Gerhard Hess

raidho: Wagen
Phonetischer Wert : r
Tierkreis: Waage
September Ende

Sakralfest: Ahnen-Rennspiele

Totenkultische Wagenrennen. In allen indogermanischen Kulturkreisen wurden diese herbstlichen Rennwagen­spiele abgehalten, um damit gefallene Krieger zu ehren. Das noch heute abgehaltene Münchener Oktoberfest­ren­nen stellt vielleicht einen Erinnerungsrest dar. Wäh­rend des Herbstthings wurde Recht gesprochen.

Die -Rune trägt das Wort „Wagen“ mit den Folgebegriffen „Rad, Reisen, Fahren, Rei­ten“. In dieser herbstlichen Jahresphase denkt man dabei zunächst an den Totenkarren, doch die Himmelsherren sind stets auch Wagengötter.

Das angelsächsische Runenlied sagt: „Tyr […] ist immer auf Fahrt….“ Die Fahrt des Sternenwagens (Irmineswagen) ist gemeint, der in Tiu-Tyrs Nachthimmelshöhe beständig um den Pol kreist. Der Wagen ist ebenso ein Erkennungszeichen des Himmels- und Wettervaters Donar-Thor.

Die entsprechende keltische Gestalt ist der „Rad­gott“ Taran. Wahr­scheinlich meint auch die Runenform nichts als ein um 90° aufgestelltes Wägelchen. Warum? Das Jahr nimmt sich zurück, kehrt sich gewissermaßen nach innen; eine Besinnung hebt an, man gedenkt der Vorausgegangenen, der Toten, und auch der eigenen Lebensreise.

In dieser Jahreszeit fanden in der indogermanischen Welt die großen totenkultischen Rennwagenspiele unter dem Patronat des Himmelsgottes statt. Es entspricht der Eigenart unserer Völkerfamilie, Wagenrennen zur Ehre der in diesem Jahr Gefallenen und überhaupt der Heldenahnen zu veranstalten. Schon Homer berichtet von derartigen Spielen.

An dieses Totengedenken erinnert in Deutsch­land bis heute die Hilligen Meinweken, die „Heilige gemeine Woche“, im Oktober­anfang. Das gesamte Naturleben begibt sich jetzt auf jene Reise in ferne oder unterirdische Welten, in denen es die heraufdämmernden Ge­fah­ren des Frostes und der Lichtarmut zu überdauern vermag. Zu allem Reisen gehört auch das Richten, Ausrichten und Gerichtetwerden.

Wenn in alten Zeiten das entbehrungsreiche Winterhalbjahr be­gann, stand die Frage über den Menschen: Wer wird überleben, wer bleibt verschont und wer wird dem Tod verfallen sein, über wen wird der Große himmlische Richter das Urteil sprechen?

Und in der anderen Welt wartete nach griechisch-keltischer Vorstellung Radamanthys/Radamad als Jenseitsrichter. Auch die 20. Karte im Tarot heißt „Das Gericht“.

Mit den Sommerabschluß­festtagen waren fraglos verbunden das Ding (noch heute die Dult) mit Rennwagen­spielen, Markt- und Gerichtstagen. Bei ganzheitlicher Wertung haftet der R-Rune ein negativer Aspekt an, sie warnt vor dem Gericht und der Reise, auch dem Reiserausch und seiner Betäubung.

Sind doch viele Reisen nur Flucht in die Fremde des Selbstverlustes, Flucht vor dem eigenen Ich. Solche Fahrten führen nicht selten ins Ungemach und in den Untergang.

Allein die Rückreisen der Selbstfindung und der Ich-Erkenntnis, hin zu den Müttern und Vätern, aus denen wir gekommen sind, bringen uns den Se­gen der Ahnen und den kraftvollen Frieden mit uns selbst.

 

Donar-Thor der Wagen-Gott

Zum Irmin-Gott gehört der Wagen,
er will damit die Zeit durchjagen.
Er ist der Herr, der Sieg verspricht,
als Richter sitzt er im Thinggericht.

In den Monat, der die Blätter färbt,
ist sein SIEGES-DANKFEST eingekerbt.
Es war ein Gedenken für tote Helden,
wie kundige Urkunden es vermelden.

Rennwagenkämpfe wurden gehalten,
die als der Feier Höhepunkt galten.
Von Irland bis Indien, – weltweit
finden sich Spuren der Herbst-Festzeit.

 

Beitragsbild: Jan Fibinger