Audrey D’Aguanno
Wege zu einer ideologischen Regeneration
Dem schädlichen und heuchlerischen Egalitarismus setzt Guillaume Faye das Konzept des „vitalistischen Konstruktivismus“ entgegen, d. h. einen historisch-politischen Willen zur Macht, ein ästhetisches Projekt zum Aufbau einer Zivilisation, das dem faustischen Geist treu bleibt. Letzterer ist konstitutiv für die europäische Zivilisation, die sich als ein sich in Bewegung befindliches Werk begreift.
Der Archäofuturismus – eine Mischung aus technisch-wissenschaftlichem Fortschritt und der Rückbesinnung auf althergebrachte Werte, auf das Archaische – wird die Antwort auf den Kataklysmus sein, der durch die Konvergenz der Katastrophen erzeugt wurde, die die Moderne in den Untergang geführt haben.
Das Archaische darf jedoch nicht mit Vergangenheitsbewältigung (da diese Vergangenheit die Moderne hervorgebracht hat, ist es sinnlos, dorthin zurückzukehren) oder Konservatismus (ein Konzept, das per se demobilisierend wirkt) verwechselt werden. Archaisch ist das, was schöpferisch und unveränderlich ist, eine Grundlage, die auf ewige Fragen und Werte antwortet.
Während die Herausforderungen dieses Jahrhunderts bereits jetzt archaischer Natur sind – Kämpfe um Ressourcen, Umweltzerstörung, das Überleben bestimmter Zivilisationen, religiöse Herausforderungen –, werden die kommenden Jahrhunderte ein jähes Wiederauftauchen dieser archaischen Fragen, Lösungen und Werte erleben, da sie der menschlichen Natur entsprechen und den Menschen als das betrachten, was er ist: „ein soziales und organisches Tier, das in die Stadtgemeinschaft eingefügt ist“ (Aristoteles), und nicht als das, was er nicht ist, nämlich ein isoliertes asexuelles Atom, das mit abstrakten, universellen und unabänderlichen Pseudorechten ausgestattet ist.
Ein kurzer Vergleich zwischen den archaisch gebliebenen Völkern und den vom westlichen Humanitarismus berührten macht deutlich, daß diese anti-individualistischen Werte zu wahrer Selbstverwirklichung, aktiver Solidarität und sozialem Frieden führen, wo der pseudo-emanzipatorische Individualismus der egalitären Doktrinen nur zum Gesetz des Dschungels führt. Und es sind die archaischen und vormodernen Modelle der sozialen Organisation, die sich seit Anbeginn der Zeit bewährt haben.
Wenn sich die Illusionen des Egalitarismus in der Katastrophe aufgelöst haben, werden „die Menschheiten zu archaischen, d. h. biologischen und menschlichen Werten zurückkehren“, d. h.: Wiederaufbau organischer Gemeinschaften von der Familiensphäre bis zum Volk; geschlechtsspezifische Rollentrennung; ungleicher sozialer Status – nicht implizit, wie es derzeit in egalitären Utopien der Fall ist –, sondern explizit und ideologisch legitimiert: Jeder hat seine Funktion, die für die Gemeinschaft lebenswichtig ist; die Verhältnismäßigkeit von Pflichten und Rechten, also eine strenge Justiz, die die Menschen zur Verantwortung zieht; die Definition des Volkes als diachronische Schicksalsgemeinschaft; die Weitergabe ethnischer und volkstümlicher Traditionen; Spiritualität und priesterliche Organisation; erkennbare und strukturierende soziale Hierarchien; Ahnenkult, Initiationsriten und -prüfungen; die Entindividualisierung der Ehe und der Verbindungen, die die gesamte Gemeinschaft einbeziehen müssen; das Prestige der Kriegerkaste usw. …
Der Futurismus, eine Konstante der europäischen Seele und vielleicht sogar ihr Erkennungszeichen, besteht seinerseits in einer Ablehnung des Unveränderlichen. Es ist der faustische Charakter, der Versucher – in beiden Bedeutungen des Wortes: „“der, der Versuche macht““ und „der, der Versuchungen bringt“ –, der abenteuerlustig und voluntaristisch ist. Es ist die ständige Schöpfung und Erfindung.
Sein Wesen besteht darin, die Zukunft zu entwerfen. Er stößt jedoch auf mehrere Problematiken: die egalitäre Moral, die der Kraft Schuldgefühle einflößt, und sein historischer Fatalismus, der den Menschen glauben läßt, daß der weitere Fortschritt unausweichlich wäre. Außerdem birgt er das Risiko der „Veränderung um der Veränderung willen“ und der Vergöttlichung der Techno-Wissenschaft, von der man am Ende glaubt, sie könne alles lösen.
Die futuristische Mentalität, die sich selbst überlassen bleibt, kann sich als gefährlich erweisen, wenn sie nicht durch archaische Werte, die mit der Tradition in Einklang stehen, abgemildert wird.
Archäofuturistische Ethik und Religion
Eine archäofuturistische Ethik würde es ermöglichen, den „kranken Geist“ des Humanitarismus zu liquidieren, dieses Instrumentarium der moralischen Entwaffnung, das Verbote und Tabus auferlegt, Schuldgefühle erzeugt, die breite Öffentlichkeit davon abhält, zu reagieren, und die europäischen Politiker daran hindert, sich dem bevorstehenden feurigen Jahrhundert zu stellen.
Die Extremisierung der Maxime „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ hat zu einer pathologischen Apologie der Schwäche, Entvirilisierung und Selbstbeschuldigung geführt, die eine Subkultur der leichten Emotionen und einen Kult des Niedergangs geschaffen hat, die die europäischen Auffassungen untergraben.
Nur mit einem mentalen Neo-Archaismus – der nichts Barbarisches an sich hat, da er das Prinzip der Gerechtigkeit integriert –, der vorhumanistisch und von Ungleichheit geprägt ist, können die bevorstehenden Herausforderungen bewältigt werden.
Es geht also darum, eine gewisse Härte, den gesunden Menschenverstand, die Freude an Stolz und Ehre, eine Ethik, die – wenn nötig – die Anwendung von Gewalt legitimiert, die Integration kriegerischer Tugenden, eine Vorstellung von Gerechtigkeit, nach der Pflichten die Rechte begründen und nicht umgekehrt, die natürliche Akzeptanz einer ungleichen und pluralistischen Organisation der Welt, des Gemeinschaftsideals, imstande, eine klare Unterscheidung zwischen dem Fremden und dem Eigenen zu treffen (wie es die ganze Welt tut), und jede nicht selektive soziale Organisation abzulehnen, wieder zu erlangen.
Auf der spirituellen Ebene analysiert Guillaume Faye das Scheitern der westlichen und sowjetischen säkularen Religionen, die in die Leere und Entzauberung der Welt mündeten, und prognostiziert, daß der Sinn wieder auftauchen wird.
In einem archäofuturistischen Europa stellt er sich eine Religion der „zwei Geschwindigkeiten“ vor: ein neumittelalterliches, polytheistisches, naturgläubiges und ritualisiertes Christentum für die Massen neben einem heidnischen Agnostizismus, einer „Religion der Philosophen“, für die Eliten.
Siehe auch [Teil 1]:
Wird der Archäofuturismus auf die Konvergenz der Katastrophen folgen? [Teil 1]