Pierre Chassard

Jacques Derrida tritt philosophisch mit dem gleichen Ziel an,  jedoch mit viel weniger Schlauheit als Emmanuel Lévinas. Dieser enthüllt ohne Hehl die Richtung seines Kampfes: „… der letzte Jude, der ich noch bin, macht nichts anderes hier als die Welt zu zerstören“ (1). Beim Lesen seines Gesamtwerkes merkt man, daß die Welt, von der er spricht, genauer die abendländliche Welt ist.

Emmanuel Lévinas

Derridas feindliche Gesinnung gegen das Abendland ist vielleicht teilweise gerechtfertigt, denn er hat unangenehme Erfahrungen mit den französischen Behörden gemacht, als er noch ein junger Schüler in Nord-Afrika war. Zu dieser Zeit hatten die Klassenbesten die Ehre, morgens die nationale Fahne zu hissen. Jacques Derrida als einheimischer Jude verdiente es nicht, die tägliche ehrenvolle Zeremonie mitzumachen. Er wurde nachher aus dem Ben Aknoun Gymnasium ausgewiesen, weil die französische Kultur nach Auffassung des Gymnasiumsdirektor nicht für die kleinen Juden war.

Jacques Derrida erlitt Nationalitätsänderungen, die er nicht wollte: Als eingeborene Juden wurden seine Vorfahren administrative Papier-Franzosen; er selbst verlor während des Krieges die französische Nationalität durch eine Entscheidung der französischen Behörden – wie alle anderen Juden von Algerien -, um nunmehr wieder ein einheimischer Jude zu werden, und mußte lange Monate nach dem Krieg unter den Rassengesetzen warten, um wieder die französische Nationalität zu bekommen.

Im Gymnasium hatten die Schüler theoretisch das Recht, eine andere Sprache als das Französische zu erlernen. Niemand aber hätte es gewagt, das ungeschriebene Interdikt zu brechen, das für alle einheimischen Sprachen galt. Alle, Araber, Berber und Juden wurden allmählich Fremde in ihrer eigenen Sprache und ihrer eigenen Kultur. Wenn die Ersteren noch eine Muttersprache, eine Einwurzelungssprache, eine Zufluchtsprache hatten, hatten die Juden hingegen keine eigene Sprache mehr. Sie hatten nur die Sprache von anderen, von Menschen vom anderen Ufer des Mittelmeeres, das heißt, die Sprache der französischen Herren, die Sprache der kolonialen und kolonialistischen Macht.

Die Sprache, die Derrida erlernen mußte, war die Sprache der Gewalt der Kolonialisten und der Demütigung der Kolonisierten. Sie war eine Fremdsprache, die Sprache des Fremden, die den Einheimischen, den Arabern, den Berbern und den Juden im Maghreb vorgeschrieben wurde. Jacques Derrida behauptet, daß die französische Sprache nie seine innere Sprache wurde. Sie bliebe immer bei ihm oberflächlich wie Politur. Sie war auch nie die Sprache seiner Zukunft.

Die Derrida’sche Abneigung gegen jede homogene Sprache, gegen die Integrität der Sprache eines Volkes, gegen dessen philosophische Sprache, womit er seine Herrschaft über eine kulturelle Region ausüben kann, ist vielleicht durch die erlittene Demütigung zu erklären. Um diese Herrschaft zu beseitigen, muß man ihre Einheit brechen, ihre Macht zerstören. Man muß den nationalen Monolinguismus sprengen, um einen Plurilinguismus zu etablieren. Man muß aus einer einheitlichen Sprache eine linguistische Inkohärenz machen, durch Vermischung aller Sprachen, durch Aufpfropfen der einen auf die anderen, durch grenzenlose Kreuzungen, bis sie total entstellt und unkenntlich wird. Die Einheit einer Sprache ist dann ein Schein, ihre strukturale Strenge ein Dogma. Damit verliert die Sprache endgültig ihre Macht.

Die tiefe Abneigung von Derrida gegen die Volksgemeinschaften ist nicht geringer als seine Abneigung gegen die einheitlichen Sprachen. Er empfand sie sogar gegen das israelische Volk. Sein virulenter Antinationalismus hat ihn einmal dazu gebracht, eine Provokation gegen israelische Gäste zu begehen. Bei einem internationalen Kolloquium im Juni 1988 in Jerusalem erlaubte er sich die Frechheit, über die Ansichten von zwei jüdischen germanophilen und antizionisten Philosophen, Hermann Cohen und Franz Rosenzweig, zu reden. Dieser war gegen die Schaffung eines israelischen Staates und jener behauptete, daß Deutschland das echte Vaterland jedes Juden in der Welt, das „Mutterland seiner Seele“ sei. Nicht Israel sei das Vaterland der Juden, sondern Deutschland. Durch seine indirekt israelophobe und germanophile Rede zeigte Derrida, daß er das für einen Juden legitime Gefühl der ›Ahavat Israel‹ nicht teilte.

Das Ablehnen des zionistischen Prinzips: Ein Volk, ein Land, führte Jacques Derrida dazu, eine Stellung einzunehmen, die mit seiner natürlichen Gemeinschaft ein Zugehörigkeitsbruch war. Er empfand eine gleiche Abneigung gegen alle Volksgemeinschaften. Das Wort selbst mochte er nicht und die Sache noch weniger. Diese Abneigung war diejenige des „Diasporanten“, der nirgendwo zu Hause ist, aber beansprucht, sich überall installieren zu dürfen.

Der identitäre Widerstand gegen das Eindringen des Fremden ins Land war für Jacques Derrida total inakzeptabel. Er hielt einen solchen Widerstand für Nationalismus und Xénophobie, obwohl es nur eine normale und gesunde Immunitätsreaktion ist gegen das, was die Einheit, die Integrität und das Bestehen einer natürlichen Gemeinschaft bedroht.

Die Derrida’sche Feindlichkeit hat sich mit Vorliebe gegen die weißen Gemeinschaften nord-europäischer Abstammung gezeigt. In der Defensive unter dem feindlichen Druck von Fremden waren sie unvermeidlich die Opfer seiner Anschuldigungen und Verurteilungen. Pathologische Proxenie.

Als Feind aller Autochtonien war Jacques Derrida die Welt der Familien, der Nationen, der Rassen widerwärtig, weil ihre natürliche Einheit eine mächtige Hinderung gegen die parasitären Eindringungen und die kulturellen oder ideologischen Eingriffe aller Art bildet.

Von der afrikanischen Küste des Mittelmeeres gekommen, betrachtete er sich als „eine Art von europäischen, über-akkulturierten, über-kolonisierten Mischling (2), das heißt in sich geteilt. Als inharmonische Zusammensetzung von auseinanderlaufenden Elementen hielt er sich für einen Fremden in Europa.

Dieses im Aufbau begriffenen Europa soll ihm ähnlich sein: Es soll das Produkt wilder Kreuzungen sein. Es soll sich öffnen, um die anderen, woher sie auch kommen, ohne Ausschluß, ohne Ausstoß zu empfangen. Es soll bereit sein, Hunderttausende und Hundertmillionen von Leuten aller Farben aufzunehmen. Es soll die kommende exotische Überschwemmung annehmen, um kulturell, körperlich, genetisch vernichtet zu werden.

Das Derrida’sche Gebot liegt in der selbstmörderischen Linie des Kosmopolitismus. Die natürlichen Gemeinschaften sollen sich auflösen. Jeder Widerstand gegen diese unbedingte Auflösung wird als Verbrechen verurteilt im Verhältnis zu einem zukünftigen universalen Recht. Das Europa der Nationen muß verschwinden zugunsten eines anderen Europas und dieses neue Europa braucht nicht und wird nicht eine genetisch-physische Realität sein, sondern eine kulturelle, oberflächliche, insubstantielle Sache, die auf die fantasmatische und fantastische „Erklärung der Menschenrechte“ mit seinen Lügen und Albernheiten reduziert ist.

Der von Derrida gelehrte Kosmopolitismus schließt sich an den sich ausbreitenden Globalismus an. Ersterer ist die philosophische Form des antinationalen Grenzenlosen; letzterer ist dessen wirtschaftliche Form. Sie gehen beide in die gleiche Richtung. Wenn der eine seine zerstörende Energie auf das Gebiet des Denkens richtet, bietet der andere sie auf dem Marktplatz auf. Sie unterstützen sich gegenseitig in der Auflösung der menschlichen Gemeinschaften. Dieses Kollusionsphänomen ist nicht neu. Es ist schon in der Antike aufgetreten. Philosophen und Krämer erklärten sich zusammenwirkend nicht als Bürger einer bestimmten Polis, sondern als ›Weltbürger‹.

Diogenes von Sinope,Bion von Olbia, Menipp von Gadara, Stilpon von Megara, Crates der Zyniker, Zenon von Kition, Kleanthes von Assos, Chrysipp von Soloi oder Tarsus, Apollodoros von Seleikeia, Diogenes der Babylonier, Panaitios von Rhodos und Panaitios von Apameia, die, von den Städten des orientalischen Mittelmeerbeckens gekommen, die Traditionen von Athen verspotteten, ihre Institutionen lächerlich machten, ihre Justiz verhöhnten, ihre Zivilisation anschwärzten.

Kyniker und Stoïker waren Metöken. Keiner war ursprünglicher Athener. Sie stammten nicht einmal aus dem kontinentalen Griechenland. Wie Zenon der Phöniker, der sich unter dem Portikus der Athener Markthalle der Philosophie widmete, nachdem er alle Arten von Gegenständen verkauft hatte, hatten sie, bevor sie den Wortehandel (ihre Zuhörer mußten zahlen, um sie zu hören) betrieben, verschiedene Sachen verkauft. Das erklärt teilweise ihre kosmopolitischen Auffassungen: Ein freier Markt ohne Grenzhindernisse, der sich jenseits der griechischen Städte ausstreckt, erschien dem Handelsaustausch günstig und den Handelsstämmen profitabel. Die Tatsache, daß sich diese Ausländer durch ihren Ursprung von den alten Athenern unterschieden, veranlaßte sie, die Unterschiede zwischen ihnen und den anderen zu minimieren, um die gleichen politischen Rechte zu bekommen und die Polis zu beherrschen. Der Boden wurde durch die Entstehung einer fremden oder neuathenischen Krematokratie vorbereitet mit Hilfe der Bankiers und Händler des Piraeus, die die demokratischen Anführer, wie Kleisthenes, Perikles, Antisthenes und andere weniger berühmte Demagogen finanziell unterstützten.

Während der Weltökonomismus sich wirtschaftlicher Argumente bedient, um seinen Kosmopolitismus zu fördern, versucht Derrida es mit moralischer Erpressung. Er vermischt seine immigrationistischen Litaneien mit dem tyischen Rabulismus der angeblichen Bedingungslosigkeit der moralischen Normen. Er spricht von Recht und Pflicht, vom Recht des Fremden und von der Pflicht des Autochtonen, vom Recht des Fremden, empfangen zu werden und von der Pflicht des Autochtonen, den Fremden zu empfangen. Recht und Pflicht werden von ihm aus einer eingewurzelten Xenomanie oder Rachelust willkürlich bestimmt. Von da geht er sogar zu einem Gebot der Gastfreundschaft über, zu dem Gebot der Gastfreundschaft, zu dem bedingungslosen hyperbolischen Gebot, wie einem kategorischen Imperativ, der über jeder Regel und Bedingung steht.

Dieses Gebot würde die Gastfreundschaft durchsetzen, ohne vorherige Prüfung der Erklärungen der Einkömmlinge, ohne Rechtfertigung ihres Eindringens. Soll man sich vor dem Betreten einer Oase legitimieren? Soll man seinen Personalausweis in der Wüste zeigen? Ein solches Gebot würde den Unterschied zwischen legaler und illegaler Einwanderung beseitigen. Es würde keinen Einwanderer, keinen Asylanten mehr geben.

Das bedeutet die Abschaffung der nationalen Grenzen, die Aufhebung des persönlichen Eigentumsrechts, die Auflösung der Volksgemeinschaft. Mit diesem Gebot verlangt Derrida in der Tat, daß der Autochtone auf seinen Boden, sein Zuhause, seine Kultur und sich selbst zugunsten des Allochtonen verzichtet. Auf der Schwelle des Hauses soll dessen Besitzer dem Fremden nicht nur sagen, er möge sich eilen zu kommen, ohne zu warten, sondern: „komm in mich, nicht nur zu mir, sondern in mich: besetze mich (3). Dies bedeutet eine totale Öffnung gegenüber dem Fremden, ohne Einschränkung, ohne Begrenzung. Die abendländische Welt soll nicht mehr abendländisch sein. Sie soll mit einer Masse von Mischlingen und Bastarden bevölkert werden, und sogar von Monstern, wenn, nach Derrida, ein Monster eine zusammengesetzte Gestalt von gemischten Heterogenitäten ist (4). Die Hybridation vermischt tatsächlich verschiedene Organismen und kann durch Inkohäsion hervorbringen, was man Monster nennen kann.

Die Basis der Volksgemeinschaft, das heißt die Familie, soll auch zerstört werden. Sie ist gleichfalls biologischer Natur. Die biologische Familie, wie jede Blutgemeinschaft, ist jedem abstrakten Konzeptualismus fremd. Derrida ist fanatisch dagegen. „Man muß alles tun, sagt er, „um Verhaltensweisen, in denen die Begierde sich offenbart, legale Ausübungsbedingungen zu geben(5). So, denkt Derrida, wird abweichendes Benehmen juristisch normalisiert. Die obszönen Paare von männlichen Proktomanen und weiblichen Homosexuellen werden dann ihr unnatürliches Abweichen künstlich erzeugten oder adoptierten Kindern legal übermitteln.

Das Prinzip der okzidentalen Familienzelle wird in Frage gestellt. Die neuen Familienkonfigurationen werden ganz anders sein. Die Famille, die natürlicherweise aus einem Vater, einer Mutter und Kindern beschaffen ist, wird nicht mehr aus einem Erzeuger und einer Erzeugerin bestehen, die ihre eigenen Kinder erziehen. Sie wird nicht auf sexuelle Unterschiede begründet. Sie wird auch nicht mehr Familie genannt, sondern „Zivile Union“. Derrida, wenn er seine Gesellschaftsauffassung darstellt, verfolgt nur ein Ziel: die Zerstörung der abendländischen Familie als Blut- und Geistgemeinschaft.

Sein giftiger Kosmopolitismus ist der Ausdruck eines kriminellen Willens. Die natürlichen Gemeinschaften sollen zerstört werden, überall wo sie sich bilden, auf jeder Stufe des Lebens: Rasse, Nation, Sippe, Familie. Sogar die Bruderschaft ist ihm sehr verdächtig. Dieses Wort verweist an eine Gemeinschaft, wo das Genealogische, die Geburt, die Autochtonie und das Nationale vorwiegt.

Die Gestalt des Bruders hat immer den Vorzug vor der Gestalt des Fremden. Sie verweist an den nächsten Nächsten, den am wenigsten entfernten Gleichen, wohingegen man laut Derrida den radikal Unähnlichen, den absolut Unähnlichen bevorzugen und ihn zu der höchsten Würde erheben soll, einer Würde, die höher ist als die des Bruders, aller Mitglieder der Familie, der Nation, der Blutgemeinschaft. Derrida predigt den Haß gegen die Natur, gegen das Biologische, gegen das Leibliche: Man soll die Gestalt der Brüderlichkeit des Fleisches und des Blutes ablehnen, um sich einer puren Begrifflichkeit zuzuwenden, die von der bestimmenden Körperlichkeit abgeschnitten und dem Organischen total fremd ist.

Der Kosmopolitismus von Derrida führt logischerweise zu einer Weltdemokratie, in welcher die Begriffe von Staat, Souveränität und Bürgerschaft kritisch wieder verarbeitet werden müssen. Es handelt sich zuerst um eine neue ›Internationale‹ als Instrument für das Absterben der bestehenden Staaten und Nationen. Wenn ein kosmopolitischer Staat, auf einen minimalen Apparat reduziert, die Vielheit der heutigen Staaten ersetzen wird, um die Welt zu dirigieren und die Prostagmen einer neuen Gesetzgebung zur Geltung zu verhelfen, wird es sinnlos sein, von Rasse, Volksgemeinschaft, Nation und einer gewachsenen Bürgerschaft zu sprechen.

Es wird keinen Grund mehr geben, Unterscheidungen zu machen. Einwanderer, Heimatloser, Fremder, und vielleicht auch, wie der angeblich aus Tarsus stammende Saulus sagte, Beschnittener und Unbeschnittener wird es nicht mehr geben. Die Weltdemokratie wird das, was Derrida dümmlicherweise die „ungeheuerliche Ungleichheit“ der wissenschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen und militärischen Entwicklung zwischen Nationen und Völkern nennt, beseitigen, als ob sie zum größten Teil nicht von einer natürlichen Ungleichheit bedingt wäre. Sie wird auch die angeblich skandalösen Schranken des Protektionismus und Interventionismus beseitigen, die den weißen Angestelltern und Arbeitern gegen den unlauteren Wettbewerb der billigen Arbeitskräfte der dritten Welt Schutz gewähren.

Durch sein Phantasma der universalen Menschengleichheit überwältigt, hat Derrida die Möglichkeit gesehen, zu konkretisieren, was sein ideologischer Genosse und Bruder Karl Marx in der Diaspora erstrebte, nämlich das Recht für jeden Fremden, sich ansässig zu machen, wo er will und die Arbeit des Autochtonen an sich zu reißen. So werden die natürlichen Gemeinschaften und die einheitlichen Nationen zerstört. Der Kosmopolitismus wird endlich eine Kosmopolitik sein, das heißt das Ende der Autochtonie, der Eugenie, des Ethnozentrismus, der Ursprungs- , Blut-, Geist- und Ortsgemeinschaften, in einem Wort: der natürlichen Ordnung.

1. Circonfession, Éditions du seuil, Paris, 1991

2. L’autre cap, Èditions de Minuit, Paris, 1991

3. De l’hospitalité, Calmann-Lévy, Paris, 1997

4. Points de suspension, Éditions Galilée, Paris, 1992

5. De quoi demain, Fayard Galilée, Paris, 1991

Pierre Chassard, ᛉ 31. Juli 1926, ᛣ Oktober 2016

Beitragsbild: Philosophie Magazin