Jean Haudry
Seit über einem Jahrhundert haben die Linguisten immer wieder behauptet, daß der Begriff des Indoeuropäischen sich auf eine Sprachgemeinschaft beziehe, die keine rassische Homogenität bedinge. Der Ausdruck ›indoeuropäische Rasse‹ mag zwar unangemessen sein; es ist dennoch legitim, die von den Sprechenden dargestellten physischen Merkmale bestimmen zu wollen.
Dazu verfügen wir über zwei Informationsquellen: die anthropologische Untersuchung der Menschenknochen, die an (aus anderen Gründen) als indoeuropäisch geltenden Fundorten ausgegraben wurden, sowie die Zeugnisse der frühen Texte und bildlichen Dokumente. Diese zweite Quelle hat den Vorteil, von keiner Hypothese abhängig zu sein. Nun treffen diese Zeugnisse übereinstimmend auf die Nordvölker zu, wenn nicht auf das gesamte Volk, so doch auf seine Oberschichten.
Die Germanen würden, so Tacitus, den ersten Fall veranschaulichen:
Ich selbst schließe mich den Meinungen derer an, die glauben, daß die Stämme Germaniens — in keiner Weise durch eheliche Verbindungen mit anderen Völkern verfälscht — ein eigenwüchsiges, reines Volk von unvergleichlicher Eigenart sind. Darum ist auch die äußere Erscheinung trotz der großen Zahl von Menschen bei allen die gleiche: Alle haben trotzige, blaue Augen, rotblondes Haar und hünenhafte Leiber. [Germania, IV]
Die moderne Anthropologie hat dieses Urteil allerdings korrigiert. [M. Much: Die Germania des Tacitus, S. 95; Hans F. K. Günther, Rassenkunde des deutschen Volkes].
Bei den Kelten
trifft man seltener auf das klassische Ideal des großen starken Kelten mit blondem Schopf und milchweißer Haut.[R. Peterson, JIES, 2, 1974, S. 385-406].
Das liegt – nach Auffassung derselben Autoren – daran, daß
die Kelten in ihren einzelnen Staaten nur eine aristokratische und kriegerische Minorität waren.
Der Brauch des Haarbleichens weist auf die soziale Bedeutung des physischen Typus hin. Dieser Umstand ist noch mehr ausgeprägt im vedischen Indien, wo Indra, der blonde Gott (hári) den arischen Kriegern den Sieg über ihre dunkelhäutigen Gegner, die ›nasenlosen‹ dasá- gibt; letztere bilden die dämonische Rasse der Finsternis, wie die Fomore der irischen Sage.
Das Weiß der Haut ist nämlich die Farbe des Licht- bzw. Tageshimmels, während die schwarze Farbe zum Nachthimmel und zur Hölle gehört. Die Übereinstimmung zwischen physischem Typus und sozialem Status kommt im Merkgedicht von Rig (Edda) zum Ausdruck: Jan, der Adlige, ist hellblond („Licht war sein Haar, hell die Wange“), Karl, der Freie, ist rothaarig und hat frische Wangen, Thraell, der Knecht, ist dunkelhäutig. Obwohl blonde Haare in Armenien selten vorkommen, erwähnt das armenische Volksepos schon deshalb so oft dieses physische Merkmal seiner Helden.
Und in Griechenland
sind die klassischen Dichter, von Homer bis Euripides, darauf versessen, uns die Helden als groß und blond darzustellen. Die gesamte Bildhauerkunst, von der minoischen bis zur hellenistischen, gibt Göttinnen und Göttern, mit Ausnahme vielleicht von Zeus, goldene Haare und eine übermenschliche Gestalt.“[F. Faure, La vie quotidienne en Grece au temps de la guerre de Troie, S. 48.]
Zwar – Faure weist darauf hin – war der physische Durchschnittstypus ein ganz anderer, aber das Zeugnis ist umso bedeutungsvoller: Der nordische Typus wird schon deshalb als physisches Ideal angesehen, weil es der Typus der höheren Bevölkerungsschicht war. Das bezeugen die bildlichen Quellen. In seiner Studie über das griechische Profil zeigte Peterson [R. Peterson, JIES, 2, 1974, S. 385-406], daß die Bildnisse von Eupatriden (Adligen) alle Züge des nordischen Typs aufweisen.
Dort, wie in Indien, wo eine Gesetzgebung die zwischenständische Heirat verbot, sind die physischen Unterschiede zwischen den höheren Kasten, in denen der nordische Typus weitgehend vertreten ist, und den unteren, in denen er völlig ausbleibt, deutlich sichtbar.[Hans F. K. Günther: Die nordische Rasse bei den Indogermanen Asiens, 1934, S.67; L. Renou, J. Filliozot, L’Inde classique, I, S.48].
Die Untersuchung der in Kurgan gefundenen Gebeine bekräftigt diese Angaben: Dort
überwiegen die hochgewachsenen Dolichozephalen mit schmaler, stark gebogener Nase und einem ebenfalls schmalen Gesicht, das feiner und viel enger ausfällt als bei den stämmigen Cromagnon-Menschen aus dem Dnjepr-Becken.[G.D. Kumar, JIES, I, 1973, S.66f.]
Kilians jüngste Studie [L. Kilian, Zum Ursprung der Indogermanen, Bonn 1983] bekräftigt gänzlich diese Ansichten, indem sie den Unterschied zwischen der schmalen Gesichtsform in der eigentlichen nordischen Rasse und der die dalische Rasse kennzeichnenden breiten Form besonders hervorhebt. Und er schließt mit den Worten:
Wir dürfen wohl von einer engeren ursprünglichen Verbindung mindestens eines erheblichen Teiles der Indogermanen mit der nordischen Rasse ausgehen.
Die Rasseneinheit der indoeuropäischen Aristokratie muß durch die Endogamie verstärkt worden sein; ihr physischer Typus wurde als Zeichen der Überlegenheit, als Erscheinungsbild des sie beseelenden *ménos angesehen. Man empfand sie als Bindeglied zwischen den indoeuropäischen Fremdvölkern, über die Sprachunterschiede (die dennoch den ›Barbaren‹ abgrenzen) hinaus und trotz der sie gegeneinander hetzenden Konflikte: Wie ließe sich Aischylos’ erstaunliche Bezeichnung der streitenden persischen und griechischen Nationen als „Schwestern des gleichen Bluts“ sonst erklären (Die Perser, 185—186)?
Die heutige Hämatologie bekräftigt unverhofft die Intuitionen des traditionellen Denkens. Das heutzutage in Westeuropa und im nahen Osten beobachtbare ― Mißverhältnis zwischen den Genen HLA-A1 und HLA-B8 zum Beispiel führten Degos, Jacquard und Dausset auf die indoeuropäischen Völkerwanderungen zurück. [Actualities hematologiques, 1976, 10. Reihenfolge, S.223, vgl. ebenfalls J.Bernard, Le sang et L’histoire, 1983, S.41]
Erschienen in Elemente der Metapolitik, Ausgabe 5