutschen Ausgabe von Gilles Munier, Präsident des Komitees ›Amitiés franco-irakiennes‹, der mit Bewilligung und Empfehlung von Saddam Hussein, die Veröffentlichung des Werkes zuerst in Frankreich besorgt hat.

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